Seltene Farben und Geschichten

Über ein soziales Künstler*innenprojekt von Barbara Mamatis

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Barbara Mamatis, derzeit in Berlin Stipendiatin von START – Create Cultural Change, ist eine griechische Künstlerin, die in Athen lebt und arbeitet. Sie verwendet intensive Farben, um alle Facetten des Lebens auf ihren Bildern darzustellen. Zuletzt hat sie ihre Liebe zum Material Papier entdeckt, das sie für ihre Schmuckkreationen verwendet. Ein Beweis dafür, dass man durch die künstlerische Fantasie allein neue Gestaltungstechniken entwickeln kann.

In jungem Alter wurde bei ihr die seltene Erkrankung Mukopolysaccharidose (MPS) diagnostiziert, heute setzt sie sich engagiert für Patientenrechte ein. In Zusammenarbeit mit dem Berliner Verein Diablog Vision e. V. entwickelt sie derzeit die Idee zu einer Künstleragentur: The Rare Art Project – RAAP. Dadurch möchte sie Menschen, die mit einer seltenen Erbkrankheit leben, inspirieren, fördern und zum kreativen Schaffen ermuntern.

Schmuckstücke und Farbskizzen auf Arbeitstisch
Schmuckdesign von Barbara Mamatis, ©Nelly Tragousti

Was ist das Besondere an seltenen Krankheiten?

Von seltenen Krankheiten spricht man, wenn sie bei 10.000 Geburten in 1 – 5 Fällen auftreten. Sie sind meistens genetisch bedingt, werden also von einem Elternteil oder von beiden als defektes Gen an das Kind vererbt. Im Endeffekt begleitet einen diese seltene Erbkrankheit ein Leben lang.

Was spornt dich an, deine persönliche Erfahrung mit einer seltenen Krankheit mit anderen zu teilen?

Ich bin mit einer extrem seltenen Krankheit aufgewachsen, dem Mukopolysaccharidose-Syndrom (MPS) – und zwar dem noch selteneren Typ-I-Scheie (1 von 500.000 Geburten). Über viele Umwege wurde dieses Syndrom bei mir diagnostiziert, als ich 8 war. Das führte dazu, dass ich mich sogar gegenüber meinen eigenen Eltern fremd fühlte, die zwar beide Träger des Gens sind, ohne jedoch erkrankt zu sein. So habe ich vollstes Verständnis für die Not der Menschen mit einer seltenen Krankheit und das Bedürfnis, Symptome und Erlebnisse mit all denen zu teilen, die in ihrer täglichen Auseinandersetzung mit der Krankheit mit anderen Betroffenen in Verbindung treten wollen.

Eine Kontaktaufnahme untereinander könnte entstehen, wenn Menschen wie ich als Symbolfiguren und Kommunikationsträger fungieren. Menschen also, die als Botschafter, Verbindungsglieder und treibende Kraft fungieren und so einem Puzzle voller Fragezeichen einen Sinn geben. Das mindert das Gefühl der Isolation, das aufgrund der Seltenheit der Krankheit auftreten kann.

Der Austausch der persönlichen Erfahrungen schafft ein starkes Gefühl der Solidarität, integriert die Kranken in die Gesellschaft und ermutigt sie in ihrer Not. Ich wünsche mir, meinen Beitrag zur Aufklärung und Information dieser Menschen zu leisten, denn gemeinsam sind wir weniger allein. Unsere Anzahl ist größer als gedacht und viele von uns haben erst dann eine Diagnose bekommen, als sie über ihre Symptome sprachen. Denn leider gibt es Menschen, die eine seltene Krankheit haben und erst sehr spät in ihrem Leben erfahren, woran sie leiden.
Informationen über Symptome und Merkmale einer seltenen Krankheit und wie ihr z. B. therapeutisch zu begegnen ist, sind ein extrem wichtiges Instrumentarium, das viele Fragen beantwortet.

Zu den Grundbedingungen für einen Wandel zähle ich die Aufklärung und Sensibilisierung breiter Bevölkerungsschichten und auch der Wissenschaft selbst. Das dient einer besseren Vorsorge im Bereich der seltenen Krankheiten beitragen, um ihre Zahl einzugrenzen, und dem Wohl der Erkrankten.

zwei Personen
Barbara Mamatis mit einem deutschen Vertreter, ©Nelly Tragousti

Wie viele Menschen sind in Griechenland von einer seltenen Krankheit betroffen?

