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Wo lag der Palast des Odysseus? Auf den Ionischen Inseln Ithaka, Kefalonia oder Lefkada, oder gar auf dem Festland gegenüber? Wenn man auf dem Berg Aetós im Norden Ithakas danach sucht, weitet das im wahrsten Sinn des Wortes den Horizont. Jörg Denkinger und Angelika Schöne-Denkinger beschreiben für diablog.eu ihre Wanderung.
Seit 2003 segeln wir mit unserem kleinen, 6,30 Meter langen, in Athen 1992 selbstausgebauten Minikreuzer, genannt „Mikri Alkyonis“ (Kleiner Eisvogel) im Ionischen Meer. 2004, damals noch mit unseren beiden Söhnen an Bord, besuchten wir zum ersten Mal Ithaka, die sagenumwobene Insel des Odysseus. Während unseres jährlichen Segeltörns suchen wir sie immer wieder auf und unternehmen Ausflüge in die Umgebung, um die Topographie und die Geschichte der Insel besser kennen zu lernen. Unser Heimathafen Palairos, nur wenige Seemeilen östlich von Lefkada, ist ein ideal gelegener, zentraler Ausgangspunkt für die Ionische Inselwelt.
Dieses Jahr führte unsere dreieinhalbwöchige Segelfahrt im September Richtung Süden über Meganissi, Kefalonia bis nach Zakynthos. Auf dem Weg zurück nach Norden gingen wir wieder einmal in Ithaka vor Anker. Die Insel wirkt durch die schroffen, steil ins Meer herabfallenden Küsten unwirtlich und verschlossen. Immer wieder fordern starke Winde und Stürme im Kanal zwischen der großen Schwesterinsel Kefalonia und Ithaka uns und unser Boot heraus.
Liest man Homer, muss es wohl auch Odysseus während seiner Heimreise zu Penelope ähnlich ergangen sein. Durch unsere Segeltouren kennen wir nicht nur die Meeresbucht von Polis an der westlichen Steilküste, sondern auch die von Agios Andreas im Süden, die sogenannte Bucht der Aretousa-Quelle im Südosten, sowie den tiefen Meeresbusen von Vathy im Zentrum der Insel bis hin zu den Naturhäfen von Kioni und Frikes im Nordosten. Die nach allen Seiten hin fast geschlossene, nur durch eine kleine Meerenge zu erreichende große Bucht von Vathy sollte dieses Jahr Ausgangspunkt unserer Erkundung des Berges Aetós sein.
Auf diesem liegt eine mit Mauern befestigte antike Stadt, die mit Odysseus in Verbindung gebracht wird. In dem kleinen Archäologischen Museum von Vathy sind die dort ausgegrabenen Funde ausgestellt.
Früh morgens machten wir uns zu Fuß von unserem Ankerplatz entlang der schmalen Küstenstraße auf den Weg zum Haupthafen Vathy. Zwei Sesamkringel und zwei kleine Wasserflaschen sollten für diesen Ausflug reichen. Mit einem Inseltaxi ließen wir uns auf den circa acht Kilometer entfernten Höhensattel der vermuteten antiken Stadt Alalkomenai fahren.
Außer einer Informationstafel für Touristen, der kleinen, geschlossenen Kapelle Agios Georgios, einem Wohnmobil mit deutschem Kennzeichen und einigen spärlich eingezäunten, überwucherten Grabungslöchern gab es hier nichts und wir waren völlig auf uns gestellt. Nur gut, dass es an diesem Tag teilweise bewölkt war, denn der Aufstieg entpuppte sich als deutlich schwieriger, als die anstehenden 250 Meter Höhenunterschied vermuten ließen. Hat man erst einmal den Einstieg zum – durch rote Punkte sehr gut markierten – Pfad gefunden, geht es zunächst recht gemütlich bis zu einem, von Hirten mit einer Leine provisorisch verschlossenen, rostigen Gatter.
Auf einem kleinen Schild steht „free entrance“ und die Aufforderung, die „Tür“ wieder zu schließen. Dieser Bitte folgten wir natürlich. Ab dieser Pforte schraubte sich der Pfad in sehr engen Serpentinen immer steiler den Hang hinauf. Lockere Steine, Geröll und Staub erschwerten den Anstieg, die Windstille tat das Übrige.
In dieser Stille knackste es immer wieder im Unterholz, begleitet von Ziegenglocken. Die Ziegen abseits des Weges beobachteten uns zunächst eher verwundert, wie ungeschickt wir uns fortbewegten. Danach konzentrierten sie sich wieder darauf, die von den Bauern angebrachten Barrieren zum Schutz der Olivenbäume zu überwinden, um an die saftigen Zweige zu gelangen. Allmählich verstummte das Geläut, die Bergspitze schien nach jeder engen Kehre fast erreicht – aber eben nur fast.
