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Johann Andreas Stähele, „der Gebildetste aller Philhellenen“, stand als Erzieher Pestalozzi und Fellenberg nah. Als überzeugter Philhellene war er von Januar 1822 bis Januar 1823 im aufständischen Griechenland, um der „Sache der Freiheit“ zu dienen.
Ein sonderbarer Text, scheinbar ohne Anfang und Ende, tauchte auf meinem Bildschirm auf, als ich nach einer Wanderung durch das böotische Hügelland die Suchmaschine nach diesem stillen Teil Zentralgriechenlands befragte. Ein anonymer Reisender marschierte da nachts, verborgen vor unsichtbaren Feinden, durch die weite Ebene und die Hügel bei Plataies, dem Ort der Perserschlacht des Jahres 479 vor unserer Zeitrechnung, lagerte in Weingärten, genoss überreife Weintrauben und dachte über die Überreste der getöteten Perser nach, die Jahrhunderte lang zu bestaunen gewesen sein mussten, „so wie die Gebeine der Burgunder bei Murten noch bis auf den heutigen Tag zu sehen sind“. Ein Text, der unbestimmt bedrohlich, aber auch verspielt war. Das machte mich neugierig, und ich begann die Suche nach Quellen, um ihm einen Sinn abzugewinnen.

Die Spur führte in die Schweiz. Zunächst wurde mir klar, dass ich den zweiten Teil der in Fortsetzungen erschienen deutschen Übersetzung eines im Mai 1829 anonym in der englischen Zeitschrift „London Magazine“ erschienen Artikels über eine „Reise von Athen nach Missolonghi im Herbst 1822“ gelesen hatte. In der Folge ließ sich nach einem Detektivspiel – ich werde etwas später darauf zurückkommen – als Autor der Erzieher und spätere Thurgauer Regierungsrat Johann Andreas Stähele aus Obersommeri im Thurgau (1794-1864) identifizieren. Der Thurgauer war einer der sogenannten Philhellenen, die nach Griechenland gingen, um der „Sache der Freiheit“ zu dienen, wie er selbst es definierte. Er hielt sich dort von Januar 1822 bis Januar 1823 auf. Die Erzählung spielt im zweiten Jahr des griechischen Aufstandes gegen die osmanischen Herren.
Aber Stähele – er unterschrieb wahlweise als Andreas Staehele oder Stähele, andere nannten ihn auch Stahele, Stäheli, Stähelin, Stähli, Staeli und anderes – hatte, wie ich erkannte, in derselben Zeitschrift schon einen anderen Artikel über den Krieg veröffentlicht. In der Februar-Ausgabe 1826 berichtete er über die „Belagerung der Akropolis von Athen in den Jahren 1821 und 1822“ durch die Griechen.
Die beiden englischen Texte wurden auch im deutschen Sprachraum gelesen. Nachrichtenagenturen im heutigen Sinn gab es nicht, man füllte die Seiten gerne direkt mit der Produktion der in- und ausländischen Konkurrenz. Sie erschienen daher übersetzt in deutschen Zeitschriften, und blieben anonym, so wie sie aus dem Englischen übernommen worden waren.
Was wissen wir von Andreas Stähele? Bis zum heutigen Tag ist er gesichtslos geblieben. Es hat sich noch keine Abbildung des Mannes gefunden, wir wissen nur dass er „groß“ war und seine lange Pfeife kunstvoll zu rauchen verstand. Geboren wurde er im Dezember 1794 im katholisch geprägten Obersommeri im Thurgau, fünf Kilometer vom Bodensee. Seine Stationen: Klosterschule in Einsiedeln, Theologiestudium im bayerischen Landshut; Abbruch des Priesterseminars in St. Gallen. Nach dieser „Flucht“ scheint er es mit den Autoritäten aufgenommen zu haben, auch mit dem Vater. Als Erzieher von den berühmten Pädagogen Emanuel Fellenberg und Heinrich Pestalozzi zunächst hoch geschätzt, ließ er sich in die Streitigkeiten der beiden verwickeln, überwarf sich mit ihnen. Der junge Mann hatte ganz sicher eine scharfe Zunge – Pestalozzi hielt er etwa im Januar 1818 in einem Brief vor, seine Winkelzüge seien „aus der Beschaffenheit des Menschen zu erklären, der seine krummen halblistigen Wege als Wundergänge seines Genies angesehen wissen will“.
