Balsam für die Sinne

Wandern durch die Peloponnes

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Der Europawanderweg E4 auf der Peloponnes: Doris Wieler nimmt uns mit auf die Reise und schildert einen besonders schönen Abschnitt. In zwölf Tagen geht es 180 Kilometer und bis zu 1700 Meter hoch von Diakofto bis Kalamata. Besondere Naturerlebnisse, nette Unterkünfte und kulinarische Überraschungen erwarten uns… Mehr zu Doris Wieler und “Weitblickreisen” finden sie hier.

Wanderrucksäcke und Strohhüte warten auf einer Parkbank
E4-Wanderweg, Peloponnes, ©Doris Wieler

Wir starten zu sechst an der Nordküste der Peloponnes, in Diakoftó, einem Ort zwischen Korínth und Pátras. 12 Tage und rund 180 Kilometer später, auf nur wenig Asphalt, dafür über Stock und Stein, bergauf und bergab, hin- und her mäandernd zwischen 0 und 1700 Höhenmetern, ist unsere Zeit auf Schusters Rappen viel zu schnell zu Ende.

In den ersten Tagen ist es ungewöhnlich heiß, selbst auf 1000 Metern Höhe misst das Thermometer 30 Grad. Später dann gehen die Temperaturen angenehm zurück. Nur unsere Vesperpause am höchsten Punkt der Tour, im Ménalo-Gebirge, müssen wir abkürzen, wegen eisiger Winde und Temperaturen nicht weit über dem Gefrierpunkt.

Mohnblumenfeld
E4-Wanderweg, Peloponnes, ©Doris Wieler

Die Wegführung ist über weite Strecken gut zu finden. Dort, wo die meist zahlreichen Markierungen einmal doch nicht zu erspähen sind, helfen aktuelle GPS-Daten, die Rolf Roost auf seiner exzellenten Internetseite zur Verfügung stellt. So wird die Wegsuche nicht zum Abenteuer. Wir können uns entspannt der Mannigfaltigkeit der Landschaft hingeben. Entzückt die Blumen betrachten. Die würzigen Gerüche der Wildkräuter einatmen. Die vielen Weitblicke genießen. Aus der Vogelperspektive auf die Welt hinabschauen. Als würden wir fliegen.

Schmetterling an Pflanzenhalm
E4-Wanderweg, Peloponnes, ©Doris Wieler

In diesem Jahr bin ich noch gespannter als beim letzten Mal vor zwei Jahren. Wie wird man uns Deutschen begegnen? Kanzlerin und Finanzminister spielen derzeit eine entscheidende Rolle im Umgang mit der griechischen Staatsschuldenkrise. Etwas bange ist mir bei der immer wieder gestellten Frage nach unserer Herkunft. Ein Gefühl, das sich zum Glück immer schnell in Wohlgefallen auflöst. Wir spüren keinerlei Ablehnung. Angela Merkel oder Wolfgang Schäuble werden mit einem flapsigen Spruch kommentiert. Die eigenen Politiker bekommen auch noch kurz ihr Fett weg. Ansonsten steht das Gespräch über ihre persönliche Situation im Vordergrund. Hoffnungslosigkeit. Resignation. Jugendarbeitslosigkeit. Abwanderung. Das sind die Themen.

Kaffee Taverne
E4-Wanderweg, Peloponnes, ©Doris Wieler

Wir reden vor allem mit denen, die uns bekochen und Herberge gewähren. Mehrere Jobs, um über die Runden zu kommen, sind für sie keine Seltenheit. Und trotz allem: Wir erfahren so viel Herzlichkeit, Großzügigkeit, Offenheit. Alles wunderbar zusammengefasst im griechischen Wort filoxenia – Freunde und Fremde sind darin vereint. Wie oft werden uns Aufmerksamkeiten zuteil. Es wird uns ein Kaffee ausgegeben, die Restaurant-Rechnung abgerundet, die Wirtin oder der Wirt setzen sich für ein Schwätzchen zu uns. Wir hegen irgendwann den Verdacht, Teil der „Truman-Show“ zu sein, Teil eines inszenierten Spektakels in einer nicht realen Welt.

