Trachanopita, eine Lehrstunde in gesunder Ernährung

Artikel von Paschalis Tounas

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15.-17. Oktober finden die diesjährigen ErasmusDays statt. Unser Redaktionsmitglied Paschalis Tounas ist nicht nur als „Reiseleiter“ ungewöhnlicher Routen bekannt, sondern auch als großer Kenner der Küche seiner nordgriechischen Heimat. Lesen Sie, was er im Rahmen des Erasmus+-Programms über „Petoura und Trachanas“ schreibt.

Das Packen eines Urlaubskoffers, das außer Mühe auch eine chirurgische Präzision erfordert, um Dinge in einer Art Miniaturschrank unterzubringen, lässt in meinem Geist immer eine bestimmte Szene aus einem griechischen Film der 60er Jahre aufsteigen: Der Protagonist hat wie selbstverständlich nicht nur sein eigenes Gepäck bei sich, sondern auch, für alle sichtbar, Eier aus dem Dorf und eine wohlgenährte Henne, als Geschenk für die Verwandten in Athen oder als Hauptzutat für sein Mittagessen. Eine Szene, die Gelächter auslöst; doch wenn man genau hinschaut, war dieser Mann am Ende der beste und authentischste Botschafter des sogenannten Gastro-Tourismus. In einer Zeit wie heute, in der es schwer wird, seinen Gaumen noch mit dem ursprünglichen Geschmack der Nahrung, die man zu sich nimmt, zu befriedigen, in einer Zeit des Fastfoods von zweifelhafter Qualität und Herkunft, einer Nahrung, die immer wieder von Skandalen begleitet wird, gibt es glücklicherweise immer noch junge Leute, die selbst in ihren Schulpausen noch hausgemachtes Essen dabei haben, was Anlass zur Hoffnung gibt.

Unter ihnen sind die Schüler des Aiani-Gymnasiums, die sich entweder auf Drängen der Eltern oder im Zuge von Erasmus+-Programmen dafür entscheiden, ihren Gaumen mit lokalen traditionellen Produkten und Gerichten zu verwöhnen. So wie die fünfzehnjährige Evangelia, die jetzt im Rahmen des Erasmus+-Programms mit dem Namen „Food Ethos Course“ ihren Koffer für einen Schüleraustausch in der Slowakei packt. Und ganz oben drauf kommen traditionelle Produkte aus Aiani: Petoura-Nudeln und Trachanas. Trachanas ist eine Art Bulgur, mit Ei und Milch oder Joghurt versetzt. Das sind u.a. die Geschenke für ihre slowakische Gastfamilie, bei der sie eine Woche zu Gast sein wird, sie sind aber auch die Zutaten für die Zubereitung der traditionellen Trachanopita, eines leckeren Auflaufs. Letztes Jahr war Evangelias Familie Gastgeberin einer spanischen Studentin – und ich war bei der Zubereitung einer baskischen Tortilla mit einheimischen Eiern und hausgemachter Marmelade anwesend. Das war eine ebenso einleuchtende wie effektive griechisch-spanische Zusammenarbeit.

Evangelia schließt den Koffer und damit die Frische und den Geruch der Weizenprodukte ein und zieht ihre karierte Kochschürze an. Sie scheint entschlossen und bereit zu sein, unter Anleitung ihrer Mutter die traditionelle Trachanopita zuzubereiten, was sie in der nächsten Woche in der Slowakei alleine wiederholen soll. Auf der Arbeitsplatte aus Marmor sind bereits die Zutaten aufgereiht: eine Glasschüssel mit dem süßen Trachanas – es gibt auch sauren – eine mit den Petoura-Nudeln, eine mit Öl – vorzugsweise Olivenöl – und eine mit Salz. Im Kühlschrank wartet der Fetakäse darauf, mit den Hauptzutaten des Rezepts vermengt zu werden. Auch er ist hausgemacht, hergestellt von einem Freund der Familie, einem Viehzüchter.