Von weiter oben hörten wir Stimmen, es waren die beiden Wohnmobilbesitzer, gut ausgerüstet mit Bergstiefeln und Wanderstöcken, bereits wieder auf dem Weg nach unten, also noch früher unterwegs als wir. Sie meinten, die Mühe würde sich lohnen, und sie sollten recht behalten. Nach einer knappen Stunde erreichten wir das schmale Felsplateau auf circa 380 Meter Höhe. Wir hatten das Ziel erreicht! Welch beeindruckendes Panorama, was für eine prächtige Aussicht:
Vor uns der Nordteil der Insel Ithaka, Richtung Nordosten die Inseln Meganissi, Atokos und Kalamos, dahinter schwach erkennbar die akarnanische Küste, Richtung Norden die Südspitze der Insel Lefkada mit den Kreidefelsen von Kap Sappho und dem Leuchtturm, im Westen die grünbewaldete Ostküste Kefalonias mit ihren vielen kleinen Buchten; tief unten das Meer, um uns herum Stille, vereinzelt noch ein tuckerndes Kaiki, ein traditionelles Fischerboot, oder ein fahrender Lkw auf der Inselstraße. Verputzte Zisternen, korinthische Dachziegelfragmente sowie Felsabarbeitungen deuten auf eine Bebauung hin, sicher eine Art Rückzugsgebiet, eine Akropolis.
Aber stand hier einst der sagenumwobene Palast des Odysseus, wie dies seit dem 19. Jahrhundert immer wieder behauptet worden ist? Odysseus beschreibt den Palast in der Odyssee XVII 264–268 mit folgenden Worten: „ … dies ist das schöne Haus des Odysseus; leicht erkennbar, wenn man es ansieht, ist’s unter vielen. Eines reiht sich ans andre, der Hof ist kunstvoll errichtet mit Gesimsen und Mauer; und wohlgefertigt die Türen, doppelgeflügelt, die könnte so leicht kein Mann überwinden“ (Übersetzung von Roland Hampe). Bis heute dauert die Diskussion an, ob es den Palast des Odysseus gab und wenn ja, wo er gelegen hat: auf dem Aetós, im Norden Ithakas, auf den Inseln Kefalonia oder Lefkada oder auf dem Festland gegenüber? Auch wenn die Existenz des Odysseus selbst nicht geklärt ist, kann man sich mit etwas Phantasie besonders an diesem Ort seinen Palast gut vorstellen.
Nach einer ausgedehnten Pause mussten wir uns von diesem wunderschönen Ort wieder verabschieden. Wir hatten es ja schon geahnt: Der Abstieg war noch anstrengender. Um gar nicht erst ins Rutschen zu kommen, ging es zum Teil auf allen Vieren bergab. Die Ziegen – sie hatten inzwischen die Barrieren zum Schutz der Ölbäume erfolgreich überwunden – belächelten uns wohl erneut, widmeten sich aber bald wieder den Ölzweigen. Auf dem letzten, vergleichsweise leichten Abschnitt des Pfades kam uns eine Gruppe Italiener entgegen. Die Frage, ob dies der richtige Weg zum Gipfel sei, konnten wir mit „ja“ und „der Ausblick ist einmalig“ beantworten. Alle waren gut gelaunt und wirkten eher so, als seien sie auf dem Weg zum Strand. Wir meinten, dass ihr Schuhwerk (Flipflops) für diese Wanderung vielleicht nicht so geeignet sei, wünschten der Truppe noch einen schönen Tag und sahen sie nie wieder… Was sich die Ziegen bei ihrem Anblick wohl gedacht haben?
Zurück in Vathy genossen wir in einer Cafeteria am Hafen einen Frappé-Kaffee, Cappuccino und honiggetränkte Baklava, erschöpft von der Wanderung und erfüllt von dem einzigartigen Blick vom Aetós auf die Ionische Inselwelt. Im nächsten Jahr wollen wir wieder in Vathy vor Anker gehen, erneut auf den Spuren des Odysseus.
Text und Fotos: Jörg Denkinger und Angelika Schöne-Denkinger. Redaktion: A. Tsingas, M. Prinzinger.
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Leider seid Ihr nicht Stavros weitergefahren. Dort hättet Ihr am Hauptplatz ein wunderschönes Modell des Palastes gefunden. Dieses gibt anschaulich wieder, wie ein mykenischer Palast am nahegelegenen Felsen der “School of Homer” vermutlich ausgesehen hat. In Stavros befindet sich zudem ein außerordentlich interessantes Info-Center mit den “!2 Säulen” der Palast-These sowie ein kleines Museum über Schifffahrt in der mykenischen Kultur.