Top Ware Top Preise

Eintrag ins Vokabelheft von Giorgos Pavlopoulos

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diablog.eu führt ein Vokabelheft, das aus Wort und Bild besteht. Der zwischen Berlin und Athen pendelnde Schriftsteller Giorgos Pavlopoulos hat dafür nun seinen zweiten Eintrag verfasst. Auf seiner (teils auch englischen und deutschen) Website können Sie darüber hinaus Impressionen aus der deutschen Hauptstadt, Beiträge über Pegida und Reiseartikel lesen. Die Übersetzung stammt von unserem Redaktionsmitglied Nina Bungarten. Mehr über den Autor erfahren Sie in unserem “Who ist who“.

Top Ware, Top Preise, Bild Frieder Schubert, Text Pavlopoulos
© Frieder Schubert

Der Laden ist leer, bis auf das gegenüberliegende Fenster, das sich in der Schaufensterscheibe spiegelt. An diesem Fenster steht nun der frühere Besitzer des Ladens. Er wohnt schon seit vielen Jahren dort. Früher trank er jeden Morgen seinen Kaffee am Fenster, bevor er zum Laden hinüberging, betrachtete das Schaufenster und überlegte: Was fehlte in der Auslage? Welchen Produkten wurde die meiste Beachtung geschenkt? Er hatte die Wohnung nicht zufällig gemietet: Auf diese Weise konnte er Marktforschung betreiben und dementsprechend seine Waren bestellen. In den Blicken der Passanten lagen ihre Wünsche und Bedürfnisse. Er musste einfach nur lernen, sie zu lesen und richtig zu deuten.

Trotzdem bemerkte er den Verfall der Außenwand nicht rechtzeitig. Farbe und Putz waren großflächig abgeblättert, und die Wand wurde immer dünner. Und als er es endlich bemerkte, maß er dem nicht viel Bedeutung bei: „Das ist nicht meine Angelegenheit“, dachte er. „Da ich meine Steuern zahle, ist das Sache der Stadt“. Er betrachtete weiterhin das Schaufenster seines Ladens, und in seinem Bemühen, die Wünsche seiner potenziellen Kunden zu erfüllen, begann er sich immer weiter von der Realität zu entfernen. Am Schluss wurde es ihm zur fixen Idee, sich vorzustellen, wie der jeweilige Artikel genau beschaffen sein sollte, den er für seinen Laden bestellen wollte. Er war so beschäftigt damit, dass er aufhörte, Zeitung zu lesen, und so erfuhr er nicht rechtzeitig von der Krise, die die Stadt heimsuchte. Erst, als die Leute aufhörten zu kaufen, begann er darüber nachzudenken, ob vielleicht irgendetwas nicht stimmte.

Da begann er, die Produkte in seinem Schaufenster zu reduzieren, um Kosten zu sparen, und das Angebot verringerte sich von Tag zu Tag. Nun gab es keine Top Ware mehr und auch keine Top Preise. Letzten Monat gab er die ganze Lieferung zurück, und im Schaufenster lag nur noch ein einziger Fotoapparat, den dann jemand zum halben Preis kaufte. Danach wurde der Laden geschlossen, und es erinnert nur noch die Aufschrift daran. Der Besitzer geht nie mehr zum Laden hinüber. Von seinem Fenster aus blickt er einfach nur auf das leere Schaufenster. Wenn ab und an jemand davor stehen bleibt, versucht er zu erraten, was derjenige gern gekauft hätte. Er hat zwar immer noch Ideen, aber kein Kapital mehr, um seinen kleinen Laden wieder in Schwung zu bringen.

Trotz allem träumt er an manchen Abenden, dass ein Arbeiter von der Stadtverwaltung kommt und die Wand in einem hellen Farbton streicht. Er selbst poliert das Schaufenster mit einem Reinigungsmittel, das mit einem grünen Frosch wirbt. Er träumt davon, dass er nach bestimmten Artikeln gefragt wird, die er in seinem Notizbuch aufschreibt. In seinem Traum steht er nie am Fenster, sondern immer auf der Straße und redet mit den Menschen. Diesen Träumen haftet stets eine euphorische Stimmung an, ein Gefühl von Neugeborensein. „Das kann ich mir nicht einfach nur einbilden“, denkt er, „So steht es doch auch in der Zeitung“.

Übersetzung: Nina Bungarten, Foto: Frieder Schubert

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