Zutaten zum Kochen

Der nächste Schritt des Projekts findet auf dem Küchentisch statt. Dort wartet die rechteckige flache Kupferform oder ‚Sini‘ auf die Zutaten. „Das Material der Form ist sehr wichtig“, sagt Evangelias Mutter. „Die handelsüblichen Formen aus Edelstahl oder Aluminium backen die Pita nicht so gut. Im Gegenteil, es waren Backformen aus Kupfer oder mit Kupfer ausgekleidet, die unsere Großmütter in der Vergangenheit verwendet haben, die der Pita ihren einzigartigen Geschmack verliehen haben.“ „Darüber hinaus“, fügt Evangelia hinzu, „ist Kupfer ein viel besserer Wärmeleiter. So gart das Essen viel schneller und gleichmäßiger.“

Also bestreicht sie die blanke Innenfläche des Backblechs mit Olivenöl. Dann folgt eine dünne Schicht Trachanas, die der Trachanopita ihre gewünschte knusprige Kruste verleiht. Darauf kommt eine gleichmäßige Schicht Petoura. Und im Anschluss das ‚Sahnehäubchen‘: zerbröselter Fetakäse. Nun können wir noch etwas Trachanas hinzugeben. Wenn die Trachanopita mehr an die unserer Großmütter erinnern soll, kann die Dicke der einzelnen Schichten erhöht werden. Nun ist unsere Pita, ganz ohne Blätterteig, bereit in den vorgeheizten Backofen geschoben zu werden. Das einzige, was noch fehlt, ist sie mit einer heißen Salzwasser-Öl-Mischung – je nach Geschmack und Bedarf – nur zu ‚beträufeln‘ oder gar zu ‚durchtränken‘, damit die einzelnen Zutaten nicht auseinanderfallen. Dann ist sie fertig und nach 45 Minuten bei 200 Grad können wir eine leckere Trachanopita zum Mittagessen servieren, oder, sollte noch was übrigbleiben, auch zum nächsten Frühstück.

getrocketer Weizengrieß

„Wie, das war schon alles?“, fragt Evangelia überrascht. „Die Herstellung der Zutaten kam mir im Sommer viel anstrengender und schwieriger vor“, fügt sie hinzu. „Ich erinnere mich an das Zubereitungsritual für Trachanas im Haus meiner Großeltern, als wenn es gestern gewesen wäre. Welch eine Erfahrung das war! Mit welchem Geschick und mit wieviel Geduld meine Großmutter und meine Tante in der Sommerhitze Trachanas und Petoura zubereitet haben. Und immer mit Zutaten aus dem Dorf. Für den Trachanas brauchte es fünf Kilo Weizen, die wir von Onkel Vangelis bekamen, und zehn Kilo Schafs- oder Ziegenmilch von Herrn Giannis.“ Natürlich wurden beide mit einem Stoffsäckchen Trachanas entlohnt.

ein flacher Kuchen

„Wir haben den Weizen gewaschen, von Schmutz befreit und im Steinmörser gemahlen. Dann haben wir ihn in der Sonne ausgelegt und nachdem er getrocknet war, die Spreu vom Weizen getrennt. Danach kam der gemahlene Weizen zusammen mit etwas Salz in einen Topf mit kochender Milch.“

„Er muss schön kochen, bis er die ganze Milch ‚aufgesogen‘ hat“, fügte die Tante hinzu. „Nachdem der Trachanas gequollen und ein wenig abgekühlt war, nahmen wir ihn aus dem Topf und verteilten ihn auf dem sauberen Tisch. Wir haben ihn in kleine Stücke zerteilt. Sowie er angetrocknet war, wurde er gut durchgesiebt und ungefähr acht Tage getrocknet.“

Getreidekörner

Archäobotanische Forschungen in Nordgriechenland haben gezeigt, dass das Kochen von Getreide in Flüssigkeit und das anschließende Lagern für einen späteren Zeitpunkt schon dreitausend Jahre vor Christi bekannt war. Und das Dazumischen von Milch oder Joghurt, zu dem, was wir heute Trachanas nennen, ist in mehreren Ländern wie in der Türkei, Jordanien, dem Iran und Armenien weit verbreitet.