Rotebeetesalat
E4-Wanderweg, Peloponnes, ©Doris Wieler

Des Öfteren werden wir – wie früher üblich – in die Küche gebeten, dürfen in die Kochtöpfe schauen. So zum Beispiel im Estiatório von Kóstas in Diakoftó oder im Estiatório Ethnikón an der Platía Agiou Vassilíou in Trípolis. Herrlich. Die vielen gesottenen Speisen. Unser Herz lacht. Hungrig vom Wandern steigt die Vorfreude auf das Essen noch zusätzlich. Und die Anzahl der bestellten Speisen. Gemüse aller Art. Pur. Mit Reis oder Hackfleisch gefüllt. In Kombination, geschmort mit Lamm, Rind, Schwein, Ziege oder Kaninchen. Mit Gewürzen verfeinert.

Wanderer auf Wanderweg mit weitem Blick
E4-Wanderweg, Peloponnes, ©Doris Wieler

Nun aber der Reihe nach … Den Fahrplan der Schmalspurbahn in der Tasche, starten wir unsere erste Etappe ab Diakoftó. Auf diesem Stück teilen wir uns Schienen bzw. Schwellen weitgehend mit dem Zug. An Wochentagen lässt es sich entspannt wandern. Da ist kein ständiges Ausweichen nötig. Nur wenige Züge verkehren. Das Schreiten von Schwelle zu Schwelle in sengender Hitze ist ermüdend. Dennoch. Wir werden mehr als versöhnt. Einsamkeit. Eine gewundene, mannigfaltige Wegstrecke. Grün bewachsene Felswände.

Üppig blühende Natur. Angenehm frische Luft in den Tunnels. Rauschendes Wasser in der Schlucht des Vouraikós. Kleine Wasserfälle sorgen für kurze Abkühlungen. Und am Ende unserer Tour erwartet uns ein Lokal unter schattigen Bäumen an der Bahnstation Zachloroú. Als Einstieg genügen uns für den ersten Tag 13 Kilometer. Den zweiten Teil der Tour genießen wir die Zugfahrt bis Kalávrita. Das Tal weitet sich. 750 Höhenmeter sind erreicht.

E4-Wanderweg, Peloponnes, ©Doris Wieler

Die Natur und die Menschen ziehen uns so in ihren Bann, dass wir geschichtliche und kulturelle Zeugnisse auf der Strecke ziemlich links liegen lassen. Nicht jedoch bei Kalávrita:

Der Ort und seine Umgebung war während des 2.Weltkrieg Schauplatz zahlreicher Scharmützel zwischen griechischen Partisanen und deutschen Soldaten. Das kulminierte in der Erschießung nahezu der gesamten männlichen Bevölkerung des Ortes, am 13.Oktober 1943. Frauen und Kinder konnten sich aus der in Brand gesetzten Schule, in der sie eingesperrt waren, noch rechtzeitig befreien. Bis heute werden immer wieder Forderungen nach Entschädigungszahlungen durch den deutschen Staat laut. Im Ort kann ein Museum in der ehemaligen Schule besucht werden. Und eine Gedenkstätte am Platz der Erschießung. Auf hellen Betonwänden stehen die Namen. Das junge Alter vieler Ermordeter bewegt. Und macht immer wieder sprachlos.

E4-Wanderweg, Peloponnes, ©Doris Wieler

Am zweiten Wandertag brennt die Sonne wieder erbarmungslos auf uns nieder. Vor dem Hotel-Restaurant O Spérchos in Ano Lousi empfängt uns ein überdachter Sitzplatz mit angenehmer Kühle. Wie Kinder an Weihnachten freuen wir uns dort über unverhofft servierten Kaffee mit Kuchen.

