Iakovos Kambanellis’ Werk in Wien

und die Werkschau „Hundert Künstlerinnen und Künstler - Hundert Kunstwerke der Freiheit“

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Elena Strubakis präsentiert in Kooperation mit der Diplomatischen Akademie vom 22. bis zum 24. Juli 2021 zu Ehren von Iakovos Kambanellis und seinem einzigen Prosawerk ein weiteres künstlerisches Projekt mit hundert bildenden Künstlerinnen und Künstlern.

Iakovos Kambanellis (1921-2011) ist dem breiteren Publikum durch die Vertonung seiner Gedichte durch Mikis Theodorakis bekannt, insbesondere durch die berühmte „Mauthausen-Kantate“.

Als junger Mann wurde Kambanellis 1943 beim Versuch, aus dem von der Wehrmacht besetzten Griechenland in die Schweiz zu fliehen, in Österreich verhaftet und mit der Häftlingsnummer 10205 ins österreichische Konzentrationslager Mauthausen verbracht. Bis zum 5. Mai 1945 blieb er dort gefangen, als US-amerikanische Truppen das KZ stürmten und die Häftlinge befreiten.

Die einschlägige Literatur endet meist mit der Befreiung. Anders bei Kambanellis, seine Aufzeichnungen beginnen erst mit diesem Tag. Er beschreibt die Zeit danach: Frauen, Männer und Kinder mussten im Lager weiterhin ausharren, weil keine Transportmittel zur Verfügung standen und weil sie in ihrem desolaten Zustand eine Reise nicht überlebt hätten.

Schwarzweissporträt und Buchtitel
Der junge Iakovos Kambanellis ©Albin Michel // Die erste Ausgabe von „Mauthausen“, 1963 ©Kedros Verlag

Kambanellis berichtet in seinem Buch auch von den Reaktionen der Bevölkerung in den umliegenden Dörfern und schildert den Weg in den Alltag. Die Griechinnen und Griechen des Lagers hatten ihn zu ihrem Delegierten für das internationale Lagerkomitee ernannt, er verhandelte mit den Befreiern. 150 jüdische Griechinnen, die trotz des Verbots der Briten nach Palästina wollten, baten ihn, sie nicht allein zu lassen, nicht vor ihnen aufzubrechen. Gemeinsam mit ihnen flüchtete er schließlich heimlich in Lkws, deren Ladung als „Kartoffeln“ deklariert war. Nach seiner Rückkehr nach Athen schrieb Kambanellis Theaterstücke und wurde zu einem der bedeutendsten Bühnen- und Filmautoren Griechenlands. Dieses Jahr feiert Griechenland den 100. Geburtstag des „Vaters des neugriechischen Theaters“, das Ministerium für Kultur und Sport hat das Jahr 2022 zum „Iakovos Kambanellis-Jahr“ erklärt.

Erst 1963 publizierte Kambanellis seine Erinnerungen unter dem schlichten Titel „Mauthausen“. Eine überarbeitete Fassung erschien 1995, insgesamt erschienen beim Kedros Verlag mehr als 30 Auflagen. Sein einziges Prosawerk wurde in viele Sprachen übersetzt, erst 2010, fast fünfzig Jahre später, erschien die deutsche Ausgabe in der Übersetzung von Elena Strubakis unter dem Titel „Die Freiheit kam im Mai“ im Wiener Ephelant Verlag.

Christian Angerer von der Gedenkstätte Mauthausen hatte mit Nina Aichberger Unterrichtsmaterialien erstellt, die an das Kapitel „Ein Staat ohne Grenzen“ angelehnt waren. Elena Strubakis gestaltete gemeinsam mit ihm ein „Lehrbuch für Jung und Alt“. Sie erweiterten die Materialien, fügten Fragen und weitere Informationen hinzu, bereicherten sie mit der wunderbaren Lyrik von Kambanellis‘ „Mauthausen-Kantate“ und schlossen die acht Bilder mit ein, die Strubakis  während der Übersetzung gemalt hatte. Das Buch erschien unter dem Titel „Gute Zeichen“.

Frauenporträt und Buchtitel
Elena Strubakis//Umschlag von „Gute Zeichen“, 2018, Ephelant Verlag Wien, beides ©Elena Strubakis

Die positive Resonanz darauf veranlasste Elena Strubakis weiterzuarbeiten. Nun sollten andere bildende Künstlerinnen und Künstler zu „Erzählerinnen“ und „Erzählern“ des Prosawerkes werden. Sie lud Kolleg:innen aus dem deutschsprachigen Raum ein, mitzuwirken: Sie sollten das gesamte Buch bildnerisch umsetzen.

Es ist nicht das erste Großprojekt von Elena Strubakis zu diesem Thema. Bereits am 7. Oktober 2018 hatte sie zusammen mit Prof. Dr. Franz Richard Reiter die „Marathonkonzertlesung” auf dem Wiener Stephansplatz in einem Zelt veranstaltet. 100 Persönlichkeiten lasen damals in über 14 Stunden das gesamte Buch. Der ORF besorgte den Livestream.