Im Frühjahr 1819 treffen wir den Thurgauer als Privatdozenten an der Berner Akademie, Vorläuferin der Universität Bern. Im August 1819 aber schon sollte ein Skandal seinen Namen über die Schweizer Grenzen bekannt machen. Josef Christian Hamel, deutsch-russischer Forschungsreisender im Auftrag des Zaren, hatte angeblich die Lehrer in Fellenbergs Erziehungsanstalt in Hofwil als „Jakobiner“ verunglimpft. Stähele stellte ihn im Berner Gasthof „Zum Falken“ zur Rede, Hamel fühlte sich bedroht und flüchtete, begleitet von einem feurig nachgerufenem „Fürstenknecht“.

Der „Fall Stähele“ lässt den väterlich autoritären, vom Wiener Kongress abgesegneten Schweizer Bundesstaat der sogenannten Restaurationszeit wiederauferstehen: Fünf Monate nach der Ermordung des Literaten und russischen Konsuls August von Kotzebue durch einen radikalen Burschenschafter in Mannheim statuierte Bern im Zeichen der Repression gegen die deutschen Burschenschafter ein Exempel. Obwohl Hamel den Privatdozenten nicht anzeigen wollte, wurde Stähele verhaftet und ohne Gerichtsverhandlung, also ohne Möglichkeit, sich zu verteidigen, des Kantons verwiesen. Im folgenden Frühjahr wurde er auch von der Universität Freiburg im Breisgau, wo er ein Rechtsstudium begonnen hatte, entfernt.
Die Sache der Freiheit
Stähele stand mit deutschen Burschenschaften in Verbindung – und damit schon vor der „Falken-Affäre“ unter Polizeibeobachtung. Legitimität gründete sich für ihn auf der (allerdings noch den Männern vorbehaltenen) Volkssouveränität – ein Modell, das sich in der Schweiz erst 1830 durchzusetzen begann, mit seiner tatkräftigen Mitwirkung. 1819 aber wollte man noch nichts davon hören. Und so ging er über Frankreich nach Großbritannien, weil es ihm in der Heimat zu eng geworden war.
Den jungen Stähele nur als Getriebenen, als Flüchtling zu sehen, wäre aber zu einfach. Man musste ihn nicht lange bitten, sich auf die Reise zu machen, so schrieb er 1824 in einem Brief an Karl Beda Müller-Friedberg, den Sohn des damaligen St. Gallener Landammanns: „Laßen Sie das Phlegma zu Hause und gehen Sie auf Reisen: wer die Welt sieht, lebt nicht doppelt, sondern vier und fünffach.“ Sein Tatendrang manifestiert sich auch in seinen Gedichten. Ja, wie so viele Studenten schrieb er Gedichte – eines wurde unter dem Titel „Lied eines Kriegers“ von keinem geringeren als Franz Schubert vertont. In ihm wetterte er vor allem gegen die Tatenlosigkeit der Zeit: „Wie schön ist es, halbgähnend zuzugaffen/ Wenn andre Völker blutig auf sich raffen.“ Ihm selbst war das Zugaffen nicht genug. Als er sich im Herbst 1821 dazu entschied, sich auf den Weg nach Griechenland zu machen, wollte er der Sache der Freiheit „gegen die türkische Legitimität“ dienen, schrieb er in einem englischen Brief, sich aber gleichzeitig auch „klassischen Forschungen“ widmen.
