META_GRAFES 1: Übersetzung deutschsprachiger Lyrik ins Griechische

2-tägige digitale Werkstatt am 3. u. 4. September 2021 unter der Leitung von Dr. Elena Pallantza

Dieser Beitrag ist auch verfügbar auf: Ελληνικά (Griechisch)

Vom 3. bis zum 4. September 2021 fand der erste Übersetzungsworkshop der digitalen Fortbildungsreihe META_GRAFES statt, eine Kooperation des gemeinnützigen Vereins Diablog Vision e. V. mit dem Literaturhaus Lettrétage e. V. Der Autor und Übersetzer Alexandros Kypriotis berichtet über den Zoom-Übersetzungsworkshop und die daraus gewonnenen Erkenntnisse der Teilnehmer:innen.

Das Projekt META_GRAFES, konzipiert von Dr. Michaela Prinzinger, Vorsitzende von Diablog Vision e. V., wird durch den Projektfonds des Deutschen Übersetzerfonds im Rahmen des Programms „Neustart Kultur“ der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien gefördert.

Die Zusammensetzung des Workshops

Diesen ersten Workshop leitete die Philologin Dr. Elena Pallantza, Lehrbeauftragte für Neugriechische Sprache und Literatur an der Universität Bonn. 2013 initiierte sie den Übersetzungskreis LEXIS, der moderne griechische Literatur ins Deutsche übersetzt. Unter der Leitung von Elena Pallantza übersetzte LEXIS die Novelle von Dimitris Eleftherakis „Η δύσκολη τέχνη” (Verlag Antipodes 2015) ins Deutsche, die 2017 vom Verlagshaus Reinecke & Voß in Leipzig mit dem Titel „Die schwierige Kunst“ herausgegeben wurde, und erhielt dafür den griechischen Staatspreis für Literarische Übersetzung aus dem Griechischen in eine Fremdsprache (2018). Darüber hinaus übersetzt Elena Pallantza deutschsprachige Literatur ins Griechische und hat unter anderem die „Ανθολογία νέων Γερμανών ποιητών” (Anthologie junger deutscher Lyriker:innen) in eigener Übersetzung herausgegeben (Verlag Vakxikon, 2019). Ihre eigene Gedichtsammlung „Ορυζώνος και Κυκλάδων. 25 αστεϊσμοί για μια ευτοπία“ (Reisfeld- und Kykladenstraße) wurde 2016 im Perispomeni-Verlag veröffentlicht.

Die Bewerber:innen reichten einen kurzen Lebenslauf zusammen mit der angeforderten Übersetzungsprobe ein. Folgende Teilnehmer:innen wurden für den Übersetzungsworkshop ausgewählt: Anastasia Gkitsi, Katerina Liatzoura, Efstathia fMatzaridou, Akis Parafelas, Fotini Patinari und Maria Tziaouri-Hilmer.

Es sind Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen, aber auch Gemeinsamkeiten wie dem Studium der Geisteswissenschaften, der Liebe zum Schreiben und zur Literatur im Allgemeinen und zum Übersetzen im Besonderen, mit wenig oder mehr Erfahrung in diesem Bereich und mit großer Experimentierlust und einem starken Wunsch nach Wissens- und Erfahrungserweiterung. Die Teilnahme an der Werkstatt, wie auch an allen Fortbildungen im Rahmen des digitalen Projekts META_GRAFES, war kostenlos.

Gegenstand des Übersetzungsworkshops META_GRAFES 1 war die Übersetzung deutschsprachiger Poesie ins Griechische. Die Auswahl der zu übersetzenden Gedichte traf Elena Pallantza aus dem Sammelband „Muse, die zehnte. Antworten auf Sappho von Mytilene“ (freiraum-verlag, Greifswald, 2014, hrsg. von Michael Gratz und Dirk Uwe Hansen), der exklusiv für diesen Band geschriebene Gedichte deutsch- und griechischsprachiger Dichter:innen zu Ehren von Sappho vereint. Somit legte Elena Pallantza die Latte von Anfang an sehr hoch, denn die teilnehmenden Übersetzer:innen sollten nicht bloß Gedichte zeitgenössischer, deutschsprachiger Dichter:innen übersetzen, sondern zugleich auch Gedichte, die von der gemäß Platon zehnten Muse der Poesie inspiriert sind.