Toreinfahrt und Poster
Portal der Diplomatischen Akademie Wien // Vorankündigung der Werkschau, beides ©Elena Strubakis

Der Einladung zum jetzigen Projekt folgten Künstlerinnen und Künstler sowie Schülerinnen und Schüler mit großem Engagement und Begeisterung. Die berühmte Fotografin Lisl Steiner, der Philhellene, Übersetzer und Maler Otto Staininger, die auch als Model bekannte Malerin Britta Dion zeigen neben vielen anderen ein Bild zu je einer Passage. Die verbildlichte Erzählung von Kambanellis´ Buch wird nun vom 22. bis zum 24. Juli 2021 als multimediale Werkschau in der Diplomatischen Akademie Wien erstmals dem Publikum gezeigt. Die gemeinschaftliche Präsentation von rund 100 Kunstwerken an einem Ort zum Thema Nationalsozialismus und KZ Mauthausen ist ein Novum. Das Event „Hundert  Künstlerinnen und Künstler – Hundert Kunstwerke der Freiheit“ steht unter der Ägide von Kardinal Christoph Schönborn, Oberrabbiner Jaron Engelmayer, Bischof Michael Chalupka und Metropolit Arsenios Kardamakis.

Elena Strubakis, geboren 1963 in Wien, ist seit ihrer Kindheit künstlerisch tätig und wurde von Oskar Kokoschka unterrichtet. Mit 12 Jahren zog sie zu ihrer Familie nach Griechenland. Dort eignete sie sich die Techniken der Ikonenmalerei an. Zurück in Wien studierte sie Architektur und arbeitete im Bereich Entwurf im öffentlichen Bau und später als funktionale Planerin. Als Architektin wurde Elena Strubakis international bekannt durch ihre innovativen Planungen von Krankenhäusern, als bildende Künstlerin hingegen für ihre großflächigen Werke in Öl, die sie später zu Zyklen formte, wie es ihr Oswald Oberhuber beigebracht hatte. Für die Übertragung von Kambanellis´ „Mauthausen“ ins Deutsche, das unter dem Titel „Die Freiheit kam im Mai“ erschien, erhielt sie 2010 eine Übersetzungsprämie des Österreichischen Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur als „Auszeichnung für die besonders gelungene literarische Übersetzung”.

Text: A. Tsingas. Fotos: Albin Michel, Kedros Verlag, Elena Strubakis.

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1 Gedanke zu „Iakovos Kambanellis’ Werk in Wien“