In Planitéro treffen wir gleich am Ortseingang eine Dame mit ihrem Enkel. Die beiden machen zügig eine Übernachtung für uns klar, im Gästehaus Beléni, ganz unten im Tal, bei der Quelle des Flusses Aroánios. Es grenzt direkt an einen wundervollen Platanen-Zauberwald. Im Handumdrehen sind 3 Appartements bereit und exklusiv für uns wird der Koch des danebenliegenden Restaurants Pigí herbeigerufen.

Ihm sind wir am Tag zuvor schon als Nationalpark-Hüter begegnet. Er bereitet feinste frische Forellen für uns zu. Eine regionale Spezialität.

Bohnen in weißen Säcken
E4-Wanderweg, Peloponnes, ©Doris Wieler

Unsere dritte Wanderetappe endet in Krinófita, im einzigen geöffneten Kafenío, geführt von der über 80jährigen Kyría Paraskeví. Ihr Mann ist wenige Wochen zuvor gestorben. Wie in der griechisch-orthodoxen Kirche üblich, sind zur anstehenden Trauerfeier nach 40 Tagen Verwandte angereist. Darunter auch eine Enkelin. In ihrer offenen, fröhlichen Art ist sie ihrer Großmutter sehr ähnlich. Sie hilft beim Übersetzen. Im Kafenío sitzen verstreut ein paar wenige der noch im Dorf verbliebenen älteren Bewohner. Mitten durch den Raum schlängelt sich ein Ofenrohr. Es herrscht schläfrige Nachmittagsstimmung.

Hotel Mounthelmos
E4-Wanderweg, Peloponnes, ©Doris Wieler

In Krinófita gibt es keine Übernachtungsmöglichkeiten. Wir entscheiden uns für den Aufenthalt im Hotel Mount Helmos in Klitoriá. Zwei Taxis, von der Wirtin bestellt, chauffieren uns dorthin. Ein Bad im komfortablen 25-Meter-Becken des Hauses entspannt am Ende dieses Tages unsere müden Wanderknochen.

Recht spontan ergibt es sich am kommenden Morgen beim Frühstück, noch eine weitere Nacht im selben Hotel zu verbringen. Unsere Rucksäcke bleiben also an Ort und Stelle. Wir wandern lediglich mit leichtem Tagesgepäck, vor allem mit viel Wasser. Per Taxi geht es wieder zurück zu unserem gestrigen Endpunkt, nach Krinófita. Ein Gewitter zwingt uns heute zum vorzeitigen Abschluss der Tagesstrecke an der Ládona – Quelle. Während wir auf unsere Taxis warten, finden wir Unterschlupf in der dort ansässigen Käserei. Was für ein Glück. Geschützt vor dem herunterprasselnden Regen dürfen wir uns die Zeit mit frischem Féta „versalzen“.

Drei Wanderer auf Feldweg zwischen grünen Pflanzen
E4-Wanderweg, Peloponnes, ©Doris Wieler

Für den Ausgang zur fünften Tagesetappe kutschieren uns unsere beiden Fahrer ein letztes Mal bis zum Abzweig in Richtung Prássino an der Hauptstraße KalávritaTrípolis.

Das Gepäck bringen sie sogar noch bis zur nächsten Unterkunft, dem Gästehaus Sinoi in Vytína. Die heutige Strecke ist recht bequem, gemächlich ansteigend. Ermüdend ist nur das Gehen auf überwiegend asphaltierten Wegen. Vielfach versöhnt hat uns dafür eine fruchtbare Ebene. Rostbraune Erde mit tiefrot leuchtenden Klatschmohnwiesen. Im Wasser – versteckt wachsend – gelbe Lilien. Singende Nachtigallen. Bei einer Kafeníon-Pause in Kaménitsa freut sich ein kanadischer Auslandsgrieche über einen Plausch mit unseren mitwandernden Freunden, einem auf Hawaii lebenden deutsch-amerikanischen Paar. Im Ort ist es auffallend sauber. Überall hängen Schilder, die zur Reinhaltung der Umwelt auffordern.

