Geschichten aus meiner ganzen Welt

Interview mit Pavlina Marvin, Lyrikerin

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Junge Autorinnen und Autoren aus Griechenland: diablog.eu sprach mit Pavlina Marvin über Schreiben und Leben in Athen, über die junge Literaturszene und über ihre Forschungsarbeit zum Thema „Kulturpolitik am Beispiel des Athener Nationalen Buchzentrums“.

Die junge Lyrikerin Pavlina Marvin, 1987 geboren, stammt aus Syros und wuchs in Ermoupoli auf. Im Januar 2017 erschien ihr Debüt „Geschichten aus meiner ganzen Welt“ im Kichli-Verlag. Pavlina Marvin gehört zu einer neuen Generation von Autoren – einer Generation, die in der schwierigen Phase der letzten Jahre versucht, literarisch zu arbeiten und zu veröffentlichen.

Fotomontage: Frau mit zwei Köpfen
Pavlina Marvin, ©Ismini Goula

Als ich Ihr Buch zur Hand nahm, machte mir vor allem der Titel Eindruck. „Geschichten aus MEINER ganzen Welt“ heißen sie, statt „Geschichten aus der ganzen Welt“, was man eigentlich erwarten würde. Handelt es sich um eine Verkleinerung der Welt oder um eine subjektive Sicht auf Ihre eigene Welt, die möglicherweise nur in Ihrer Vorstellung existiert?

Eher letzteres. Eine der Grundprinzipien dieses Buches ist die Subjektivität.

Ihr Nachname ist ungewöhnlich, es ist kein gebräuchlicher griechischer Nachname. Handelt es sich um ein Pseudonym oder verbirgt sich eine Familiengeschichte dahinter?

Ich habe ihn mir ausgesucht. Nein, genauer gesagt, ist jemand anderer darauf gekommen. Dann ist er bei meinen Freunden und auch bei mir selbst auf Zustimmung gestoßen. Bei Marvin handelt es sich um einen der Charaktere aus dem von mir heißgeliebten Buch von Douglas Adams „Per Anhalter durch die Galaxis“. Marvin ist ein supergenialer Roboter, der unter einer reaktiven Depression leidet. Eines Tages redet er mit Zem (einem der Federkerngeschöpfe, welche die Sümpfe des Planeten Squornshöllisch Beta bevölkern) und sagt zu ihm: „Nenne mir irgendeine Zahl.“ Zem antwortet: „Fünf.“ Und Marvin antwortet: „Siehst Du? Falsch!“ Das ist typisch für Marvin. Mein richtiger vollständiger Name ist Pavlina-Theodosia Chatzijeorjiou, mein Mädchenname Agapiou.

schreibende Hand
©Jorje

Möchten Sie uns etwas über Ihr Forschungsthema erzählen und wie es mit Ihrer Eigenschaft als Autorin zusammenhängt?

Gern. Ich gehe davon aus, dass Sie meine Doktorarbeit meinen. Ich habe einen Hang, in zu viele verschiedene Richtungen gleichzeitig zu forschen. Ich versuche, die Geschichte einer Institution zu erzählen, ganz konkret die Geschichte des Nationalen Buchzentrums (EKEVI), das von 1994 bis 2012 in Griechenland existierte.

Eigentlich forsche ich auf historischem Gebiet, befasse mich aber auch immer wieder mit Themen, die mit Literatur zu tun haben. Ich versuche, der Frage nachzugehen, ob es in der Geschichte dieser Institution etwas gegeben hat, das wir „staatliche Buchpolitik“ nennen würden, und falls nicht, was es dann stattdessen gab und wie wir es im europäischen Kontext einordnen können. Es ist ein ziemlich „flexibles“ Thema, und daher halte ich seine Aufarbeitung für nützlich, obwohl meine eigenen Interessen eher näher bei der Philosophie und der Anthropologie liegen. Sie sprachen die Verbindung zwischen meiner Forschung und meiner eigenen schriftstellerischen Tätigkeit an. Durch meine Forschung erhalte ich tatsächlich Antworten auf die Beziehung zwischen Autor und Institutionen, d.h. inwieweit der Staat generell in den Raum der Kunst eingreift, aber auch, inwieweit die Anerkennung, die eine Institution gewährt oder nicht gewährt, die Rezeption des Werkes durch die Gesellschaft beeinflusst.

Wie ist die Lage auf dem Buchmarkt in Griechenland heutzutage für junge Schriftsteller, die gerade am Anfang ihrer Laufbahn stehen? Was für Möglichkeiten hat ein Newcomer in einer Zeit, in der sich die Produktionskosten erhöhen, die Verkaufszahlen zurückgehen und Distributionsorte, die besonders den kleinen Verlagen helfen würden, wegfallen?