Der radikal-liberale Erzieher, von seinen Zeitgenossen stets als „Doktor“ oder „Professor“ tituliert, der im Januar 1822 auf der Brigg „Pegasus“ in Livorno gemeinsam mit anderen Griechenfreunden in See stach, war natürlich ein Kind seiner Zeit – aber gleichzeitig eine radikale Ausnahmeerscheinung. Philhellenen gab es Tausende in der Schweiz, aber sie und ihre Wortführer, die Schreibtischtäter und feurigen Sonntagsprediger, die die „teutsche“ Jugend zur Verteidigung der bedrängten Christenheit aufriefen, blieben zuhause. Für das erste Kriegsjahr, bis Anfang April 1822, sind gerade zehn Namen von Schweizer Philhellenen bekannt, die griechischen Boden betraten. Sechs davon überlebten das Abenteuer nicht: Vier starben bei Kampfhandlungen, zwei an Krankheiten. Auch Stähele wurde noch Monate nach der Rückkehr vom „Fieber“, wohl Malaria, gequält, so sehr, dass ihm eine Überfahrt in den Hades beinahe verführerisch erschien.

Wie aber verrät sich Andreas Stähele als Autor der anonymen Artikel? Schon früh spekulierte William St Clair, Autor eines Standardwerks über die Philhellenen, dass Andreas Stähele hinter dem Artikel über die Belagerung der Athener Akropolis steckte. Dann konnte Eileen M. Curran, eine Spezialistin für britische Zeitschriften des 19. Jahrhunderts, ihn als Autor mehrerer Artikel in britischen Zeitschriften festmachen. Auch wissen wir, dass Stähele im Sommer 1824 auf die britischen Inseln zurückgekehrt war, wo er bis Herbst 1830 lebte. Das waren wichtige Anhaltspunkte.
Zu einer sicheren Zuschreibung führt aber – neben einer Reihe anderer Indizien – eine sehr alte Spur. Vor über hundert Jahren grub der Schweizer Althistoriker Felix Stähelin ein polizeiliches Verhör des Urburschenschafters und Spitzels Johannes Wit, genannt von Dörring, aus. Der behauptete, Stähele sei im Auftrag der Redaktion der Londoner Tageszeitung „Morning Chronicle“ nach Griechenland gegangen.
Tatsächlich lässt sich der Philhellene in der auflagenstarken, liberalen Oppositionszeitung aufspüren, wie eine Online-Volltextrecherche in der unübersehbaren Datenbank des British Newspaper Archives belegt; nicht unter seinem Namen freilich, sondern als „Schweizer Gentleman“, und auch nicht als „Korrespondent“, wie man das heute nennen würde.
Die Quelle: John Black, Editor, also Chefredakteur, des Blattes, bewarb am 2. Februar 1826 den Artikel über die Belagerung der Akropolis im „London Magazine“ unter dem reißerischen Titel „Turkish Women“ – er spielte damit auf die türkischen Frauen an, die der österreichische und schwedische Konsul Georg Christian Gropius unter seinen Schutz nahm und damit vor dem Tod rettete. Auch Stähele wohnte bei Gropius und erzählte von ihnen. Als Autor der Geschichte nennt Black einen „Swiss Gentleman“ der sowohl des Alt- als auch des Neugriechischen mächtig und bei der Belagerung der Akropolis anwesend war.
John Black war ein enthusiastischer Liebhaber und Übersetzer deutscher Literatur. Seine persönliche Beziehung zu Stähele ist durch mehrere Empfehlungsschreiben des gutmütigen Schotten belegt. Demselben John Black hatte übrigens ein angehender Journalist namens Charles Dickens seine erste Anstellung zu verdanken – der spätere Literat von Weltruhm war Black zeitlebens dankbar dafür.