Der Videokünstler Petros Kolotouros führt uns mit seinem Video direkt in den Workshop:

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Gedanken zum Einstieg

Der Übersetzungsworkshop META_GRAFES 1 wurde in 12 Lerneinheiten (Unterrichtsstunden) abgehalten, 4 Stunden am Freitagnachmittag und 8 Stunden am Samstag.

Die Leiterin des Workshops begrüßte die Gruppe, stellte das Programm des Workshops vor und lud alle Teilnehmer:innen dazu ein, einige Worte zu sich selbst zu sagen. Dann ging es los.

Zunächst teilte Elena Pallantza mit der Gruppe einige Gedanken großer Denker:innen zum Thema Übersetzung, beginnend mit dem Sprichwort von Novalis „Am Ende ist alle Poesie Übersetzung“, über Walter Benjamin, der meinte, „alle Übersetzung ist nur eine irgendwie vorläufige Art, sich mit der Fremdheit der Sprachen auseinanderzusetzen“, um dann zu Borges zu gelangen, der die Übersetzung als „schöpferische, glückliche Untreue“ bezeichnet hat. Somit kamen gleich zu Anfang zwei Grundsatzfragen der Translationswissenschaft zur Sprache: zum einen die Übersetzbarkeit im Allgemeinen und zum anderen die Frage der Treue respektive der Freiheit im Übersetzungsprozess im Besonderen.

Danach ging Elena Pallantza konkret auf Übersetzung von Poesie ein, um zunächst zu betonen, wie wichtig die kreative Abkehr vom Original sowie auch die eventuelle Rückkehr zur Texttreue ist, denn die Übersetzer:innen testen die Grenzen der Sprache aus, in die sie übersetzen. Erwähnt wurde unter anderem auch die kürzlich mit dem Großen Preis des Deutschen Literaturfonds ausgezeichneten Übersetzerin und Autorin Ulrike Draesner: „Die Übersetzung von Gedichten ist nur unmöglich, wenn man von hundertprozentigen Akten der Nachahmung träumt. Doch wer wollte das? Und wer könnte das auch?“

Mit dieser Einführung, der darauf folgenden Diskussion und einem Gedankenaustausch wurde der wesentliche „theoretische“ Rahmen gesetzt, in dem die Gruppe bei der Übersetzung spezifischer Gedichte während des Workshops arbeiten würde.

In der Praxis

Ziel des ersten Versuchs einer Gruppenübersetzung war die Übersetzung des Gedichtes „Mit Sappho im Hof“ von Odile Kennel, die jede:r Teilnehmer:in bereits mit seiner/ihrer Bewerbung zur Teilnahme am Workshop eingereicht hatte.

Nach der Lektüre des Gedichts folgte eine allgemeine Diskussion über das Gefühl, das jede:r Teilnehmer:in während der Arbeit mit dem Gedicht dazu entwickelt hatte, sowie über Rhythmus,  Struktur und  Inhalt des Gedichtes. Dann startete die gemeinsame Übersetzungsarbeit. Elena Pallantza leitete alle Teilnehmer:innen dazu an, die von ihnen vorgeschlagenen Übersetzungslösungen zu überdenken und diese entweder beizubehalten oder gegebenenfalls zu überarbeiten, nachdem sie die Lösungen der anderen gehört hatten.

Natürlich gab es an vielen Stellen unterschiedliche Übersetzungsvorschläge; Einigkeit herrschte in Bezug auf den Titel des Gedichtes, und aus „Mit Sappho im Hof“, den die meisten gewählt hatten, wurde schließlich der Titel „Im Hof mit Sappho“. Diese erste Gruppenübersetzung dauerte bis zum Ende des ersten Tages des Workshops. Die Übertragung dieses Gedichts rückte aber zugleich verschiedene Themen und Fragen in den Fokus der Diskussion, die während der Übersetzung aus dem Deutschen im Allgemeinen und bei der Übersetzung der Poesie im Besonderen auftauchen.

Erwähnenswert sind beispielhaft:

  1. Wie problematisch kann ein generischer Verweis auf ein Adjektiv im Griechischen sein, wenn das Geschlecht im Deutschen nicht ersichtlich ist und wie kann man diesen Verweis im Griechischen eventuell vermeiden?
  2. Wird das lyrische Ich immer mit dem/der Dichter:in identifiziert?
  3. Wird das deutsche Präteritum mit dem griechischen Imperfekt oder der Vergangenheitsform Aorist übersetzt?
  4. In welchem Maß werden bei der Übersetzung Wiederholungen im Text respektiert und eingehalten und wann ist es erlaubt oder sogar angebracht, eine Wiederholung in der Übersetzung wegzulassen?
  5. Wie kann das Sprachniveau und der Stil des Originals in Betracht gezogen werden?
  6. Ist es erlaubt, bei der Übersetzung das Original zu interpretieren und mehr Information einfließen zu lassen, als dieses ursprünglich enthält?
  7. Wie geht man mit Binnen- oder Stabreimen des Originals um und inwieweit könnte man diese an eine andere Stelle des Gedichts verschieben?

