Ein irrer Hauch von Welt – griechische Musik in Thüringen

Elisabeth Heinze über griechische Teilnehmer*innen beim Rudolstadt-Festival 2018

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Folk-Roots-Weltmusik-Festival in Rudolstadt: Kurz vor Jahresende ein Rückblick auf den Sommer, mit Ausblick auf ein sonniges 2019! Im vergangenen Juli eröffnete der Bürgermeister der thüringischen Kleinstadt das alljährliche und größte Weltmusik-Event in Deutschland mit einem Zitat von Demokrit: „Ein Leben ohne Fest ist eine weite Reise ohne Gasthaus.“ Elisabeth Heinze berichtet für diablog.eu über die griechischen Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Der Vorverkauf für das nächste Festival 4.-7. Juli 2019 startet am 12. Dezember!

Gewiss wird Gastfreundschaft weltweit praktiziert, doch sind manche Gegenden eher dafür bekannt als andere. Jedes Jahr demonstrieren Thüringer*innen in der von Wald umgebenen ehemaligen fürstlichen Residenzstadt aufs Neue, dass sie sich diesem Motto verschrieben haben. Von einer weltoffenen Atmosphäre ist das größte Folk-Roots-Weltmusik-Festival Europas bestimmt. Es ist mit über 75 internationalen Musik-Acts, trotz der über 100.000 Menschen, welche die Stadt an der Saale in diesem Jahr besuchten, noch immer familiär. Ganz ohne Kommerz und Hektik kommt es aus, und erzeugt mit ausgewählten Künstler*innen, einem anspruchsvollen Programm mit kulturpolitischen Inhalten, wie dem Projekt Arbeiterlied oder einem Workshop über die RechtsRock-Szene Thüringens, besonderen Kunsthandwerkswaren und seltenen Instrumenten einen tollen Sinnesrausch. Wie unfassbar das für manchen sein mag, zeigt vielleicht der Titel der alljährlichen Festival-Doku namens „Ein irrer Hauch von Welt“ (MDR, Mitteldeutscher Rundfunk).

Frau mit mit phorminx
Dine Doneff mit Phorminx, Luthieros Musikinstrumente, ©Dine Doneff

Ein „irrer“ Hauch aus Griechenland lässt sich anhand von Kostas Theodorou vermitteln: Als Musiker tritt er unter seinem Geburtsnamen Dine Doneff auf. Wie in Rudolstadt auch in Griechenland, wo Doneffs Familie 1966 bei ihrer Rückkehr in die nordgriechische Herkunftsregion eine Namensänderung auferlegt wurde. Sein griechischer Name zeugt von der Notwendigkeit, auch vom Zwang der Grenzgänger weltweit, sich anzupassen, vom irren Bedürfnis, Kultur national und wie aus einem Guss zu präsentieren. Dagegen scheint sich der Bassist zu stellen, indem er seinen ersten Namen im künstlerischen Kontext verwendet und zugleich die Frage von Zugehörigkeit zum Gegenstand macht. Das Album „Rousilvo“ ist beispielsweise dem gleichnamigen Dorf im Grenzgebiet zwischen Nordgriechenland und der „Republik Nord-Mazedonien“ (die Bezeichnung, auf die sich Griechenlands Ministerpräsident Alexis Tsipras und sein mazedonischer Kollege Zoran Zaev im Juni 2018 einigten) gewidmet, aus dem er stammt. Im Ensemble „Primavera en Salonico“ nähert er sich u.a. mit Savina Yannatou sephardischer Musik an, die jahrhundertelang von Juden in Thessaloniki – bis zur ihrer beinahe vollständigen Vernichtung durch die deutschen Faschisten im Zweiten Weltkrieg – gepflegt wurde.

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Nun ist Doneff in Rudolstadt zusammen mit Maria Dafka mit dem Förderpreis des Weltmusikpreises RUTH ausgezeichnet worden, einem Preis, mit dem Künstlerinnen und Künstler gefördert werden, deren vorrangiges Ziel nicht die Steigerung ihres Bekanntheitsgrades ist. Dafka wurde in der nordgriechischen Stadt Ptolemaida-Eordaias/Kozani geboren. Sie spielt Bajan, ein griechisches chromatisches Akkordeon russischer Herkunft. Auch mit den mazedonischen Improvisationen des Duos werden verloren- und untergegangen geglaubte musikalische Traditionen wieder heraufgeholt, in Umlauf gebracht und bewahrt. Fremdes, Unbekanntes, Vergessenes wird einverleibt, variiert und kombiniert. Musikalische Grenzen sind weiter und durchlässiger als die tatsächlichen.