Die Lage ist sehr schwierig, besonders, wenn man hohe Qualitätsmaßstäbe ansetzt. Man kann nicht oft genug betonen, was für eine große Rolle die kleinen und mittleren Verlage dabei spielen. Eine ganze Reihe von ihnen nimmt ein hohes Risiko auf sich und arbeitet bis zur Erschöpfung, manche am Rande des Existenzminimums. Inwieweit ihre Mühe und Arbeit anerkannt wird, müssten sie uns selbst beantworten. Jeder Autor verfolgt seine eigenen Ziele. Insgesamt ist es generell für alle schwieriger geworden. Sogar bei vordringlichen Ausgaben gibt es enorme Verzögerungen in der Buchproduktion. Das kann in manchen Fällen jedoch auch von Vorteil sein, und ich denke, dass es auf mein Buch zutrifft. Manchmal tut es aber schon weh, wenn viele andere Bücher früher herauskommen, einfach nur, weil manche Autoren für das Erscheinen ihres Buches zahlen können.

Buchumschlag

Die Möglichkeiten für einen Verleger, Bücher auf dem Markt zu verbreiten, sind bekannt, z. B. die Form der Buchvorstellung. In der letzten Zeit sind die Sozialen Medien hinzugekommen. Glauben Sie, dass sie insbesondere den jungen Autoren nützen können?

Das hängt davon ab, wie sie eingesetzt werden. Ich glaube, Soziale Medien werden von Autoren genauso wie von allen anderen Menschen genutzt: um Spaß zu haben, weil man sich daran gewöhnt hat, um zu provozieren, um Gesellschaft zu haben, um ein Netzwerk zu bilden, um sich nicht so einsam zu fühlen… Ich glaube, dass ein Leser, der ein gesundes Selbstwertgefühl hat, einem Autor, der sich ausufernd und narzisstisch im Netz präsentiert, aus dem Weg gehen wird. Auf der anderen Seite ist das Netz fast die einzige Möglichkeit, sich über Buchpräsentationen und andere literarische Ereignisse, die einen interessieren könnten, zu informieren. Ich wundere mich oft darüber, wie es sein kann, dass es noch keine griechische Website gibt, auf der man sich über die Vielzahl von Buchausstellungen informieren kann. Obwohl es so etwas für Theater, Kino und Bildende Kunst durchaus gibt, und zwar nicht nur im Netz, sondern auch in gedruckter Form.

In Griechenland, hauptsächlich in Athen, sind Gemeinschaften und Begegnungsräume alternativer Autoren entstanden, die sich nicht an die breite Öffentlichkeit wenden. Welche Rolle spielen Verleger und Redaktionsgruppen von Literaturzeitschriften, in gedruckter und elektronischer Form, aber auch Formen der Interaktion, um nicht-kommerzielle Bücher zu fördern?

Ich würde behaupten, dass das hauptsächlich die Poesie betrifft. Prosaschriftsteller verfolgen meiner Meinung nach diese Art der Selbstorganisation etwas weniger. Ich würde mir jedoch wünschen, dass sich auch Prosaautoren stärker zusammenschließen und gemeinsam kreativ tätig werden. Ich finde die Bildung von Gemeinschaften sehr wichtig, weil ich an die Dynamik der Interaktion glaube und an die Kraft der gemeinsamen Gestaltung. Einige Literaturgruppen bewahren das unkommerzielle Schreiben, indem sie fantasievolle Lösungen finden und viel Kraft und Energie, aber auch Geld investieren. Ob sich ein Buch letztendlich verkauft, ist ein anderes großes Thema, dessen Grenzen wir vorantreiben müssten, wenn wir wirklich darüber diskutieren wollten. Ich finde es sehr gut, dass in diesen Gemeinschaften die Literaturkritik sehr gepflegt wird. Damit schließt sich eine große Lücke, die seit mindestens zehn Jahren in der Tagespresse geklafft hat.

eine Frau und Publikum
©Adam Horovitz

Würden Sie sagen, dass Kreativität in Zeiten der ökonomischen und existenziellen Krise eher aufblüht oder eher schwindet?

Ich würde sagen, dass die existenzielle Krise niemals endet. Ich wüsste aber auch gar nicht zu sagen, wo sie genau beginnt. Was die ökonomische Krise angeht, kann man das wahrscheinlich auf allen Ebenen erst so richtig einschätzen, wenn sie vorüber ist. Aber was man auf jeden Fall unschwer erkennen kann, ist das starke Bedürfnis nach Ausdruck und auch vielleicht nach Ehrlichkeit. Durch die Krise, auch wenn sie Entbehrungen und Schwierigkeiten mit sich gebracht hat, sind glücklicherweise viele Konventionen weggefallen. Ich glaube nicht, dass nach 2010 bedeutendere Bücher herauskamen als zwischen 2000 und 2010. Unsere Aufgabe ist es, Welten zu erschaffen. Wir leben in der Welt, die wir schreibend erschaffen. Wir suchen sie uns zwar nicht aus, aber unvermeidlich beeinflusst sie uns.

Interview: Michaela Prinzinger/Pavlina Marvin. Übersetzung: Nina Bungarten. Textredaktion: Michaela Prinzinger. Fotos: Ismini Goula, Jorje, Adam Horovitz.

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