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413 Tage ist weder ein Roman noch ein Tagebuch, sondern ein realistischer und oft poetischer Bericht über die Tage, die eine junge Griechin in Wien verbrachte, nachdem sie am 10. Juni 1944 in Athen von der SS verhaftet worden war.
Das Buch, von Terenzio auf Griechisch verfasst, erschien in ihrer Heimat Griechenland erst 1983 und ist mittlerweile vergriffen. 1958 kam es in ihrer eigenen Übersetzung auf Französisch heraus, 1961 auf Spanisch. Die deutschsprachige Übersetzung ist 2021 bei bahoe books veröffentlicht worden.

Ihr Abenteuer ist weniger deprimierend als andere Berichte aus dieser Zeit. Wenn das Buch Aufmerksamkeit erregt, beeindruckt und fasziniert, dann deshalb, weil es einen ungewöhnlichen Ton anschlägt, der den Lesenden von den ersten Seiten, wenn nicht gar von den ersten Zeilen an, fesselt. Es ist dieser ziemlich raue Stolz, diese innere Würde, letztendlich dieser unnachgiebige Widerstand, der nicht zögert, der Gefahr zu trotzen, sei es im Angesicht der Deutschen oder der einfallenden Russen. Diese Einstellung ist ein Merkmal von Terenzios Temperament, ihrer seelischen Stärke.

Jolanda Terenzio (ganz rechts im Bild) wurde 1922 in Athen geboren. Sie war die Tochter von Toni Terenzio und Julia Ambelas und hatte eine zwei Jahre jüngere Schwester, Alba. 1940 machte sie das Abitur an der Deutschen Schule Athen und schrieb sich für ein Jurastudium ein, das sie jedoch nicht abschloss. Am 10. Juni 1944 wurde sie von der SS wegen Widerstandsaktivität verhaftet. Aufgrund ihrer Deutschkenntnisse, kam sie nicht ins Athener KZ Chaidari, sondern wurde als Zwangsarbeiterin nach Wien verschickt.
Nach dem Krieg absolvierte sie die Pariser Journalistenhochschule und arbeitete für zahlreiche Zeitungen. Nach dem Putsch der Obristen 1967 ging sie nach London und trug mit ihren Sendungen bei der BBC wesentlich zur Aufklärung der Öffentlichkeit bei, wozu sie später wiederholt geehrt wurde. Nach dem Fall der Diktatur arbeitete Terenzio wieder für griechische Zeitungen.
Jolanda Terenzio war bis zu ihrem Ende ein kämpferischer Mensch und glaubte fest an ein vereintes Europa. Trotz ihres bedeutenden Beitrags strebte sie nie nach Anerkennung durch den Staat und seine Institutionen. Für ihre journalistische Arbeit wurde sie 2003 von der (privaten) Botsi-Stiftung mit dem nationalen Widerstandspreis „Manolis Litinas“ ausgezeichnet. Sie starb 2006 in Athen.

Zwangsarbeit
Mehr als zwanzig Millionen Menschen wurden im nationalsozialistischen Deutschen Reich und in den von der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg besetzten Gebieten der Zwangsarbeit unterworfen. Es ist eine europaweite Erfahrung ohne Beispiel. Auf dem Höhepunkt machten die Zwangsarbeiter 20 % der deutschen Arbeitskräfte aus.
Griechenland: Auf Kreta wurden 20.000 verpflichtet für die Besatzungsbehörden zu arbeiten, zum großen Teil unter harten Bedingungen in den Bergwerken, weitere 100.000 wurden von der Wehrmacht dienstverpflichtet, darunter ab 1943 auch 16-Jährige. Nach Deutschland wurden 23.000 Männer und Frauen „angeworben“, anschließend weitere 12.000 als Zwangsarbeiter und 1.000 als Kriegsgefangene. Daraus ergibt sich eine Zahl von 155.000 Personen. Zu NS-Zwangsarbeit hier
Einführung in das Buch
Die beste Einführung in 413 Tage ist ein Interview, das Jolanda Terenzio vor 24 Jahren dem Journalisten, Autor und Übersetzer Christian Gonsa gegeben hat. Es erschien am 30. April 1999 in der Wiener Tageszeitung Die Presse.

Still, in langen Reihen
Im Morgengrauen des 10. Juni 1944 verhaftete die deutsche Polizei Jolanda Terenzio in ihrem Elternhaus in Filothei im Norden Athens. Sie durfte zwischen Lagerhaft und „Arbeitseinsatz“ wählen. Sie wählte Arbeitseinsatz. Ihr Einsatzort: Wien. Eine Begegnung.
