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Apropos „Pleite-Griechen“: Unser neues Redaktionsmitglied Joana Papageorgiou stellt die wichtigsten Ergebnisse ihrer Studie „Griechenland-Stereotype in der deutschen Presse. Die Berichterstattung über die griechische EU-Ratspräsidentschaft im Kontext der Krise“ vor. Darin reflektiert sie über die Bedeutung von Stereotypen für Griechenland und wie man dem Negativ-Image entgegenwirken kann. Ihre Masterarbeit wurde im Dezember 2014 im Studiengang Medien und Politische Kommunikation an der Freien Universität Berlin eingereicht.
Vor einigen Monaten bedankte sich ein „Bild“-Journalist für die Menschlichkeit, die Griechenland im Umgang mit den Flüchtlingen beweist. Der Artikel stellt dar, „Warum Europa auf diese Griechen stolz sein sollte!“ – so die vielversprechende Überschrift. Dennoch kommt er nicht ohne einen sofortigen Hinweis auf die Eurokrise aus sowie „dass Griechenland strukturell marode ist“.

Die ungewohnt lobenden Töne erhalten einen bitteren Beigeschmack, wenn man weiß, dass der Verfasser dieser Zeilen maßgeblich zur Etablierung des Begriffs „Pleite-Griechen“ beigetragen hat. Noch mehr, wenn man weiß, dass die Bild-Zeitung nachweislich weniger Journalismus als gezielte Politkampagnen nach dem Freund-Feind-Schema betreibt.1 Vor allem aber ist der Beitrag eines von zahlreichen Beispielen für ein neues, scheinbar allgegenwärtiges Griechenland-Image. Es wirkt, als hätte sich dem früheren Ouzo-Inseln-und-Sirtaki-Bild eine Reihe von krisenassoziierten Stereotypen hinzugesellt, die unabhängig vom Kernthema immer wieder ihren Weg in die Berichterstattung über Griechenland finden.
Stereotype sind unangenehm, Vorurteile gefährlich
Was aber genau versteht man unter einem Stereotyp? Es handelt sich um eine bestimmte Form von Einstellungen, die besonders dauerhaft und veränderungsresistent ist. Stereotype sind meist negativ gefärbt und werten eine Fremdgruppe, das heißt „die anderen“, ab. Gleichzeitig werten sie die Eigengruppe auf und sichern so die eigene gesellschaftliche Stellung. Obwohl der Wahrheitsgehalt von Stereotypen eher gering ist, besitzen sie eine gewisse Plausibilität, eine ‚Pseudo-Realität‘. Dies ist es, was sie so salonfähig macht.
Gefährlich werden Stereotype, wenn sie vorurteilshafte Ausprägungen annehmen. Vorurteile werden „als Urteile vor der Erfahrung“ gebildet und sind aus diesem Grund meist falsch. Sie unterstellen ein feindliches Handlungspotenzial, suggerieren entsprechende Reaktionen und dienen der Aggressionsabfuhr. Man erkennt sie an Verhaltensweisen wie Misstrauen, Schuldzuschiebung oder Empathieverweigerung.
Die Frage, die sich aufdrängt
Zurück zum Beispiel des „Bild“-Artikels über die Flüchtlinge in der Ägäis: Hat nun die Art und Weise, wie die deutsche Presse über Griechenlands Krise berichtet, einen Einfluss auf die Behandlung anderer Griechenland-Themen? Weil ein Journalist zahlreiche, uns unbekannte Gründe für seine Art der Berichterstattung haben kann, fällt die Antwort darauf niemals eindeutig aus. Man kann sich ihr jedoch durch qualitative, systematische Vergleiche nähern. Die Forschungsfrage meiner Masterarbeit lautete daher: Welche Unterschiede existieren in der journalistischen Stereotypisierung Griechenlands zum Ereignis der griechischen EU-Ratspräsidentschaft vor und während der Krise?