Immer bewegt sich die Musik auf andere zu, nicht selten diente sie zur Besänftigung, wie es in Leonard Cohens legendären „Hallelujah“ heißt: „I’ve heard there was a secret chord, that David played, and it pleased the Lord.“ Der Sänger nutzt das bezaubernde Spiel von König David, um selbst musikalisch zu beeindrucken. So steht es im Alten Testament: „Wenn nun der Geist Gottes über Saul kam, nahm David die Harfe und spielte darauf mit seiner Hand. So erquickte sich Saul, und es ward besser mit ihm, und der böse Geist wich von ihm.“ (1. Samuel 16:23) Die frühe Harfe ist das Instrument, was auch Leier (Lyra) genannt wird. Davids Leier wurde vermutlich in eine Elfenbeinplatte eingeprägt, die vom Archäologen Gordon Loud bei Ausgrabungen des Königspalastes in der antiken Stadt Har Megiddo (Armageddon, griechischer Name) im heutigen Israel entdeckt wurde. Der Fund lässt sich auf 1200 v. Chr. datieren. Die Lyra, so gesehen ein Hybrid der Geschichte des Mittelmeerraums, war ebenfalls in Rudolstadt vertreten.

Harfe
Die Leier von König David in Har Megiddo, @Luthieros Musikinstrumente

Im Instrumentenbauzentrum, eine feste Festivalgröße, wurden Replikate antiker Musikinstrumente vorgestellt. Traditions- und Qualitätshandwerk aus dem heutigen Griechenland? Aber ja, auch wenn nicht Wenige in den Krisenjahren das Land verlassen haben, sind auch welche geblieben. So wie Familie Koumartzis. 2012 gründete sie das Unternehmen „Luthieros Musikinstrumente“ in Nordgriechenland, das sich auf Instrumentenbau von traditionellen und antiken Saiteninstrumenten und Trommeln spezialisiert hat. „Wir wollten etwas an dem Ort schaffen, an dem wir leben, anstatt in ein anderes Land zu ziehen“, erklärt Thodoris Koumartzis, verantwortlich für die Kommunikation. Sein Vater, eigentlich Tierarzt, Anastasios Koumartzis, machte sein Hobby zum Beruf und verhalf so seinen drei Söhnen zu einem bescheidenen Broterwerb. Schon vor Jahren baute der Amateurmusiker seine Bouzouki selbst. Als Nikos, der mittlere Sohn sein Produktdesign-Studium abschloss, entstand die Idee mithilfe moderner Technologien wie 3D-Modellierung Replikate antiker Musikinstrumente zu entwerfen. So wird dem Instrument ohne jüngere Vergangenheit eine neue Dimension verliehen. Tatsächlich bilden historische Quellen den Ausgangspunkt: Die Darstellungen auf Gefäßen und Bildern, die Beschreibungen bei Homer oder Ovid versetzen die Instrumentenbauer in die Lage, durch Studium und Kooperation mit griechischen Universitäten hölzerne Klangkörper nachzuahmen, die teils vor über 1200 Jahren vor unserer Zeit entwickelt wurden. „Die Instrumente haben jahrhundertelang geschwiegen“, sagt Danis Kourmatzis, Musiker und Instrumentenbauer, „ihre materielle Wiederbelebung kann nur durch Nachforschungen antiker Kompositionen erreicht werden.“

Michael Levy beim Instrumentenbauer Anastasios in der Werkstatt
Zu Besuch bei Instrumentenbauer Anastasios, ©Luthieros Musikinstrumente

Ein Perspektivenwechsel im Leben dieser Musikerfamilie, denn obwohl auf der praktischen Ebene „das griechische Steuersystem komplizierter geworden ist“, wie Thodoris meint, wollen sie sich auf die inspirierenden Aspekte der antiken Kultur fokussieren, „als die Verbindung von Musik und Leben in der ethischen und persönlichen Suche jedes Menschen einen ganz anderen Stellenwert einnahmen.“

Die Leier, das filigrane und leicht zu spielende Zupfinstrument, stellt gemeinsam mit der Kithara die älteste überlieferte Grundform der heutigen Gitarre dar. Ihr zunächst zarter bis energisch warmer Klang absorbiert den Zuhörer ganz. Für die Besucher in Rudolstadt (von denen sich jedes Jahr einige etwas Geld zurücklegen, um auf dem Markt kostbare, handgefertigte Instrumente zu erwerben) war der Anblick der dinghaften Lyra, die sie von Abbildungen und eben durch den biblischen David kannten, ein echter Hingucker – anregend, begeisternd und irre.

Text: Elisabeth Heinze. Redaktion: A. Tsingas, M. Prinzinger. Fotos: Dine Doneff, Elisabeth Heinze, Luthieros Musikinstrumente.

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