Schildkroete
E4-Wanderweg, Peloponnes, ©Doris Wieler

Ein jeder griechischer Ort hat ein mehr oder weniger pulsierendes Herz, einen Hauptplatz, die Platía. Die von Nymfasía ist so einladend, mit zwei geöffneten Lokalen, dass wir noch einen Kaffee-Stopp einlegen, obwohl unser Ziel, Vytína, nur noch 3 Kilometer entfernt liegt.

Dieses Bergstädtchen, auf 1000 Metern Höhe mitten im nördlichen Arkadien gelegen, ist vergleichsweise touristisch. Im teils verkehrsberuhigten Zentrum stehen lauter restaurierte oder neu gebaute Häuser aus Stein. Zahlreiche Geschäfte bieten Spezereien der Region feil. Honig, Walnüsse, Bergtee, Kräuter, auch Geschnitztes aus Holz. Die Städter werden herbeigesehnt. Busweise bevölkern sie als Tagestouristen an den Wochenenden kurzzeitig den Ort und beehren die zahlreichen Gasthäuser. Ansonsten geht es auch hier ruhig zu. Wie eigentlich alle Bergorte leidet auch Vytína an der Abwanderung. Laut Wikipedia schrumpfte die Einwohnerzahl zwischen 2001 und 2012 um ein Drittel von knapp 1000 auf etwa 670 Einwohner. Außerhalb des touristischen Kerns sind viele Häuser dem Verfall preisgegeben.

Balkon an altem Landhaus
E4-Wanderweg, Peloponnes, ©Doris Wieler

Es ist wohl vor allem ein Wintersportort. Von hier aus lassen sich die Skilifte – zwischen 1600 und 1900 Meter Höhe gelegen – im Ménalo-Gebirge gut erreichen.

Der Wettergott in Gestalt einer – in dem Fall – verlässlichen Wetter-App sagt für den nächsten Tag ab Mittag heftige Gewitter und Regen voraus. Wir tun gut daran, einen Tag Pause einzulegen. Zudem wechseln wir für die zweite Nacht das Quartier. Gewitter und Regen setzen ein wie angekündigt. Wir erholen uns währenddessen in unseren gemütlichen Zimmern des Archontikó Nikolópoulou.

Gericht Loukoumadesmemeli
E4-Wanderweg, Peloponnes, ©Doris Wieler

Nun haben wir Zeit für einen ausgiebigen Gang durch den Ort. Und für den Besuch des Lokals Loukoumádes me méli, wo wir die im Lokal-Namen genannte Köstlichkeit genießen – frittierte Hefebällchen mit Honig und Zimt. Und für einen Restaurantbesuch am zweiten Abend im sehr lohnenden Lokal To koutoúki tou Giánni. Das Essen ist köstlich und – es wird nicht geraucht. Obwohl es dazu auch in Griechenland ein entsprechendes Gesetz gibt, findet es nicht allzu oft Berücksichtigung.

Wie glücklich sind wir über die neue Wegführung von Etappe 6 durch das Ménalo-Gebirge! Statt Asphalt erwarten uns atemberaubende, geheimnisvolle Wege und Pfade. Dichte Laub- und Nadelwälder. Schaf- oder Ziegenfleisch als Futter für Kolkraben. Moose. Flechten. Orangeleuchtende Pilze. Orchideen. Lichtungen. Saftige Wiesen. Schattenwald mit kleinen Lichtreflexen. Einsamkeit. Stille. Auf 1700 Metern, am höchsten Punkt unserer Tour, legen wir eine kurze Pause bei eisigen Winden ein. Kahle Gipfel. Narben des Skitourismus. Gebaute kleine Schanzen für die Mountainbiker des in Trípolis ansässigen Clubs.