Für die Untersuchung habe ich als krisenunabhängiges Thema Griechenlands Vorsitze im Rat der Europäischen Union 2003 (vor der Krise) und 2014 (während der Krise) gewählt. Noch vor der eigentlichen Inhaltsanalyse filterte ich in einer Voranalyse aus sämtlichen relevanten Studien die bereits erforschten griechischen Stereotype heraus. Ich unterschied sie danach, ob sie vor oder während der Krise in der deutschen Berichterstattung auftraten. Schon hier offenbarte sich eine deutliche Zunahme von griechischen Stereotypen in der Krisenberichterstattung gegenüber der allgemeinen Vor-Krisenberichterstattung. Auf dieser Basis verglich ich dann Artikel der Süddeutschen Zeitung, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der Bild-Zeitung aus den beiden Zeiträumen miteinander.
Mehr Stereotype, mehr Stereotypisierungen
Nach meinen eigenen Erkenntnissen richten deutsche Journalisten ihre Zuschreibungen entweder an die Griechen (Personenebene), an ganz Griechenland (Landesebene) oder die Hellenische Republik (Systemebene). Auch inhaltlich konnte ich die Stereotype voneinander abgrenzen. Sie spiegeln implizite Ansprüche bzw. Erwartungen an den Charakter, die Entwicklung oder die Leistung der jeweiligen Bezugsebene wider. Im Laufe der Analyse kamen auch neue griechische Stereotype zum Vorschein, die in anderen wissenschaftlichen Arbeiten bislang nicht benannt worden waren. Ein wichtiges Ergebnis meiner Studie ist daher ein multidimensionales Kategoriensystem mit insgesamt 24 vermeintlich griechischen Charakteristika.
Darüber hinaus deuten die quantitativen Daten auf einen Einfluss der Krisenberichterstattung auf die Ratspräsidentschaftsberichterstattung von 2014 hin. So scheinen insgesamt mehr unterschiedliche Stereotype zu kursieren. 2014 verarbeiten Journalisten bereits 17 der von mir identifizierten 24 Stereotype in ihren Artikeln, während es 2003 lediglich 10 sind.

Auch die Häufigkeit, mit der in die Stereotypenkiste gegriffen wird, hat zugenommen. Die untersuchte deutsche Berichterstattung zur letzten EU-Ratspräsidentschaft enthält mehr stereotype Bewertungen und stereotypenverstärkende Formulierungen als noch 2003.

Was schon meine Voranalyse der relevanten wissenschaftlichen Beiträge gezeigt hat, bestätigt sich damit auch im konkreten Fall der EU-Ratspräsidentschaft: die Zunahme von griechischen Stereotypen während der Krise im Vergleich zur Griechenland-Berichterstattung vor der Krise. Dies unterstützt die eingangs gestellte Vermutung, dass es sich bei der Krise bzw. der entsprechenden Berichterstattung um einen entscheidenden Einflussfaktor dafür handelt, wie über Griechenland-Themen auch abseits der Krise geschrieben wird.
Die Menschen werden zur Zielscheibe
Weitere Erkenntnisse habe ich anhand der Bezugsobjekte gewonnen. Sowohl zum griechischen EU-Ratsvorsitz 2003 als auch zur Amtsperiode 2014 wird am häufigsten auf der Systemebene stereotypisiert. Dies ist nicht weiter verwunderlich, da es sich um ein politisches Thema handelt, bei dem der Staat, die Hellenische Republik, als Akteur im Vordergrund steht. Bemerkenswert ist hingegen die Zunahme von Stereotypisierungen auf der Personenebene. Den Griechen, das heißt den griechischen Bürgern, werden 2014 in der Berichterstattung deutlich mehr stereotype Eigenschaften zugewiesen, als noch im Jahr 2003.

Der Charakter der Griechen und der Hellenischen Republik ist in beiden Zeiträumen ein beliebtes Ziel für Stereotypisierungen. 2014 konzentrieren sich die Journalisten zusätzlich besonders auf die Leistung und drücken somit ihre enttäuschten Erwartungen aus. Grund zur Sorge liefert die Tatsache, dass die Berichterstattung 2014 erstmalig Stereotype mit vorurteilshaften Ausprägungen verbreitet und den Eindruck einer Bedrohung der Europäischen Union durch die Hellenische Republik entstehen lässt. Die gute Nachricht lautet: Trotz zahlreicher Stereotypenfunde überwiegt innerhalb der einzelnen untersuchten Artikel eine sachliche Berichterstattung über die griechische EU-Ratspräsidentschaft.
Die Macht von Stereotypen
Eine so stark von Stereotypen geprägte Wahrnehmung Griechenlands ist nicht nur eine Konsequenz der Krise, sondern verursacht ihrerseits zusätzlichen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Schaden. Sie beeinflusst nicht nur Griechenland-Touristen und Handelspartner Griechenlands, sondern auch wichtige Entscheidungsträger der EU-Politik. Massenmedien bereiten solche Spannungen redaktionell auf und machen sie einem noch größeren Publikum zugänglich. Die Inhalte der stereotypen Berichterstattung über Griechenland sind daher sehr ernst zu nehmen und ihre Wirkung ist enorm.
So bedient der eingangs diskutierte Seitenhieb im Artikel der Bild-Zeitung beispielsweise das Stereotyp der griechischen ‚Inkompetenz‘ oder des griechischen ‚Versagens‘. Der Verfasser bezieht sich mit dem Wort „Griechenland“ auf die Landesebene, das heißt auf den griechischen Raum, die Kultur, die gesamte Gesellschaft. So breit dieser Geltungsbereich ist, so bedenklich ist auch diese Verallgemeinerung.
Die Chance der jungen Generation
Indem Stereotype ständig, selbst beiläufig von den Medien aufgegriffen werden, verfestigen sie sich im kollektiven Bewusstsein. Was gegen solche Mechanismen hilft, ist zunächst einmal, sie sichtbar zu machen. Viele Wissenschaftler haben seit Beginn der Krise wertvolle Studien zu diesem Zweck geliefert.2 Darüber hinaus kann man die Funktionsweise von Stereotypen auch als konstruktive Kraft nutzen. Wie das?