„Fremde Bahnhöfe, fremde Orte – und am Ende des Weges gibt es niemanden, der dich erwartet. Diese einsamen Bahnhöfe in der Nacht!“ Eine Fahrt durch den Balkan in den Augen einer jungen Griechin auf dem Weg ins Ungewisse.
Im Morgengrauen des 10. Juni 1944 verhaftete die deutsche Polizei Jolanda Terenzio in ihrem Elternhaus in Filothei im Norden Athens. Sie durfte zwischen Lagerhaft und „Arbeitseinsatz“ wählen. Die Schreie der Gefolterten in den Gewölben des SS-Hauptquartiers in der Merlinstraße in Athen machten ihr die Entscheidung leicht. Sie unterzeichnete einen Arbeitsvertrag und bestieg den Zug nach Wien.
Vor die Lokomotive spannte die Begleitmannschaft einen offenen Wagen, in dem Geiseln in einem Verschlag aus Stacheldraht untergebracht waren. Ein Sabotageakt griechischer oder jugoslawischer Partisanen hätte den Tod der lebenden Schutzschilde bedeutet. Der Transport bestand aus 400 Arbeitern. Die Studentin hatte keine gute Meinung von ihnen: „Einige haben abscheuliche Ausschläge an Armen und Beinen. Sie sind abstoßend und schmutzig, ich verachte sie dafür, daß sie aus freien Stücken nach Deutschland fahren. Aber wenn ich ihre ausgemergelten Körper und ihre unglücklichen Augen sehe, die den Augen von hungrigen Hunden gleichen, muß ich mit ihnen Mitleid haben“, schrieb sie später. Der erste Eindruck täuschte. Als der Konvoi nach zehn Tagen die Grenze des Deutschen Reiches passierte, hatte Terenzio mehrere Männer gefunden, die direkt aus einem Lager kamen oder zwangsverpflichtet worden waren. Es waren Tausende, die in diesem Jahr 1944 ihre Heimat unfreiwillig verlassen mußten.
Mit der Fahrt durch das Partisanengebiet begann für Terenzio eine Odyssee von 413 Tagen. Am Ende ihrer langen Reise, nach mehr als einem Jahr, lächelte sie wieder: Eine Photographie vom Juli 1945 zeigt sie in einer Gruppe griechischer Heimkehrer, irgendwo auf dem Balkan auf dem Weg Richtung Süden. Am Güterwagen ist die griechische Fahne angebracht, Freund Giannis legt seinen Arm um ihre Schultern.
„Ich war enttäuscht. Natürlich war ich enttäuscht“, erinnert sich Terenzio an ihre Heimkehr. Sie ist heute 77 Jahre alt. Die alte Dame wohnt in Glyfada im Süden Athens, direkt am Meer. Von der Dachterrasse ihres Hauses aus kann man an klaren Tagen hinter Ägina die Berge des Peloponnes ausmachen. Ein Rauschen im Rücken, von der großen Uferstraße her, erinnert an den Verkehr der Fünf-Millionen-Metropole Athen-Piräus. Stunde um Stunde sitzen wir im großen Wohnraum im ersten Stock, umgeben von Photographien ihrer Verwandtschaft, von ihren Büchern und von ungeduldigen Katzen. Das Telefon läutet: „Ruf später an, da ist ein Österreicher, der mich entdeckt hat“, sagt Terenzio ironisch.
„Die Mädchen aus der Ukraine und aus Weißrußland, die Griechen geheiratet hatten, um nicht zurück zu müssen, ließen sie nicht nach Griechenland einreisen. Noch im Zug gab es Selbstmorde. Gleich nach der Grenze kamen wir wieder in ein Lager. Dort sollten wir überprüft werden. Ich hatte keinen Grund, mich verhören zu lassen. Ich hatte nichts Gutes zu erwarten. Ich war nicht national gesinnt.“ Während ihrer Abwesenheit war es in Athen zu Kämpfen zwischen der kommunistisch dominierten großen Befreiungsarmee und Briten im Verband mit Regierungstruppen gekommen. Terenzio war in der Jugendorganisation der Befreiungsfront organisiert gewesen. Bis 1948 erhielt sie keinen Paß und konnte nicht aus Griechenland ausreisen.