krinofita blumen
E4-Wanderweg, Peloponnes, ©Doris Wieler

Erschöpft erreichen wir am Nachmittag Kardarás. Wohl nur ein Wintersportort. Wir finden weder eine offene Herberge noch eine Möglichkeit, Kaffee zu trinken. Die letzten Asphaltkilometer schleppen wir uns bis zur Hauptverkehrsstraße, überglücklich, dort auf eine Art Raststätte zu treffen, das „Chalet Mainalon“. Das haben wir nahezu für uns alleine. Ein gigantisch großes Restaurant, ausgelegt für Busgesellschaften. Es gibt leckeren Kaffee, Milchreis mit Zimt, und die Möglichkeit, regionale Produkte einzukaufen. Nudeln, Käse, Halvás, Kräuter, Honig … Wir widerstehen den zahlreichen Versuchungen und verlassen den Ort mit genauso leichtem Gepäck wie zuvor und fahren per Taxi ins Städtchen Levídi. Mit dem Avstraló, dem Australier. So wird er genannt, weil er einst dort gelebt hat. Die auf der E4-Webseite gelisteten Telefonnummern der Taxifahrer an der Strecke sind auch heute wieder Gold wert.

altes verlassenes Haus
E4-Wanderweg, Peloponnes, ©Doris Wieler

Zudem bleibt uns die Suche nach einer Unterkunft erspart. In Levídi werden wir sogleich vor dem Hotel Ártemis abgesetzt. Die völlig überrumpelte Gastgeberin begrüßt uns dennoch so herzlich, als hätte sie uns bereits erwartet. Dabei steckt sie mitten in Renovierungsarbeiten des Frühstücks- und Gastraumes. Ahnungslos beziehen wir riesige, noble Appartement-Räume. Als wir die Fensterläden öffnen und auf Balkone treten, die über einem Abhang schweben, sind wir sprachlos. Uns bietet sich ein grandioses 180-Grad-Panorama auf den Ort, auf eine dahinterliegende fruchtbare Ebene und die Berge. Von der Eingangsseite des Hotels ist dies nicht zu erahnen. Ewig hier sitzen, staunen und schauen … Wie gerne hätte ich noch ein paar Tage verlängert.

Dennoch wandern wir am nächsten Tag weiter, von Kápsia aus. Bis zur Kirche Ágios Geórgios geht es immer leicht bergan, über Blumenwiesen. Vorbei an einzelnen Büschen und Bäumen. Erneute und immer wieder wunderbare Weitblicke. Und wie auf der ganzen Strecke: keine Menschen, außer vereinzelt hier oder da ein Schäfer mit Schafen, Ziegen und Hütehunden.

Bienenstöcke auf einer Wiese
E4-Wanderweg, Peloponnes, ©Doris Wieler

Etwas mulmig ist uns bei der Vorstellung, die heutige Etappe in einer Stadt enden zu lassen. Mitten aus der Einsamkeit landen wir in der Universitätsstadt Trípolis. Fußgängerzone, Geschäfte, auffallend viele Bäckereien. Wir nächtigen im Traditionshotel Anaktorikón, mitten im verkehrsberuhigten Zentrum. Schlichte Zimmer, schöner Frühstücksraum, gutes Frühstück. Unsere Sorgen sind unbegründet. Es geht auch in dieser Stadt geruhsam zu.

Wie empfohlen, lassen wir uns für die 8.Tagesetappe nach Psilí Vríssi chauffieren. Eine fließend englisch parlierende Dame – gerade auf ihrem Grundstück beschäftigt – freut sich über die Abwechslung, hält gerne ein Schwätzchen und weist uns den richtigen Einstieg in die Tour. Zartgrünes Kastanienlaub und blühende Kiefern begrüßen uns. An den Kirschbäumen hängen schon kleine grüne Früchte. Wir blicken auf das in der fernen Ebene liegende Trípolis. Im nahezu ausgestorbenen Bergdorf Ano Dolianá begrüßt uns die 84jährige Wirtin der Taverne O Plátanos – ihr Mann ist vor einem Jahr verstorben. Wir genießen den Schatten, einen leckeren kafé ellinikó und ein Gespräch mit der Kyría. Sie schwärmt vom köstlichen Quellwasser, der guten Luft, der Stille. Und versteht nicht, warum alle weg wollen. Ein Barbier verrichtet zumindest noch gelegentlich seinen Dienst. Tanzend wandern wir weiter, begleitet von traditioneller griechischer Musik, die aus einem auf einem Balkon montierten Megaphon scheppert. Lange noch schallt sie uns hinterher…

