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Am 3. und 4. November 2019 gastiert das Berliner GRIPS Theater zum ersten Mal in Athen (Theater Knossos, Knosou 11, 11253 Athen), zusätzlich finden Schulaufführungen (auf Deutsch mit griechischen Übertiteln) statt. Gezeigt wird zum 50jährigen GRIPS-Jubiläum das Stück „Die Lücke im Bauzaun“, inszeniert von Vassilis Kukalani, Gründer der griechischen Jugendtheaterbühne „Manufaktur des Lachens“. Lesen Sie unser aktuelles diablog-Interview mit dem Regisseur und Schauspieler Vassilis Kukalani und hier unser älteres Gespräch mit GRIPS-Begründer Volker Ludwig! Nähere Informationen zu den Vorstellungen finden Sie auf der Website von „Manufaktur des Lachens“ www.syntexniageliou.gr.

Im Juni 2019 war die „Manufaktur des Lachens“ in Berlin mit den Produktionen „Mormolis“ und „Stärker als Superman“ im Podewil und in der Akademie der Künste zu Gast. Der Gegenbesuch erfolgt mit Unterstützung der Kulturstiftung des Bundes, neben den Ensemblemitgliedern werden auch Volker Ludwig und der jetzige GRIPS-Leiter Philipp Harpain in Athen zu Gast sein.
Wie sieht es mit dem Kinder- und Jugendtheater in Griechenland aus? Gibt es eine eigenständige Tradition, die über Karagöz-Schattentheater hinaus geht (das ja ursprünglich gar nicht für Kinder gedacht war)?
Eigentlich wird das Theater in Griechenland seit den Krisenjahren gar nicht mehr subventioniert, doch in den letzten zwei Jahren wurden doch wieder Gelder an Theater und freie Gruppen vergeben. Der Witz dabei ist, dass das Kinder und Jugendtheater nicht subventioniert wird, mit dem stillen Einverständnis der Athener Theater-Community, weil das Theater für Kinder bei uns wohl als kommerzialisiert gilt. Es ist sehr schwer, gutes Kinder- und Jugendtheater in Griechenland zu machen.
Ich glaube, auch international wurde das Theater für junge Menschen ein wenig vernachlässigt. Als das GRIPS Theater anfing, gab es in Deutschland für Kinder nur Weihnachtsgeschichten und Märchentheater. Als die „Manufaktur des Lachens“ gegründet wurde, herrschte in Griechenland noch eine kitschige und veraltete Ästhetik. Da hätte man das Schattentheater Karagöz mit seiner volkstümlichen Subversivität bereits als progressiv ansehen können, obwohl es aus einer anderen Ära kommt. Ich würde sogar sagen, wir und das GRIPS könnten noch einiges von Karagöz lernen.

Volker Ludwig hat das deutschsprachige Kinder- und Jugendtheater revolutioniert (im wahrsten Sinn des Wortes). Du hast schon früh mit ihm zusammengearbeitet. Wie hat sich der Kontakt ergeben?
Ich suchte Volker Ludwig zum ersten Mal im Sommer 2011 im GRIPS Theater auf. Ich kannte die GRIPS-Stücke seit meiner Kindheit. Mein Lieblingsstück war „Ein Fest bei Papadakis“, das ich als 9-jähriger gesehen hatte und auswendig kannte. Die Lieder, die abwechselnden Dialoge auf Deutsch und Griechisch, aber mehr noch die Kultur der Frechheit der Kinder haben mich wohl „irreversibel“ geprägt.
Ich kam also zu Volker und dem GRIPS in einer Zeit, als in Griechenland und vor allem in Athen großer Aufruhr herrschte. Zwei Jahre davor war uns die große Finanzkrise verkündet worden, und es stand uns ein harter Winter bevor. Kollektive Angst und Depression, Aggressivität und Misstrauen waren wechselweise im alltäglichen Pulsschlag Athens zu spüren. Im Frühjahr 2011 aber kam es zu erneuten spontanen Protestbewegungen, die mit der monatelangen Besetzung des Syntagmaplatzes (durch die Occupy-Bewegung) ihren Höhepunkt erreichten. Aus diesem Tränengasalltag und im Knüppelregen erwuchsen unter Künstlern die Diskussionen: Wie stehen wir dazu? Wie nimmt man Stellung? Und was ist unsere Rolle dabei?
Dazu kannte ich nur einen Weg, der mir seit meiner Kindheit bekannt war und dem ich auch aus meiner späteren 30-jährigen Erfahrung nichts anderes entgegensetzen konnte: die Art und Weise des GRIPS Theaters mit alledem, was dieses Theater und seine Stücke in den frühen Jahren ideologisch prägte und was sich darin manifestierte. Es war ein Theater, das meiner Ansicht nach eine Perspektive auf Veränderung und eine soziale Vision hat, das Geschichten erzählt, die einerseits die “Mächtigen” provozieren und verspotten und andererseits das Denken der Kinder beleben und emanzipieren.
Ich war damals überzeugt, eine sozusagen klare revolutionäre Front in Griechenland zu vertreten. Ich kam mit so viel Schwung und fieberndem Enthusiasmus nach Berlin, um wahre Verbündete sowie politische und künstlerische Anleitung zu finden. Am Ende meines Besuches hatte ich Volker und das ganze GRIPS überzeugt: „Ich gehe jetzt zurück nach Griechenland, um mit deinem Stück Revolution zu machen“. „Ein Fest bei Papadakis” sollte “Ein Fest bei Nourian” werden. Seitdem hat das Geben und Nehmen zwischen uns nicht aufgehört.

Lassen sich die Stücke des GRIPS Theaters übertragen? Wie passt ihr sie an die griechische Realität an? Welche neuen Kooperationen ergeben sich dadurch?
Mit dem Stück „Ein Fest bei Nourian“ ging es im Oktober 2011 im Theater Poreia in Athen los, und es wurde ein Riesenerfolg. Das Stück wurde begeistert aufgenommen. Ich hätte mir nie träumen lassen, dass Volker Ludwigs Stücke so „griechisch“ sein können, dass sie so gut zum griechischen Temperament passen. Genauso riesig freute ich mich darüber, dass die Völkerverständigung und kulturelle Freundschaft des „Nourian“-Stückes ein ganz aktuelles Bedürfnis der griechischen Gesellschaft wiederspiegelte. Die nächsten Stücke von Volker, der schon mehr als sechs Mal bei uns zu Besuch war, erwiesen sich insgesamt als sehr „griechische“, oder gar globale, internationale, wenn nicht gar internationalistische Stücke, deren Konflikte, soziale Widersprüche und Darstellungen von Freundschaft, Solidarität, Abenteuer und Liebe in der ganzen Welt eine archetypische Resonanz finden.
Zwischen der „Manufaktur des Lachens“ und dem GRIPS gibt es in den letzten zwei Jahren eine stetig wachsende Zusammenarbeit mit einer schönen Zukunftsperspektive. Ich glaube, die dialektische deutsche Provokationskultur findet in der temperamentvollen griechischen Frechheitskultur eine gute Ergänzung.
Interview: Michaela Prinzinger/Vassilis Kukalani. Redaktion: Michaela Prinzinger. Fotos: David Balzer.
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