HANS – Mitten im Einen das Viele

Interview mit Elissavet Hasse, Regisseurin

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HANS, Theaterstück über den Militärarzt Dr. Hans Löber auf Milos: Athener Premiere am 10. November 2017 im Theater BIOS in Gazi, Folgevorstellung am 11. November. diablog.eu sprach mit Elissavet Hasse, der Initiatorin und Regisseurin des Projekts, das vom Deutsch-Griechischen Zukunftsfonds gefördert wurde. Das Theaterstück wurde von unserem Redaktionsmitglied Elena Pallantza ins Griechische übersetzt. Lesen Sie dazu auch unseren diablog-Artikel zur Buchpublikation mit den Briefen des Militärarztes.

Wie bist du auf die Lebensgeschichte von Hans Löber gestoßen?

Das Theaterstück versteht sich als Fortsetzung der künstlerischen Reihe „Deine eigene Geschichte“, die sich mit erlebten und erzählten Geschichten aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges und der deutschen Besatzung in Griechenland befasst. Im Rahmen meiner bisherigen Arbeiten bin ich bei einer Recherche auf die Seite diablog.eu gestoßen. Dort habe ich im vergangenen Oktober auch die Besprechung des Buches, „Der Arzt Hans Löber, Briefe aus Milos“, gelesen und wusste sofort, dass diese Geschichte ein guter Bühnenstoff ist. diablog.eu war mir dabei behilflich, Hans Löbers Sohn, der über die Rechte verfügt, ausfindig zu machen.

Wie sieht die historische Ausgangslage aus?

Dr. Löber diente 1943-44 für anderthalb Jahre auf Milos als Marinestabsarzt. In dieser Zeit schickte er jeden Sonntag seiner Frau in Deutschland einen Brief; es werden insgesamt 57. Diese Briefe lassen einen starken Tagebuch-Charakter erkennen. Sie beschreiben den Alltag des Arztes unter bewusster Aussparung der Kriegsereignisse. Teilweise vergisst der heutige Leser, dass Dr. Löber ein Marinestabsarzt des deutschen Militärs in einem besetzen Land war.

Mit pragmatischem Willen richtet Löber in kürzester Zeit ein komplettes Krankenhaus auf der Insel ein, operiert erfolgreich mehr als 200 Griechen und bekämpft, ebenfalls erfolgreich, die Malaria. Seine Frau Helga aus Deutschland hilft ihm dabei, indem sie Medikamente und chirurgische Instrumente organisiert und nach Milos schickt. Die Miloten nennen Dr. Löber bis heute „den guten Arzt“ und scheinen ihn dabei in bester Erinnerung zu haben.

Hans Loeber Theaterstück Team
Das Team des Theaterstücks HANS

Wie ist daraus dann ein Theaterprojekt geworden und mit wem arbeitest du dabei zusammen?

Die Faktenlage, auf deren Basis das Stück entstehen sollte, war sehr dünn. Es waren ja gar keine Briefantworten mehr vorhanden. Der Autor Jürgen Himmelsbach, der das Theaterstück geschrieben hat, sah darin die Möglichkeit, eine Interpretation zu schaffen, die sich klar an der Gegenwart unserer heutigen Lebensverhältnisse orientiert. Mit anderen Worten, es zeigt sich das Bild eines Menschen, wie wir es uns heute vorstellen. Es entsteht durch unseren Blick.

Mit Jürgen Himmelsbach arbeite ich jetzt schon zum dritten Mal zusammen. Wir haben zuvor schon das Tanztheater-Projekt „Ikaria“ in der JVA Köln-Ossendorf sowie das Tanztheater „Agonia“ im Rhenania umgesetzt. Unser deutsch-griechisches Team besteht aus 3 Schauspielern (Martin Bretschneider, der Dr. Löber verkörpert, Yiannis Nikolaou und Eftychia Livaniou) und 7 Tänzern. Emilia Bouriti hat die Choreografie übernommen und vervollständigt zusammen mit der französischen Kostümbildnerin, Dominique Delcausse, unser internationales Team.

Ihr seid auch auf Milos gereist und habt für das Projekt Zeitzeugen befragt: Wie ist euch die Bevölkerung dort begegnet? Welche Erinnerungen hat sie an Löber?

Auf Milos haben wir im Juni diesen Jahres sechs Zeitzeugen getroffen. Einer der Zeitzeugen, Gregory Belivanakis, hat über dreißig Jahre an einer historischen Aufarbeitung der deutschen Besatzungszeit gearbeitet und ein umfangreiches Buch mit dem Titel „Die Deutschen auf Milos, 1941-1945“ herausgebracht. In seinen Zeugnissen und den Erzählungen anderer Zeitzeugen wurde nach und nach die Atmosphäre greifbar, die damals geherrscht haben muss. Für den Prozess, ein Theaterstück zu schaffen, war es freilich notwendig, auch in Militärarchiven nach Löbers Akte zu forschen. Vor Ort hingegen war der Kontakt mit den Menschen unerlässlich, um die Lebenswirklichkeit, die uns geschildert wurde, einzufangen.

