Sommer auf Chios mit Klassik und Jazz (2018)

Eröffnung des 2. Musikfestivals auf der Insel

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Am 27. Juli 2018 wird das 2. Musikfestival auf Chios eröffnet. Die beiden Musiker, die hinter diesem Erfolg stehen, sind Olga Holdorff-Myriangou und Lefteris Veniadis. Michaela Prinzinger hat sich für diablog.eu mit den beiden getroffen und einiges über die Hintergründe dieser Initiative erfahren.

Olga und Lefteris, was war eure biografische und emotionale Motivation, das Musikfestival auf der Insel Chios zu initiieren, das 2018 zum zweiten Mal stattfindet? Welche Bindungen habt ihr selbst zu diesem Ort, was ist euer deutsch-griechischer Hintergrund, der euch zu diesem Schritt inspiriert hat?

Olga: Meine Mutter war Chiotin, mit der Familie haben wir die Oster- und Sommerferien jedes Jahr auf Chios verbracht. Der Gedanke, all die wunderschönen Orte auf dieser Insel zu bespielen, war schon lange da. Zu erleben, wie mit Griechenland in der Wirtschaftskrise umgegangen wurde, und dann auch mit der Flüchtlingsbewegung, war unerträglich. Die Leute waren auf sich allein gestellt. Zu sehen, wie sich die Menschen gegenseitig helfen, war berührend. Der innere Druck, gegen dieses Unrecht anzugehen, ist groß. Ich verfalle dann manchmal in einen Aktionismus. Musik ist aber das, was ich gelernt habe. Ich bin schon seit vielen Jahren auf verschiedenen Festivals unterwegs und habe gesehen, wie es funktionieren kann. Auch durch das von mir gegründete Berlin Music Ensemble habe ich genügend Organisationserfahrung gesammelt. Das ist mein Beitrag, den ich leisten kann.

Ich rief dann Lefteris in Athen an und sagte ihm: Ich fange jetzt an, bist du dabei? Mit Lefteris verbindet mich schon seit Jahren eine künstlerische Zusammenarbeit, die immer gut funktioniert hat.

Lefteris: Ich bin auch auf Chios aufgewachsen und die Insel ruft in mir Augenblicke meiner Kindheit und Jugend und viele Familienerinnerungen wach, aber auch aus den Zeiten, als ich hier künstlerisch tätig war. Dadurch wurde meine spätere Laufbahn vorgezeichnet. Die Idee, ein künstlerisches Projekt auf Chios zu initiieren, hat uns energetisch und gefühlsmäßig enormen Auftrieb gegeben. Wir wussten, so etwas könnte große Emotionen auslösen. Durch meine späteren Studien, meine Arbeitserfahrung in Deutschland und durch die entscheidende Zusammenarbeit mit Olga wurde uns beiden bald klar, dass es jetzt in unserer Hand liegt, die geeigneten Bedingungen für neue und professionelle künstlerische Aktionen zu schaffen. Unsere gemeinsamen musikalischen Interessen wurden durch ein starkes Bindeglied verstärkt: Chios, unsere Herkunft.

Zwei Geigerinnen auf der Bühne
1. Chios Musik-Festival 2017, ©Stamatis Menis

Welche Rolle kann die klassische Musik in diesem Winkel der Erde, im Kreuzfeuer der Flüchtlingsbewegungen und an sensibler geostrategischer Position, spielen? Wie verhält sich der Kosmopolitismus und das internationale Flair der klassischen Musik zu einer Insel wie Chios oder gibt es da mehr Berührungspunkte, als man denkt?

Lefteris: Chios war immer schon ein Ort, der am Kreuzungspunkt verschiedener Kulturen lag. In den europäischen Grenzregionen kann sich die klassische Musik weiter entwickeln und neue Wege gehen, wenn sie eine Kombination mit den authentischen lokalen kulturellen Traditionen eingeht. So kann auf Chios, das auf dem Gebiet der Literatur und Bildung, in der Schifffahrt und in der Wirtschaft auf eine lange Geschichte zurückblickt, die Kraft der Musik die verschiedenen Facetten all dieser Faktoren erhellen, gleichzeitig aber auch die Gegensätze abmildern und zusammenführend wirken! Andernteils hat die klassische Musik viel zu gewinnen durch die zauberhaften Inselorte, die wir als Veranstaltungsorte ausgewählt haben! Dadurch entstehen unvergessliche Augenblicke, in denen Musik und Landschaft verschmelzen. Das ist auch eins der erklärten Ziele unseres Festivals.

Olga: Die Insel war schon in Antike und Mittelalter geostrategisch wichtig. Sie hat viele Seefahrer und Weltreisende hervorgebracht, insofern ist sie auch weltoffen. Dabei gibt es auch Widersprüche: Griechenland ist einerseits in der EU, und wird sogar oft als Wiege der westlichen Kultur verstanden; andererseits kann man es in vielen Bereichen dem sogenannten Global South zuordnen. Hinzu kommt, dass sie an der kulturellen Grenze zwischen Orient und Okzident angesiedelt ist, eine Begegnung, die sich im Fall Chios nochmals besonders zuspitzt.

Die Leute hier sind für klassische Musik sehr offen. Gerade im Sommer kommen Besucher von überallher – aus Europa, den USA, der Türkei. Die Flüchtlingsbewegungen haben sich in den letzten Jahren natürlich verstärkt. Besonders bei unseren Bildungsprojekten nehmen auch geflüchtete Menschen teil, aber auch beim Musiktheater. Die klassische Musik – oder Musik generell – überwindet Sprachbarrieren und kulturelle Unterschiede.