Landschaft mit Strohballen

„Und die Petoura-Nudeln erst! Was das für Arbeit ist!“, fährt Evangelia fort. Ich selbst hatte das Aufschlagen der hundert frischen Eier übernommen, damit ihr frisches, vitaminreiches Eigelb mit speziell für Pita geeignetem Vollkornweizenmehl aus einer Mühle im benachbartem Dorf mit Milch und etwas Salz zu einem leicht formbaren und nicht klebrigen Teig vermischt wird.

Ausrollen von Teigstücken

„Großmutter hat dann mit dem Nudelholz kleine Teigbällchen ausgerollt wie bei der Tiropita. Die Tante hat sie dann der Länge nach zwei Mal in der Mitte gefaltet und ich habe sie in kurze, dünne Streifen geschnitten. Sie ähneln dann der bekannten Lasagne oder dem ‚Laganum‘, aus einem Teig aus Wasser und Mehl, den wahrscheinlich griechische Siedler im achten vorchristlichen Jahrhundert aus dem Mutterland an die Küste Italiens gebracht haben. Heutzutage werden sie in anderen Teilen Griechenlands Chilopites genannt, aber unsere Petoura-Nudeln sind doch schon etwas anderes. Wahrscheinlich stammen sie von den altgriechischen ‚Petila‘ ab, was von dem Verb ‚petánnymi‘ (πετάννυμι) abgeleitet wurde, was ‚ausstrecken‘, ‚ausbreiten‘ oder ‚ausrollen‘ bedeutet. Petouro oder Petila bedeutet so viel wie ‚ausgerollter Teig‘. Die haben wir dann auf einem sauberen weißen Laken verteilt, nach einer Woche wieder eingesammelt und in Säckchen gefüllt, nicht nur für heute oder morgen, sondern für das ganze Jahr.“

Tisch mit ausgebreiteten Nudeln

Das Knacken und Zischen des elektrischen Feuers, sprich: des Backofens, und der Duft der Trachanopita holt Evangelia ins Jetzt zurück. In den fünfundvierzig Minuten, die die Trachanopita zum Backen gebraucht hat, hatte Evangelia den langen Weg der einzelnen Zutaten zurückverfolgt. Mit dem rotkarierten Küchenhandschuh öffnet sie entschlossen die Glastür des Backofens. Von den austretenden wohlriechenden Dämpfen beschlagen ihre Brillengläser und auch kurzzeitig die hölzerne Front der Küchenschränke. Solange sie noch etwas sehen kann, nimmt sie eine Gabel und sticht wie eine gestandene Köchin in die Pita, entnimmt ihr wie eine erfahrene Verkosterin eine kleine Menge, hält ihre linke Handfläche unter die Gabel, damit nichts tropft, und bringt die Probe in Kontakt mit ihrem Gaumen. Wie die Kandidaten einer Kochsendung erwarten wir voller Spannung ihre Kritik: „Die Zutaten sind gut miteinander vermengt, die Petoura so knusprig, wie sie sein sollten und mit der rosaroten Farbe von Herbstlaub, der Käse ist angeschmolzen.“

„Jetzt bist du bereit“, meint darauf ihre Schwester, die zwölfjährige Ioanna, „auch am Trachanopita-Fest teilzunehmen.“ Das findet am Sonntag zu Beginn der sogenannten Milchwoche, der ersten Fastenzeitwoche vor Ostern, in Kerasia statt, einem kleinem Dorf nur 5 km von meiner Heimatstadt Aiani entfernt. Ein Klassenkamerad erzählte mir, als ich mal Trachanopita in der Schule aß, dass vor vielen Jahren die Frauen des Dorfes in der Silvesternacht Trachanopita und andere Speisen zubereiteten und den Schäfern in die Berge brachten. Heutzutage wird am Milchwochensonntag die Trachanopita beim ‚Fanós‘, dem traditionellen Feuer, das an diesem Tag in jedem Viertel auf offener Straße entfacht wird, zu Wein und gepökeltem Fleisch gereicht.