Wand mit Frieseurwerkzeug
E4-Wanderweg, Peloponnes, ©Doris Wieler

Nach gut 20 Kilometern Strecke gilt unser vorrangiges Interesse – an unserem Zielort Ágios Pétros – zunächst einem Kaffee auf der Platía. Als wir bezahlen wollen, erfahren wir, dass unsere Rechnung bereits von zwei anderen Gästen beglichen worden ist. Sie sind schon gegangen. Wir treffen sie später wieder, im einzigen Hotel des Ortes, Hotel Párnon, in dem wir alle nächtigen. Die Herren sind Begleitpersonen einer riesigen, munter pubertierenden Schulklasse. Die Nacht gestaltet sich dadurch ausnahmsweise etwas lebhafter. Unser Abendessen genießen wir zuvor – als einzige Gäste – in einer der Tavernen am Platze, O Ágios Pétros, sehr herzlich betreut von der aus Bulgarien stammenden Wirtin Maria.

Am nächsten Tag liegt mit 9 Kilometern Weg bis Kariés ein entspannter Spaziergang vor uns. Dort empfängt uns eine lebendige, wunderschöne Platía. Die Menschen zeigen sich offen. Unsere Appartements im Gästehaus Ta Pétrina gefallen uns bestens. Wir können nicht anders und bauen spontan noch einen weiteren Tag Pause ein. Was für ein Glück.

Bauwerk mit Frauensäulen
E4-Wanderweg, Peloponnes, ©Doris Wieler

So bleibt uns Zeit, den großen Ort mit Ober- und Unterdorf, mit seinen wunderschönen, historischen Steinhäusern genauer anzusehen. Die Schule wird noch von 20 Kindern besucht. Wir entdecken einen Nachbau des Eréchtheio mit seinen Karyatídes, die tapfer die schwere Decke tragen. Der Legende nach stellen sie einst versklavte Frauen des Ortes Kariés dar. Das wesentlich größere Original lässt sich auf der Athener Akropolis bewundern. Und wir treffen noch auf einen weiteren magischen Ort: eine Kirche mit vorbeifließendem Bächlein und drei uralten Platanen. An den beiden Abenden haben wir die Gelegenheit, zumindest zwei der Lokale des Ortes auszuprobieren. Eines besser als das andere.

So schöpfen wir hier in Kariés die nötige Kraft für unsere letzte Etappe, mit 27 Kilometern die längste. Nach den ersten 10 Kilometern legen wir in Vrésthena nochmal eine ausgiebige Pause ein. Erst in einem Café, dann auf der schattigen Platía. Dort plätschert ein Quellwasserbrunnen.

drei Wanderer unterwegs
E4-Wanderweg, Peloponnes, ©Doris Wieler

Im Anschluss wandern wir über längere Strecken barfuß oder mit Badeschlappen im Fluss oder durch unwegsames Gelände entlang des Ufers. Es ist anstrengend und unbeschreiblich schön. Eine urwüchsige Landschaft breitet sich vor uns aus. Nichts als rauschendes Wasser, Schildkröten und wir. Keine Menschenseele weit und breit, nur viel Wald mit jahrhundertealten Bäumen.

Wir lassen sie in Selássia enden, etwas westlich des E4-Weges. Noch bevor wir im Zentrum ankommen, hält ein Grieche auf seiner Vespa. Er bietet uns seine Appartements an, die außerhalb des eigentlichen Ortes liegen. Wir sind so erschöpft und müde, dass wir uns nicht vorstellen können, für das Abendessen noch irgendeinen Meter zu gehen. Wir schauen uns die Unterkünfte trotzdem an. An Ort und Stelle warten wir am Straßenrand, bis uns der nette Vermieter dort einsammelt und wir zur traumhaft gelegenen Appartementanlage To Sélas fahren.