Nach 413 Tagen: Jolanda Terenzio (zweite von rechts) in einer Gruppe griechischer Heimkehrer, Juli 1945
„Nach meiner Rückkehr ging es mir gar nicht gut. Das Schreiben war meine Therapie.“ Sie hat ein Tagebuch geführt, und daraus entstand ein Manuskript über ihre „413 Tage“ als Fremdarbeiterin. Das Buch erschien 1958 in Frankreich, in Griechenland wurde es erst 1982 gedruckt. „Ein Verleger war begeistert, das drucken wir sofort, sagte er – den Teil nach dem Einmarsch der Russen in Wien lassen wir aber weg. Der andere wollte nur den Teil bis zum Kriegsende. Ich bestand darauf: Es muß die ganze Geschichte sein!“ Auf Deutsch ist das Buch nie erschienen. Doch das Manuskript war nur der Anfang. Jolanda Terenzio wurde Journalistin und machte Karriere in Frankreich, Großbritannien und Griechenland. Sie erzählt von ihren Jahren beim Auslandsdienst des BBC, als sie das Regime der griechischen Obristen (1967 bis 1974) via Radio bekämpfte. Dann erzählt sie von Athen und von korrupten Polizisten, von den Ferieninseln in der Agäis, vor denen Menschenhändler ihre lebende Fracht aus Pakistan oder Kurdistan mitunter ins Meer werfen, wenn Patrouillenboote nahen. „Wir leben in einer Zeit ohne Moral“, schließt sie.
Am lebhaftesten erinnert sich Jolanda Terenzio an Gerüche. „Den Geruch der deutschen Soldatenstiefel werde ich nie vergessen. Es muß ein spezielles, minderwertiges Leder gewesen sein.“ Noch Wochen nach dem Abmarsch der einquartierten Soldaten des Afrikakorps lag der Gestank im Elternhaus. Im April 1941 hatte die Wehrmacht die griechischen und britischen Truppen besiegt. Deutsche, Italiener und Bulgaren besetzten das Land. Die Soldaten bezogen Privatquartiere. Der Raubzug der neuen Herren und die britische Seeblockade ließen die griechische Wirtschaft zusammenbrechen. Im Hungerwinter 1941/42 starben allein im Großraum Athen um die 50.000 Menschen. Im Jahr 1942 begann die Anwerbung von Arbeitern für Deutschland. Ihnen wurde sichere Arbeit und guter Lohn versprochen. Das beste Argument war der Hunger. Das Zweitbeste war Zwang. Dennoch: Nur etwa 22.000 Arbeiter und Arbeiterinnen bestiegen insgesamt die Züge – eine verschwindende Minderheit in der Masse der neuneinhalb Millionen, die im Reich arbeiteten.
Ein anderer Geruch, der blieb, ist der des Pechs auf den Dächern der Baracken im Durchgangslager Strasshof im Marchfeld. Dort wurden die Griechen des Transports, die für die Industrien Wiens bestimmt waren, untersucht. Dort wurden sie Zaungäste der „Endlösung“. Denn auch die Transporte ungarischer Juden machten 1944 in Strasshof Station, Die Wächter machten keine Unterschiede: Sie schlugen alle. Dennoch trennten die Gruppen Welten. Die Griechen konnten sich beim Lagerkommandanten über die schlechte Behandlung beschweren. Ihr Argument, sie seien doch freiwillig gekommen, zeigte Wirkung.
Im Gau Wien teilte man Terenzio Siemens zu. „Ich hatte Angst, daß in der Fabrik nicht mehr als ein Haufen Knochen von mir übrigbleibt“, sagt Jolanda. Gemeinsam mit „Bräutigam“ Giannis setzte sie sich ab. Sie fanden einen österreichischen Helfer, der ihnen Papiere, eine Wohnung und Arbeit verschaffte. Er war Regimegegner. Im Sold des Wohltäters reparierten die Griechen Schreibmaschinen. Mit dem ersten Geld vergnügte sich das Paar im Wurstelprater.