gedeckter Tisch

Zufrieden schließt Evangelia sachte die Ofentür und hilft ihrer Mutter den Mittagstisch zu decken. Sie wirkt zuversichtlich, auch im Ausland eine Trachanopita erfolgreich zubereiten zu können.

Der letzte Tag ihres Aufenthalts im slowakischen Košice, vor einigen Jahren Kulturhauptstadt Europas, würde der große Tag werden. Sie sollte ihrer slowakischen Familie, die sie die ganze Zeit beherbergte, Trachanopita servieren. Sie hatte zwar Trachanas und Petoura mitgenommen, aber keinen griechischen Fetakäse. Würde sie auf dem slowakischen Markt das weiße Gold Griechenlands finden? Die Antwort kam per Evangelias Videoanruf. Im Bildschirmfenster hielt sie die Behälter mit Trachanas und Petoura in den Armen. Sie sah etwas enttäuscht aus.

„In der gesamten zweitgrößten Stadt der Slowakei konnte ich in keinem Supermarkt griechischen Feta mit geschützter Herkunftsbezeichnung finden. Es gab zwar einige Packungen mit der Aufschrift Feta, aber ohne das Siegel der EU, das ich in der Broschüre des Erasmusprogramms gesehen hatte, die uns in Griechenland vor der Abreise in die Hand gedrückt wurde. Die Überlegung, traditionellen slowakischen Käse zu nehmen, den ich einem Geschäft mit einer großen Käseauswahl probiert hatte, habe ich verworfen, da ich glaube, dass dann meine Trachanopita einen seltsamen Geschmack annehmen würde.“
„Da muss ich dir Recht geben, Evangelia“, sagte ich. „Vor Jahren, als ich bei einer deutschen Familie in Berlin wohnte, machte ich eine ausgezeichnete Trachanopita zum Frühstück. Fetakäse, griechischen, hatte ich auf einem Käsemarkt gefunden. Drei griechische Freunde waren damals beim ‚Hofkäsetag‘ dabei, bewarben und verkauften original griechische Produkte.

Ansicht eines Wochenmarkts in einer Halle

So weit so gut. Dann wurde ich aber sauer, als ein Freund der Kinder Senf und Ketchup auf die knusprigen Petoura verteilte! Manchmal kann die Mischung verschiedener Landesküchen ein erfolgreiches Experiment sein, aber irgendwo gibt es geschmackliche Grenzen.“

„Das meine ich auch“, fügte Evangelia hinzu, „ich werde also eine Trachanas- und eine Petourasuppe machen. Es ist schon etwas kalt hier und das verlangt nach einem heißen Süppchen.“ Sie strahlte über das ganze Gesicht, als ihre Mutter aufzumunternd meinte, dass die Suppen ähnlich wie Nudeln gekocht werden. Nur abseihen bräuchte man den Trachanas und die Petoura nicht. Der Petourasuppe sollte man zum Schluss einfach noch eine Tasse Tomatenmark hinzufügen.

„Gut. Jetzt muss ich aber mit dem Skypen aufhören, denn ich habe Trachanas auszulegen“, meinte Evangelia und lächelte verschmitzt von einem Ohr zum anderen. Denn in der Umgangssprache bedeutet „ich lege Trachanas aus“ soviel wie „ich habe mich mit einem schwierigen Fall oder einer ernsten Situation zu befassen“…

Text und Fotos: Paschalis Tounas. Übersetzung: Verena Schätzler. Redaktion: A. Tsingas.

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