Epirus: Ioannina und Zagori – Eine Reise an den Grenzen der Vorstellung

Ein Reisebericht von Dominik Rüchardt

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Als Ende Mai 2021 die dritte Corona-Welle gebrochen zu sein schien, durfte man wieder von Deutschland nach Griechenland und zurück ohne Quarantäne reisen. Diese Möglichkeit nutzte Dominik Rüchardt und nahm Anfang Oktober 2021 an einem zehntägigen organisierten Wanderurlaub teil, der über Ioannina nach Zagori in den Nordwesten Griechenlands führte. Bei diablog.eu berichtet der abgeklärte Mathematiker über sein fast magisches Erlebnis.

Nr-01, Schlucht
ep

Zu Beginn muss ich gleich eines zugeben: Ich bin gelernter Mathematiker. Mathematiker befassen sich mit einer Idee, die unglaublich kompliziert ist, aber nicht existiert, und die jedenfalls den logischen Schluss enthält, dass es sehr viel wahrscheinlicher ist, dass Götter existieren, als dass sie nicht existieren.

Ich habe im Laufe meines Lebens viele Reisen angetreten. Länder, Landschaften, Menschen, Tempel, Lebensformen erfahren, und doch war ich niemals dem magischen Erlebnis so nah wie in Epirus, der unbekanntesten Region Griechenlands, im Nordwesten, an der albanischen Grenze, wo der Mitteleuropäer eigentlich nichts vermutet, es sei denn das Geschrei eines Esels.

Doch es kam vollkommen anders. Hier wohnen die Götter, hier haben sie die Landschaft entworfen, hier haben sie die Menschen erfunden, hier haben sie all ihre wilden und skurrilen Ideen erprobt, bis die Menschen irgendwann mit der Vernunft das Ruder übernommen haben.

Nr-02+03, Brücke, Fluss

Und es kam noch mehr: Ηier fand eine Reise statt, die sich dem geöffnet hat. Mit Reisenden und einer Reiseleitung, die die Liebe zu Kultur, Land, Mystik, Menschen, Geschichte, Lebensfreude und Natur einfach ausgeschwitzt haben. Von der will ich erzählen.

Aber von vorne.

Der Flughafen von Thessaloniki war leer. Es war Covidjahr. Wir mussten auf Margit und Gertrud warten, die aus Düsseldorf kamen, Elena hat uns erwartet und ich habe den Flughafenladen nach griechischen Süßigkeiten durchforstet. Dann fuhr uns Costa drei Stunden nach Nordwesten und wir tauchten langsam ein in eine andere Welt.

Nr-04, Ioannina

Ioannina könnte man eine unscheinbare Stadt nennen. Provinzhauptstadt, uralt, touristische Kneipenmeilen, eine Seepromenade, rundherum Berge. Und dann kommt die Wucht der Geheimnisse. Ein historischer Geist beherrscht Stadt und Region: Ali Pascha, ein albanischer Räuber, Stadthalter unter osmanischer Herrschaft, Autonomiekämpfer, geliebter Anführer und brutaler Despot, hat hier Brücken geschlagen, über Jahrzehnte. Zwischen Mittelalter und Moderne, zwischen Islam und Christentum, zwischen Balkan und Osmanischem Reich. Hier wurden die Wurzeln gelegt zum Wiederentstehen Griechenlands, zum Wiedergewinn seines antiken Zaubers, und hier wurde der Handel getrieben, der die Menschen an den Enden der Handelsrouten, in Istanbul, Athen, Belgrad, Wien reich gemacht hat.

Nr-05, Museum Ioannina

Die Menschen leben in diesem Bewusstsein fernab von der Welt. Seit 10 Jahren gibt es die Autobahn, vorher war es eine Tagesreise zum nächsten internationalen Flughafen. Man denkt hier anders. Substanzieller, die Menschen sehen sich in die Augen, es gibt eine Universität, sie sind gebildet, doch nicht verwöhnt.

