DANCE FIGHT LOVE DIE

Film über Mikis Theodorakis' Lebenswerk

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Ab 10. Mai 2018 in den deutschen Kinos: DANCE FIGHT LOVE DIE. Michaela Prinzinger befragte das Künstlerpaar Ina und Asteris Kutulas zur Entstehungsgeschichte des Films, der auf Leben und Werk von Mikis Theodorakis fusst.

Asteris und Ina, ihr seid ein Künstlerpaar, das ich schon lange für seine vielfältigen Interessen bewundere. Ihr scheint mir immer auf der Suche nach neuen Ausdrucksformen zu sein. Vor zwei Jahren habe ich euch besucht, und ihr habt mir eine erste Materialsichtung für euren aktuellen Film DANCE FIGHT LOVE DIE gezeigt. Wie seid ihr mit den 600 Stunden Rohmaterial umgegangen, die ihr allein aus Asteris’ Aufnahmen von Mikis Theodorakis hattet? Wo sind diese Aufnahmen entstanden? Nach welchen Kriterien habt ihr das Material gesichtet?

Asteris: Die Aufnahmen entstanden zwischen 1987 und 2017 an etwa 100 Drehorten in über 30 Ländern. Sie waren eigentlich nicht dazu bestimmt, als Grundlage für einen „richtigen“ Film zu dienen. Ich machte sie damals, um die vibrierende künstlerische Energie, die ich damals um mich spürte, zu dokumentieren. Zu filmen, Tagebuch zu führen, Texte zu schreiben, Gedichte zu übersetzen – das alles gehörte für mich zu unserem damaligen Leben „in der Kunst“. Und die Zusammenarbeit mit Mikis führte mich geradewegs in die Welt der Musik, der Poesie, der Philosophie – die Aufnahmen sind voll „davon“. Jahrzehnte später kam Ina auf die Idee, dieses Material für einen „ganz anderen Film“ zu nutzen, was mir die Möglichkeit gab, darüber nachzudenken, ein neues Musikfilmgenre zu erschaffen, das wir – in Ansätzen – bereits mit „Recycling Medea“ begründet hatten.

Ina: Zunächst wurde das gesamte von Asteris gefilmte Material, also 600 Stunden, von mir gesichtet, um überhaupt einen Überblick darüber zu haben, was konkret vorhanden und in welchem Zustand das Material ist. Etliches lag längere Zeit im Archiv. Neues kam immerfort hinzu. Das Logging dauerte mehr als 1.700 Stunden und passierte in etwa neun Monaten.

Asteris entwickelte dann eine Struktur für den Film, also das Konzept war bereits während des Sichtungs-Prozesses fertig. Er folgte darin einem Prinzip, das Theodorakis für seine Komposition entwickelt hatte: den von ihm als solches bezeichneten „Lied-Fluss“. Asteris übertrug dieses Theodorakissche Kompositions-Prinzip in den Bereich des Films, entwickelte also auf diese Art und Weise eine „Film-Fluss“-Struktur, auf der DANCE FIGHT LOVE DIE basiert.

Ina und Asteris Kutulas
Ina & Asteris Kutulas, 1987, © by Gottfried Bräunling

Ihr wechselt zwischen Archivaufnahmen und gefilmten Szenen, die teilweise rätselhaft wirken und einen poetischen Kommentar zu dem Dokumentarmaterial zu bilden scheinen.

Ina: Die so genannten fiktionalen Stummfilm-Szenen ermöglichen jedem Betrachter seine eigene Interpretation. Im Abspann unseres Films wird darauf verwiesen, dass die fiktionale Story – mit den beiden Hauptdarstellern Sandra von Ruffin und Stathis Papadopoulos – von der Marina-Panaretos-Akar-Story aus Theodorakis’ Autobiographie inspiriert ist. Das, was sich da ereignet, ist so etwas wie ein Märchen, das dazu dient, verschiedene Persönlichkeitsaspekte künstlerisch zu thematisieren. Panaretos und Akar verkörpern zwei Seiten einer männlichen Figur, die hier in zwei Männerfiguren „aufgespalten“ wurde. Wir lassen im Film diese Story nicht auf Kreta spielen, sondern haben sie ins Hier und Heute, nach Berlin geholt. Uns ging es darum, die unterschiedlichen Temperamente zu thematisieren und die Frage zu stellen: Was ist einem wichtiger im Leben – Apoll oder Dionysos, das Geistige oder das Körperliche, wo setzt man wann die Priorität, gibt es ein Gleichgewicht, für wen entscheidet sich Marina, für den Dichter oder für den Tänzer, für den Liebhaber oder für den Geschäftsmann? Das Ganze ist natürlich symbolisch gemeint – man muss es auch nicht unbedingt „verstehen“ – und als „Komödie“ gedreht.

