Kavala und die Austro-Hellénique (II)

Eine Reise in die Hauptstadt des Tabaks von Christian Gonsa (Teil II)

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Christian Gonsa setzt seine Recherchen zu den Investitionen und Aktivitäten der Austria Tabak in Griechenland fort. Auch hier wirft die Vergangenheit lange Schatten in die Gegenwart. Lesen Sie, wie aus einer gelungenen Handelsbeziehung in Kriegszeiten schnell eine Streitthema werden kann. Die Illustrationen der Tabakkontore stammen aus einem Fotoprojekt von Kamilo Nollas. Falls Sie Teil I verpasst haben, können Sie die Lektüre jetzt hier nachholen.

Die herausragende Stellung des Tabaks im bilateralen Handel wird in dem Abkommen über die Regelung des Zahlungsverkehrs „im Wege des Clearings“ aus dem Jahr 1933 deutlich. Ab 1933 wurden Handelsgeschäfte über die Konten der österreichischen beziehungsweise der griechischen Zentralbank abgewickelt. Die Summen wurden verrechnet und den Exporteuren lediglich die Differenz zu einem zwischenstaatlich vereinbarten Wechselkurs ausbezahlt.

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Tabakkontore 2007, Kavala, ©Kamilo Nollas

Das sparte kostbare Devisen, schuf den Österreichern einen Absatzmarkt für Exportwaren und bildete in der Zeit der Weltwirtschaftskrise einen Schutzschirm gegen die Inflation. Es gab drei Konten: 1. das „Tabakkonto“ aufgrund eines Vertrags zwischen der Einkaufsorganisation und der griechischen Zentralbank 2. ein Konto für alle anderen Firmen und deren Geschäfte 3. ein Konto für alte Schulden. Diese Art von Verrechnungsabkommen war übrigens auch ein zentrales Element der deutschen Handelspolitik, das Abkommen zwischen Hitler-Deutschland und Griechenland 1936 festigte Deutschlands Position als wichtigstem Handelspartner Griechenlands.

Die Avstroelliniki, immer mit einem österreichischen und einem griechischen Geschäftsführer, importierte 1928, im ersten Jahr ihres Bestehens, 2 Millionen kg Tabak nach Österreich, 1930 waren es bereits 4,5 Millionen kg, in den folgenden Jahren der Weltwirtschaftskrise gingen die Importe dann stark zurück. 1940, mitten im Krieg, kletterten sie wieder auf erstaunliche 4 Mio. kg, um 1941, im Jahr des deutschen Angriffs auf Griechenland, 6,5 Millionen kg zu erreichen.

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Tabakkontore 2007, Kavala©Kamilo Nollas

In diesem Jahr machte die Avstroelliniki die höchsten Umsätze ihrer Geschichte, aber auch für die Austria Tabakwerke insgesamt war das eines ihrer besten Jahre. Mit diesen Statistiken befinden wir uns in der Besatzungszeit, doch vor der Besatzung gab es noch eine Annexion, die Österreichs durch Deutschland im Jahr 1938. Als eine ihrer Folgen wurde die österreichische Tabakregie in eine Aktiengesellschaft im hundertprozentigen Eigentum des deutschen Reichs umgewandelt, mit dem Namen „Austria Tabakwerke AG“.

Das Monopol wurde formell aufgehoben, faktisch blieb die Firma in der „Ostmark“ aber dominant – und hatte sogar das „Austria“ im Titel bewahrt, genauso wie die Austro-Hellénique, deren Struktur in Griechenland unverändert blieb, nun unter dem Schutz des Reiches.

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Tabakkontore 2007, Kavala©Kamilo Nollas

Im Oktober 1940 griff Italien Griechenland an, im April 1941 griff auch Deutschland Griechenland an, um den Italienern zu helfen. Nach ihrem Sieg nutzten die Deutschen die Macht der Waffen zu umfangreichen Beschlagnahmungen griechischer Rohstoffe und Waren, unter anderem der gesamten Tabakvorräte, wie in einer Kundmachung des 12. Armeeoberkommandos vom 27.4.1941 zu erfahren ist: Die gespeicherten Tabake, aber auch die Tabake, die noch bei den Produzenten lagerten, gingen in den Besitz des deutschen Reiches über.

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Tabakkontore 2007, Drama©Kamilo Nollas

Das waren etwa 80.000 Tonnen, was bedeutet, dass die Austria Tabakwerke in diesem Jahr etwa 8 Prozent der Beute erhielt. Diese Beschlagnahmung hinderte die bulgarischen Truppen daran, den Tabak ihrerseits zu requirieren. Bulgarien, das die deutschen Truppen passieren ließ, ohne Griechenland den Krieg erklärt zu haben, bekam mit Ostmakedonien und Ostthrakien die lange ersehnte Verbindung zum Mittelmeer. Griechenland aber verlor von einem Tag zum anderen die Hälfte der Tabakproduktion und zwei Drittel der Einnahmen daraus.

