Nikos Kavvadias, der Seemannsdichter

Seine drei Gedichtbände übersetzt von Felix Leopold

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Kavvadias (1910-1975) war Seefahrer und Dichter. Er selbst bekundete, dass er sich das eine ohne das andere nicht vorstellen könne. In seinen Werken hat er die maritime Natur der Griechen eingefangen.

Nikos Kavvadias wurde 1910 in Harbin/China geboren und wuchs auf der griechischen Insel Kefalonia und in Piräus auf. Erst fünfzehnjährig kam er mit der griechischen und der französischen Literatur in Kontakt. Seine Bewunderung für Charles Baudelaire ist dann auch in seinem späterem Werk unverkennbar. (*)
Mit 19 entschied er sich für den Eintritt in die Handelsmarine. Auf großen Frachtern und Postschiffen, die auch für den Passagierdienst eingesetzt wurden, war er ständig auf großer Fahrt. Bis 1939 arbeitete er sich vom einfachen Jungmatrosen zum Funkoffizier hoch.
Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges war Kavvadias Soldat an der Albanien-Front. Während der deutschen Besatzung hielt er sich in Athen auf. Ab 1944 fuhr er wieder zur See und bereiste in den folgenden 30 Jahren als Funker viele große Häfen der Welt. Ein Ruhestand war ihm nicht vergönnt. Er starb an einem Schlaganfall kurz nach seiner letzten Reise im Februar 1975 – Ironie des Schicksals – an Land, in Athen. Freunden gegenüber hatte er manchmal geäußert, er hoffe, sein Tod würde ihn auf See treffen. Auf seinem Sterbebett soll er gesagt haben: „Was ich immer befürchtet habe, wird jetzt eintreffen.“ Er meinte damit den Tod an Land und die Bestattung in einem Erdgrab.

(*) Kavvadias in Wikipedia hier

Kavvadias hinterließ Gedichte, die ihresgleichen suchen. An diese machte sich der Liederpoet Felix Leopold heran. Zu seinem Unterfangen meint er: „Als ich 2015 begann, mich intensiv mit dem Werk Kavvadias’ zu befassen, konnte ich zu Beginn gar nicht glauben, dass dieser bedeutende Dichter noch nicht ins Deutsche übersetzt worden war. Denn zweifelsohne gehört Nikos Kavvadias zu den wirklich bedeutenden Dichtern Griechenlands, die den Status des kulturellen Erbes erreicht haben. Als ich daraufhin in meinem Freundeskreis in Thessaloniki verkündete, ich wolle versuchen, Nikos Kavvadias’ gesammelte Gedichte ins Deutsche zu übersetzen, war die nahezu einhellige Meinung: >Das schaffst du nicht. Kavvadias ist nicht übersetzbar.< Auf meine Frage, warum das denn nicht machbar sei, wurde mir wiederum geantwortet: >Weil selbst wir Griechen ihn nicht wirklich verstehen.< Aufgrund der enormen Popularität, die dieser Dichter bis heute in der griechischen Bevölkerung genießt, erstaunte mich diese Antwort und machte mich hellhörig.“
Kavvadias´ Wortschatz ist von der damals gängigen, vom Italienischen beeinflussten und für die meisten „Land-Griechen“ weitgehend oft unverständlichen Seemannssprache geprägt. Sein Leben bezeugt die Wahrhaftigkeit seines Schreibens und ist Beweis für seine Authentizität. Auch der Inhalt ist bemerkenswert: Kavvadias bewertet nicht, er erzählt. Der Sinn des Lebens bestand für ihn darin, es zu leben, wie es ist: Eine Reise, mit Ende – natürlich – aber ohne Ziel.
Kavvadias gab drei Gedichtbände heraus, Marabu (1933), Nebel (1947) und Traverso (1975). (*) Er wandelte sich dabei von einem sich selbst suchenden, humorvollen Erzähler zu einem poetischen Alchimisten. Aus oft schon surreal anmutenden Mixturen aus Realität, Erinnerung, Menschen, Tieren, Orten und historischen Ereignissen formte er Bilder, denen man oft nur emotional folgen kann.

(*) Kavvadias hat wenig Prosa hinterlassen. Sein Roman „Die Wache“ (1954) wurde 2001 von Maria Zafón (vormals Petersen) ins Deutsche übersetzt, hier. Maria Zafón in diablog.eu hier

Kavvadias wurde Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre von Musikern entdeckt und seine Gedichte von ihnen in unterschiedlicher Ausdrucksformen auf Vinyl gepresst, seine Lyrik ist für die Vertonung gut geeignet. 1979 komponierte der Musiker  Thanos Mikroutsikos den Gedichtzyklus „Kreuz des Südens“, er wurde zum Meilenstein des griechischen Liederschaffens. Seitdem wurden mehr als die Hälfte seiner Gedichte zu Liedern, die in Griechenland populär sind und bis heute gesungen werden.
: : Artikel zur griechischen Vertonung der Gedichte von Kavvadias (auf EL) hier

Offensichtlich haben Felix Leopold die Zweifel seiner Umgebung angespornt, denn er hat das vermeintlich Unmögliche tatsächlich möglich gemacht. Er ist nicht als Lyrikübersetzer an die Aufgabe herangegangen, sondern als Liedermacher und dadurch singbare Texte geschaffen, die näher an den Geist von Kavvadias herankommen als viele „philologische“ Übersetzungen. Zudem hat er gründlich recherchiert und die Übertragungen mit Erläuterungen zu geografischen und historischen Gegebenheiten versehen. Die Ausgabe enthält auch Gedichte außerhalb der Gedichtbände, auch diese sind durchgehend zweisprachig abgedruckt.

