NOW – Künstler interpretieren die Aktualität

Festival im Stadttheater Piräus 17.-19. Juni 2016

Dieser Beitrag ist auch verfügbar auf: Ελληνικά (Griechisch)

17.-19. Juni 2016: Im Stadttheater Piräus treffen Künstler und Literaten aus Europa auf ihre griechischen Kollegen, um über die Möglichkeiten von Kunst und Literatur in Krisenzeiten und über vergessene Schriftsteller zu reden – im Sinne der “Finnegan’s List”, die versucht, Verlagen noch nicht übersetzte, aber für den jeweiligen Kulturraum bedeutende Autoren ans Herz zu legen.

FINNEGAN’S LIST

„Bekanntlich liebte Joyce Listen, mochte es, auf verschiedenen Sprachklaviaturen zu spielen und Faktisches, Fiktives und Zitiertes kunstvoll zu vermischen. Das vielsprachige Triest bot ihm Inspiration für seinen literarischen Kosmos und für seine schriftstellerische Technik, es machte ihn zu einem genuinen Europäer. Will sagen: zu jemandem, der um Vielfalt und Kompliziertheit weiss, um Grenzen und Exil, und um die Überwindung (persönlicher, kultureller) Isolation durch Übersetzung und Vernetzung. Auf Joyce’s Projekt kann sich Finnegan’s List zu Recht berufen. Immer im Bewusstsein, dass es sich um ein work in progress handelt. Um ein babylonisch buntes Unterfangen, das zusammenführt, was zusammengehören sollte, in unser aller Interesse.“, so die Schweizer Autorin Ilma Rakusa in ihrem Vorwort zur 2015er-Ausgabe der Finnegan’s List.

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Dieses Prinzip der Vielfalt sowie der Überwindung sprachlicher, sozialer und kommerzieller Grenzen liegt dem Projekt Finnegan’s List zugrunde. Seit 2011 publiziert die Europäische Gesellschaft der Autoren jedes Jahr eine Liste nicht ausreichend übersetzter und/oder in Vergessenheit geratener Bücher: 10 bekannte Autoren aus 10 verschiedenen Ländern stellen eine persönliche Auswahl ihnen wichtiger Werke vor. In den Empfehlungen finden sich sowohl Klassiker als auch zeitgenössische Werke aller literarischen Gattungen, die bestehende Übersetzungslücken in den verschiedenen Sprachen aufzeigen. Die an dem Projekt beteiligten Schriftsteller wirken als Botschafter für die von ihnen empfohlenen Bücher, in Zusammenarbeit mit den Partnerorganisationen (hierbei wären vor allem die Allianz Kulturstiftung und das europäische Netzwerk Schwob, das sich für die Promotion und Übersetzung moderner Klassiker engagiert, zu erwähnen) werden regelmäßig Veranstaltungen in verschiedenen europäischen Städten organisiert.

Die Europäische Gesellschaft der Autoren strebt mit ihren Initiativen ein Europa der unbegrenzten Übersetzungen an, einen Dialog der Sprachen, Ideen und Ideale, einen Ort, an dem Übersetzungen als poetisches Gemeingut Konflikten und Spannungen entgegenwirken.

Im Rahmen der Veranstaltung „NOW“ treffen Künstler, Schriftsteller und Kulturschaffende im Stadttheater von Piräus zusammen, an einem Ort, der gerade im Hinblick auf die aktuellen politischen und gesellschaftlichen Ereignisse in Europa von großer Bedeutung ist. Mehrere an dem Finnegan-Projekt beteiligte Schriftsteller diskutieren dabei unter anderem die Rolle der Literatur als eine Form und einen Ausdruck des Widerstands sowie die Notwendigkeit der Übersetzungen für ein gemeinsames Projekt Europa.

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Jeton Neziraj, Dramatiker und Theaterdirektor aus dem Kosovo, wird den großen albanischen Dichter Visar Zhiti vorstellen, der in seinen Memoiren „Rrugët e ferrit“ (Höllenpfade) über seine Zeit im Gefängnis erzählt und wie wichtig die Poesie dort für ihn war.

Die kroatische Autorin und Theaterregisseurin Ivana Sajko hat u.a. den Schriftsteller Goran Ferčec empfohlen, in dessen Debütroman durchlebt der Protagonist eine persönliche Identitätskrise in dem vom Bürgerkrieg gezeichneten Ex-Jugoslawien.

Der serbische Schriftsteller Vladimir Arsenijević wie auch Christos Chrissopoulos (Mitorganisator der NOW-Veranstaltung) werden zwei in Vergessenheit geratene Autoren vorstellen, deren Leben und Werk stark vom Lauf der Geschichte beeinflusst wurde: Stanislav Vinaver und Melpo Axioti.

Und Ersi Sotiropoulos erzählt von einem Klassiker der griechischen Literatur, der sich selbst Zeit seines Lebens als „Versager“ bezeichnete und der in Europa noch immer nahezu vollkommen unbekannt ist: Mihail Mitsakis.
Das Programm von „NOW“ geht aber über die Literatur hinaus, sowohl bildende Künstler (wie Anastasia Douka), als auch Kulturschaffende, Dokumentarfilmer und Performancekünstler (wie Tzenia Argyriou) nehmen an der dreitägigen Veranstaltung teil und teilen mit dem Publikum ihre Interpretation der Gegenwart.

Wie wichtig der Beitrag der Kunst über alle (sprachlichen, sozialen, religiösen und kulturellen) Grenzen hinweg heute mehr denn je ist, darauf weist der ungarische Essayist László F. Földényi in seinem Vorwort zur aktuellen Ausgabe der Finnegan’s List hin:

„ Finnegan’s List ist sich der Unterschiedlichkeit, ja Isoliertheit der Sprachen bewusst, aber auch dass es Übergänge zwischen ihnen gibt. Nicht nur in die jeweils andere Sprache, sondern auch in die Welt der Gedanken. In die Welt des Geistes. Die eine durchaus einheitliche und gemeinsame ist. Eine wichtigere Aufgabe als deren Aufrechterhaltung gibt es heute kaum. Denn Tag für Tag werden wir Zeugen, wie man sie von allen Seiten zerstören will.“

Weitere Informationen finden sich auf den Webseiten www.seua.org und https://festival.fairead.net/now

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