Wie hat sich langsam aus diesem Rohmaterial für euch eine Erzählung, eine Struktur herausgeschält? Wie fand der Film seine Form?

Asteris: „Die Geburt des Films aus dem Geiste der Musik“ – das war letztendlich für mich der wichtigste ästhetische Ansatz für die Strukturierung des Films. Und obwohl es sich hierbei um ein Roadmovie handelt, das sehr „anarchisch“ rüberkommt, so hat es doch einen ganz klaren – ich würde sagen „mathematischen“ – Aufbau. Aber am Schluss zählte für mich nur eins: ein spannendes Film-Erlebnis zu schaffen. Ich wollte also diese zwei – sich scheinbar diametral gegenüberstehenden – Pole vereinen: einen Avantgarde-Film machen, der total emotional ist und Gänsehaut erzeugt.

Ina: Ich möchte auch erwähnen, dass ich Asteris’ Idee der „Satellite“-Clips, von denen ja bereits einige im Internet zu sehen sind, für ein sehr spannendes Zusatz-Projekt halte, das zum Film dazugehört. Möglicherweise ist mit DANCE FIGHT LOVE DIE nicht nur ein neues Musikfilmgenre entstanden, sondern eventuell ist es auch der erste Film, zu dem solche Art von Clips entstehen, die nicht zu verwechseln sind mit Trailern oder Teasern. Metaphorisch gesagt: Der Film an sich ist wie ein „Mutterplanet“, der von Satelliten umkreist wird. Ich denke, die Machart des Films ermöglicht das. Der Film an sich ist ein Kunstwerk, in dem sich zahlreiche „kleinere“ Kunstwerke (Clips) finden. Deshalb funktioniert auch jeder Satellite-Clip, weil es immer ein eigenes „kleines“ Kunstwerk ist. Ein befreundeter Filmemacher sagte bereits: „Asteris, die Idee werd ich klauen.“ Ich könnte mir vorstellen, dass das für etliche Musikfilmmacher eine Chance bietet, sich kreativ „auszutoben“.

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Andererseits gebt ihr dem Film eine chronologische Struktur mit den Meilensteinen der griechischen Geschichte im letzten Jahrhundert und Mikis Theodorakis als Protagonisten.

Ina: Der Film nimmt Bezug auf die jüngere griechische Geschichte und somit auf etliche Ereignisse, deren Zeitzeuge Theodorakis wurde, nicht nur, weil er sie miterlebt hat, sondern vor allem, weil viele Texte, die er vertont hat, darauf explizit Bezug nehmen. Man denke nur an „Axion esti“ von Odysseas Elytis, „Romiosini“ von Jannis Ritsos oder „Im Belagerungszustand“ von Rena Chatzidaki. Die Poesie und die Collagetechnik haben einen sehr starken Einfluss auf unseren Film und auch auf dessen Charakter. Der Film bezieht den Betrachter, seine Rückerinnerung und seine Vorausahnung mit ein. Der Film wird eigentlich vom hochkomplex arbeitenden Geist des Betrachters zusammengehalten. Und je mehr Kenntnisse der Betrachter von all dem, was ihm vor Augen tritt, hat, desto spannender wird dieser Film für ihn sein, weil sich ihm immer mehr Bezüge, Ebenen, Querverbindungen offenbaren. Aber selbst, wenn man Theodorakis und sein Werk gar nicht kennt, wird man in diesen Film-Fluss regelrecht hineingesogen und emotional nicht mehr losgelassen.

Was verkörpert Mikis für euch und für die heutige Zeit? Er ist ja schon fast ein Relikt der Geschichte. Oder seht ihr das anders?

Asteris: Der Film offenbart den Komponisten Theodorakis als musikalischen und geistigen Anarchisten. Joseph Beuys hat das „Gesamtkunstwerk Mikis“ Mitte der siebziger Jahre als eine „soziale Plastik“ bezeichnet. Meiner Meinung nach ist dieser Typus von „Künstler“ heute interessanter denn je. Das, was er hervorbringt, ist lebendig, pflanzt sich fort, spricht die Menschen an, und zwar auf einem ästhetisch sehr hohen Level.