Der Umgang ist schlecht: Man verkehrt mit flüchtigen Fremdarbeitern, Schwarzhändlern, Kriminellen. Terenzio schreibt über die Griechen: „Mit der Zeit finde ich Gefällen an meinen Landsleuten. Niemand beklagt untätig sein Schicksal. Sie nehmen es auf die leichte Schulter und kümmern sich nicht darum. Sie geben dem schwermütigen Land eine fröhliche Note. Die meisten haben ein Vermögen gemacht, wer nicht, läßt sich nicht in der Öffentlichkeit blicken. Sie sind großzügig, und sie sind verrückt nach den Kellnerinnen und den Höflichkeiten der Wirte. Die Polizei ist ihnen ständig auf den Fersen, und die Lager sind voll mit Griechen. Aber das ändert nichts. Sie kamen hierher, um das große Leben zu führen, an das sie zu Hause nicht einmal im Traum gedacht hätten.“ Heute fällt ihr Urteil härter aus: Diese Leute hätten sogar dem Teufel ihre Seele verkauft, um dem Hunger zu entgehen, sagt sie.
Der Treffpunkt der Griechen ist das „O. K.“ in der Kärntner Straße 61, gleich beim Karlsplatz, dem Zentrum des Schleichhandels. Die „harten“ Währungen im internationalen Geschiebe sind Zigaretten und – oft gefälschte – Lebensmittelmarken. Ein buntes Bild – aber alles andere als romantisch. Die Alternative für die Arbeiter ist ein tristes Leben in Barackenlagern, 60- bis 70-Stunden-Woche, der Tod in den bombardierten Fabrikhallen, der Hunger und die Demütigung durch die „Herrenrasse“. Wer das Pech hat, bei einer Razzia aufgegriffen zu werden, wandert in ein „Arbeitserziehungslager“ oder in ein KZ.
1964 besuchte die Journalistin Wien. Es zog sie vor allem zum Wiener Landesgericht, den Ort ihrer schlimmsten Zeit in der Stadt. Im November 1944 war die junge Griechin über den Abgrund geschlittert. Eine Frau aus der ehrenwerten Gesellschaft des „O. K.“ hatte Giannis des Diebstahls bezichtigt. Jolanda wollte helfen und landete ebenfalls in Untersuchungshaft: Das Paar wird festgenommen und in das Landesgericht verfrachtet. Dort wartet Jolanda zwei Monate auf ihren Prozeß. Das gibt ihr Gelegenheit, einen tiefen Blick in die Abgründe des Regimes zu tun. Sie sieht die Todgeweihten in der Stunde der „Justifizierung“, der Hinrichtung. Still, in langen Reihen, in ihrer zivilen Kleidung, marschieren die Opfer zum Fallbeil. Die meisten der Frauen in den Zellen haben Deserteuren geholfen, dem Mann, dem Bruder, dem Bräutigam.
Eine 60jährige wird zu acht Jahren Haft verurteilt, weil sie Deutsche bei der Essensausgabe benachteiligt hat – benachteiligt gegenüber Österreichern, Sudetendeutschen und Fremdarbeitern. Eine Frau hat eine Liebesbeziehung zu einem französischem Kriegsgefangenen – ein Delikt in jenen Jahren. Ihr Mann, auf Fronturlaub, hat sie angezeigt. Die Frau wird zu drei Jahren verurteilt, die Kinder müssen ins Heim. Eine 17jährige sitzt für ihren Vater: Der Schauspieler hatte sie in ein Kaffeehaus geschickt, um ihm auf dem schwarzen Markt einige Zigaretten zu kaufen.
Vor dem Kampf um Wien sind die Griechen wieder auf freiem Fuß. Man hetzt von Fliegeralarm zu Fliegeralarm, von Unterschlupf zu Unterschlupf. Am 12. März 1945 überstehen die beiden in den Kellern der Hofburg den schweren Angriff auf das Wiener Zentrum. Als sie wieder ans Tageslicht kriechen, sehen sie den Rauch der brennenden Oper. Der Philipp-Hof vor der Albertina ist eingestürzt. Die Angehörigen der Verschütteten lagern in den nächsten Tagen auf den umliegenden Trümmern und beobachten die grabenden ungarischen Soldaten. Von Zeit zu Zeit sind aus der Tiefe Hilferufe zu hören. Die Verschütteten kamen nie wieder an die Oberfläche. Heute ist an der Stelle, wo einst das Haus stand, Alfred Hrdlickas Mahnmal. „Ich fühlte Solidarität mit den Österreichern, absolute Solidarität. Ich wußte nicht mehr, wer der Freund und wer der Feind ist“, sagt Terenzio.
