„Ich wollte Gitarre spielen wie Jimi Hendrix…“

Giannis Spathas, Mitglied der Rockband „Socrates“, erzählt

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Giannis Spathas, Gitarrist der legendären Rockband Socrates Drank the Conium, erzählte diablog.eu über seine Jugend auf Paxos, die Anfänge der Rockmusik in Griechenland in den 60er- und 70er-Jahren und zu seiner Zusammenarbeit mit den Größen der griechischen Musikszene.

Kindheit und Jugend

Ich bin auf der kleinen Insel Paxos südlich von Korfu aufgewachsen. Alle aus der Familie Spathas – mein Großvater hatte sieben Kinder – spielten ein Instrument, der eine Geige, der andere Klarinette. Von klein auf übte ich Akkordeon und Schlagzeug mit meinem Vater. Mein Vater selbst spielte Geige seitdem er 6 war – und das so gut, dass die Dorfvorsteher der Insel Geld sammelten, um ihn zur Musikschule nach Patras zu schicken. Aber mein Großvater ließ ihn nicht gehen. So wurde er Bauarbeiter, und ein sehr guter. Er hatte zwar das Gymnasium besucht, das war zu seiner Zeit eine große Sache, konnte aber auch aus losen Brettern Betonschalungen herstellen, Kamine und Treppen bauen und Stuckverzierungen für die neoklassizistischen Häuser der gegenüberliegenden Festlandstadt Parga gestalten.

Auf Paxos hatten wir ein Radio, das mehr schlecht als recht lief; Fernsehen gab es damals in Griechenland noch nicht. Wir hatten kein elektrisches Licht, nur eine Petroleumlampe. Als ich 1962 nach Athen kam und auf den Lichtschalter drückte, erschrak ich vorm künstlichen Licht. Wir wohnten am Saronischen Golf, im ersten Jahr im Bezirk Glyfada, dann in Piräus. Wir mussten Paxos verlassen, weil es in der Provinz nichts zu beißen gab, während in den großen Städten Arbeitskräfte gesucht wurden. Also zogen wir nach Athen, wo die ganze Familie leicht Jobs bekam. Mit sechzehn ging ich mit Freunden zu Baustellen und fragte: „Braucht ihr Arbeiter?“ Meist war die prompte Antwort: „Komm rein, du kannst gleich anfangen!“ Ohne Papiere, ohne alles… Wir blieben einen Tag, bekamen ein besseres Taschengeld bar auf die Hand und hatten es innerhalb von 3-4 Tagen wieder ausgegeben. Dann fing wieder alles von vorne an.

Mein Vater wollte, dass ich Musiker werde, aber ich habe gern gezeichnet und wollte Bauingenieur und Architekt und noch alles Mögliche andere werden. Schließlich bestand ich die Zulassungsprüfung und studierte Ökonomie in Athen. Ich war gut in Mathematik, aber an der Wirtschaftsfakultät habe ich es nicht gebracht. Ich hielt ein Jahr durch, konnte aber nicht so gut lernen und gab dann auf.

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Die Bekanntschaft mit Antonis Tourkogiorgis und den Persons

In Piräus lernte ich Antonis Tourkogiorgis kennen und wir wurden sehr gute Freunde, auch mit den anderen Jungs der Band Persons. Damals hatte ich noch nie von den Beatles und den Stones gehört. Eines Tages, im Frühjahr 1964, fragten sie mich, ob ich nicht mit zu ihnen kommen wolle, sie hätten eine Band.

„Spielst du vielleicht Gitarre oder was anderes?“, fragten sie mich. Da ich nicht nein sagen wollte, behauptete ich, ich könne es. Ich ging mit, bekam eine Gitarre in die Hand gedrückt und sollte loslegen. Zuerst tat ich so, als würde ich mich genieren. Als ich aber sah, dass die anderen die Gitarre nicht einmal richtig halten konnten, traute ich mich, nahm die Gitarre und schrummelte drauf los, bis ich ein Lied nachspielen konnte, das damals angesagt war. Sie waren total aus dem Häuschen. Dann spielte ich auch noch Satisfaction und sie umarmten mich begeistert und drängten mich, Mitglied der Band zu werden. Da begann ich die Sache ernster zu nehmen, mein Vater kaufte mir eine Gitarre und ich übte regelmäßig.

Je mehr ich übte, desto besser wurde ich. Hörte ich ein Lied, das meinen Freunden gefiel, lernte ich es spielen, um ihnen eine Freude zu machen und es ihnen vortragen zu können. Wir gaben sogar einige Konzerte. Damals gab es die sogenannten Matineen. Morgens um zehn kamen ganze Schulklassen ins Kino nach Piräus oder Athen, und wir traten auf. Die Sache lief gut, aber mit der Musik war ich damals noch nicht vertraut geworden.

