Sikinos, die antike Insel Oinoie

Eine Reise in die Kindheit von Christina Fronista

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Christina Fronista stammt von der Kykladeninsel Sikinos, die auch der Lyriker und Nobelpreisträger Odysseas Elytis in seinen Gedichte besingt. Die in Berlin lebende Schauspielerin und Sängerin entführt uns auf „ihre“ Insel, erzählt von den unvergesslichen Sommern ihrer Kindheit und beschreibt die eigenwilligen Bienenstöcke der ägäischen Inseln.

Wir sitzen auf den Felsblöcken der Mole, die 1989 gebaut wurde. Früher musste man bei der Ankunft im Hafen das Fährschiff über Strickleitern verlassen. Abgeholt wurden wir damals immer von zwei großen Booten. Das rote Boot war für die Passagiere bestimmt, das blaue für das Gepäck. Wir wurden nach Alopronia gerudert, bis zum Laden von Giannis. Neben uns der Strand, unsere Häuser, unsere Verwandten. Jetzt konnte der Sommer beginnen.

Auf den Felsblöcken singen wir nachts Lieder der Popgruppe Poll.

Morgengrauen,
Häuser erscheinen wie von Geisterhand.
Papierne Stadt,
du warst vor kurzem noch im Schattenland.

Schaust du dir die Leute an,
Blumen siehst du keine in ihrem Haar,
Feuerflammen haben sie alle schon verbrannt.

Wir liegen auf dem Rücken und betrachten die unzähligen Sterne und das endlose, dunkle Meer. Eine Clique von jungen Leuten, eine Gitarre und Lieder über Reisen, Träume und die Liebe. Manchmal kommt die Gruppe spät abends am Strand zusammen und macht ein Feuer. Gefühle von Glück und Leidenschaft finden sich in den Liedern wieder, im nächtlichen Tauchen und in einem Kuss. Auf Sikinos gibt es nicht viele Geschäfte. Dafür Natur im Überfluss. Das Meer und Gott. Du und der Felsen.

In Chora, dem Hauptort der Insel, steige ich in der mittelalterlichen Festung Kastro die Steinstufen in Richtung des Klosters Zoodochou Pigis hoch und laufe durch die Gassen. Ich komme an der kleinen Kirche vorbei, die zu Ehren des Dichters Elytis errichtet wurde. Am Gipfel des Berghangs angekommen, sehe ich die Felsen hinter dem Kloster steil abfallen. Es weht ein stürmischer Nordwind. Nichts kann ihm standhalten. Außer Fels und Stein. Du stehst oben auf dem Felsen, auf dem höchsten Punkt der Insel und da bist nur du und Gott. Der Himmel und das Meer.

blick vom inselberg aufs meer
Blick vom Kloster: In Hintergrund die Insel Folegandros und davor die Felseninsel Kadiotissa, © Ch. Fronista

DOCH BEVOR ICH hinaufschritt zur lichten Höhe
Winde, Musik vernahm ich noch nicht
(roter Sand, unübersehbar
mit der Ferse löschte ich die Geschichte)
war ich noch ruhloses Kind. Was ich suchte, war etwas
schuldlos und zitternd wie Rebenblätter
tief und furchenlos das zweite Antlitz des Himmels
Etwas Seele im Lehm der Erde
Da sprach er und das Meer ward geschaffen
Ich sah und staunte
Kleine Welten streute er ein nach meinem Gleichnis:
steinerne Pferde mit ragender Mähne
Amphoren der Stille
gekrümmte Delphinrücken…

Als ich klein war, verbrachte ich meine Ferien in Chora und im kleinen Dorf Katergo. In beiden Orten wohnten wir in 500 bis 600 Jahre alten Häusern mit großen Wohnzimmern und reliefverzierten Fensterrahmen. In Chora habe ich viel im Untergeschoss gespielt, habe mir Geschichten ausgedacht zu den alten Tonkrügen, die da standen, der gemauerten Wasserstelle, zu Großvaters alter Werkstatt mit den vielen Hölzern und der Falltür, die man auf der Insel Mouri nennt und mit der uns Großmutter drohte, damit wir weiteraßen. Die Kellertür, die sich zum Dorfplatz hin öffnete, habe ich immer etwas angelehnt gelassen, damit ein wenig Licht reinkam. Vor der Tür stand ein Olivenbaum, es gab einen Spielplatz mit Karussell und Schaukeln, um den plattenbelegten Platz herum die Nachbarhäuser. Manche davon warteten noch auf Sommergäste. Gegenüber wohnte die Tante mit den leckeren Melitinia, dem lokalen Gebäck, in der Mitte des Dorfplatzes stand das Heldendenkmal und das „Voulistó“, eine Hausruine mit üppigen Steinreliefs.