Zu unserem Erstaunen konnten die Zeitzeugen viel berichten. Und unser Eindruck war: Sie taten es gerne. Dr. Löber weckte bei ihnen alte Emotionen und ein Gefühl der Dankbarkeit, das niemals erloschen ist. Die Erfahrungen, welche die Miloten mit dem Arzt gemacht haben, gehören, wenn man so will, zu den „Paradoxien“ des Krieges, die bis heute nachwirken.

Wie steht es um die Rekonstruktion der Person „Löber“? Und ist ein Zusammenhang zum Stück erkennbar?

Drei Protagonisten, eine Schauspielerin und zwei Schauspieler, spielen, teils faktisch rekonstruiert, teils fiktiv, die Geschichte von Dr. Löber innerhalb von vier Szenen. Neun Tänzer ergänzen diese Szenen dramaturgisch. Sie werden zur Metapher für Unbewusstes, Wachstum und Wachstumsrhythmen. Jeder Szene folgt im Anschluss ein Dreiecksgespräch, in dem inneren Stimmen Raum gegeben wird und Interessenskonflikte sichtbar werden. Ein Prolog und Epilog umrahmen das Stück, öffnen und erweitern das Thema über das begrenzt Biographische hinaus.

Hans Löber Theaterstück, drei beteiligte Schauspieler
Die beteiligten Schauspieler am Theaterstück HANS

Wird das Theaterstück helfen, die Person Dr. Löber besser zu verstehen? Wäre es etwa für seinen Sohn hilfreich?

Als ich mich zum ersten Mal mit Dr. Löbers Sohn getroffen habe, hat er sich über die Idee eines Stückes über sein Vater gefreut, aber auch darauf hingewiesen, dass der Vater kein Widerstandskämpfer war und nichts gegen den Willen seiner Vorgesetzten unternommen hat.

Ob nun das Stück für den Sohn neue Erkenntnisse oder Zugänge zu seinem Vater schafft, ist eine schwierige Frage. Letztlich ist das Stück ja gar nicht auf ein solches Ziel ausgelegt. Die zentrale Frage, die uns immer wieder beschäftigt hat, war, wie es Löber als Mediziner, tiefgläubigem Protestanten und Familienmenschen, als Pioniergeist, als Menschen mit kulturellen Werten gelingen konnte, seine Persönlichkeit und Ideale mit einem faschistischen Regime in Einklang zu bringen und sich gar mit ihm zu identifizieren. Die komplexe Motivationslage eines Menschen, der zwischen Karriere und Hippokratischem Eid abwägen musste, zwischen der alten Heimat und einer neuen Lebensperspektive, war in den Proben für alle eine Herausforderung. All die Fragen, die dabei auftauchten, finden im Stück ihren Widerhall.

Bei der Inszenierung verzichte ich auf eine mystifizierende oder glorifizierende Darstellung des Arztes als Held. Das Beispiel von Dr. Löber scheint dennoch wichtig zu sein, weil das Individuum aus der Masse gleichgeschalteter Faschisten herausragt. Dadurch werden Differenzierungen vorgenommen und ein schon verstanden geglaubtes Thema neu bewertet. So gesehen könnte auch für den Sohn die Aufführung als Anerkennung für den Vater und seine Leistungen für die Menschen auf Milos verstanden werden. Für einen Vater, den er nie kennenlernen durfte, denn Dr. Löber starb noch vor seiner Geburt.

Der Sohn, Hanns-Georg Löber, unterstützt das Projekt und stellt sich für eine Publikumsdiskussion nach der Aufführung zur Verfügung. Abschließend möchte ich mich beim Auswärtigen Amt für die Unterstützung durch den Deutsch-Griechischen Zukunftsfonds herzlich bedanken.

Interview: Michaela Prinzinger/Elissavet Hasse. Fotos: Archiv Hanns-Georg Löber, Elissavet Hasse. Lesen Sie ergänzend auch den diablog-Artikel von Florian Schmitz zum Projekt „Deine eigene Geschichte“.

Text und Musik: Jürgen Himmelsbach
Regie: Elissavet Hasse
Choreografie: Emilia Bouriti
Übersetzung: Elena Pallantza
Kostüme: Dominique Delcausse
Schauspieler: Martin Bretschneider, Ioannis Nikolaou, Eftychia Livaniou

Premiere: 10.11.2017, 20 Uhr, anschließend Publikumsdiskussion
Weitere Vorstellung am 11.11.2017, 20 Uhr

Theater BIOS, Pireos 84, Gazi, Tel. 0030 2103425335

Eintritt frei!

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