Rocker, Rüpel und Rebell

Interview mit Agathonas, Musiker

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diablog.eu traf den Teilnehmer am Eurovisions-Songcontest 2013 vor seinem Berliner Konzert. In Malmö hatte er mit der schrägen Truppe “Koza Mostra” den respektablen 6. Platz errungen und mit dem witzigen Trailer zum Song „Alcohol is free“ Furore gemacht. Selbst die Antipoden des deutschen Meinungsspektrums, Die Zeit“  und Bild“, konnten sich für den Auftritt erwärmen. Aber eigentlich ist Agathonas Iakovidis für sein Rebetiko-Repertoire bekannt und beliebt…

Was hat Sie dazu gebracht, sich so intensiv mit dem Rebetiko auseinanderzusetzen?

Ich komme aus dem Dorf Evangelismos im Landkreis Langadas bei Thessaloniki. Meine Eltern stammten aus Kleinasien, genauso wie unser ganzes Dorf. Sie sind 1923 dort ankommen und haben sich ein neues Dorf aufgebaut.

Woher stammten sie genau?

Aus dem Gebiet zwischen Izmit und Bursa. Sie haben sich einen Ort gesucht, der ihrem Heimatdorf ähnelte. Es musste in einer Hügellandschaft und in der Nähe eines Sees liegen, denn sie waren Bauern und Fischer. Immer schon haben sie gern Tsipouro und Wein getrunken, und diese Tradition haben sie fortgeführt. Sie waren die ersten, die bei uns in der Gegend Schnaps destilliert haben.

Dieses Wissen haben sie aus der alten Heimat mitgebracht?

Vermutlich, denn sie waren die ersten, die damit anfingen. Ich bin zwischen den Schnapsbrennkesseln groß geworden. Gerade vor einer Woche haben wir wieder Tsipouro destilliert, mit Gesang und Tanz, aber Reibereien gab´s natürlich auch. Wie in Asterix’ gallischem Dorf. (Lacht)

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Sind Sie mit dem Gefühl einer verlorenen Heimat aufgewachsen?

Nein, denn ich bin ja in Evangelismos auf die Welt gekommen, meine einzige Heimat ist mein Dorf, Thessaloniki und Griechenland. Meine Großeltern haben allerdings immer von der alten Heimat gesprochen. Meine Eltern sind auch schon im Dorf geboren, für uns gab´s keine verlorene Heimat. Meine Großeltern hingegen haben es nie verwunden, bis zu ihrem Tod haben sie gesagt: Bei uns zu Haus war alles besser.

Waren Sie je im Heimatdorf ihrer Großeltern?

Leider nicht. Als ich vor 27 oder 28 Jahren in Mytilini war, bin für eine Woche rüber in die Türkei gefahren, nach Bursa, Izmir und Ayvalik. Ich wusste aber nicht genau, wo das Dorf meiner Großeltern liegt. Aber egal, denn Heimat ist dort, wo man lebt, wo man Familie und Freunde hat.

Aber die musikalische Tradition ihrer Heimat haben sie mitgebracht?

Die Griechen aus Kleinasien haben eine Musikkultur nach Griechenland gebracht, die sich mit der einheimischen, regionalen Überlieferung vermischt hat. Mit dem Rebetiko jedoch kann sich jeder identifizieren, im Gegensatz zur Musik aus Kreta oder aus dem Epirus.

Aber unterscheidet sich die Musik Makedoniens nicht sehr vom Rebetiko?

Alle regionalen Volksmusiken Griechenlands unterscheiden sich vom Rebetiko, wie ich es verstehe, also vom Rebetiko des Piräus-Stils, wie es Markos Vamvakaris und Vassilis Tsitsanis geprägt haben. Das ältere Rebetiko im Smyrna-Stil war wesentlich heterogener, da gab es größere Gemeinsamkeiten mit Liedern aus Kreta, Epirus, Makedonien, Zypern oder Thrakien. Die Rhythmen haben ständig gewechselt, denn die griechische Musik ist überaus reich an Rhythmen. Bei uns kann es vorkommen, dass zwei Nachbardörfer dasselbe Lied in einem ganz anderen Rhythmus spielen und singen. Das ist schon beeindruckend, dass ein so kleines Land eine so große Bandbreite aufweist. Das Rebetiko hingegen funktioniert übergreifend und folgt einem ganz bestimmten, eigenen Rhythmus, dem sich alle anpassen.

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Sie besitzen ja eine sehr große Sammlung bekannter und unbekannter Rebetikolieder.

Nicht nur Rebetika. Ich sammle alle Lieder, die seit 1885 auf Schellackplatten erschienen sind und früher mit dem Grammofon abgespielt wurden, bis in die Sechziger-Jahre. Egal, ob es sich um Schlager, Operette, Oper, Volkslied oder Rebetiko handelt. Davon muss es ca. 25.000 Stück geben, und die besitze ich fast alle. Es gibt eine ganze Menge Sammler, und wir tauschen uns untereinander aus. Wenn mir ein Lied fehlt, dann finde ich es in diesem Netzwerk. Mich interessieren aber nicht die Platten an sich, sondern ich archiviere die Lieder in digitaler Form auf meinem Computer.

Nach welchen Prinzipien haben Sie das Material geordnet?