Eines Tages hörte ich Radio, der legendäre Discjockey Jannis Petridis verkündete: „Jetzt hören Sie eine neue Band, die Jimi Hendrix Experience, mit dem Lied Purple Haze“. Ich hatte noch nie vom ihm gehört, also achtete ich zuerst kaum darauf. Als ich dann aber Jimi Hendrix spielen hörte, war ich sprachlos und blieb angewurzelt vorm Radio stehen, bis das Lied zu Ende war. In diesem Moment setzte ich mir das Ziel, so gut zu spielen wie er. Natürlich besaß ich keinen Plattenspieler, daher verpasste ich im Radio keine dieser Radiosendungen und wartete darauf, dieses Stück noch mal zu hören.

Die Jahre vergingen, es war 1968. 1969 ging ich zur Hochschule, 1970 verließ ich sie wieder. 1970 war ich schon sehr fortgeschritten in der Musik. Ich beherrschte Dinge, die andere in Griechenland nicht konnten.

vier langhaarige Männer

Die Socrates im Club Kyttaro

Wir waren eine der ersten Rockbands Griechenlands. Dimitris Poulikakos war der Vater des griechischen Rock. Er konnte aber keinen Rock spielen, weil sich seine Band MGC hauptsächlich dem Pop verschrieben hatte. Eines Tages sagte uns Jannis Petridis, wir sollten mit den MGC in der zentralgriechischen Stadt Larissa als Support für Poulikakos spielen. Damals waren wir in Piräus, niemand wusste, wofür wir eigentlich standen. Also reisten wir nach Larissa und gingen als erste auf die Bühne. Wir spielten Purple Haze, natürlich Cincinnati und Fire von Hendrix, insgesamt 6-7 seiner Songs. Nach dem Konzert kam Poulikakos an und sagte zu mir: „Hey, ihr solltet mit uns im Kyttaro auftreten.“ Ab da war ich mit Dimitris Poulikakos befreundet.

Wir hatten Glück. 1970-1990 waren gute Jahre für die Musikszene. 1970 war ich 21, 1971 begannen wir im Kyttaro zu spielen, wir als Socrates Drank the Conium, Dimitris Poulikakos mit der Gruppe Exadachtylos und viele andere. Wir hatten viel Publikum: Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag, Samstag und Sonntag jeweils zwei Vorstellungen. Dort gab es die unterschiedlichsten jungen Leute, es kamen viele Studenten, aber auch Klempner und Bauarbeiter, alle durcheinander. Dort begann das Zeitalter des Rock in Griechenland, in genau diesem Club.

Rock und Politik

In politischer Hinsicht war es eine sehr intensive Zeit. Viele hielten Rock für etwas Schlechtes, weil er aus Amerika kam. Das ging so weit, dass der renommierte Komponist Yannis Markopoulos behauptete, wir wären Agenten der CIA.

Für uns alle war es wegen der Militärdiktatur eine schlimme Zeit. Die meisten jungen Leute waren dagegen. Kann man behaupten, dass es einem gut geht, wenn jeden Abend an derselben Ecke jemand steht und man ihm jedes Mal wieder den Polizeiausweis zeigen muss? Die Staatsgewalt machte sich bemerkbar, von leichten Schlägen auf den Hinterkopf bis hin zu richtigen Handgreiflichkeiten und Gefängnis. Wenn ich nachts nach meinen Auftritten nach Hause ging, musste ich eine bestimmte Stelle passieren, und Abend für Abend wollte dort jemand meine Personalien haben, manche waren freundlich, andere ruppig.

Sogar in den Club Kyttaro kam die Polizei, um uns am Spielen zu hindern. Einmal sollten wir während eines Auftritts von der Bühne geholt werden, man wollte uns schon herunterzerren. Ein paar Zuschauer “begleiteten” dann die zwei Polizisten hinaus, aber danach kamen andere nach.

Ich erinnere mich noch an ein späteres Ereignis, 1973, als wir die Platte On the Wings mit dem Gitarristen von Exadaktylos rausbrachten. In dem Sommer, als wir im Kyttaro aufgehört hatten, gingen wir nach Amsterdam und spielten dort im Paradiso als Vorgruppe der erfolgreichen Sängerin Kiki Dee. Damals, während der Diktatur, brauchte man eine Genehmigung, um im Ausland zu spielen, und wir hatten keine! Wir spielten trotzdem, hatten Erfolg und wurden für 15 weitere Konzerte engagiert. Nach dem zweiten Konzert holte uns die holländische Polizei aus unserer Unterkunft und brachte uns aufs Revier. Dann saßen wir einen Monat im Gefängnis, weil wir ohne Arbeitserlaubnis gespielt hatten.