Nr-06, am Ufer Ioannina

Und in Ausflugsentfernung finden sich Schätze. Zeus erster Wohnsitz ist nicht weit, eine zerfallene sehr alte Villa neben einem sehr alten Sportstadion und einem Theater, bevor alle auf den Olymp zogen. Nikopolis, die Stadt des römischen Sieges über die hellenistische Welt, steht selbstbewusst in der Landschaft und erzählt Geschichten von Eroberung, Kulturkampf, Prunksucht und den Mitteln, ein Volk für sich zu gewinnen. Ein Todesorakel verrät die Geheimnisse des Dialoges zwischen Diesseits und Jenseits, der Welt der Existenz und der der Ideen, und vom Meer weg führt der Weg den Fluss Acheron entlang direkt in den Hades, an Nachtigallennestern vorbei, mit einem Bootsführer mit FC-Bayern Trikot – Götter gibt es in allen Epochen. Das Ringen der Welt mit ihrem Schicksal, mit ihren Freuden, ihren Fragen, es ist zum Greifen und so präsent, wie wir es uns aus dem heimatlichen Sessel allenfalls in Geschichten ausdenken, sofern wir die Fantasie dazu haben.

Nr-07+08, Nikopolis

Hier war die Kultur zuhause, bevor sie nach Athen zog und hier war sie, als den Römern der Weg nach Athen zu weit war. Hier war sie wieder, als die Osmanen und die Katholiken den Balkan herauf und herunter zogen, und dazwischen war hier Ruhe. Hier haben Aphrodite, Artemis und Pan ihre Spiele getrieben, fernab von Streit und Zerstörung, auch während längst die Monotheisten alles für sich nahmen.

Das ist Ioannina und seine Welt Richtung Meer. Eine Stadt aus liebenswerten Menschen, leidenschaftlichen Wirten, stolzen Silberschmieden, aufstrebenden Kulturbürgern, die alle eint, dass sie lebenswerten Raum schaffen wollen, denn der Zynismus der Wohlstandswelt ist ihnen fremd.

Nr-09, Besteck

Doch dann ist da noch Zagori.

Zagori ist Mystik aus einer Zeit, als die Götter noch Schuppen trugen.

Nr-10, Dächer
ep

Zagori, das sind Berge, Dörfer und die Vikos-Schlucht. Doch die Berge sind einsame, stolze Berge, auf denen niemals jemand ist, auf denen noch Drachen wohnen und wundersame Pflanzen, wo Bären von Beeren leben und die Felsen so steil sind, dass man nur ehrfurchtsvoll herauf oder herab schauen kann. Die Straßen, sofern es sie gibt, gleichen einer Nudelschüssel, so viele Windungen haben sie, oft sind sie aber nur Wege, uralt aber gehauen, befestigt, gepflegt, denn da wurde gegangen, Handel getrieben und gelebt.

Zagori war einmal reich, weil es so arm war. Die coolen Typen waren die Schafshirten, denn die kamen raus aus dem Dorf, dann kamen andere auf die Idee, die Gegend zu verlassen. Sie lernten Menschen kennen auf dem Balkan, in Wien, in Europa oder in Thessaloniki und Istanbul und sie kamen wieder nach Hause und begannen, Handel zu treiben.

Nr-11, Himmel

Die Dörfer stammen alle aus einer Welt, die von zwei Dingen geprägt ist: Die uralten Mechanismen des Gemeinwesens mit all seinen Eigenschaften des Zusammenhaltes, des Neides, der Erziehung, der Machtverteilung und der Notwendigkeit des Überlebens – und die Segnungen des Handels, der Wohlstand bringt, fremdes Wissen und fremde Einflüsse, die vorsichtig vereinnahmt werden.