Musiker mit Kindern
1. Chios Musik-Festival 2017, ©Andreas Knapp

Wichtig ist für euch auch der Nachhaltigkeitsgedanke, so besteht das Festival aus einem Sommerteil im August 2018 und einem Winterteil im Februar 2019. Im Sommer ist die Insel von Touristen und für die Ferien zurückkehrenden Chioten gut besucht, im Winter ist es stiller. Welche Orte bespielt ihr im Sommer und was macht ihr speziell in der ruhigeren Saison?

Olga: Im Sommer finden alle Veranstaltungen im Freien statt, an ganz unterschiedlichen Orten, die über die ganze Insel verstreut liegen – von Dorfplätzen über Amphitheater bis hin zu Museen. Im Winter ziehen wir uns ins Innere von Gebäuden zurück, wie z. B. ins Homer-Theater oder in die Korais-Bibliothek. Im Winter konzentrieren wir uns mehr auf die Bildungsarbeit. Kinder an klassische Musik heranzuführen, kann wunderbar nachhaltige Wirkung entfalten.

Lefteris: Nicht nur wegen des Wetters, sondern auch wegen der anderen Energie, die im Sommer herrscht, wollen wir an ganz besonderen Open-Air-Orten spielen, die teilweise auch entlegen sein können. Orte, bei deren Anblick bisher nur Tagträumer ausriefen: „Hier wäre ein schöner Veranstaltungsort…“ Und dann wurde alles wieder vergessen. Wenn man sich auf eine Reise begeben muss, um eine Vorstellung oder ein Konzert zu sehen, gerät man automatisch in einen Zustand froher Erwartung. Und wenn der ausgewählte Ort mit seiner ganz speziellen Ausstrahlung dann ein ausgezeichnetes Programm bietet, dann kann das eine tolle Erfahrung sein.

Kinder im Stuhlkreis
1. Chios Musik-Festival 2017, ©Stamatis Menis

Am 27. Juli 2018 hat eine Musiktheaterproduktion Premiere, ein besonderes Highlight des diesjährigen Programms. Erzählt uns über das Thema, die Entstehungsarbeit und die Beteiligten dieses schönen Projekts!

Lefteris: Die Arbeit an einer Musiktheaterproduktion ist immer anstrengend und schwierig, besonders dann, wenn man erst die ganzen technischen Voraussetzungen schaffen muss, um Orte bespielen zu können, die nicht über die geeignete Infrastruktur verfügen. Aber die Freude über die Einzigartigkeit dieses Projekts belohnt einen dann.

Wir haben uns in diesem Jahr für die „Mastix-Oper“entschieden. Einerseits, weil die Vereinigung der chiotischen Mastixproduzenten ihr 80jähriges Bestehen feiert, andererseits aber auch, weil Mastix ein Synonym für Chios und seine Geschichte bildet. Was am Musiktheater besonderen Spaß macht, ist die Tatsache, dass man sehr heterogene Elemente miteinander verknüpfen kann: Kinder aus Chios mit Flüchtlingskindern, Berufsmusiker und professionelle Schauspieler aus Berlin, Athen und Chios, und all das unter dem gemeinsamen Nenner der Mastixproduktion. Solche Prozesse sind uns wichtig, in der Vergangenheit, dieses Mal und auch in Zukunft. Grundlegend dafür ist der Gedanke, einen großen Teil der lokalen Gesellschaft in unsere Arbeit mit einzubinden. Die Freude am Mitmachen ist oftmals wesentlich größer als am bloßen Zuhören. Im künstlerischen Teil des Programms dreht sich alles um die Personifizierung des Mastixbaums, die von der begabten deutschen Sopranistin Angela Braun dargestellt wird. Der Mastixbaum bekommt dadurch eine greifbare Gestalt, einen Körper und eine Stimme. Das Stück basiert auf chiotischen Volksliedern, die der französische Reisende Hubert Pernot Ende des 19. Jahrhunderts aufgezeichnet hat, sowie auf literarischen und volkskundlichen Quellen über die Mastixgewinnung.

Musiker auf der Bühne
1. Chios Musik-Festival 2017, ©Stamatis Menis

Den Abschluss bildet am 4. August 2018 im Neubau des Mastix-Museums ein Konzert mit der Berliner Jazz-Größe Sebastian Studnitzky, der von einem Streichquartett begleitet wird. Ihr habt ein gutes Händchen für tolle “Locations”, was erwartet ihr euch von dieser Kombination aus Jazz und klassischen Orchestermusikern?

Olga: Wir schauen uns regelmäßig verschiedene Orte auf Chios an, meist kommen uns sofort Ideen, welche Musik zu dem Ort passen würde, manchmal fällt uns auch sofort ein bestimmter Künstler oder Komponist ein, wo wir sagen: Der würde perfekt hierher passen. Manche Orte behalten wir auch im Hinterkopf für kommende Gelegenheiten. Dass beide meiner Eltern Architekten waren, hat mich sicherlich schon früh sensibilisiert. Ich spiele gerne an ungewöhnlichen Orten und auch gern mit den jeweiligen Räumlichkeiten.

Das Festival enthält mit Musiktheater, klassischer Musik, Jazz usw. alle möglichen Musikrichtungen, in denen ich auch zu Hause bin und wo ich weiß, welche hervorragenden Künstler wir unbedingt noch auf die Insel holen müssen.

Interview: Michaela Prinzinger/Olga Holdorff-Myriangou/Lefteris Veniadis. Redaktion: M. Prinzinger. Fotos: Andreas Knapp und Stamatis Menis. Mehr Infos auf www.chiosmusicfestival.gr.

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