Texas

Ein Fotoband von Dimitris Tsoumplekas

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In seinem Fotoband “Texas” illustriert Dimitris Tsoumplekas die schier endlos scheinende Talsohle der “Krise” zwischen 2010 und 2014 auf eine ganz persönliche Weise. diablog.eu hat den Künstler gebeten, seine Bilder zu kommentieren. Dadurch wird die Verflechtung von Privatem und Politischem greifbar und der Horizont öffnet sich für neue Entwicklungen.

Das Projekt „Texas“ begann im Sommer 2010, als ich mit meiner Familie von Berlin zurück nach Athen gezogen bin. Seit damals habe ich Bilder gemacht, ohne genau zu wissen, warum, es war wie eine fixe Idee.
Als ich zwei Jahre später das Material gesichtet habe, wurde mir klar, dass diese Fotografien ein Versuch waren, wieder eine Verbindung zu Griechenland zu finden, zu einem Griechenland, das ganz anders war als früher, aber auch ganz anders als das Bild, das im öffentlichen Diskurs durchgehend vorherrscht.

Auf einer Reise nach Preveza ergab es sich, dass ich mir den Titel für das Projekt bei einer Ouzoschänke „ausgeliehen“ habe. Die wurde nämlich im Jahr 1967 von „Paradies“ in „Texas“ umbenannt. Damals hatte ein gehörnter Ehemann im Laden einen Revolver gezogen und auf zwei Gäste geschossen. Auf seine Frau und ihren Liebhaber. Beide sind mit dem Leben davongekommen, aber die Einheimischen kommentierten diesen Ausbruch von Gewalt mit dem Spruch: „Hier herrscht jetzt Texas!“

Der Ortsname beinhaltet unvermeidlich Assoziationen wie Gewalt, Süden, Ver-Wüstung.
Nomen est omen. Und in dem Maße besteht „Texas“ aus gewaltsamen Versuchen der Umorientierung, ob es sich nun um eine verlorene Heimat oder um ein verlorenes Ich handelt.

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©Dimitris Tsoumplekas

„Texas“ ist insoweit autobiografisch wie alle meine fotografischen Serien. Damit meine ich, dass ich immer meine unmittelbare Umgebung, den Raum ablichte, in dem ich mich bewege und lebe. Die Fotografien folgen meinem Leben und umfassen Reisen, Freunde, Familienereignisse…

Andererseits wollte ich nicht auf meine persönliche Erfahrung fokussieren. Nach wie vor glaube ich: Je persönlicher etwas ist, desto politischer ist es.

Mein Vorsatz war, von etwas zu erzählen, dass jenseits der Tagesaktualität liegt. Ich wollte das Gebot der Stunde ignorieren, sich unbedingt auf die Krise beziehen zu müssen, das „Welthistorische“ abzubilden, das mit uns passiert.
Mein Vorsatz war, über die Krise zu sprechen, die nicht aktuell, aber auch nicht vorübergehend ist, über die Krise, der wir ständig gegenüberstehen – über das Gefühl von Verlust und Trauer und über die Freiheit, die wir gewinnen können, wenn wir die Augen offenhalten.

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©Dimitris Tsoumplekas

Die Ausschreitungen nach Demonstrationen – so wie hier 2011-  gehören in all diesen Jahren in Athen zur Tagesordnung – solange sie nicht wirklich tragisch, das heißt tödlich enden, wie es auch schon vorkam. Gleichzeitig haben sie etwas Klischeehaftes, etwas Rituelles an sich, etwas, das an ein Spiel erinnert. Wenn es keine Ausschreitungen gibt, habe ich den Eindruck, Erleichterung und Enttäuschung halten sich die Waage. Für mich sind der Syntagma-Platz und die Straßen ringsum mein altes Heimatviertel, in dem ich aufgewachsen bin. Die Geografie gab mir ein Gefühl der Sicherheit und zugleich setzte sie meine Erinnerung in Gang.

Wenn man die zentrale Bühne verlässt, auf der die Bilder der Massenmedien dominieren, die von diesen selben Medien mit geschaffen werden, blickt man hinter die Kulissen. Man sieht die Köche aus dem japanischen Restaurant, die sich Scherze zurufen, man sieht die Demonstranten, die eifrig Pflastersteine aus den Bürgersteigen herausbrechen, man sieht friedliebende ältere Mitbürger, die Ratschläge zum Steinewerfen verteilen, man sieht die – aus sicherem Abstand geführten – Wortgefechte der polizeilichen Sondereinheiten mit den Anarchisten, die an die Ilias erinnern, man sieht die Schaulustigen und die Verfolgungsjagden in den engen Seitenstraßen.

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©Dimitris Tsoumplekas

Darüber hinaus telefonieren Menschen mit ihren Handys, während neben ihnen Feuer wüten, man trifft Bekannte und tauscht Neuigkeiten aus, man trifft Unbekannte, die einem Maalox gegen die Folgen des Tränengases anbieten, pakistanische Straßenhändler, die Wasser, griechische Fahnen und Schwimmbrillen feilbieten. Darin liegt Tragik und Furcht, aber auch eine Art wilder Freude durch das Gefühl, dass die Stadt endlich dir gehört. Du kannst mit ihr und in ihr spielen, du kannst mit der Architektur der Straßensperren improvisieren, du kannst die sichersten Routen herausfinden.

Wenn du nach Hause zurückkehrst, ist das vorherrschende Gefühl, dass all das nur Kleinigkeiten sind, dass die Entscheidungen anderswo getroffen werden und dass wir im besten Fall eine Fussnote der Geschichte bleiben werden. Und du hoffst, in den Nachrichten dann nichts wirklich Tragisches zu hören.

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©Dimitris Tsoumplekas

Dieses Bild stammt aus dem zentralen Bürogebäude von Kodak in Maroussi. Es wurde 2004 – kurz vor oder kurz nach der Olympiade – geräumt und verrottet seit damals. Einwanderer, die an den Straßenampeln betteln, finden dort einen Schlafplatz. Mal sieht man sie, mal nicht. Das hängt von den Einsätzen der Polizei ab, die sie immer wieder in Sammellagern „zusammentreibt“. Auf dem Weg durch das Gebäude stolpert man immer noch über Aktenordner mit technischen Daten, Fotografien, leere Filmpackungen, Werbebroschüren.

Das letzte Bild wurde vor einem Bankgebäude in der Panepistimou-Straße geschossen. Der Graffiti-Text bedeutet: DIEBE.

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©Dimitris Tsoumplekas

Fotos: Dimitris Tsoumplekas. “Texas” finden Sie in Athen in den Buchhandlungen Ροδακιό, Φωταγωγός und Free Thinking Zone sowie in Berlin im Bücherbogen am Savignyplatz.

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2 Gedanken zu „Texas“

  1. Durch die Bilder verschafft man sich Einblick in eine ziemlich komplexe und wohl auch ausweglose Situation, die das heutige Geschehen kennzeichnet. Der Fotograf hat vollkommen Recht: “Je persönlicher etwas ist, desto politischer ist es”.

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  2. Das ist endlich mal eine website die von den primitiven gegenseitigen Darstellungen des anderen Volkes abweicht. Die Griechen sind überwiegend nicht faul, die Deutschen überwiegend keine Nazis (schon aus biologischen Gründen). Eine kreative künstlerische Wahrnehmung der Krise (auch Deutschland hat innenpolitische Schwierigkeiten z.B. Pegida) kann beiden nur nützen. Also weiter so! Dagmar Kloos aus Deutschland

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