Am Ende wurde einstimmig beschlossen, dass die gemeinsam erarbeitete Übersetzung noch nicht die letzte und finale Übersetzung dieses Gedichtes sein würde. Am nächsten Tag sollte es weitergehen.

Gemeinsam und Einzeln

Der zweite Tag des Workshops am Samstagmorgen begann mit der gemeinschaftlichen Übersetzung eines kleinen Gedichtes von Marianna Lanz mit dem Titel „dafür sieht man den Mond wieder“. Nach einer relativ schnell entstandenen Interlinearfassung ließ Elena Pallantza jede:n Teilnehmer:in für 10 Minuten allein an der Übersetzung arbeiten, um danach wieder zum Austausch im Plenum zusammenzukommen. Nun las jede:r Teilnehmer:in seine/ihre Version des Gedichtes vor. Viele Stellen aus der ersten Gruppenübersetzung waren beibehalten worden, jedoch fehlte es nicht an verschiedenen neuen Übersetzungsvorschlägen von allen Teilnehmer:innen, unabhängig davon, welche Erfahrungen sie im Schreiben oder Übersetzen mitbrachten. Danach sollte jeder die für ihn wichtigen Stellen aus seiner Übersetzung mit dem Fokus vor allem auf die Stellen erörtern, die von der Version der Gruppenübersetzung abwichen.

Die Übersetzungsübungen anhand dieses kleinen Gedichts gingen weiter. Nach der erneuten Lektüre des Originals und der Gruppenübersetzung wollte Elena Pallantza die Kreativität der Gruppe entfachen und bat die Teilnehmer:innen ihre Notizen zu schließen und das Gedicht in Einzelarbeit aus dem Gedächtnis heraus noch einmal so zu schreiben, wie sie es in der Rolle eines Dichters/einer Dichterin schreiben würden. Obwohl es nur wenige offensichtliche Unterschiede zu den davor gehörten Übersetzungsversionen gab, kam der Übersetzungsprozess voran: Einige kreative Übersetzungsvorschläge wurden nun fallengelassen, denn man war zu der Ansicht gekommen – mal einstimmig, mal mehrheitlich –, dass diese sich zu weit vom Original entfernt hatten.

Über Sappho und noch mehr

Nun kam noch ein Gast dazu: Der Altphilologe Dr. Dirk Uwe Hansen, einer der beiden Herausgeber des Bandes „Muse, die zehnte. Antworten auf Sappho von Mytilene“, erzählte über sein Engagement für Sappho, dieses besondere Verlagsprojekt und die Reaktionen deutschsprachiger Dichter:innen auf seinen Aufruf, sich an diesem Sammelband zu beteiligen. Des Weiteren sprach er darüber, wie die Dichterin Sappho im deutschsprachigen Raum im Allgemeinen wahrgenommen wird, und über das widersprüchliche Phänomen der großen Begeisterung, wenn der Name Sappho fällt, und der nicht so großen Publikumsresonanz beim Kauf der dichterischen Sammlung, was bestätigt, dass Poesie weder in Griechenland noch in Deutschland großes Marktpotential hat.

Elena Pallantza bat Dirk Uwe Hansen im Laufe der Diskussion über die Rolle zu sprechen, die Sappho in seinen eigenen poetischen Kreationen gespielt hatte, und er erzählte, dass er beim Übersetzen von Sapphos Werk dieses auch als Mittel genutzt habe, um seinen eigenen Stil zu finden und zu pflegen.

Mit ihrer letzten Frage an Dirk Uwe Hansen wandte sich Elena Pallantza an seine Fachkenntnis als Übersetzer zeitgenössischer griechischer Poesie, und er wies auf seine achtjährige Zusammenarbeit mit Giorgos Kartakis sowie mit ihr selbst hin, und dass er es nicht wagen würde, ganz allein aus einer Sprache zu übersetzen, die er nicht gut genug kenne: er beherrsche zwar die altgriechische Sprache, nicht jedoch die neugriechische.

Was will der Dichter sagen?