verzierter tuerrahmen
Voulistó, © Archiv Th. Skampavirias

Chora ist ein Ort, der sich über einen Bergrücken hinzieht. Die vielen engen Gassen bilden ein Labyrinth. Charakteristisch ist die zentrale Dorfkirche der Panagia Pantanassa, eine Kuppelbasilika. In den Gassen findet man kleine Kafenions und einige wenige Tavernen mit einfachen gekochten Gerichten. An einer Kreuzung ist auch der Bäcker. Im Dorf grüßt jeder jeden. Die wenigen Bewohner kennen sich alle untereinander. Deine Freunde auf Sikinos sind der Felsen, der einsame Baum, der Nachbar, das Wasser und ein gutes Buch. Vor ein paar Jahren eröffnete in Chora ein Buchladen. Der Buchhändler ist mit Leib und Seele dabei.

Eines Tages suchte ich mit meinem Großvater zusammen unser Haus im Dorf auf. Eine Steintreppe führte ins Untergeschoss. Dort gab es eine Waschküche, einen gemauerten Backofen, Krüge für Öl und Wein und eine Zisterne. So eine existierte auch in dem Haus in Chora, so wie in jedem Haushalt der Insel. Hier im Dorf hatte das Haus nur ein Schlafzimmer, aber ein riesiges Wohnzimmer mit sehr hoher Decke. Großvater erzählte uns, dass es über der Küche noch ein weiteres, geheimes Zimmer gebe. Wenn es Piraten gelingen sollte, ins Haus einzudringen, konnten sie das nur einzeln tun, weil es eng wie eine Festung gebaut war. So hatten die Bewohner des Hauses Zeit, ins geheime Zimmer zu fliehen. Da oben gab es eine geeignete Verteidigungswaffe: ein Gefäß, in dem man Öl erhitzte, das dann durch eine Öffnung in der Decke auf die Eindringlinge gegossen wurde. Wozu das, Großvater? Um die Piraten zu verbrühen, natürlich. Das machte mir Angst. Aber meine Fantasie schlug Purzelbäume.

kykladendorf vor meer
Kastro, die Burg der Inselhauptstadt, © Ch. Fronista

Ein versiegelter Brief von 1851, ein Testament:

„Auf Sikinos (…) leben über Tausend Menschen. Wie in der Antike, so züchten sie auch heute noch Tomaten, Salat, Weizen, Oliven, Weintrauben und stellen Thymianhonig und Wein her. Feigen-, Maulbeer-, Kaktusfeigen-, Zitronenbäume und Tamarisken spenden Früchte und geben etwas Schatten.“

Sikinos und viele andere kleine Kykladeninseln dienten im ersten Weltkrieg und im Bürgerkrieg als Verbannungsorte. Von der Antike bis zur Eroberung durch die Venezianer 1670 waren die Kykladen den Piraten ausgesetzt, die wahllos plünderten und zerstörten. Aus dieser Zeit, in der sich der Alltag und damit auch das Verhalten der Menschen dem harten Leben und den widrigen Wetterverhältnissen anpassen mussten, gibt es keine schriftlichen Überlieferungen.

Zu Ostern, wenn es Milch gab, bereiteten sie Myzithra, den griechischen Frischkäse, zu. Der Großvater schnitt uns Brot ab und wir aßen es mit Käse und Thymianhonig. Im Sommer war die Sauermilch ohne die üblichen Gewürze erfrischend und sahnig. Die Pute wurde zu Ostern mit gebratener Leber gefüllt und kräftig gewürzt. Zum Nachtisch gab es Melitinia, Feigen aus Tzanaki und Weintrauben. Der Wein war vom Großvater.