Griechenland erschöpft sich weder in Krise, Pleite und Versagen noch in Ouzo, Inseln und Sirtaki. Ich persönlich erlebe Griechenland seit einiger Zeit als sprudelnde Quelle von Kreativität, Modernität und Produktivität. Sie wird zu einem großen Teil aus den schwierigen Verhältnissen am Arbeitsmarkt gespeist. Unter den insbesondere jungen Unternehmern und Künstlern sind auch solche, die sich bewusst dafür einsetzen, der Welt nicht länger das verstaubte Griechenland-Image der Sechzigerjahre zu präsentieren, nur um touristischen Erwartungen gerecht zu werden.

Stereotype – ob negative oder positive – werden so wie alle Einstellungen nicht nur durch eigene Erfahrungen, sondern vor allem durch medial oder persönlich vermittelte Erfahrungen und in langfristigen Lernprozessen erworben. Positive griechische Attribute wie solche, die die aktuelle Entwicklung in Griechenland zutage fördert, lassen sich daher ebenfalls im kollektiven Bewusstsein verfestigen. Sie müssen lediglich konsequent und wiederholt vermittelt werden. Über Massenmedien, Veranstaltungen3 aber auch im individuellen Kontakt. Offiziell fällt dies in den Aufgabenbereich der staatlichen Public Diplomacy. Sowohl auf griechischer als auch auf deutscher Seite gibt es jedoch Graswurzelbewegungen, die denselben Zweck verfolgen.4 Fest steht: Die junge Generation Griechenlands hat das Potenzial, zu einem neuen und positiveren Nationenimage beizutragen. Mit einer strategischen und breit angelegten Öffentlichkeitsarbeit kann sich auch ein größeres Publikum davon überzeugen.
(1) Arlt, Hans-Jürgen/Storz, Wolfgang (2011): Drucksache „Bild“ – Eine Marke und ihre Mägde. Die „Bild“-Darstellung der Griechenland- und Eurokrise 2010. Frankfurt a.M.: Otto Brenner Stiftung.
(2) z. B. Antoniades, Andreas (2012): At the Eye of the Cyclone: The Greek Crisis in Global Media. Athen: ACIPE.
Bickes, Hans/Butulussi, Eleni/Otten, Tina/Schendel, Janina/Sdroulia, Amalia/Steinhoff, Alexander (2012): Die Dynamik der Konstruktion von Differenz und Feindseligkeit am Beispiel der Finanzkrise Griechenlands: Hört beim Geld die Freundschaft auf? Kritisch-diskursanalytische Untersuchungen der Berichterstattung ausgewählter deutscher und griechischer Medien. München: Iudicium.
Mylonas, Yiannis (2012): Media and the Economic Crisis of the EU: The ‘Culturalization’ of a Systemic Crisis and Bild-Zeitung’s Framing of Greece. In: TripleC, Bd. 10, Nr. 2, 2012, S. 646-671.
Tzogopoulos, George (2013): The Greek Crisis in the Media: Stereotyping in the International Press. Farnham [u.a.]: Ashgate.
(3) z. B. Hellas Filmbox Berlin, Greece Germany Business Forum
(4) z. B. We are the Pigs, Omikron Project
Text: Joana Papageorgiou. Fotos: GNB, Joana Papageorgiou.
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