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Tabakkontore 2007, Drama, Austro-Hellénique©Kamilo Nollas

Die griechischen Tabakhändler verloren ihre Ware, die griechischen Zigarettenproduzenten ihren Rohstoff. Die jüdischen griechischen Tabakhändler verloren ihre Ware, ihre Tabakspeicher, die von den Bulgaren enteignet wurden, und die meisten verloren 1943 im Vernichtungslager Treblinka auch ihr Leben. Die Avstroelliniki aber hatte nichts von den Bulgaren zu befürchten und organisierte gemeinsam mit dem deutschen Quasi-Monopolisten Reemtsma den Abtransport des Tabaks. Die Geschichte Reemtsmas in dieser Zeit ist mehr oder weniger bekannt, die der Austria Tabak nicht. In allen späteren Berichten, ob von der Firma selbst oder in Arbeiten über sie, wurde dieses Kapitel ausgeblendet.

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Tabakkontore 2007, Drama, Austro-Hellénique©Kamilo Nollas

Die Frachtaufzeichnungen der Tabakfabrik Hainburg sind noch nicht lange im Staatsarchiv, zugänglich waren 2013 nur die Indizes, der Rest musste noch aufbereitet werden. Auf den ersten Blick ist erstaunlich, wie viel Tabak im November und Dezember 1940, als bereits der griechisch-italienische Kriege tobte, von Austro-Hellénique nach Hainburg verfrachtet wurde. Am 14.6.1941 dann der Eintrag: „Weisungen über Übernahme bei uns einlangender fremder griechischer Tabake.“

Am 24.6.: „6 Wggs. griechischer Tabake für Fa. Reemtsma Hamburg an Fa. Albert Schäfer absenden (…)“ In den folgenden Kriegsjahren konnte griechischer Tabak nur noch aus dem bulgarisch besetzten Teil ins Reich geholt werden, dazu gründete die Einkaufsorganisation eine eigene Tochter, die in Kavala arbeitete. Nach dem Abzug der Deutschen aus Griechenland im Herbst 1944 brach bis Kriegsende jeder Kontakt der Zentrale mit Avstroelliniki ab.

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Tabakkontore 2007, Agrinio, Papastratos©Kamilo Nollas

Austria Tabak nahm die Produktion 1945 trotz der chaotischen Lage und der Zerstörungen sehr rasch wieder auf, aber das Rohmaterial, der Tabak, fehlte. Die Lager waren erschöpft, Tabak wurde, wie schon im Krieg ab 1942, rationiert – wobei übrigens Frauen diskriminiert wurden. Die Männer bekamen noch 1947 die doppelte Zigarettenration, wie im Geschäftsbericht 1947 der Austria Tabakwerke zu lesen ist.

Dem neuen Österreich fehlte es an Devisen, weshalb man in die alte Praktik der Tauschgeschäfte, nun Kompensationsgeschäfte genannt, zurückfiel. Man tauschte Waren aus, weil man kein Geld hatte. Die Austria Einkaufsorganisation schloss 1946 etwa 2.000 Kompensationsgeschäfte ab. Der größte Deal gelang ihr 1947 – mit Griechenland. In direkten Verhandlungen mit dem griechischen Wirtschaftsministerium sicherte sich die Einkaufsorganisation 1 Million kg Tabak.

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Tabakkontore 2007, Agrinio, Papastratos©Kamilo Nollas

Das war auch ein politischer Erfolg, wenn man bedenkt, dass österreichisches Eigentum vom griechischen Staat in jenem Jahr nach wie vor enteignet war und diplomatische Beziehungen erst 1948 aufgenommen wurden.

Das Monopol kehrte zurück, die Avstroelliniki nahm ihre Arbeit wieder auf, aber das Aufkommen der amerikanischen Mischungen mit „Camel“, „Lucky Strike“ und „Marlboro“ drängte den Anteil der Orienttabake am Weltmarkt stark zurück. Die Nachfrage am österreichischen Markt war nun zu  gering für die griechischen Orienttabake, und die Angestellten der Einkauforganisation mutierten zu Händlern an den internationalen Warenbörsen, die die Tabake weltweit verkauften.