alter mann mit ziege
Der Großvater beim Melken der Ziege, © Archiv Ch. Fronista

Am 15. August war das Fest der Panagia Pantanassa. Oh, die Dudelsäcke, Großvater!, rief meine Schwester. Inselmusik mit Dudelsack, Davul, Laute, so etwas hörte man selten, üblicher war der Rhythmus der Polka. „So wie die Sterne des Himmels vor der Dämmerung flirren, so erschauert auch mein Herz in Erwartung der Begegnung mit dir…“ Jede Kapelle feierte ihren Schutzpatron mit einem Fest unter freiem Himmel. Der Namenstag des Agios Panteleïmonas wird jedes Jahr am 27. Juli begangen. Die ganze Insel bereitet sich darauf vor. Einige kommen mit dem Boot und bringen ganze Backbleche mit Essen für alle mit. Dazu gibt es Wein, Raki und Wasser, Zwieback und Bauernbrot. Die ganze Nacht wird durchgetanzt. Als Kinder legten wir uns aufs Flachdach der Kirche und betrachteten die Sterne. Wir erzählten uns Geschichten. Unsere Fantasie überschlug sich. Wenn der Blick über die kleine Kirche hinweg schweifte, war alles stockdunkel. Wenn aber der Mond schien, war es taghell. Morgens, kurz vor der Morgendämmerung um vier machten wir uns alle gemeinsam auf den Rückweg nach Alopronia. Wir stiegen den Hang des Agios Panteleïmonas hinunter. An einigen Stellen gab es klar erkennbare Stufen, in den Fels gemeißelt, breit, gleichmäßig und absolut waagerecht. Diese Gegend war sicherlich auch in der Antike schon besiedelt. Es gibt Spuren, Ruinen. Dort, wo sich die Berghänge treffen, verläuft das Bett des Trockenflusses. Es gibt Wasser und Vegetation. Man sucht nach weiteren Spuren, ersinnt neue Abenteuer und Reisen in die Vergangenheit, wieder ist die Fantasie gefragt. Wir lassen Tria Pigadia hinter uns, man sucht nach Überresten der Vergangenheit und stößt auf die Antike. Man steigt die gemeißelten Stufen nach Katergo hinab. Von oben ist Punta zu sehen. Die Wogen der endlosen Weizenfelder gehen ins Blau des Meeres über. Wir lassen unseren Blick über die endlose Weite schweifen. Magische Orte.

terrassen in insellandschaft
Trockenmauerterrassen, © Ch. Fronista

„Auf Sikinos, dieser kleinen Insel der Kykladen, sind wir vor ein paar Jahren zusammengekommen, um eine Imkereigenossenschaft zu gründen. Damals fiel uns ein Buch über zwei alte Münzen von Sikinos in die Hände. Auf der einen Seite war eine Biene zu sehen. (…) Es hat uns tief berührt, dass sie uns auch nach 2300 Jahren immer noch eine Geschichte der Insel erzählen kann. Es handelt sich um eine Kupfermünze von 13 mm Durchmesser, mit einer Biene auf der Vorderseite und einer Weintraube auf der Rückseite. Unten auf der Münze kann man den Schriftzug SIKI gut erkennen. Sie wurde nach 300 v. Chr. auf Sikinos geprägt.“ (Evangelos Papas, Kalliroï Mageira, Imkerei-Revue, Mai-Juni 2006, S. 147)

Irgendwann beschloss mein Vater, mir etwas aus seiner Kindheit zu zeigen. Also standen wir noch vor sechs Uhr auf, es war noch dunkel. Von Katergo aus starteten wir Richtung Chora. Als wir drei Viertel des Weges hinter uns hatten, bogen wir rechts ab und nahmen den Pfad nach Ai Giorgis. Nachdem wir stundenlang über einen Zick-Zack-Weg den Berghang hochgelaufen waren, breitete sich plötzlich das Ägäische Meer vor uns aus. Wir standen auf dem Gipfel des Berges, vor uns lag Kafkara, ein rundes Feld. Ein Ruhepunkt, der dem Berg eine gewisse Gelassenheit verlieh. Gegenüber erblickte ich die Insel Ios mit ihrem charakteristischen Kuppelberg. Das Meer war ruhig, nur „Spiliades“, kleine Böen, zogen darüber hinweg. Uns fröstelte es im Morgentau. In diesem Augenblick kamen die ersten Lichtstrahlen hinter dem Berg Troulos auf Ios zum Vorschein. Die Sonne ging auf und beherrschte nun alles mit ihrem Glanz. Wo gehen wir denn jetzt hin, Vater? Nach Dialiskari, Christina, sagte mein Vater. Dort, wo die beiden Berge ineinander übergehen, gibt es Felder, die bis zum Sandstrand reichen. Irgendwann kamen wir in Dialiskari an. Der Boden auf Sikinos war früher sehr fruchtbar, meinte mein Vater. Mittlerweile wurden viele Felder nicht mehr bestellt. Ich aber hatte nur Augen für die Spuren der Vergangenheit. Und siehe da, ich erblickte ein Keramikgefäß, rund, länglich und mittelgroß. Es lag auf einer Steinbank zusammen mit einigen anderen Fragmenten. Vater, was ist das? Mein Vater hob einen Schieferstein auf, der das Gefäß abdeckte. Auf der Keramik war zu lesen: Lukas 19.. (wahrscheinlich ein Stempel vom Anfang des 20. Jhs.) Das war bestimmt der Großvater meines Vaters und das Keramikgefäß ein waagerechter Bienenstock. Ich hatte einen Schatz gefunden.