Elena Pallantza überraschte Dirk Uwe Hansen mit der Bitte, weiter am Workshop teilzunehmen, falls er Zeit habe, um dabei zu sein, wenn die Gruppe versuchen würde, sein Gedicht mit dem Titel „die zehnten musen“ aus der Sammlung zu übersetzen. Dirk Uwe Hansen nahm das Angebot freudig und gespannt an und die Gruppenarbeit begann aufs Neue.

Zunächst stellte Elena Pallantza der Gruppe und dem Dichter eine Wort-für-Wort-Übersetzung ohne literarischen Anspruch in griechischer Sprache vor, die, wie sie betonte, als Grundlage für die eigentliche Übersetzungsarbeit dienen würde. Vor dem Beginn der Gruppenübersetzung wurde der Dichter gebeten, sein Gedicht vorzulesen. Gleich danach wurden Fragen an den Dichter gestellt – ein Beweis dafür, wie wichtig die Kommunikation mit dem Autor bei der Übersetzung zeitgenössischer Poesie ist.

So stellte sich heraus, dass Dirk Uwe Hansen die scheinbaren Rechtschreibfehler des Gedichts einer dem griechischen Publikum unbekannten deutschen Dichterin aus der Barockzeit, Sibylla Schwarz, entlehnt hatte. Dies warf die Frage der intertextuellen Referenzen in den Raum, der Schwierigkeit oder sogar Unfähigkeit des Übersetzers, diese wahrzunehmen oder zu verstehen, bis hin zur Notwendigkeit erklärender Fußnoten. Am Ende waren sowohl das Übersetzerteam als auch der Dichter sehr zufrieden mit den Entscheidungen und dem Ergebnis des gemeinschaftlichen Übersetzungsprozesses.

Und die Arbeit geht weiter …

Nachdem sich Dirk Uwe Hansen verabschiedet hatte, kam die Gruppe wieder auf die Übersetzung des Gedichts von Marianna Lanz zurück, mit der sie sich eine halbe Stunde beschäftigte und schließlich einige endgültige Entscheidungen traf.

Anschließend gingen die Teilnehmer:innen für eine Stunde als Zweiergruppen in drei Breakout-Rooms und konnten so an unterschiedlichen Gedichten arbeiten und diese von Anfang an übersetzen.

Anastasia Gkitsi und Katerina Liatzoura arbeiteten an den Gedichten „Mühle, die Zeit“ von Birgit Kreipe und „Gärten III“ von Anja Kampmann, Efstathia Matzaridou und Akis Parafelas an dem etwas längeren Gedicht „Ich sag“ von Anne Martin und Fotini Patinari und Maria Tziaouri-Hilmer an den Gedichten „Tonscherbe, griechisch“ von Andreas Hutt und „Gärten II“ von Anja Kampmann. Nach einer Stunde wechselte die Zusammensetzung der Paare noch zweimal und jedes neu zusammengesetzte Paar arbeitete an einem oder zwei der bereits übersetzten Gedichte für jeweils zwanzig Minuten. So wurde jedes Gedicht von mindestens vier Personen bearbeitet, die sukzessive Änderungen und Korrekturen an der ersten Übersetzung vornahmen.

Die endgültige Form jedes übersetzten Gedichts, die das Ergebnis der paarweisen Übersetzungsarbeit war, wurde von der gesamten Gruppe gemeinsam geprüft und überarbeitet, wobei manchmal endgültige Lösungen gefunden wurden und manchmal nicht, was anschaulich zeigte, dass eine Übersetzung nicht immer innerhalb eines vorab bestimmten Zeitrahmens fertiggestellt werden kann und sollte.

Bilanz

Am Ende des Workshops trugen Elena Pallantza und die Teilnehmer:innen ihre Erfahrungen zusammen: Das vorherrschende Klima der Zusammenarbeit wurde gelobt, die Wahrnehmung der Schwierigkeiten betont, die die Übersetzungsarbeit im Allgemeinen und die Übersetzung von Poesie im Besonderen mit sich bringt, sowie die Wichtigkeit der Zusammenarbeit während des Übersetzungsprozesses oder zumindest des sogenannten Vier-Augen-Prinzips hervorgehoben. Und wie erwartet wurden der Wunsch und die Zusicherung für zukünftige Übersetzungskooperationen geäußert.

Text: Alexandros Kypriotis.

Dieser Beitrag ist auch verfügbar auf: Ελληνικά (Griechisch)

Schreibe einen Kommentar