Schon der Hinweis auf Stäheles Herkunft, seine persönliche Bekanntschaft mit Black machen die Sache offensichtlich, aber seine Neugriechisch-Kenntnisse waren, im Umfeld der Philhellenen, die im Allgemeinen eine robuste Ignoranz der realen Lebensumstände in Griechenland auszeichnete, ein „Alleinstellungsmerkmal“, wie man heute sagen würde. Und damit ist Stähele auch als Autor des „Zwillings“-Artikels über die Wanderung nach Mesolongi in derselben Zeitschrift identifiziert. Denn dieser war die Fortsetzung des ersten, wie zahlreiche inhaltliche und chronologische intertextuelle Bezüge zeigen.

Das Massaker von Athen
Als Stähele über die griechische Belagerung der von den Osmanen verteidigten Akropolis schrieb, waren drei Jahre seit den Ereignissen vergangen – und diese damit nur noch für diejenigen interessant, die nicht völlig vom „Tagesgeschehen“ in Anspruch genommen wurden, wie einleitend festgestellt wird. Erfrischend ist die intellektuelle Redlichkeit des Autors: Er erklärte, dass er ab März 1822 als Augenzeuge berichtet, alles Vorhergehende also aus anderen Quellen bezogen hatte. Das war bei Erzählungen über die griechische Revolution, die zuweilen an Märchen erinnern, ungewöhnlich – und wurde in der deutschen Übersetzung in der Zeitschrift „Minerva“ (1826, III) unterschlagen.
Der Schweizer ist also ein vertrauenswürdiger Zeuge, auch für das griechische Massaker an den Athener Türken unter Verletzung der Kapitulationsbedingungen. Am 10. Juli 1822 sperrte man die Tore des sogenannten Voevodaliki, des ehemaligen Sitzes des osmanischen Voivoden, ein Gebäude, das sich im Areal der Hadriansbibliothek am heutigen Monastiraki-Platz im Zentrum Athens befand. In ihm waren 400 Türkinnen und Türken einquartiert. In der deutschen Übersetzung ist zu lesen:
„Ein griechischer Soldat, der mich persönlich kannte, ließ mich jedoch hinein. In dem weiten Hofraum angelangt, bot sich meinen Blicken ein schreckliches Schauspiel dar. Eine Menge Leichname lagen hie und da, völlig ausgezogen, und mit großen Wunden bedeckt, übereinander her, und jeden Augenblick schleppte man aus den verschiedenen Zimmern neue Schlachtopfer herbei, die denselben furchtbaren Tod sterben mußten (…).“
Als er am 17. Januar 1823 nach stürmischer Überfahrt aus Griechenland in Ancona an Land gegangen war, berichtete Stähele dem Briefpartner Müller-Friedberg ernüchtert: „Der Sache der Freiheit habe ich in Griechenland nicht dienen können; sie wird dort entweiht.“ Aus eigener Anschauung hatte er erlebt, dass Revolutionen in blutige Gemetzel umschlagen können. In den ersten Monaten seines Aufenthaltes hatte er sich noch an einem Sturmversuch auf die Akropolis beteiligt, und war in einem von der „Morning Chronicle“ am 12. Juli 1822 veröffentlichten Bericht – von Chefredakteur Black bei dieser Gelegenheit zum ersten Mal als „Swiss Gentleman“ präsentiert – davon überzeugt, dass die allgemeine „Anarchie“ nach Verabschiedung der ersten Verfassung bald überwunden sein würde. Später verhielt er sich nur noch – neutral. Das Schockerlebnis hinterließ bleibende Spuren. Der Polizeispitzel Wit-Dörring fand seine Gesinnung gänzlich verändert, als er ihn 1823 in Zürich traf. Da hatte er das Gefühl, Stähele habe jedem „revolutionären Streben entsagt“. Das allerdings trifft nur für den blutigen Teil von Umstürzen zu. Ende 1830 war er einer der Anführer der unblutigen Thurgauer Revolution, die dem Kanton eine neue Verfassung auf der Grundlage von Volkssouveränität und strikter Gewaltenteilung brachte.