DANCE FIGHT LOVE DIE versteht sich als zweiter Teil einer Tetralogie, die mit RECYCLING MEDEA begann und mit ANTIGONE und ELEKTRA fortgeführt werden soll. Übertitel der Tetralogie lautet „Thanatos“, der Tod. Was sagt euch und den Zuschauern der Tod als Antithese des Lebens? Welche Rolle spielt die griechische Mythologie – Medea, Antigone und Elektra – für euch?

Asteris: Die „Thanatos-Film-Tetralogie“ besteht aus den drei Tragödien „Medea“, „Antigone“ und „Elektra“ sowie der Komödie DANCE FIGHT LOVE DIE. Die Musik der drei Tragödien beruht auf der Musik der drei gleichnamigen Opern von Mikis Theodorakis, während der Soundtrack von DANCE FIGHT LOVE DIE auf 60 unterschiedlichen Musiken von Mikis basiert. Für mich repräsentiert „Medea“ die Vernichtung der Zukunft, die Opferung der Kinder, der jungen Generation. „Elektra“ symbolisiert für mich das Ende der Familie und „Antigone“ das Ende der Gesellschaft. Für mich ist das der Zustand, in dem wir heute leben – end of time.

Ina: Was die Tragödien anbelangt, so haben wir es immer mit Stoffen zu tun, die die Unfähigkeit thematisieren, für eine Konfliktsituation eine konstruktive Lösung zu finden. Es geht immer um Mord, Totschlag und Rache. Zweimal gibt es Fälle von Selbstjustiz, einmal die Bestrafung einer Systemgegnerin durch einen Diktator. Die antiken Stoffe mit ihrer Anregung zur Reflexion und Bildung von Wertvorstellungen sind heute so aktuell wie damals.

Asteris und Ina, ihr kommt vom Wort und vom Schreiben her. Ina, du als Autorin, und Asteris, du als Übersetzer, habt euch in den letzten Jahren dem Bild zugewandt, der Bild-Erzählung, die aber fast ohne Worte auskommt. Wie erklärt ihr das euch und uns?

Asteris: Dass ich von der Literatur, vom Theater, von der Dramaturgie und vor allem von der „Musikproduktion“ herkomme, sieht man all meinen Filmen an. Dass ich ursprünglich nicht aus der Filmwelt komme, aber in der Lage bin, diese Kunst-Welten miteinander zu verbinden, ist möglicherweise der Grund dafür, dass ich auf die Idee kam, ein neues Musikfilmgenre zu begründen.

Ina: Was mich anbelangt, so komme ich sowohl vom Schreiben her als auch vom Bild. Ich kann nicht sagen, was zuerst da war. Ich habe relativ jung bereits Gedichtveröffentlichungen gehabt, aber es wurden auch Bildgestaltungen von mir ausgestellt oder abgedruckt, ich studierte zwei Jahre an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee, was im Grundlagenstudium intensives Aktzeichnen, Naturstudium, Farbgestaltung, Schriftgestaltung, Malerei, Plastizieren, Kunstgeschichte beinhaltete. Ich habe jahrelang Collagen gemacht und kam dadurch beispielsweise dann auch in eine anregende Kommunikation mit Odysseas Elytis, der ja auch Collagen machte, aber auch mit Jannis Ritsos, der zeichnete. Asteris und ich gaben die Untergrundpublikation „Bizarre Städte“ heraus, die einen umfangreichen Grafik-Teil hatte, wir waren immer im Gedankenaustausch mit Plastikern, Malern, Grafikern, Fotografen, haben Ausstellungen und Performances mitorganisiert.

Ob ich mich also über das Wort äußere bzw. verwirkliche oder über das Bild oder über etwas anderes, eine Installation, eine Anpflanzung oder in der Begegnung mit anderen Menschen – das hängt einzig und allein von den äußeren Umständen ab. Beim Drehbuchschreiben und bei der Begleitung des Entstehungsprozesses dieses und auch des vorherigen Films konnte ich mich in mehrfacher Hinsicht ausleben: Wort und Bild, Materialsichtung, Mitbetreuung der Dreharbeiten.

Interview: Michaela Prinzinger/Asteris und Ina Kutulas. Fotos: Asteris Kutulas. Mehr zum Film finden Sie auf www.dancefightlovedie.blog.

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