tongefäß im garten
Der kykladische Bienenstock Ypseli, © Archiv Th. Skampavirias

„Die Bienenzucht ist tief verwurzelt und sehr traditionell. Der charakteristische, kykladische Bienenstock „Ypseli“ mit nur einem Zugang ist hier am weitesten verbreitet. Aus gebranntem Ton, integriert in den sogenannten Bienenöffnungen der eigens dafür geschaffenen Trockenmauerstufen, scheint er [der Bienenstock] sich zu entmaterialisieren und sogar den Augen des aufmerksamen Betrachters zu entziehen. Eine fast absolute Verschmelzung mit der Landschaft.“ (Thanassis Bikos, Agrarwissenschaftler, aus „Sikinos: Das Getöse der Stille“. Zeitschrift „Imkerei-Revue“, Mai/Juni 2006, S. 150)

…los               Sikinos            Seriphos         Milos
»Auch jedes Wort einer Schwalbe, sprach er
bring’ dir im Sommer den Frühling
Und zahllos die Ölbäume
die mit ihren Händen das Licht sieben
dass es sich unbeschwert ausbreite in deinem Schlaf
ein Heer von Zikaden
und du siehst sie nicht
wie du den Puls deiner Hand nicht spürst
aber nur wenig Wasser
damit du es achtest wie Gott, seine Sprache behältst
und den Baum, wie er ist
ohne Herde
mach ihn zum Freund und damit du genau…

Das wilde Treiben der Natur, die vom Salz scharf geschliffenen Felsen, der starke Meltemi, ein sommerlicher Nordwind, machen Sikinos schwer zugänglich und das Leben schwer. Es gibt schöne Ecken, aber nur wenige. Man muss schon danach suchen. Aber sie sind einzigartig, wie das kleine Veilchen auf dem kantigen Felsen, wo ansonsten nichts wächst.

safranblüte im fels
Safran, © Archiv Ch. Fronista

Sikinos gehört zu den Inseln, die an der „Agoni Grammi”, der keinen Gewinn abwerfenden Fährlinie liegen. Sie führen zu Kykladeninseln voller Felsen in der gnadenlosen Sonne, ohne Pflanzen und Bäume, nur weiße kleine Häuser mit blauen Fenstern. Wie die, die man auf den Postkarten sieht.

Auf Sikinos gibt es versteckte Höhlen, die man nur entdeckt, wenn man irgendwo zur Ruhe kommen und sich vor der Sonne schützen möchte. Wind, Meer, spärliches Leben. Man ist dem widrigen Wetter hilflos ausgeliefert und muss schauen, dass man zurechtkommt. Wenn man es schafft, dem Sturm zu trotzen und nicht weggeweht zu werden, dann fühlt man sich wie der Herrscher der Welt, so als wäre man stärker als die Natur. Wenn man aufrecht stehen bleiben kann, ist man offensichtlich widerstandsfähig. Wie ein Kapitän, der sich den stürmischen Wellen und dem tobenden Wetter entgegenstellt. Wie es Jules Verne in „Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer“ beschreibt. Auf Sikinos kann man die Geheimnisse der Natur aufspüren. Sie hat etwas Magisches, Dunkles, in das man sich immer weiter vertiefen will.