Wander- und Radfahrerschild an einem Baum
E4-Wanderweg, Peloponnes, ©Doris Wieler

Wir dürfen uns in großzügig geschnittenen Appartements einquartieren. Mit Logen-Blick auf das Taígetos – Gebirge samt der mittelalterlichen Ruinenstadt Mistrá, auf die Stadt Spárti in der Ebene unten und das Dorf Selássia. Um die Anlage herum wachsen Artischocken, Salbei, Lavendel und viele neu gepflanzte Olivenbäume. In der Dunkelheit funkeln die Lichter der Weiler mit den Sternen um die Wette. Für den Weg zum Abendessen überlässt uns der Vermieter großzügig sein Auto. Das Frühstück am nächsten Morgen nehmen wir auf unserer Terrasse zu uns. Wir sitzen wie auf einem Thron und genießen ein letztes Mal die gigantischen Weitblicke, bevor uns der Vermieter zum Busbahnhof ins quirlige Spárti fährt.

Eine atemberaubende Busfahrt mit einem zum Glück sehr umsichtigen Fahrer bringt uns – mit Umstieg in Artemísia – über den Langáda-Pass durch das Taígetos – Gebirge bis nach Kalamáta.

Dort lassen wir unsere unbeschreiblich schöne Wandertour am Abend bei live gespielter Rembétiko-Musik ausklingen. Auf einer Platía, die wie ein Wohnzimmer wirkt. Kalamáta ist einen eigenen Urlaub wert, aber das ist eine andere Geschichte …

Text: Doris Wieler. Fotos: Doris Wieler (Weitblick-Reisen).

Dieser Beitrag ist auch verfügbar auf: Ελληνικά (Griechisch)

12 Gedanken zu „Balsam für die Sinne“

  1. Hallo Doris Wieler,
    danke für die schöne Beschreibung der Wanderung auf dem E4 durch den Peloponnes. Ich wollte vor zwei Jahren die Tour schon machen, aber leider fanden sich nicht genügend Mitwanderer. Aber vielleicht ist dies ein neuen Anlauf wert.
    Rolf

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  2. Vielen Dank für diesen sehr wertvollen Beitrag! Du hast vieles auf den Punkt gebracht worauf es wirklich ankommt. Auseinandersetzung mit Land und Leuten und nicht ein Abhaken von möglichst vielen Reisekilometern ohne auszusteigen, ohne und sich umzuschauen. In authentischen Kontakt zu kommen mit Leuten die in den letzten Jahren von den grossen Medien nahezu verunglimpft wurden. Sie zu erleben wie sie nämlich auch heute noch sind: gastfreundlich, offenherzig, hilfsbereit. Und all dies in einer wunderschönen, zum Teil noch sehr ursprünglichen Natur.
    Auf dass noch viele Leute solch tolle Erlebnisse haben wie du und deine Mitwanderer- und Wanderinnen – daran arbeiten wir 🙂 Rolf, Griechenland, http://www.e4-peloponnes.info

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  3. Kalimera, ja super schöner Bericht (mit tollen Fotos). Ich war im Juni 2014 auf den Spuren von Patrick Leigh Fermer in der Inneren und Äußeren Mani untererwegs.

    Ein Freund von mir hat ein Haus in der Nähe von Kalamata, das war sozusagen die Basis. Mit dem Auto dann Tagesausflüge zu den Wanderzielen unternommen, wie z.B die Rindomo-Schlucht.

    Mir hat der Rother-Wanderführer sehr geholfen: https://www.buecher.de/shop/europa/peloponnes/engel-hartmut/products_products/detail/prod_id/40131263/

    Die Anavasi-Karten sind einfach Topp: https://www.anavasi.gr/products.php?lang=en&id=2&map_type=&area=14

    In den letzten Tagen sind im Internet supertolle Peloponnes-Reiseberichte erschienen.

    https://www.edeltrips.com/reiseberichte/griechenland-peloponnes/mani/

    https://www.edeltrips.com/reiseberichte/griechenland-peloponnes/

    https://www.edeltrips.com/reiseberichte/griechenland-peloponnes/olympia-bis-delphi/

    vg, kv

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  4. Liebe Doris Wieler,
    der Bericht ist ein sehr schöner. Die Achtsamkeit und Lebensfreude, mit der Griechenland erlebt wurde, weckt Träume und Hoffnungen, das Reisen zum Verstehen und Überwinden von Spannungen beiträgt.