Eineinhalb Jahre davor aber war er noch Hauslehrer, „Hofmeister“, in Großbritannien und entwarf endlich die „Skizze“ von den griechischen Erlebnissen, die ihm seit seiner Rückkehr vorgeschwebt hatte – in London leider so gut wie unbeachtet; das „London Magazine“ wurde kaum mehr gelesen, die Mai-Ausgabe, in der der Artikel über seine Reise erschien, war die vorletzte.
Ein surrealer Spaziergang
Die Erzählung handelt von keinen Schlachten und Heldentaten. Die waren mehr oder weniger bekannt sieben Jahre nach den Ereignissen. Thema war die Reise selbst, die lange Wanderung durch Zentralgriechenland, ins Zielgebiet einer osmanischen Offensive hinein. Es ist ein zeitweise surreal anmutender Spaziergang, in dem alles zum Vorschein kommt, was den Schweizer in seinem bisherigen Leben beeinflusst hat: Eine lyrische Note macht sich bemerkbar, wenn der Erzähler aufmerksam Tänze und Gesänge schildert, gemischt mit einem ethnografischen Blick auf Sitten und Gebräuche – unter anderen beschreibt er ein Schulterblatt-Orakel; er hängt seinen didaktischen und archäologischen Neigungen nach; besucht Delphi; beschwört, romantisch gestimmt, die Geister der auf den Schlachtfeldern Böotiens einst getöteten Hopliten herauf. Am berühmten Dreiweg aber, dort wo Ödipus seinen Vater erschlagen haben soll, stößt er, der Liberale, mit dem Kapitän der 300 Mann starken Truppe, die er begleitet, zum Abschied auf die „Freiheit“ an, worauf sie stilsicher ihre Pistolen Richtung Himmel entladen. Mit Bewunderung beschreibt er den jugendlichen, albanischsprachigen Kapitän, Giorgakis, der seine Kämpfer in den Krieg führt. Er findet sogar Zeit, als Gast des exilierten Bischofs von Theben, Paisios, Einsicht in gerettete mittelalterliche Kodizes zu nehmen – unwillkürlich ist man an den späteren Thurgauer Regierungsrat erinnert, der die Sammlungen der aufgelassenen Thurgauer Klöster mitretten sollte. Das Motiv des Weins, Symbol der gebändigten Natur, zieht sich durch alle Stationen des Weges. Wahrscheinlich erinnerten ihn die Reben an seine Heimat am Bodensee. Im böotischen Hügelland waren die Trauben überreif und von köstlichem Geschmack. Bei Delphi, weiter oben im Gebirge, war gerade Erntezeit, in Salona, dem heutigen Amfissa, trugen die geplünderten Vorräte des bereits eingelagerten Weines stark zur Anarchie des griechischen Abzugs bei.
Die Türken bleiben unsichtbar, aber immer präsent. Man marschiert nur bei Nacht durch die Ebene aus Angst vor der Reiterei. In Niemandsland der Wälder stieß er dann vor allem auf verzweifelte Flüchtlinge (wie in „Das Ausland”, 23., 25. und 26. Juni 1829 übersetzt) :
„Es war ein trauriger Anblick, die ganze Bevölkerung eines Landes beim Herannahen des Winters ohne Nahrung in die Wälder vertrieben zu sehen, so sie vor Frost und Hunger umkommen mußten.“
Schließlich fand er Unterschlupf in Mesolongi, wenige Tage vor dem Beginn der ersten Belagerung. Dort macht ihm Markos Botsaris, einer der Helden des Freiheitskampfes, besonderen Eindruck und er überliefert uns ein überaus anschauliches Kurz-Porträt:

„Marko Bozari war, wie alle Sulioten, von kleiner Gestalt, aber starkem, gedrungenem Gliederbau, blassem Gesichte, und ernsten, sinnigen Zügen. Seine Albanesentracht war einfach und prunklos. Er sprach Wenig und mit einem milden Tone, und glich, wenn er nicht an der Spitze seiner Soldaten stand, mehr einem Märtyrer als einem Helden. Sein Gesicht aber leuchtete im Angesichte der Schlacht, oder bei herannahender Gefahr; dann war der Ausdruck seines ganzen Wesens trotziger Muth und Entschlossenheit.“
Wie es Andreas Stähele bei der Belagerung erging, erfahren wir nicht mehr. Das nächste Lebenszeichen von ihm kommt Mitte Januar aus Ancona, offensichtlich um viele Erfahrungen reicher. Es wäre schön, wenn er uns noch einige davon überliefert hätte.