Als die Russen den Sturm auf die Stadt beginnen, werden Gefängnisse, Lager, Lazarette evakuiert. Aus Eilmärschen werden Todesmärsche. Für die Ausländer gibt es keine Lebensmittel mehr in den Geschäften. In der Stadt gehen SS-Trupps von Keller zu Keller und erschießen Fremdarbeiter, Deserteure, selbst Juden finden sie noch. Der Einmarsch der russischen Truppen ist ein Triumph für die Griechin. Aber die Begeisterung ist nur von kurzer Dauer. Die Freude weicht der Panik, der Angst vor den marodierenden Soldaten, die auf Jagd nach Uhren und Frauen gehen. Die Bewohner der Liechtensteinstraße 13 verbarrikadieren das Haustor; Nacht für Nacht lauscht Terenzio den Plünderern, die stundenlang gegen das Tor schlagen.
Wir kramen in Jolanda Terenzios Schatzkiste: eine Liste der Verhafteten vom Juni 1944; ihr trotziges Gesicht auf dem Paßphoto ihrer deutsch-griechischen Papiere; das Bild von der Heimreise; und ein kleines Zettelchen mit kyrillischen Buchstaben. Es bestätigt ihre Gesundheit. Auch die Russen haben sie untersucht, in Wiener Neustadt. Anfang Mai 1945 hatte die Rote Armee in Wien den Auszug der Ausländer befohlen. Endlose Kolonnen von Arbeitern zogen Richtung Wiener Neustadt. Von dort aus sollten die Züge in ihre Heimat fahren. Etwa 3000 Griechen marschierten, unter ihnen Jolanda Terenzio. Aber es gab auch viele, die blieben: Kriminelle, Verliebte, Kollaborateure, aber auch Anhänger der in Griechenland vorerst unterlegenen Kommunisten.
Auf den Straßen des verwüsteten Landes kreuzen sich die Wege von Arbeitern aus ganz Europa mit denen von befreiten KZ-Häftlingen; befreiten russischen Kriegsgefangenen, ein Teil von ihnen auf dem Weg Richtung Sibirien; mit den ersten Trecks vertriebener Deutscher. Man ernährt sich von dem, was man tauschen oder stehlen kann. Eines Nachts, in einem Dorf vor Sopron, geraten Griechen und Österreicher aneinander. „Das Dorf schlägt Alarm, sogar die Kinder kommen mit Knüppeln in den Händen aus den Häusern.“ Dorfwehr und Griechen schlagen aufeinander ein, es gibt Verletzte. Erst in Budapest gelingt es den Griechen, Güterwagen Richtung Heimat zu besetzen. Sie schmücken sie mit griechischen Fahnen und Zweigen.
Längst ist das Tonband abgeschaltet, der Kaffee getrunken, draußen ist es Nacht. Die alte Dame schenkt mir ein griechisches Gedichtbändchen. Es sind patriotische, antideutsche Verse aus der Besatzungszeit. Der Autor heißt Rodolfos Krauss. Er ist Jolandas Onkel, der Halbbruder ihres Vaters. Krauss ist der Sohn des k. u. k. Kavallerieoffiziers Karl Krauss von Hohenfeld, der in Teheran vom Pferd fiel und dabei den Tod fand. Rudolph kam nach Griechenland, um die verwaisten Kinder aus der zweiten Ehe seiner Mutter großzuziehen. Deren zweiter Gatte: der Triestiner Antonio Terenzio, k. u. k. Konsul in Piräus, Agent des Österreichischen Lloyd. Bis 1937 hat Enkelin Jolanda einen österreichischen Paß. In der deutschen Schule in Athen lernt sie die Sprache ihrer österreichischen Verwandtschaft. Das Wiedersehen mit dem Land ihrer Ahnen hätte sie sich damals wohl anders vorgestellt.
Im Jahr 1964 begleitet Rodolfos seine Nichte nach Wien. Beim Heurigen bremsen die österreichischen Gastgeber den bejahrten Herrn höflich ein. Lautstark hat er Lieder aus den Jugendtagen geträllert – deren Texte den alten Kaiser verherrlichen.
Das Buch
Jolanda Terenzio, 413 Tage
Aus dem Griechischen übersetzt von Martin Scharnhorst
bahoe books, Wien 2021
Hardcover, 300 Seiten, 20 €
ISBN 978-3-903290-49-5
Zur deutschen Ausgabe hier
Jolanda Terenzio hier (auf EL)
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Martin Scharnhorst hier
Christian Gonsa auf diablog.eu hier
Interview: Christian Gonsa. Text und Redaktion: A. Tsingas. Fotos: Verlag Estia, bahoe books, Botsi Stiftung, privat.
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