Der Meeresgrund. Das Blau des Meeres. Dieses unendliche Blau, es ist grenzenlos. Tausend Worte breiten sich wie Wellen vor dir aus. Und verlieren sich in der Unendlichkeit. So wie dich die Erde hält, so hält dich auch das Meer. Deine Freunde sind der Krebs auf dem Felsen, die kleinen Garnelen und die Schwarzgrundel im Wasser. Seeigelkolonien markieren die Stellen, die man lieber nicht betreten sollte, und weisen auf dem Meeresgrund einen gangbaren Weg. Rochen, Gelbstriemen, Seebarbe und Zackenbarsch. Muräne und Tintenfisch, versteckt in Felsspalten, sorgen dafür, dass man sich vor dem Ungewissen fürchtet. Und wieder schlägt die Fantasie Purzelbäume. Schiffswracks, Ertrunkene, das Leben im Meer… Die Ruhe der Tiefe, die endlose Stille, die Sicherheit des Wassers. Und wieder errichtet man in der Fantasie Häuser und ganze Städte auf dem Meeresgrund, den anderen unbekannt, dir selbst aber vertraut. Und wieder hat man einen Schatz entdeckt.

Auf den Felsblöcken. Die erste Liebe, die man nicht vergisst. Hast du dich nun verliebt, in den Jungen und den Stern und das Mondlicht über dem Meer, das an jenem Abend in der Nähe der Höhle auf eure Körper fiel?

Unser Haus ist in Katergo. Es liegt etwas abseits der anderen Häuser und Spielkameraden. Wenn ich allein war, ging ich tauchen. Ich sah den Meeresgrund mit seinen lebhaften Farben, die Felsen im Wasser, Seeigel, Muscheln, Schildkrötenpanzer, Krabbenschalen und -zangen, Schneckenhäuser und Seeohren aus Perlmutt für Halsbänder. Mich beschäftigte vor allem, wie lang ich ohne Atem auskommen und wie tief ich tauchen konnte. Gemeinsam mit anderen erkundete ich ferne Küsten. An Grego vorbei schippert man mit dem Boot nach Dialiskari, Ai Giorgis, Malta und danach zur Mavri Spilia mit dem türkisfarbenen Wasser. Über Garbi geht es nach Folegandros, Katergo, Tria Pigadia, Agios Panteleïmonas, Santorineïka, Karas, Ai Giannis und mit einem Schlenker zurück. Vorbei an der kleinen Insel Kardiotissa und Dyo Vrachia, den zwei Felsen im Meer, von denen der eine wie ein Delphin und der andere wie ein Schiff aussieht.

felsformation im meer
Einer der Zwei Felsen, „Karavos“, das Schiff, © Th. Skampavirias

Und weiter geht es in nördliche Richtung. Die Berge tauchen hier tief ins Meer. Wirft man ein Steinchen von der Bergspitze hinunter, scheint es direkt ins Meer zu stürzen. Wenn der Nordwind weht, ist er sehr heftig. Dort im Norden liegt ein weiteres Geheimnis, der alte Hafen. Hier setzten in früherer Zeit meist die Piraten an Land. Geheimnisvolle antike Siedlungen, Stufen und Feldterrassen liegen ringsum verstreut. Es gibt überall Zeichen, man muss sie nur deuten.

…seinen kostbaren Namen erfährst spärlich das Erdreich zu
deinen Füßen dass du nicht Wurzel schlägst
und ständig Wurzel aus Tiefen emporziehst und breit der Himmel droben
dass du für dich begreifst die Unendlichkeit«

DIES
die Welt die kleine, die große!

Text: Christina Fronista. Fotos: Christina Fronista, Theodoros Skampavirias. Übersetzung: Angelika Gravert. Redaktion: A. Tsingas. Lyrik: Poll, Odysseas Elytis, Auszug aus To Axion Esti /Gepriesen Sei. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Elfenbein Verlags, Zweisprachige Ausgabe, Heidelberg 2001.

Mehr zu der in Berlin lebenden Sängerin und Schauspielerin auf www.christina-fronista.de.

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1 Gedanke zu „Sikinos, die antike Insel Oinoie“

  1. Moin und Kalimera, schöner und interessanter Artikel über Sikinos. Von dem kykladischen Bienenstock „Ypseli“ hatte ich vorher noch nichts gehört…..

    „Es gibt schöne Ecken, aber nur wenige. Man muss schon danach suchen. Aber sie sind einzigartig, wie das kleine Veilchen auf dem kantigen Felsen, wo ansonsten nichts wächst.“ Das kann ich bestätigen, Sikinos ist einzigartig, schön, ruhig und vor allem eine ursprüngliche Insel. Jede der knapp 120 bewohnten griechischen Inseln unterscheidet sich von den anderen Inseln. Für mich gibt es eine handvoll griechische Inseln die einen besonderen eigenen Charakter haben und sich von den restlichen griechischen Inseln unterscheiden – Sikinos gehört da zu.