Laut Daten des Panhellenischen Bundes für Seltene Krankheiten PESPA (Πανελλήνια Ένωση Σπανίων Παθήσεων) gibt es bisher in Griechenland etwa 750 registrierte seltene Krankheiten und etwa 800.000 Patienten. Die Europäische Organisation für Seltene Krankheiten (EURORDIS) spricht von rund 7.500 unterschiedlichen seltenen Krankheiten europaweit.

Wie viele Menschen sind es z. B. in Deutschland und wie organisieren sie sich?

In Deutschland gibt es die Organisation ACHSE (Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen), die in Berlin beheimatet ist und etwa 4.000.000 Menschen vertritt, die an einer seltenen Krankheit leiden.

Wie könnte es dir gelingen, diese Menschen zu erreichen und zu künstlerischer Tätigkeit zu motivieren?

In meiner dreifachen Funktion als Patientin einer seltenen Krankheit, als gewähltes, leitendes Mitglied des griechischen Vereins „Solidarität“ (Αλληλεγγύη) und als Schöpferin von Kunstwerken möchte ich mit Hilfe von PESPA und meinem Verein die Mitglieder in Griechenland, die an einer seltenen Krankheit leiden und künstlerisch tätig sind, motivieren, sich RAAP (Rare Art Agency Project)* anzuschließen.

RAAP soll eine professionelle Kunstagentur sein mit dem langfristigen Ziel, künstlerische Produktionen mit Hilfe einer digitalen Plattform und einer ersten Ausstellung in Athen, die bis spätestens Mai 2019 stattfinden soll, zu vermarkten.
Beides soll dazu beitragen, die Künstler finanziell und moralisch zu unterstützen. Das könnte sowohl weitere Erkrankte ermutigen, sich künstlerisch einzubringen, als auch das Bewusstsein der Öffentlichkeit für seltene Krankheiten schärfen und sensibilisieren.

Ich bin der Ansicht, dass es viele gute Gründe dafür gibt, an einer kollektiven Aktion teilzunehmen, bei der die Kunst, und nicht die Krankheit im Mittelpunkt steht. Den persönlichen Kontakt und die Begegnung mit diesen Kreativen, die einer gesellschaftlichen Risikogruppe angehören, halte ich für einen geeigneten Ansatz, der von Mensch zu Mensch funktioniert. Ein solches Treffen könnte in einem vertrauten Raum, eventuell in den Büros von PESPA selbst stattfinden.

Barbara Mamatis mit ihrer Kollektion
Barbara Mamatis mit ihrer Kollektion, ©Nelly Tragousti

Was bedeutet für dich künstlerische Tätigkeit?

Künstlerische Tätigkeit ist für mich jede Tätigkeit, die den Menschen über das Medium Kunst in die Lage versetzt, seine seelischen Empfindungen Ausdruck zu verleihen.
Im Rahmen von RAAP kann sich die Seele über Farben und Malerei, Fotografie und Skulptur, Schmuckdesign und über das Schreiben äußern. Eigentlich mit allem, was Teil einer Kunstausstellung werden kann.

Die künstlerische Tätigkeit ist für mich untrennbar mit ihren heilenden Eigenschaften verknüpft. Viele Menschen können sich dadurch ausdrücken. Das gilt umso mehr für kranke Menschen, die einen zusätzlichen Grund haben, sich äußern zu wollen. Der künstlerische Ausdruck kann verschiedene Bereiche stärken, die in einem direkten Zusammenhang mit dem Gesundheitszustand der Person stehen.

Wie sieht in Griechenland zurzeit die Versorgung von Menschen mit seltenen Krankheiten aus? Ist das krisengeschüttelte Gesundheitssystem darauf vorbereitet? Muss man privat versichert sein, um eine gute Versorgung zu bekommen?

