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Am 4. 11. wird Yiannis Aggelakas im Berliner SO 36 auf Einladung von Mixing Roots Productions den Saal rocken. Der Singer/Songwriter, legendär geworden durch die Rockband „Trypes“, ist seit einigen Jahren solo mit immer neuen musikalischen Partnern unterwegs. Neugierig, experimentierfreudig, radikal und mit seinem unverwechselbaren Schlafzimmerblick mischt er die griechische Musikszene immer wieder auf. diablog.eu stellte dem Ausnahmekünstler im Vorfeld ein paar Fragen…
Du lebst in Thessaloniki und auf Kreta und vermeidest elegant den Wasserkopf Athen. Was spielen diese Orte für dich für eine Rolle?
Von den großen griechischen Städten – und insbesondere von Athen – fühlte ich mich immer schon gestresst. Und jetzt in der Krise, die ja schon jahrelang anhält, ist es umso dringender nötig, ein paar Werte zu verteidigen. Das heißt, dem persönlichen Zeitgefühl zu folgen, das Verhältnis zur Natur zu pflegen, einen kühlen Kopf zu bewahren und die befreiende Wirkung von Musik, Schreiben und Kreativität zu spüren. Ich brauche die Berge und das Meer, damit ich etwas Neues zu sagen habe, wenn ich meine Freunde wiedertreffe.
Du versuchst, dich vom Diktat der Plattenfirmen und des Musikmarketings zu befreien. Welches Projekt verfolgst du mit deinem eigenen Studio und der Website alltogethernow.gr, deren Name ja auch Programm ist? Können Interessierte auch aus dem deutschsprachigen Raum über diese Seite bestellen?
Es ist eine Frage der Selbstachtung. Es ist für mich besser, Produktion, Geschäftsführung, Herstellung und Vertrieb meiner Platten und Bücher selbst zu managen. Dabei unterstützen mich die Leute von alltogethernow. Dadurch haben wir die Chance, unsere irritierende Ästhetik zu bewahren, unter die Leute zu bringen und ein relativ großes Publikum zu erreichen. Und das in einem Land, wo die Mainstream-Musikindustrie in den letzten Jahrzehnten alles daransetzt, das großartige Kulturgut des populären griechischen Liedes zu zerstören und massentauglichen Schrott zu progagieren. Auf unserer Website kann man sich unsere Platten anhören und bestellen.
Du gehst streng ins Gericht mit dem aktuellen griechischen Musikgeschmack. Dein Urteil ist vernichtend: Du sprichst vom Karzinom der neugriechischen Musikkultur, das durch die Geldgier der Plattenfirmen und die Machtgier der Massenmedien entstanden sei. Aber unter falschem Schmuck und dicker Schminke blinkt der Schatz der authentischen Populärkultur (Rebetiko, Volkslied). Was können Künstler tun, um diesen Schatz zu heben? Liegt die Lösung darin, diese Musiktradition aufzugreifen und neu zu interpretieren, wie du es auch mit Rebetiko-Klassikern und der kretischen Musik tust?
Künstler sollten sich – und zwar jeder auf seine Art – für tief gehende, ehrliche und schöne Werke engagieren. In den „goldenen“ 90-Jahren jagten die Leute in meinem Land nur noch dem Geld und dem vergänglichen Ruhm hinterher. Das war geschmacklos, zynisch, orientierungslos und zu kurz gedacht. Reflexartig habe ich mich damals am Schatz der Rebetiko-Lieder und der traditionellen Musik orientiert und dort Gefühl, Kraft und Inspiration gefunden. Dadurch konnte ich mit dieser Tradition in Kontakt treten. Ich konnte mir selbst eingestehen, dass ich ihre magischen Melodien und urtümlichen Rhythmen bewundere. Und ich konnte mich auf die Fantasievorstellungen einlassen, die diese Tradition mit ihrer sozusagen „intergalaktischen“ Dynamik, die jenseits von Raum und Zeit wirkt, in mir wachgerufen hat. Ich spürte, dass die Rückbesinnung auf diesen lebendigen kulturellen Speicher mein kleiner, persönlicher Widerstand war, den ich leisten musste.
Fühlst du dich als Dichter oder Liedermacher?
Der Ursprung sowohl meiner Texte als auch meiner Lieder liegt in der Musik. Ich fühle mich im allgemeinen wie im konkreten Sinne als Musiker.
Vielleicht lachst du darüber, aber deine Texte erinnern mich an Kostas Karytakis, an den griechischen Baudelaire. Du selbst hast für ein Rimbaud-Projekt Texte aus „Eine Zeit in der Hölle“ gelesen. Was sagen dir diese Dichter?
In meiner Jugend haben mich diese Texte wachgerüttelt. Und ihr Nachklang wird im Lauf der Jahre immer intensiver, ja, ohrenbetäubend laut.
In der Nacht der Anderen
Keiner hört, keiner wacht auf Nur unsere Herzen klingen, sonst nichts Es ist Zeit, dass du mir sagst Es ist Zeit, dass du mir sagst Was wir suchen in der Nacht der Anderen Keiner spricht, keiner antwortet Stumme Schatten schlafwandeln auf dem Eis Es ist Zeit, dass du mir sagst Es ist Zeit, dass du mir sagst Was wir suchen in der Nacht der Anderen
Der Atem der Wölfe
Es ist der Atem der Wölfe, der in meinem Körper kreist Es ist der Atem der Wölfe, der unter meinem Bett schlaflos wacht Es ist der Atem der Wölfe, der vor meiner Tür innehält Es ist der Atem der Wölfe, der mein wildes Land beherrscht Doch ist es keine Krankheit, die mein Hirn überschattet und meine Beine beschwert
Wer brennt heut Nacht?
Ich steh allein und ausgedörrt am Brunnen der Welt weiß nicht mal, ob’s draußen hell ist oder ob Dunkelheit herrscht Aber die Nacht heut ist süß wie Medizin, wie Streicheln und der Wind treibt herüber Aschenduft Wer brennt heut Nacht und die Stadt riecht plötzlich nach Liebe?
Fotos: Simos Saltiel. Leider sind die ersten beiden Lieder auf youtube nicht in guter Qualität verfügbar, ein kleiner Trost und Vorgeschmack auf das Konzert findet sich hier.
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