    Im April 2015 bin ich auf Anafi und Sikinos gewesen. Hier mein kleiner Artikel über Sikinos: Um es gleich vorwegzunehmen, hat mir Anafi schon gut gefallen, hat es mir auf Sikinos noch besser gefallen.

    Die Orte

    Der Hafenort Alopronia ist ein kleiner idyllischer Hafenort. Hier hatte ich auch meine Unterkunft.

    Bei der Ankunft der Fähre standen die beiden sehr geschäftstüchtigen Frauen von Lucas Rooms und Osteria Rooms am Anleger. Beide besitzen mehrere Unterkünfte in Alopronia und Pyrghari zum Vermieten. Die Vermieterin von Lucas Rooms empfand ich sehr aufdringlich und unangenehm. Tasos von der Pension Galini mit seinen beiden Mulis ließ sich noch nicht blicken.

    Der Hafenort kann nicht auf eine lange Besiedlungsgeschichte zurückschauen, sondern ist neueres Datum. Die Gebäude sind alle neue, trotzdem ist der Ort mit seinem Sandstrand schön und hat Atmosphäre.

    2 Fischer verdienen hier noch ihr tägliches Brot. Wenn der eine Fischer, Typ Seebär in seiner modischen Adidas Trainingshose mit seiner dicken BMW zu seinem Kaiki fährt, hat das schon etwas Skurriles an sich. Er wollte von mir wissen wo ich herkomme und was ich von Merkel und Schäuble halte, als ich nur Malaka meinte und eine Halsdurchschneide-Bewegung machte, und er noch mein T-Shirt von AEK sah, war für ihn die Welt in Ordnung. Er outete sich auch als AEK-Fan.

    An Tavernen hatte nur Lucas auf, diente aber eher als Frühstücks Café. Das Meltimi und Vrachos Rock Cafe hatten noch geschlossen. Das Meltimi hatte nur kurz am 1.Mai auf, dazu später mehr. Die Café/Bar Veranda neben dem Hotel Porto Sikinos hatte auch geöffnet.

    Es gibt den Mini Markt von Flora, neben der Taverne Lucas. Direkt am Anleger ist eine Auto/Roller Vermietung und das Ticketbüro für die Fähren.

    Pyrghari und Alopronia gehen fast in einander über. Pyrghari ist ein Neubauviertel und gesichtslos. Hier gibt es eine Menge Unterkünfte und Ferienhäuser. Auch die einzige Tankstelle der Insel befindet sich hier.

    Der Hauptort der Insel ist Chora/Kastro. Liegt auf 290m und ist 3,5 km vom Hafenort Alopronia entfernt. Neben einer Handvoll Tavernen und Cafes gibt es einen Bäcker, 2 Mini Märkte, Post und einen Arzt.

    An Lokalitäten hatten im April die Taverne To Steki Tou Garbi auf (fand ich aber nicht so dolle), das Café X Treme (bescheuerter Name) und das ehemalige Kafenion jetzt Café Ane Melo. Im Ane Melo war ich öfters, da es dort sehr gemütlich ist und es WiFi gab. Leider sind die Preise sau teuer, Frappé 2.70€, ein Tee 3€ und das in der Vorsaison. Im Lucas in Alopronia waren die Preise aber normal.

    Für die meisten Wanderungen ist Chora der Ausgangspunkt, und würde sich deshalb auch als Basis gut anbieten. Unterkünfte gibt es auch ein paar.

    Mir hat die Chora sehr gut gefallen mit ihren verwinkelten Gassen und dem Kloster Zoodhochos Pihi, das über die Chora thront. Das Kloster wurde 1690 gegründet und 1834 aufgegeben. Die Chora hat Charme.

    Gegenüber der Chora liegt Pano Chorio. Von Pano Chorio führt ein schöner alter Steinweg in den oberen verlassen alten Ortsteil. Es lohnt sich zwischen den verlassenen Gebäuden herum zu stöbern. Es finden sich schöne Fotomotive.

    Eine Busfahrt von Alopronia in die Chora kostet 1.60€. Trampen geht auch sehr gut.

    Land und Leute

    Die Einheimischen sagen einfach Sikino. Die sehr felsige Insel Sikinos liegt im Schatten der bekannten Nachbarinseln Ios und Folegandros. Das ist auch gut so.