Nr-12, Lichteinfall

Und dann sind da die Schluchten. Mystische Orte. Da tanzen Elfen, da verführen sich Göttinnen und Götter gegenseitig und da werden junge Hirten verwirrt. Es ist tatsächlich kaum beschreibbar, wie schön ein sich selbst überlassener, wilder Flusslauf ist und es ist die große Frage, warum uns das so gut gefällt. Ist die Entwicklung des Menschen davon geprägt, diese Art Ort schön zu finden, weil der Urzeitmensch hier gut überleben konnte? Oder ist es eine Laune der Götter, diese Art Ort zu schaffen, der den Menschen völlig verwirrt, weil er so schön ist? Die Farbe des Wassers, die Fantasie seiner Erscheinung, das Wachstum der Bäume, die Verrücktheit der Blüten, das Muster der Steine, das Sozialleben der Tiere, alles ist so prall gefüllt mit Leben, dass einem die Sinne vergehen.

Nr-13+14, am Fluss

Und die Geheimnisse erstrecken sich noch viel weiter.

Oben auf den Höhenzügen der Berge tauchen auf einmal Schuppenfelder auf. Über die Landschaft gezogene Drachenhaut, die da völlig klar seit Jahrtausenden liegt. Spuren des Überflusses, der völligen Verschwendung, die aber nur Kultur sein kann, denn was denn sonst? Der Wanderer, der ich bin, begleitet von einigen anderen Wanderinnen und Wanderern, erkennt nur das eine: Die Welt ist größer als das, was wir kennen und sind und wir können das nur dankbar erahnen.

Nr-15, Weg
dr

Die Menschen in den Dörfern scheinen diese Größe der Welt zu begreifen. Sie fügen sich ein, mit Häusern, Wirtschaften, Schulen und Kirchen, aber sie haben nicht den Anspruch, zu herrschen.

Nr-16+17, Dorf, mprikia

Im alten Schulhaus in Kapessovo streiten sich die Hühner um eine gefangene Maus und am Brunnen steht, mit gestrecktem Leib, ein Hund und trinkt. Der Brunnen ist auf Menschenhöhe. Eleni in Ano Pedina war früher Architektin und Konsulin und ist nun hier, führt eine Herberge und kocht mit ihren Gästen, so auch mit uns. Und Katerina aus Doliani sucht mit ihren Hunden Trüffel und betreibt einen Freiluft-Park wo die Menschen einfach spielen während sie aus den Trüffeln magische Speisen bereitet.

Nr-18, Hund an Quelle
dr

Nr-19+20, zusammensein

Dazwischen stehen überall Brücken. Das ist noch wichtig. Zagori hat Schluchten und Schluchten haben Flüsse und Flüsse brauchen Brücken. Aber Flüsse können groß und wild werden, das müssen Brücken aushalten.

Nr-21+22, zwei Brücken

Die Epiroten konnten Brücken bauen. Große, hohe, runde Steinbrücken, so wie die alten Römer Bögen bauten. Diese Brücken stehen überall, denn Brücken waren das, was in Oberbayern Kapellen waren, wer etwas auf sich hält, lässt eine Brücke bauen.

Zagori ist eine wilde, einsame, schöne Welt und es ist doch etwas Besonderes, denn Zagori baut Brücken. Über manchmal reißende Flüsse, zwischen den Kulturen und zwischen den Zeiten.

Zagori ist eine mystische Welt.

Nr-23, Kerzen

Text: Dominik Rüchardt. Fotos: Elena Pallantza (ep: 1 und 10), Dominik Rüchardt (dr: 15 und 18), alle anderen Αpostolos Apergis. Veranstalter der Reise: “Das Land hinter den Bergen”, https://eleniki.com/

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4 Gedanken zu „Epirus: Ioannina und Zagori – Eine Reise an den Grenzen der Vorstellung“

  1. Was für ein schöner Text! Die Magie dieser Landschaft, der Menschen und anderen Lebewesen, der Gött*innen ist das eine Besondere, das andere ist, es zu erkennen und davon so sprechend zu erzählen. Danke!

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  2. Lieber Dominik Rüchardt, liebe Elena Pallantza, vielen Dank.
    Da ich selbst gerade dabei bin diese Gegend zu entdecken, hat euer Bericht richtig Appetit gemacht.
    Herzliche Grüße aus Kanalion von Efthimia Parnaouti

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