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Tabakkontore 2007, Agrinio, Papapetrou©Kamilo Nollas

Mitte der neunziger Jahre stieß Austria Tabak ihre traditionsreiche Niederlassung an die Dimon Corp. (später: Alliance One) ab. 1995, mit dem EU-Beitritt Österreichs, fiel das Tabakmonopol der Austria Tabak, 2001 wurde sie an den Gallaher-Konzern verkauft, heute gehört sie der Japan Tobacco International (JTI), produziert wird in Österreich aber nicht mehr. 2009 schloss die Tabakfabrik Linz, 2011 Hainburg.

Nachwort: Deutschland und Griechenland einigten sich 1961 auf eine Entschädigungszahlung für die griechischen Tabakhändler, der Vergleich wurde schließlich 1967 mit dem Gesetz 56/1967 von Griechenland ratifiziert. 4,8 Millionen Mark wurden verteilt, Geld bekamen Eigentümer, die „während der Besatzungszeit Griechenlands, das heißt in den Jahren 1941-1944 an eigenem Handelskapital durch den Entzug oder den Zwangsverkauf von Handelstabaken von Seiten der Besatzungsbehörden oder durch von ihnen beauftragte Handelshäuser und ihre Vertreter geschädigt wurden (…)“.

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Tabakkontore 2007, Agrinio, Papapetrou©Kamilo Nollas

Kavala ist heute voll von alten, leeren Tabakspeichern, einige davon vorbildlich renoviert, doch wer soll sie erhalten? „Man kann nicht alle zu Kulturzentren machen“, sagte einer der Besitzer beim Cocktail nach der Konferenz spitz. Die amerikanischen Sorten und die EU-Landwirtschaftspolitik haben die Produktion im Land der starken Raucher reduziert, zigtausende griechische Bauern mussten sich gewinnträchtigere Anbauprodukte suchen – nicht alle weinten den spröden Blättern nach:

Mein alter Kollege Lazaros, der aus einer Flüchtlingsfamlie bei Drama stammt, erinnert sich noch heute mit Schrecken, wie er als Kind um zwei, drei Uhr früh wachgerüttelt wurde, um Tabakblätter zu ernten, die um diese Uhrzeit weich und feucht sind. Trotzdem: Griechenland ist ein Tabakland geblieben. 2013 wurden 19.000 Tonnen Orienttabake produziert – andere Sorten werden nicht mehr angebaut -, zwei Drittel davon werden heute in Griechenland selbst verpufft.

Text: Christian Gonas. Fotos: Kamilo Nollas. Hier der Link zu Teil I der Geschichte.

Weiterführende Literatur-/Quellenhinweise:

–    BGBl. 432/1933: Notenwechsel zwischen der Republik Österreich und der Hellenischen Republik über die Regelung des Zahlungsverkehrs.
–    Österreichisches Staatsarchiv: OeStA/FHKA SUS Tabak Hb, 1882-1968; Tabakfabrik Hainburg, Niederösterreich: Indizes/Protokollbücher 1940, 1941.
–    Efimeris tis Kyverniseos (Tevchos protos) 146/25.8.1967: Zwangsgesetz 56/1967 (gr., Ratifizerung des Vergleichs zwischen Deutschland und Griechenland über Entschädigungszahlungen betreffend Tabak)
–    R. Dauber jun.: 40 Jahre Rohtabak. Hrg.: Austria Einkaufsorganisation der ATW-AG, Wien 1967.
–    Xanthippi Kotzageorgi-Zymari: I voulgariki katoxi stin Anatoliki Makedonia kai sth Thraki 1941-1944. Thessaloniki 2002. (Detailliert über die bulgarische Besatzung Ostmakedoniens und Thrakiens,  Reproduktion des deutschen Befehls bzgl. Tabakbeschlagnahmung des Armeeoberkommandos 12, BArch RH 20-12)
–    Rudolf Reiter: Geschichte der Austria Tabakwerke AG vorm. österreichische Tabakregie von 1939-1970. Diss. Wien 1980.
–    Die Austria Tabakwerke A.G. Vorm. Österreichische Tabakregie berichtet über ihre Tätigkeit im Jahre 1947. Wien 1948.
–    Internet-Site der Konferenz Tobacco Roads: Technology Transfer in the Tobacco Industry during the Early Twentieth Century, 5-7 July 2013, Kavala, Greece (https://tobaccoroads2013.ntua.gr/)

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1 Gedanke zu „Kavala und die Austro-Hellénique (II)“

  1. Interessanter Artikel, ein kleiner nebensächlicher Fehler: Bulgarien besetzte im 2. WK
    nicht Ostthrakien (seit 1923 ununterbrochen türkisch), sondern Westthrakien, also den griechischen Teil von Thrakien.

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