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Fotografin Elena Konstantinou und Schriftsteller Sofronis Sofroniou zeigen auf diablog.eu die ersten Früchte ihres Projekts zu den Lebenswelten von Migranten*innen auf Zypern.
Eines der größten und komplexesten Phänomene unserer Zeit ist die Wanderbewegung von Menschen aus einem Land in ein anderes. Es ist zudem ein Phänomen, das man nicht ignorieren oder herunterspielen kann, insbesondere nicht in Ländern mit demokratischen Systemen. Zypern ist dabei ein Sonderfall. Obwohl der Inselstaat über die Jahrhunderte selbst Erfahrung mit Bevölkerungswanderungen hat, ist es gar nicht so einfach, die aktuellen Aspekte dieses Themas zusammenzufassen.
Die Hauptströme der letzten Jahrzehnte waren:
a) Arbeiter aus den Ostblockländern nach dem Zerfall der UdSSR,
b) Nachfrage seitens wohlhabender Familien nach ausländischen Arbeitskräften (hauptsächlich Frauen von den Philippinnen, aus Sri Lanka, Vietnam etc.) oder Pflegerinnen zur privaten Altenbetreuung,
c) Arbeiter und Studenten aus Ländern wie Indien, Bangladesch und Pakistan,
d) wohlhabende Briten, Russen, Israelis usw., die Zypern seit langem zu ihrem vorübergehenden oder ständigen Aufenthaltsort gemacht haben, und
e) Asylsuchende aus Ländern mit großen politischen Umwälzungen wie Syrien oder aus afrikanischen Ländern wie u. a. Nigeria und Kamerun.
Schätzungsweise sind ein Fünftel der Bevölkerung in den von der Republik Zypern kontrollierten Gebieten Ausländer.
In diesem sich schnell entwickelnden Kontext der Wanderbewegung kam in den letzten Jahren das Phänomen einer überbordenden und zugleich bruchstückhaften Information durch die lokalen Medien auf. Mit zumeist eindringlicher Miene werden Nachrichten ohne Tiefgang, aber mit eindimensionalem, effekthascherischem Schwerpunkt präsentiert. Die überwiegende Mehrheit der Nachrichten über Ausländer auf Zypern konzentriert sich auf Themen, die Terror suggerieren und Unsicherheit hervorrufen. Die allgemeine Wahrnehmung wird somit durch eine flach dargestellte Realität bestimmt. Unserer Meinung nach besteht der größte Schaden, den diese unverantwortliche Medienhaltung hervorruft, darin, dass die Einheimischen davon abgehalten werden, sich mit den sozialen, politischen und kulturellen Problemen zu befassen, welche die sich ständig verändernde Bevölkerungslandschaft Zyperns mit sich bringt.
Bei Betrachtung der oben genannten Praktiken stellten wir fest, dass grundlegende Situationen, Verhaltensweisen und Beziehungen systematisch an den Rand gedrängt werden. Auf diese Punkte haben wir uns konzentriert und in ein fotografisches Projekt umgesetzt. Angesichts der relativ geringen Fläche Zyperns waren wir von dem Spektrum des anzutreffenden Multikulturalismus überrascht. Bei unseren bisherigen Streifzügen konnten wir in Parallelwelten eintauchen, die Zuwanderer auf Zypern erschaffen haben. Dabei ist eine Reihe von „Nebenthemen“ aufgetaucht, die unserer Meinung nach den Kern des Wandels berühren, der seit mindestens drei Jahrzehnten auf unserer Insel stattfindet.
Nigerianer und Kameruner im Bergdorf Palächóri, fünfzig Kilometer von der Hauptstadt Nikosia entfernt. Viele Asylbewerber werden von Anfang an aus den großen Städten ausgegrenzt und suchen Zuflucht in kleinen Dörfern, insbesondere in Orten, die durch die Landflucht weitgehend abgehängt wurden. Auf dem Tisch liegt die kurze Liste der Berufe, die von politisch motivierten Asylsuchenden ausgeübt werden dürfen.
