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Die NSU-Morde: Wie setzen sich Künstler damit auseinander? Soeben wird Fatih Akins neuer Film „Aus dem Nichts“ diskutiert. Miltiadis Oulios hat sich in einem Theaterstück dem griechischen Opfer der Anschläge zugewendet. Nina Bungarten hat ihn für diablog.eu dazu befragt. Aufführungen können Sie am 15. und 16. Dezember 2017 im PATHOS München und am 11. und 12. Januar 2018 am FFT Düsseldorf sehen.
Theodoros Voulgaridis aus München war das siebte Mordopfer des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU). Ebenso wie die Hinterbliebenen aller türkischstämmigen Opfer wurde auch die Familie des griechischstämmigen Schlüsselmachers durch die Ermittlungen der Polizei jahrelang stigmatisiert – bis hin zur Zerstörung ihrer sozialen Existenz. „Warum musste Theo sterben?“ bringt diese Erfahrungen auf die Bühne und stellt sie in den Mittelpunkt einer Reflektion über Rassismus in unserer Gesellschaft und die Widersprüche einer als „gut integriert“ geltenden Einwanderergruppe. Die partizipative Theaterproduktion lädt dabei das Publikum zur Diskussion ein: Wo stehen wir angesichts des NSU-Skandals, wo stehen wir angesichts des Rechtsrucks in Deutschland und Europa?
Miltiadis Oulios, 1973 geboren, ist Sozialwissenschaftler und lebt und arbeitet als Journalist, Autor, Vortragsredner, Moderator und Reporter in Köln und Düsseldorf. Miltiadis Oulios plädiert für eine menschliche kosmopolitische Haltung angesichts der brennenden Fragen unserer Gegenwart. 2015 erschien sein Buch „Blackbox Abschiebung – Geschichte, Theorie und Praxis der deutschen Migrationspolitik“. Das aktuelle Theaterstück entstand in enger Zusammenarbeit mit dem Regisseur Antonis Chryssoulakis und dem Bruder des ermordeten Theo, Gavriil Voulgaridis.
Sie sind eigentlich Journalist. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, ein Theaterstück über dieses sehr komplexe Thema zu schreiben?
Die Idee dazu kam durch die Vorbereitungen zum „Tribunal NSU-Komplex auflösen“ in Köln und die Anfrage an mich, etwas aus deutsch-griechischer Perspektive beizusteuern. Nun hatte ich mich auch schon mit dem NSU-Skandal beschäftigt, in meiner damaligen Sendung „Radiopolis“ dem Thema auch eine ganze Stunde gewidmet. Zugleich trieb mich aber auch die Frage um, weshalb wir bei diesem Thema so wegschauen. Die Ermordung von Theodoros Boulgaridis ist bei den Griechen in Deutschland kein großes Thema gewesen. Vom staatlichen Rassismus, der sich bei den Ermittlungen offenbarte, ganz zu schweigen. Mein Unbehagen mit dieser Situation und die Dramatik dieser ganzen Geschichte bewogen mich dazu, auch tatsächlich eine dramatische Form zu suchen. Ich empfand es als zu wenig, einfach nur einen Vortrag dazu vorzubereiten. Ich wollte ohnehin schon länger mit meinem Freund, dem Theatermacher Antonis Chryssoulakis, zusammenarbeiten, und so entwickelte sich die Idee zu diesem Stück.
Brannte Ihnen das Thema sehr unter den Nägeln?
Selbstverständlich brannte mir dieses Thema unter den Nägeln, auch weil ich schon in der Vergangenheit anti-rassistisch aktiv war und weil mich vor allem diese konsequente Verweigerung der staatlichen Stellen, ob Behörden oder Polizei, ihren eigenen Rassismus überhaupt zu benennen und zu reflektieren, aufregt.
Halten Sie Theater als Ort der „Katharsis“ für am besten geeignet, Aufklärung zu betreiben?
Das Theater ist tatsächlich als Ort der Katharsis und der Aufklärung geeigneter, weil es uns unmittelbar konfrontiert und nachfühlen lässt, was zum Beispiel die Familien der Ermordeten erlebt haben, weil es uns emotional anspricht und zugleich Wissen auf einer anderen Ebene transportiert als ein rein sachlicher Text.
Könnten Sie noch etwas zum Tribunal NSU-Komplex auflösen sagen? Was war das genau?
Das war ein viertägiger Kongress am Schauspiel Köln, der von linken Gruppen, Betroffenen und Unterstützern organisiert wurde und zum Ziel hatte, öffentlich als Zivilgesellschaft Anklage zu erheben gegen all das, was den NSU-Terror ermöglicht hat und was vor Gericht in München zu wenig zur Sprache kommt.
Sind Sie selbst schon einmal von dieser „Behördenmaschinerie“ persönlich betroffen gewesen und haben Sie darunter gelitten?
Nein, das kann ich nicht behaupten. Das einzige, was mir in den Sinn kommt, sind jeweils zwei Situationen, einmal als Jugendlicher auf der Ausländerbehörde und einmal später bei der Einbürgerung, die etwas mit dem „Zum-Anderen-gemacht-werden“ zu tun haben, aber in keiner Weise mit dem zu vergleichen sind, was die Hinterbliebenen der NSU-Opfer durch die Stigmatisierung durch die Polizei und die Medien durchmachen mussten.
Haben Sie für Ihre Arbeit mit den Angehörigen des Ermordeten Kontakt aufgenommen?
Ja, wir haben uns an Gavriil Voulgaridis, den Bruder des ermordeten Theo, gewandt und sehr gut und vertrauensvoll mit ihm zusammengearbeitet. Gavriil Voulgaridis ist zum Tribunal in Köln gekommen, hat dort unsere Vorstellung gesehen und uns gebeten, damit nach München zu kommen.
Inwiefern ist Euer Stück partizipativ? In welcher Form hat man sich das genau vorzustellen?
Das Publikum wird während des Stückes direkt angesprochen. Vor allem aber stehen wir nach dem Stück zum Publikumsgespräch bereit, und bislang fanden danach auch immer Diskussionen statt.
Wie hat das Publikum darauf reagiert?
Das kommt immer sehr gut an. Viele Menschen sind zu unserem Erstaunen durch das Stück zum ersten Mal intensiver mit dem Thema NSU konfrontiert. Sie sind schockiert und dann bereit, mehr darüber zu erfahren und auch selbstkritisch über die eigenen Rassismen zu diskutieren. Mein besonderer Dank gilt Natalie Bayer vom Projekt „Migration bewegt die Stadt“ am Stadtmuseum in München, die sich sehr für das Stück eingesetzt hat.
Interview: Nina Bungarten/Miltiadis Oulios. Foto: Miltiadis Oulios. Informationen zu den Vorstellungen: www.facebook.com/wmths
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