Bis zu seiner endgültigen Rückkehr in die Schweiz Ende 1830 versuchte Andreas Stähele sich als Haushofmeister, Uni-Lehrer, Übersetzer, Journalist und Buchhändler. Aber erst mit der neuen thurgauischen Verfassung fand er endgültig seinen Lebensweg: 1831 zog er in den Kleinen Rat, die Landesregierung, ein, dem er 27 Jahre lang angehören sollte. Spätestens Ende 1835 besann er sich im Zeichen des beginnenden „Kulturkampfes“ zwischen Katholiken und Protestanten in der Schweiz wie so viele andere auf sein katholisches Erbe, von seinen ehemaligen protestantischen Mitstreitern als Apostat verfemt. 1840 starb seine Frau Nanette, 1858, im Todesjahr seines einzigen Sohnes, nahm er seinen Abschied. Nach einigen Jahren in München zog er sich 1863 in sein Heimatdorf zurück, wo er 1864 starb.
Andreas Stäheles Artikel über Griechenland sind ein Glücksfall: Sie führen exemplarisch die Konfrontation des klassisch gebildeten, liberalen Philhellenen mit der griechischen Realität vor. Aber sie bieten auch die klarsichtige Schilderung eines Landes im Krieg, verfasst von einem Mann, der seine Umwelt mit offenem, unvoreingenommenen Blick zu verfolgen und zu durchdringen wusste.
Text: Christian Gonsa. Redaktion: A. Tsingas. Abbildungen: Proteas und A. Tsingas.
Der Autor
Christian Gonsa studierte Geschichte bzw. Byzantinistik und Neogräzistik in Wien. Er arbeitete als Journalist, Handelsattaché und Berater und ist als Übersetzer tätig. Ihn fasziniert alles, was mit der griechischen Vergangenheit und Gegenwart sowie deren schriftlichen und mündlichen Zeugen zu tun hat. Aktuell berichtet er für die österreichische Tageszeitung „Die Presse“ über Griechenland und Zypern.
Für diablog.eu hat er bereits mehrere Beiträge geschrieben.
Anm. des Autors
Die Artikel im London Magazine (Ausgaben von Februar 1826, Mai 1829) sind im englischen Original abrufbar hier
Insbesondere danke ich Herrn Marc Schnitzer vom Staatsarchiv St. Gallen, der mich auf Stäheles Briefe an Karl Beda Müller-Friedberg hinwies (StASG, W 055/300, Schreibung: „Stäheli“). In der Burgerbibliothek Bern lagern im Familienarchiv Fellenberg die Briefe an Philipp Emanuel Fellenberg (unter anderen aus England), im Staatsarchiv Thurgau wertvolle Streu-Bestände.
Ich hatte die Gelegenheit, den Fall Stähele mit William St Clair zu diskutieren. Er hat die Erkenntnisse in seinem posthum veröffentlichten Buch „Who saved the Parthenon?“ (Cambridge Open Book Publishers 2022) verarbeitet. St Clair war es, der Stähele im Gespräch als den „Gebildetsten aller Philhellenen“ bezeichnete.
Im Rahmen der „Philhellenischen Bibliothek“ im Parisianou-Verlag ist eine Monografie über Johann Andreas Stähele und seine englischen Texte geplant.
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„Philhellenische Bibliothek“ im Parisianou-Verlag, Interview auf Griechisch hier
Lebensdaten von Andreas Stähele hier
Felix Stähelin: Ein Briefwechsel zwischen Karl Ludwig v. Haller und Fürst Hardenberg hier
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