    Gefielen mir die Ortschaften Alopronia, Chora und Chorio schon richtig gut, hat mich umso mehr die einzigartige schöne gebirgige Landschaft mit ihrer beeindruckenden Terrassenkultur und Trockensteinmauern begeistert. Es hat mich an die Kykladeninsel Kimolos erinnert. Besonders der Westteil der Insel ist komplett mit Terrassen überzogen. Durch die Landschaft und den Trockensteinmauern führen Monopatia und Kalderimia entlang. Es ist einfach nur schön für das Auge und die Seele. Nichts stört das Auge, Terrassen soweit man schaut, ab und zu mal eine kleine weiße Kirche. Dazwischen immer mal wieder eine bewirtschafte Terrasse wo Wein angebaut wird. Zum Teil liegen die Bewirtschafteten Terrassen sehr abgelegen. Deswegen sieht man auch sehr viele Pferde, Mulis und Esel auf der Insel.

    Das beeindruckende Gesamtbild runden die Berge Troulos (553m), Aghio Mama Froudhi (548m) und Psilo Petali (432m) ab.

    Es ist wunderschön die Insel auf den alten Monopatia und Kalderimia zu durchwandern. Meistens lässt es sich gut auf den Wegen wandern, zum Teil sind die Wege ein wenig zugewachsen. Es ist aber auf allen Wegen möglich mit kurzer Hose zu wandern.

    Es gibt 7 ausgeschilderte Wanderwege von Anavasi auf der Insel, die auf großen Tafeln beschrieben werden. Die eingezeichneten nummerierten Wanderwege in der Terrain-Karte stimmen leider nicht mit den Nummerierungen der Wanderwege auf Sikinos überein.

    Der Ostteil der Insel ist nicht so interessant, die Landschaft ist deutlich flacher und nicht so wild, es gibt auch weniger Terrassen. Störend sind auch die Müllkippe und die neue Straße zum Strand Agios Georgios (die Taverne hatte noch zu), die sich wie ein hässlicher Wurm durch die Landschaft frisst. Konnte man im 2006 erschienen Wanderführer von Dieter Graf noch lesen, das eine Straße in Planung ist, hat es sich nun bewahrheitet.

    Wie so viele andere griechische Inseln während des Zweiten Weltkrieges wurde Sikinos zuerst 1941–1943 von Italien und nach der Kapitulation von der deutschen Wehrmacht bis 1944 besetzt.

    Heroon/Episkopi

    Ein weiterer optischer Höhepunkt ist das Heiligtum Episkopi, ein ehemaliges Römisches Grabmal bzw. später eine Kirche und für mich das schönste Gebäude der Kykladen. Es ist einfach nur schön, vor dem imposanten Gebäude zu sitzen und es anzuschauen.

    „Episkopi liegt im Südwesten der Insel etwa 4 km südwestlich von Chora in der Nähe steiler Klippen, auf etwa 270 m Höhe. Bereits 1771 war der Holländer Pasch van Krienen auf Sikinos und berichtete in seinen Aufzeichnungen von einem Tempel. Nachdem der Mineraloge Karl Gustav Fiedler nach seinen Reisen durchs Königreich Griechenland Ludwig Ross in Athen von dem Tempel berichtete, wurde das Heiligtum erstmals von Ross archäologisch untersucht. Dabei war sich Ross sicher, dass es sich um den Tempel des Apollon Pythios der antiken Stadt Sikinos handelt. Da in der Nähe Inschriften aufgefunden wurden, die auf einen Tempel hinwiesen. Der Komplex besteht aus der Kirche Kimisis tis Theotokou (Entschlafung der Gottesgebärerin), der byzantinischen Kapelle Agia Anna sowie verfallenen Zellen und anderen Gebäuden. Das ursprüngliche Gebäude, mit den Außenmaßen von etwa 10 x 7 m war ein römisches Mausoleum, dessen Typ sich im 2. und 3. Jahrhundert n. Chr. in der Ägäis und im Südwesten Kleinasiens durchsetzte. Vermutlich zum Ende des 7. Jahrhunderts erfuhr das Gebäude einen Umbau zu einer frühchristlichen Kirche. Eine Ikonostase, die aus dem gleichen Stein wie das römische Denkmal gefertigt war, wurde eingefügt. Ihre heutige Form erhielt die Kirche in der spätbyzantinischen Zeit im 17. Jahrhundert, nachdem wahrscheinlich ein Erdbeben Schäden verursachte. Die Cella wurde mit einer aus zwölf Segmenten bestehenden Kuppel überbaut. An der Ostmauer wurde eine kleine Apsis angebaut und die ehemals offene Westfassade mit Mauerwerk versehen. Das Kloster entstand zur gleichen Zeit im Umfeld der Kirche. Der Glockenturm stammt wahrscheinlich vom Anfang des 18. Jahrhunderts und weist wie die einzig erhaltene Glocke auf venezianischen Einfluss hin. Die mit dem Namen der venezianischen Glockengießerfamilie de Polis signierte Glocke ist die einzig bekannte außerhalb der Adria.“ (Quelle wikipedia)