Der griechische Staat ist verpflichtet, die Kosten für einige der seltenen Krankheiten, die nach EU-Recht behandelbar sind, in vollem Umfang zu tragen, da sie kostenintensiv sind und – als chronische Krankheiten – nicht von privaten Versicherungen abgedeckt werden.
Aber es gibt auch seltene Krankheiten, bei denen die Patienten für einen Teil der Behandlungskosten selbst aufkommen müssen, was für viele schwer zu schultern ist.

Das griechische Gesundheitssystem wurde durch die Krise in seinen Grundfesten erschüttert. Deshalb versuchen die entscheidungsbefugten Gremien die staatlichen Krankenkassen zu Lasten von Patienten mit seltenen Krankheiten zu „retten“, indem sie den Grad der Behinderung viel zu niedrig einstufen. So werden sogar Extremfälle ignoriert, um dem Staat Therapiekosten und Zulagen zu ersparen. Zur Abdeckung der Grundbedürfnisse der Patienten sind diese Zulagen jedoch wichtig, selbst wenn sie im Vergleich zu anderen europäischen Ländern niedrig ausfallen.

zwei Frauen mit Bildern
Barbara Mamatis und Michaela Prinzinger, ©diablog.eu

Was hat dich ganz konkret zu RAAP inspiriert?

Ich habe Internationale und Europäische Beziehungen studiert, arbeite im Bereich Kommunikation und unterrichte Pilates. Meine Affinität zum Schöpferischen zeigte sich aber schon im frühen Kindesalter und wurde für mich ein wichtiges therapeutisches Instrument zur Entspannung. Gleichzeitig fühlte ich mich dadurch ermuntert, da meine Kreationen gut ankamen.

Meine Mittel sind die Leinwandmalerei mit intensiven Farben, die Nutzung von alternativen Materialien wie Papier zur Herstellung von Schmuckgegenständen nach einer Technik, die ich selbst entwickelt habe, und die Organisation von Einzelausstellungen. Eine solche fand vor kurzem in Berlin im Rahmen des literarischen Symposiums Syn_Energy Berlin_Athens statt, das Diablog Vision e.V. vom 17. bis zum 21. Oktober 2018 organisiert hat. Das führte mir vor Augen, dass die Fähigkeiten des Menschen – den körperlichen Einschränkungen zum Trotz – immens sind. In meinem Fall hätte schon allein die eingeschränkte Bewegungsfreiheit meiner Hände einen gewaltigen Hinderungsgrund bilden können, aber das hält mich nicht davon ab, kreativ zu sein. Mein Wunsch ist es, über RAAP das Bewusstsein auch anderer Menschen zu schärfen, damit ihnen durch diese Zusammenarbeit geholfen werden kann.

Inspiriert für RAAP haben mich die vielfarbigen Werke von Katerina Lambrou, der Tochter der ehemaligen Präsidentin von PESPA Marianna Lambrou, als ich sie in den Vereinsräumen zum ersten Mal sah. Leider ist die Künstlerin und Patientin Katerina nicht mehr am Leben. Sie hat uns aber einen großen Schatz hinterlassen. Ich bin der Meinung, dass ihr Werk nach außen getragen werden muss, und zwar von uns Patienten, die ebenfalls kreativ sind.

Es wäre schön, eine Gruppenausstellung zu organisieren, in der wir unsere Werke präsentieren und promoten können. Meine Familie unterstützt mich nach Kräften dabei und ermutigt mich, meine künstlerische Tätigkeit fortsetzen. Über RAAP könnte gerade der künstlerische Ansatz der Ausgangspunkt einer kollektiven Bestrebung werden mit einer gesellschaftlichen Zielsetzung: künftig einer größeren Anzahl von Menschen zu helfen.

*START ist ein Programm der Robert Bosch Stiftung, das in Kooperation mit dem Goethe-Institut Thessaloniki und der Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren e.V. durchgeführt wird, unterstützt durch die John S. Latsis Public Benefit Foundation und die Bodossaki Foundation.

Finden Sie hier mehr zu START-Create Cultural Change und Barbara Mamatis’ Projektidee RAAP. Lesen Sie auch unseren diablog-Artikel zum START-Programm.

Interview: Michaela Prinzinger und Barbara Mamatis. Übersetzung: A. Tsingas. Lektorat: Angelika Gravert. Textredaktion: Michaela Prinzinger. Fotos: Nelly Tragousti.

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