Kameruner im Dorf Palächóri. Bei fast allen unseren Kontakten mit Ausländern und Einwanderern trafen wir auf alternative Wirtschaftsmodelle, die sich unter diesen besonderen Bedingungen entwickeln konnten. Hier ist ein „fliegender“ Friseur und sein Kunde im Hof eines Hauses zu sehen, in dem etwa 20 Afrikaner leben. Seine Arbeitsutensilien hat er in einem Reisekoffer bei sich.
Sikh-Tempel in der Gemeinde Livádia bei Larnaka. Der Bau oder Umbau von Tempeln durch Sikhs oder Hindus offenbart ein spezielles Geschäftsmodell: Eine Gruppe von Menschen erschafft durch den Kauf von existierenden Gebäuden oder durch partizipatives Errichten provisorischer Bauten ihre eigene Kultstätte. Auf diese Weise werden Tausende von Mitgliedern einer Teilgemeinschaft zusammengeführt. Es entsteht eine umfassende Dynamik, die es der Gemeinschaft ermöglicht, den Verlauf ihrer Entwicklung auf Zypern zu gestalten und die Zukunft ins Auge zu fassen.
Ältere Frau aus dem Dorf Palächóri mit ihrer Haushaltsgehilfin aus Sri Lanka. Tausende ausländische Frauen arbeiten auf Zypern als Haushaltshelferinnen für ältere Menschen und leben mit ihnen unter einem Dach. Die Beziehungen, die sich dabei entwickeln, sind vielfältig und äußerst interessant. Die zyprische Aufenthaltserlaubnis dieser Frauen ist in der Regel zeitlich begrenzt.
Frauen aus den Philippinen in einer katholischen Kirche in Limassol.
Somalier, Nigerianer und Kameruner auf einer Geburtstagsfeier im Dorf Agios Ioannis bei Limassol.
Nepalesinnen in einem Pop-up-Schönheitssalon in Limassol. Jeden Sonntag, häufig dem einzigen zugestandenen freien Tag der meisten Ausländerinnen auf Zypern, wird dieser temporäre Schönheitssalon im Nebenraum eines Restaurants eingerichtet.
Ein bangladeschischer Arbeiter pflückt im November 2020 im Bergdorf Álona Trauben. In vielen Fällen speisen die zyprischen Arbeitgeber ihre ausländischen Arbeiter mit sehr niedrigen Löhnen ab, wobei sie sich an den Wechselkursen in den Herkunftsländern der Arbeiter orientieren, statt an den wirtschaftlichen Gegebenheiten Zyperns.
Ein typisches zyprisches Gebäude im Dorf Athiänou, umfunktioniert und umgestaltet zu einem Hindu-Tempel.
Text: Sofronis Sofroniou. Fotos: Elena Konstantinou. Übersetzung: A. Tsingas.
Elena Konstantinou wurde 1987 in Limassol/Zypern geboren. 2012 absolvierte sie die Kunsthochschule der Aristoteles-Universität Thessaloniki. Von 2013 bis 2015 arbeitete sie als Produktfotografin in London. In den vergangenen zehn Jahren hat sie ein starkes Interesse an Reisen und an der Aufzeichnung von Kulturen mittels visueller Erzählung entwickelt. Daraus ist eine Einzelausstellung erwachsen. Sie lebt und arbeitet in Limassol.
Sofronis Sofroniou wurde in Palächori/Zypern geboren. Er studierte Psychologie in Nikosia und Neurowissenschaften in New York. Sein erstes Werk „I Protóplasti“ (Die Erstgeschaffenen; Verlag Rodakio) wurde mit dem zyprischen Staatspreis (Roman) und dem Debütromanpreis „Menis Koumandareas“ des griechischen Schriftstellerverbandes (2016) ausgezeichnet. Sein zweiter Roman „Argós Sídiros“ ist beim Athener Verlag Antipodes erschienen. Auszüge daraus wurden 2019 im Magazin „Inventory“, einem literarischen Übersetzungsprojekt der Princeton University, veröffentlicht.
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