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  5. Liebe Doris,
    nach Rücken-OP und REHA komme ich erst jetzt dazu, deinen wunderbaren Reisebericht zu lesen, danke, schon das Lesen ist ein Genuss ;))
    Jetzt, wo ich wieder schmerzfrei laufen kann, könnte ich mir so einen Wanderurlaub vorstellen – vielleicht eine Nummer kleiner ;))

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  6. Hallo,
    vielleicht kann mir einer von den erfahrenen Wanderern bei meinem Problem helfe? Bin kurz vor Verzweiflung. Ich bin gar nicht wandererfahren, aber will unbedingt zum Mavronera Fluss (schwarzes Wasser) im Chelmos Hochgebirge, es liegt in der Landschaft Achaia. Am besten erreichbar von den Orten, Messorougi, Solos bzw. Nonakris. Irgendwie ist es wohl auch vom Nationalpark Helmos gut erreichbar. Diese ganzen Infos habe ich aus den unterschiedlichsten Internet Quellen zusammengesammelt. Leider komme ich nicht weiter, ich finde keine Möglichkeit für die Anreise- Abreise oder Unterkünfte, obwohl es laut Berichte möglich ist. Kein Veranstalter kann mir mit diesem Baustein helfen?! Meine Frage / Bitte, kann mir jemand sagen, ob es machbar ist, da anzukommen?! Es wäre für mich sehr sehr wichtig, es zu schaffen! Herzlichen DAnk für jede Hilfe. Viele Grüße Eylem (weiblich)

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  7. Hallo! Mit Interesse hab ich Euren Bericht über den E4 am Pelloponnes gelesen. Ich möchte eventuell nächstes Frühjahr oder Frühsommer gehen. Seid Ihr immer am E4 geblieben? Ich möchte auch den höchsten Berg mitmachen, allerdings auch zwischendurch gerne mal an die Küste. Eure Strecke kommt mir so wenig vor. Ich dachte, der E4 ist länger da. Habt Ihr eine genaue Routenaufzeichnung? Vielen Dank im Voraus für die Beantwortung meiner Fragen!
    Lg Petra

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    • Liebe Petra,
      wir sind tatsächlich immer genau der Strecke des E4 gefolgt. Bis nach Selassia, kurz vor Sparta. Von Sparta ging es dann weiter per Bus nach Kalamata. Der dortige Stadtstrand ist nicht schlecht und in Kombi mit einem kleinen Städteurlaub sehr zu empfehlen.
      Wir haben auf unserer Strecke zweimal einen Tag Pause eingelegt, einmal weil es stark regnete, ein zweites Mal, weil es so schön war, und wir nicht wieder weg wollten. Es ging uns nicht darum, möglichst viele Kilometer zurückzulegen, sondern auch darum, einfach die Landschaft, die Natur, die Begegnung mit den Menschen zu genießen.
      Im Übrigen ist die Strecke immer wieder auch anstrengend, da einige Höhenmeter überwunden werden oder sich die schmalen, steinigen wunderschönen Pfade nicht so schnell gehen lassen. Je nach Wandertyp plant die eine mehr, der andere weniger Zeit für bestimmte Distanzen.
      Rolf Roost gibt in seinem Büchlein auch viel hilfreiche Tipps für die Wanderstrecken. Oder aber Du liest die Kommentare auf seiner Webseite über den E4.
      Da erfährst Du, daß andere auch längere Distanzen gehen. Wie gesagt: das ist Geschmacksache.
      Viel Erfolg bei der Planung und dann vor allem beim Wandern wünscht Dir Doris

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