Auszug
EIN SCHWARZER HEIZER AUS DSCHIBUTI  (*)
Für I. Pikramenos

Der Willy, unser schwarzer Heizer aus Dschibuti,
kam immer nach seinen nächtlichen Schichten
lauthals lachend zu mir in die Kajüte und erzählte
mir dann stundenlang seltsame Geschichten.

Er erzählte mir, wie sie in Algerien das Haschisch rauchen
und wie sie in Aden tanzend weißen Staub inhalieren,
und wie sie dort, wenn der Rausch sie mit Träumen umringt,
laut schreien und mit sich selber diskutieren.

Auch erzählte er, wie er eines Nachts nach dem Rauchen
hoch zu Ross und verfolgt von geflügelten Meerjungfrauen
über den Rücken des Meeres galoppiert sei.
„Wenn wir mal nach Aden kommen“, rief er, „wirst du dich das auch
mal trauen!“

Süßigkeiten schenkte ich ihm und Rasierklingen
und sagte, dass der Mensch doch am Haschisch verrecke,
da hörte er nicht mehr auf, unglaublich zu lachen
und hob mich mit nur einer Hand hoch bis unter die Decke.

In seinem riesigen Körper hatte er ein so unschuldiges Herz.
Eines Nachts in Marseille, in der Bar „Regina“,
bekam er, um mich vor einem Spanier zu beschützen,
auf seinen Kopf eine leere bottiglia.

Eines Tages ließen wir ihn dann irgendwo in Fernost
ausgedörrt verglühen und vergehen am Fieber.
Lieber Gott der Schwarzen, dem guten Willy sei verziehen
und schick ihm, wo er auch sei, ein wenig weißen Staub hernieder.

(*) Eins der Lieblingsgedichte meiner Mutter Athena Tsingas (Jg. 1930).
Wenn sie es auswendig rezitierte, flossen Tränen.
Kavvadias´ Unterschrift

Das Taschenbuch
ist keine bibliophile Ausgabe, sein Inhalt jedoch vorbildlich: Am Anfang stehen ein Vorwort von Leopold und ein ausführlicher Bericht zu Kavvadias´ Lebensweg. Am Ende, nach den drei Gedichtbänden, werden die Beteiligten vorgestellt: der Übersetzer Felix Leopold, die Lektorin Sophia Georgallidis und die Historikerin Nicole Immig. Diese setzt Kavvadias´ Werk in den historischen Kontext. Ihr Text ist fließend und unaufgeregt, man bekommt ein sehr anschauliches Bild der Zeit vor, während und nach Kavvadias´ Wirken. So etwas wünscht man vielen griechischen Büchern, damit die deutschsprachige Leserschaft mit den Ereignissen der neugriechischen Geschichte nicht alleine gelassen wird.
Die griechische Bibliographie rundet den Band ab. Er hat das Zeug, ein Standardwerk zu Kavvadias zu werden. Die Veröffentlichung wurde vom griechischen Ministerium für Kultur und Sport und der Griechischen Kulturstiftung im Rahmen des GreekLit-Programms unterstützt. Der Kater Literaturverlag hat zwar in seinem Programm mehrere zweisprachige Werke und eine „Griechische Reihe“, hier. Trotzdem ist er mit diesem Lyrikband ein Wagnis eingegangen, das hoffentlich mit guten Verkaufszahlen belohnt wird!

Der Übersetzer


Der Liederpoet Felix Leopold, geboren in Berlin und aufgewachsen in Stuttgart, lebt seit 2000 mit seiner Frau Anastasia, einer Blues-Sängerin, in Thessaloniki. Kennengelernt haben sie sich Mitte der 80er Jahre in Stuttgart, wo Leopold seinen Zivildienst ableistete. Kurz darauf kam er als Student nach Thessaloniki und mit der Musik der griechischen Liedermacher in Kontakt. Er lernte Griechisch, auch, um diese Texte zu verstehen. Anfang der 90er Jahre entwickelte er ein griechisches Liederprogramm mit Rembetiko und Blues und wagte sich zum ersten Mal an die Übersetzung von Texten des Seefahrers und Dichters Nikos Kavvadias.
Felix Leopold hier
auf diablog.eu hier

Die deutsche Ausgabe
Nikos Kavvadias | Felix Leopold
Die drei Gedichtbände des griechischen Seemannsdichters Nikos Kavvadias
Zweisprachige Edition deutsch-griechisch, hier
Taschenbuch, 276 Seiten, 14,8 x 21 cm
ISBN 978-3-944514-51-2
Kater Literaturverlag, Viersen 07/2023, D 24 Euro

Lyrik: Nikos Kavvadias, Felix Leopold, mit freundlicher Genehmigung des Kater Literaturverlags. Text: Felix Leopold, Kater Literaturverlag, A. Tsingas. Redaktion und Präsentation: A. Tsingas. Abbildungen: Kater Literaturverlag.

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