  1. Die Freiheit kam im Mai

    von Horst Möller

    Auf der Flucht aus seinem von den Deutschen besetzten Heimatland wurde Iakovos Kambanellis vor Erreichen der Grenze zur Schweiz in Österreich gefasst, geriet in die Fänge der Gestapo und landete im KZ Mauthausen. Da war er, am 3. Dezember 1922 auf Naxos geboren, einundzwanzig Jahre alt. Ihn beherrschte ein unbändiger Überlebenswille. Fürsorgliche Leidensgefährten halfen. Nach dem 5. Mai 1945, der Befreiung des Konzentrationslagers durch die Alliierten, bestimmten ihn seine Landsleute zu ihrem Sprecher. Die Schilderung der folgenden drei Monate bis zur gemeinsamen abenteuerlichen Abreise mit den aus Griechenland stammenden jüdischen Häftlingen, denen nur eine irreguläre Passage nach Palästina offen stand, bildet die äußere Handlung seines Buches „Die Freiheit kam im Mai“. Eingebettet in diesen Handlungsrahmen ist eine Folge von Rückblenden. Wie Kambanellis darin Unsagbares sagbar werden lässt, das ist überwältigend. Hierauf trifft voll die von Gerhard Wolf für dichterisch artikulierte Leiderfahrung gefundene Formulierung zu: „Der Schmerz dieser Zeit ist Sprache geworden“. Die griechische Ausgabe von „Mauthausen“, so der Titel im Original, brachte im Jahre 1965 Mimis Despotides im Themelio-Verlag Athen heraus. Während der Niederschrift waren die vier Texte entstanden, die Mikis Theodorakis vertont hat und denen Kambanellis seine Popularität verdankte. Einen Namen hatte er sich da schon längst als Dramatiker gemacht. Heute gilt er als ein, um nicht zu sagen als der Erneuerer des griechischen Theaters der Nachkriegszeit.
    Einer Dramatisierung bedurften seine Erlebnisse freilich nicht. Sie sind, jedes Vorstellungsvermögen übersteigend, aus sich heraus erregend über die Maßen. Das Ungeheuerliche, gemeinhin dem Schlafe der Vernunft angelastet, entspringt hier aus der Bosheit, der aus Hass erwachsenden Frevelwut. Zwei Häftlinge präsentierte der SS-Oberscharführer Fassel seinem Sohn zu dessen 10. Geburtstag als Geschenk und zwang den Widerstrebenden, sie aus kürzester Distanz mit dem Revolver niederzuschießen. Davor hatte er es im Beisein des Lagerkommandanten Ziereis zusammen mit seinen Kumpanen fertig gebracht, dessen Mutter, die einem polnischen Häftling freundlich begegnet war, im Offizierscasino unterm handschriftlich geheiligten Foto Hitlers zur lebenden Zielscheibe zu machen. „Die Mythologie der Bestialität in Mauthausen gebar eine große Anzahl Ungeheuer“, sagt darüber der Autor. All das zu vergessen, „jenen finsteren Todesort, die große Treppe der Tränen, den Steinbruch der Klagen, wo Juden und Partisanen fallen, wo jeder einen Stein trägt, den Stein, das Kreuz des Todes,“ das alles zu vergessen wäre das Leichte. Um des Gedenkens willen nimmt Kambanellis das Schwere auf sich, das Schwere des Erinnerns. 122.797 Häftlinge haben Mauthausen nicht überlebt, darunter 3.700 Griechen. „Mit so vielen Toten jeden Tag hatte der Tod kein Gesicht mehr. Das Gesicht, das auch wir Lebenden verloren hatten.“ Kambanellis nimmt es auf sich, den Toten das Gesicht wieder zu geben, wohl wissend, „dass nach unserer Rückkehr auch das eines unserer Probleme sein werde: dass sie uns nicht glauben werden wollen, was wir erzählen, was alles geschah. Oder, dass sie sagen würden: Ah, ist ja schon gut! Jetzt ist alles vorbei! Lass uns nicht darüber reden!“
    „Die Freiheit kam im Mai“ ist Totenklage und Hymnus auf das Leben in einem. Der Mai des Jahres fünfundvierzig hatte viel Licht. Da hatte die Natur tatsächlich einmal ein Einsehen eingedenk des überstandenen Grauens. Mauthausen taumelte vor Freude. Welche Aufregung bemächtigte sich der Frauen, als bei einer ersten die Monatsblutungen wieder einsetzten. Zu Greisinnen waren sie geworden mit geschorenem Kopf und tief liegenden Augen. Fritz Cremers „Bleiche Mutter“ zeigt das Abbild und ist in der strengen Geradheit zugleich Sinnbild für die zentrale Aussage dieses Buches: „Obwohl wir in tiefster Furcht lebten, unbegreiflicher Folter ausgeliefert waren, jede Minute der 24 Stunden des vierundzwanzigstündigen Tages mit dem Tod bedroht waren, waren die meisten nicht zu Bestien geworden.“ Kambanellis lässt nicht unerwähnt, wie sich die aufgestaute Wut entlud. Beklommen macht indessen seine folgende Erwägung: „Ich habe die Konzentrationslager markiert! Jeder Kreis hat einen Radius von 50 Kilometern. Was beweist das? Dass die Hälfte Deutschlands sich in diesen Kreisen befindet. Daraus folgt, dass auf jeden Fall die Hälfte Deutschlands von den Konzentrations- und Vernichtungslagern wusste! Und dem folgend, mein Lieber, fällt es mir schwer zu glauben, dass die eine Hälfte des deutschen Volkes davon wusste und die andere Hälfte keine Ahnung davon hatte. Außerdem: dieselben Bestialitäten, die die SSler in den Lagern begingen, beging die Wehrmacht mit derselben Leichtigkeit in den eingenommenen Gebieten. Alle wussten es! Glaubt niemandem! Glaubt ihnen niemals! Wenn sie euch zu täuschen versuchen sollten, heißt das, dass sie sich nicht bessern wollen.“ Glaube keiner, dass die Wahrheit uns in Ruhe lässt, wenn wir sie in Ruhe lassen. Iakovos Kambanellis musste 88 Jahre alt werden, um die deutsche Ausgabe seines Werkes zu erleben. Fünf Jahre vor der deutschen, mit dem „Übersetzungspreis 2010“ des österreichischen Bildungs- und Kulturministeriums honorierten Version ist die englische Übertragung von Gail Holst-Wahrhaft erschienen. Es ist dem selbstlosen Dr. Franz Richard Reiter nicht hoch genug anzurechnen, diese Publikation in seinem Verlag ermöglicht zu haben – zur Beschämung sämtlicher hiesiger Großverlage. Denn für „Die Freiheit kam im Mai“ ist dasselbe geltend zu machen, was Günter Kunert über Primo Levis „Ist das ein Mensch?“ geäußert hat: ein Jahrhundertbuch. Am 29. März 2011 ist Iakovos Kambanellis in Athen verstorben. Ein Denkmal hat er sich selber gesetzt: für immer.

    Iakovos Kambanellis, Die Freiheit kam im Mai. Aus dem Griechischen von Elena Strubakis, Ephelant Verlag, Wien 2010, 328 S., 22.- Euro; mit CD „The Mauthausen Cantata“ von Mikis Theodorakis, 34.- Euro

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