    1.Mai in Athen vs. 1.Mai in Sikinos

    Am 1. Mai in Athen demonstrieren traditionell die Werktätigen auf der Gewerkschaftsdemo. Die Athener Oberschicht zieht es über die Mai-Feiertage auf eine griechische Insel um ihr Geld auszugeben. Und dieses Jahr fiel die Wahl auf Sikinos. Für diesen Anlass wurden extra T-Shirts und Basecaps gedruckt.

    Ich dachte erst als ich die Kolonne der 40 Motorboote sah, Obama ist im Anmarsch, oder will Erdogan in einem überraschenden Schachzug an einem Feiertag Sikinos einnehmen. Aber die Insel hat weder Bodenschätze noch ist sie von geografischer Bedeutung.

    Die Damen und Herren aus Athen wurden auf alle Unterkünfte der Insel verteilt, der Bus von Lucas-Rooms fuhr in einer Tour zwischen Hafen und den Unterkünften hin und her. Die Athener hatten so viel Gepäck bei sich, als ob sie auswandern wollten. Mein Freund der Fischer und ich saßen draußen im Lucas und schauten uns dieses interessante Schauspiel an. Mal ein wenig Abwechslung auf der Insel. Er hatte wohl noch nie so viele Paris-Hilton Brillen auf einmal gesehen.

    Abends ging es dann ins Meltimi bzw. an die Tische davor, die Musiker wurden gleich aus Athen mitgebracht. Von allen Tavernen kamen die Tische und Kellnerinnen. Auch die Einheimischen nahmen an dem Fest teil, es wurde ausgiebig gespeist und getanzt. Bis morgens um 3 Uhr wurde gefeiert. An Schlaf war bei diesem Lärm nicht zu denken. Auch Floras Mini Markt hatte die gesamte Nacht auf. Ich bin aus Hamburg ja einiges gewohnt, dass man die ganze Woche, auch sonntags zum Teil bis 22 Uhr einkaufen kann, aber morgens um 2 Uhr noch 2 Flaschen Wasser war auch für mich eine neue Erfahrung.

    Am 2.Mai zog es die feine Gesellschaft in die Chora in die Taverne To Steki Tou Garbi.
    Von der Insel haben sie nichts gesehen, dafür sich aber ordentlich die Bäuche vollgeschlagen, und ein reichlich Euros auf der Insel gelassen. So schnell wie sie gekommen sind, waren sie dann auch wieder weg. Müssen ja auch alle schließlich wieder hart arbeiten.

    Es herrschte wieder Ruhe auf der Insel.

    Fazit:

    Von der Insel so wie Sikinos gibt es nicht mehr viele in Griechenland. Von den über 100 bewohnten griechischen Inseln, gibt es wohl höchstens noch ein Dutzend die noch so unberührt sind wie Sikinos. Es gibt keine großen Hotels, Diskotheken, Swimmingpools oder sonstigen Tourimüll. Auch wie man es von anderen Kykladen Inseln kennt, wo viele Häuser in schönen Gegenden stehen und das Landschaftsbild stören und die nur für ein paar Tage im Jahr bewohnt sind, sucht man zum Glück vergebens auf Sikinos. Nur ein paar hundert Meter westlich von Alopronia gibt es eine kleine Ansammlung von Ferienhäusern.

    Wer noch eine ursprüngliche griechische Insel zum Wandern sucht, mit einer beeindruckenden Natur ist auf Sikinos richtig. Etwa 70% der Insel stehen unter Naturschutz (Natura 2000).

    Wer lieber tagsüber am Swimmingpool abhängt und abends auf einer Beachparty zappeln möchte für den ist Sikinos nichts, und ist besser auf den beiden Nachbarinseln Ios und Folegandros aufgehoben.

    Ta Leme, kv

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