Nach Komponisten, nach Sängern und nach Aufnahmedatum.

Nach welchen Kriterien suchen Sie die Lieder aus, die Sie selbst singen wollen?

Sie müssen mir persönlich gefallen und ich muss sie auch singen können. Nicht jedes Lied passt zu jedem Sänger.

Sie sind Autodidakt. Generell erlernt man die Rebetiko-Musik durch Gehör, und nicht durch Noten. Kann ein nicht-griechischer Musiker das Rebetiko genauso fühlen wie ein Grieche?

Ja, das geht. Ich habe einen Freund in Schweden, der in meiner Band in Thessaloniki Bouzouki gespielt hat. Nur wenn er singt, merkt man, dass er kein Grieche ist. Er fühlt diese spezielle Art von Musik genauso wie wir Griechen. Ich bin oft nach Holland und Belgien gereist, dort gibt es viele Rebetiko-Spieler, auch in Australien. In Melbourne kenne ich einen Gitarristen, der ist von einem griechischen Musiker nicht zu unterscheiden ist. Nur im Gesang, wie gesagt, hört man ein wenig den Akzent heraus. Ich nehme an, auch in Deutschland wird es Musiker geben…

Welches Saiteninstrument, das im Rebetiko zum Einsatz kommt, mögen Sie am liebsten?

Die Bouzouki, keine Frage. Leider bin ich kein Bouzouki-Virtuose geworden, da ich von klein auf alle möglichen Saiteninstrumente spielen musste. Alles, was eben gebraucht wurde: Gitarre, Baglama, Oud, Mandoline und Mandola. Aber am liebsten wäre ich Bouzouki-Solist geworden. Ich bin vielleicht ein guter Sänger geworden, aber an der Bouzouki bin ich nur Mittelmaß.

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Sammeln Sie auch Volkslieder?

Natürlich, ich mache da keinen Unterschied. Ich trete auch mit Volksliedgut auf, in Lokalen, auf Festen, im Fernsehen und im Radio. Die 25.000 Lieder, von denen ich gesprochen habe, sind zum großen Teil Volkslieder, das Rebetiko-Repertoire nimmt nur circa ein Drittel davon ein.

Wie können Sie all die Texte behalten?

Das ist mein Job. Es ist ganz so, wie Schauspieler ihre Texte lernen. Aber manchmal erinnere ich mich eher an die Musik als an die Texte, dann mache ich mir einen Spickzettel in Großbuchstaben. Aber ich bemühe mich, die Texte auswendig zu lernen, weil ich nicht immer meine Aufzeichnungen dabei haben möchte.

Zum Schluss würde mich interessieren, wie es zur Zusammenarbeit mit der Gruppe „Koza Mostra“ kam, mit der Sie beim Eurovision-Songcontest 2013 aufgetreten sind?

Ich arbeite generell mit Musikern aus verschiedenen Genres zusammen, nicht nur mit Rebetiko-Spielern. Auch mit Rockmusikern habe ich kooperiert.

Mit welchen zum Beispiel?

Mit Antonis Tourkogiorgis, einem dem besten Rockmusiker Europas. Er war der Leadsänger in der Rockband „Socrates drank the Conium“. Die hätten richtig Karriere machen können, aber sie haben es fern von Griechenland nicht ausgehalten und sind in ihre Heimat zurückgekehrt. Das alles war Ende der Sechziger-Jahre. Sie waren auch eine Weile in Deutschland, in Holland und Frankreich gewesen. Wenn Sie im Ausland geblieben wären, hätten sie so etwas wie die „Scorpions“ werden können. Selbst heute noch zählen sie zu den weltbesten Musikern, ich denke da zum Beispiel an den Gitarristen Giannis Spathas. Damals hatte Antonis Tourkogiorgis mich darauf angesprochen, einen Song zusammen aufzunehmen. Das Lied heißt „Rocker, Rüpel und Rebell“ von der Platte „Uff“. Wenn er weitergemacht hätte, wäre er ein zweiter Mick Jagger geworden. Er hätte es genauso geschafft, wie Demis Roussos oder Vangelis, nur eben im Bereich der Rockmusik.

Ich finde es besonders spannend, wenn sich traditionelle Musik mit neuen Strömungen verbindet.

Ja, und um auf „Koza Mostra“ zurückzukommen: Ich habe mit ihnen einen Song für ihre Platte aufgenommen, und ein paar Monate später haben sie mich angerufen und mir vom Ausscheidungsverfahren des Songcontests erzählt. Na gut, dann habe ich eben mitgemacht, weil… ohne mich wären sie nicht hingefahren. Der Eurovisions-Songcontest ist ein netter musikalischer Jahrmarkt, an dem alle europäischen Länder teilnehmen.

Sie haben mit dem 6. Platz auch respektabel abgeschnitten.

Das stimmt. Wir hätten noch weiter vorne landen können. Jedenfalls haben wir ein besseres Resultat erreicht als einige große Namen, die an früheren Bewerben teilgenommen haben.

Street Art auf Rolladen: Agathonas Interview Conium is free

Abbildungen aus der Graphic Novel von David Prudhomme: Rembetiko. Reprodukt Verlag 2010. Foto: M. Prinzinger.

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