Dieser Beitrag ist auch verfügbar auf: Ελληνικά (Griechisch)
Das Zypriotische Haus Athen präsentierte vor kurzem eine interessante kleine Ausstellung zum Thema „Amour“. Gezeigt wurden Fotografien aus dem umfassenden Archiv des griechischen Künstlers Nikos Kessanlis. Auf unserer deutschsprachigen Seite berichtet Andrea Nikitopoulos von ihren Eindrücken. Auf unser griechischsprachigen Seite lesen Sie den Essay von Amanda Michalopoulou aus dem Ausstellungskatalog.
Nikos Kessanlis (1930-2004) gehört zu den bedeutendsten griechischen Künstlern der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Zusammen mit seiner Frau, der Künstlerin Chryssa Romanou (1932-2006), beeinflusste er nicht zuletzt auch als langjähriger Leiter der Akademie der Schönen Künste nachhaltig das künstlerische Schaffen der griechischen Moderne.
Die Ausstellung beinhaltete private Fotografien und auch einige Werke, die die Möglichkeiten der künstlerischen Verfremdung der Fotografie beeindruckend wiedergeben. Ganz auf das übergeordnete Thema bezogen, standen Porträts von Chryssa Romanou oder des Ehepaars Kessanlis-Romanou im Mittelpunkt.
Landschaften und Städteimpressionen ihrer gemeinsamen Reisen und Aufenthaltsorte erscheinen nur auf den ersten Blick wie touristische Momentaufnahmen. Dennoch sind diese Hintergründe bei genauerem Hinsehen nur Staffage. Erst das Modell Chryssa stellt die Verbindung zwischen dem Hintergrund und dem Auge des Künstlers her. Wie die Kuratorin im Ausstellungskatalog treffend schreibt, verlieren diese Bilder sofort an Charisma und werden quasi „leer“, legt man einen Finger auf die Figur und denkt sich das Modell weg.
Beeindruckend sind die Fotografien auch in ihrer Direktheit, Unmittelbarkeit, Uninszeniertheit. Da ging es nicht um das perfekte Modell, um den inszenierten Moment, wie wir das von gestellten Fotos kennen. Seien wir ehrlich: Wollen wir nicht alle möglichst schön erscheinen im zeitgenössischen Selfie-Wahn, in der Darstellung durch das fotografische Auge und den aktuellen technischen Möglichkeiten der Bildbearbeitung? Aber gerade darum ging es Kessanlis nicht: Ihm ging es vielmehr um das Einfangen des authentischen Moments und des authentischen Menschen vor authentischer Kulisse. Vor allem die in ihrer Ungeschöntheit äußerst privaten Eindrücke der späteren Jahre reflektieren dies. Das künstlerische Auge sucht nicht die oberflächliche Darstellung einer schönen Frau, sondern immer den Menschen hinter der äußeren Fassade, wobei das Modell auf vielen Fotos fast unwillig erscheint, dem Fotografen den Rücken zukehrt, den direkten Blick in die Kamera verweigert. Wie Amanda Michalopoulou bemerkt, findet in vielen Fotografien beinahe eine Entmystifizierung des Modells statt. Und vielleicht bleibt gerade durch diese Entmystifizierung beim Betrachter fast ein Gefühl von Zärtlichkeit zurück – immer stehen die Liebe des Künstlers und der ungeschönte Blick auf sein Modell im Vordergrund.
Kessanlis hat während seiner gesamten künstlerischen Karriere mit den Möglichkeiten der künstlerischen Verfremdung von Fotografien experimentiert. Er war dabei durchaus ein Kenner der kunstgeschichtlichen Bedeutung des Mediums; und so findet man besondere Aufnahmewinkel, Verzerrungen, Spiegelungen – ganz in der Tradition der Avantgarde der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts, als berühmte Fotografen das Medium neu zu interpretieren und der Malerei anzunähern versuchten.
Aber natürlich machte die Kunst in den folgenden Jahrzehnten nicht dabei Halt. In der technischen Weiterentwicklung versuchten sich Künstler wie Andy Warhol oder Gerhard Richter an neuen hybriden Interpretations- und Ausdrucksformen der Fotografie. So gewinnt auch bei Kessanlis ein kleines, auf der ersten Blick unscheinbares Foto in seiner Übertragung auf Holz oder auf Zement auf einmal eine ganz andere Aussagekraft, indem es die Zweidimensionalität des Fotos aufhebt und eine Tiefendimension hinzufügt.
Am beeindruckendsten für mich persönlich sind Kessanlis „Phantasmagorien“ – Photographien von bewegten Szenen hinter beleuchteten Leinwänden, die dann mit Emulsion auf Leinwand übertragen wurden. Ein Ausgangsfoto zu dieser Technik ist auch in der Ausstellung zu sehen, und da ich persönlich Kessanlis vor allem auf dem Wege über diese „Phantasmagorien“ schätzen gelernt habe, war es eine von mir seltsamerweise vorher nie bedachte Erkenntnis dieser Ausstellung: dass er – natürlich – ein passionierter Fotograf war …
In der Bildbetrachtung stellt sich ja immer die Frage: Was muss der Betrachter tatsächlich an Vorwissen mitbringen und was nicht? Jede Ausstellung insbesondere moderner Kunst birgt (meiner Meinung nach) die absolute Freiheit der Rezeption, die nicht unbedingt spezielles kunsthistorisches Wissen voraussetzt. Und genau dies empfinde ich auch immer als das Spannende an moderner und zeitgenössischer Kunst. Die anschließende Podiumsdiskussion mit Kuratoren, Wegbegleitern und Kunstgeschichtlern fügte meinem persönlichen Eindruck viel Hintergrundwissen und durchaus interessante Interpretationsansätze hinzu.
Aber vielleicht brachte es nach diesem anregenden Abend auch mein kunstgeschichtlich gänzlich „unbeleckter“ Begleiter auf den Punkt: „Ich habe nur eins gesehen: Er war einfach unsterblich verliebt in diese Frau.“
Was kann der Betrachter Schöneres als Erkenntnis mitnehmen von solchen Bildern und einer Ausstellung mit dem Titel „Amour“?
Text: Andrea Nikitopoulos. Fotos: Dimitris Tsoumplekas/Archiv Nikos Kessanlis.
Dieser Beitrag ist auch verfügbar auf: Ελληνικά (Griechisch)