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Die Socrates im Ausland

Im April 1973 war es mit dem Club Kyttaro vorbei. Im September gingen wir nach Paris und spielten im Live-Fernsehprogramm von RTL. Von 1974 bis 1976 musste ich zum Wehrdienst. In dieser Zeit kaufte ich eines Tages die Illustrierte Epikaira und las: „Die Platte einer griechischen Band wurde in Georgia, USA, zur LP der Woche gewählt.“ Ich fragte mich, wer denn diese Band sein könnte – ich war völlig ahnungslos. Dann rief ich Jannis Petridis an und erfuhr, dass Socrates diese Band war.

1975 gingen wir nach London und nahmen mit dem damals bereits international bekannten Vangelis (Papathanasiou) die Platte Phos auf (1976), auf der er die Tasteninstrumente spielte. Danach begleiteten wir den Komponisten Yannis Markopoulos. Ich machte am Anfang ein paar Scherze, konnte es mir nicht verkneifen, dass es nicht möglich sei, ihn zu begleiten, weil ich der CIA angehörte usw., und da lachte auch er. Später, 1977, begleiteten wir die Sängerin Maria Farantouri auf Konzerten in verschiedene Länder. Wir spielten mit ihr Lieder von Mikis Theodorakis.

1981 nahmen wir Breaking Through auf, wir waren vom bekannten Produzenten Vic Coppersmith nach England eingeladen worden. Eines Sonntags sagte er zu uns: „ Ich habe drei von euren Songs an Warner Bros. geschickt. Sie sind begeistert.“ Sie wollten unsere Band in die USA einladen. Unser Produzent ließ uns einen Nachmittag lang Bedenkzeit. Wir hatten uns zu entscheiden. Ich saß den ganzen Nachmittag unter einem Birnbaum und dachte an meinen Vater und  an meine Mutter und auch an das Geld, das ich jetzt in Griechenland verdienen könnte und beschloss, nicht zu gehen. Auch unser Schlagzeuger Nikos Antypas wollte nicht gehen, obwohl Antonis Tourkogiorgis anderer Ansicht war. Meine Entscheidung habe ich nie bereut.

drei lachende Männer sitzen auf einer Mauer

Mit den Musikern Theodorakis, Chatzidakis und Chalkias

Wir setzten unsere Arbeit mit Maria Farantouri fort, Mikis Theodorakis kam später dazu. Mit dem Komponisten Manos Chatzidakis nahmen wir Dunkle Mutter auf. Chatzidakis war ein klasse Typ, der rockte. Der Bouzouki-Virtuose Giorgos Zambetas hat einmal gesagt: „Griechenland hat einen richtigen Mann: Chatzidakis.“ Das war scherzhaft gemeint, denn Chatzidakis war schwul – und mannhaft, weil er gerade heraus war und unverblümt sagte, was er dachte.

Mit Mikis spielten wir in Ostberlin. Er ist ein genialer Musiker. Hätte man ihn gebeten, Heavy Metal zu schreiben, hätte er herausgefunden, wie das geht und ein Heavy Metal-Stück komponiert. Aber er wollte Musik für seine Mutter schreiben, die aus Izmir kam. Das tat er dann auch, orchestrierte sie und führte sie mit uns in Chania auf. Die Tempi wechselten dauernd, die Stücke waren schwer zu spielen.

Sehr gern mochte ich den Meister der traditionellen Musik Tasos Chalkias. Er hatte die Ruhe weg… Das, was Chalkias komponierte, kann man nicht einfach so nachspielen! Als ich bei Markopoulos spielte, mit 26-27 Jahren, war Aristidis Moschos im Orchester am Santouri. Das war zu Ostern und er schlug mir vor, ihn auf die Insel Hydra zu begleiten, um dort auf einem Dorffest aufzuspielen.

„Da gibt’s Zicklein im Ofen und Lamm vom Spieß, da geht’s richtig ab“, sagte er, um mich zu ködern. „Herr Aristidis“ stotterte ich, um eine Ausrede verlegen, „ich weiß nicht, ich habe noch was zu erledigen…“ Aber kaum hörte ich, dass Chalkias mit von der Partie war, stimmte ich zu. 2.500 Menschen tanzten und feierten und schwitzten, nur Chalkias war nirgends zu sehen. Ich fragte mehrmals nach, wann er denn endlich auf die Bühne kommen sollte. Ich machte mir Sorgen, dass die Stimmung mit der Zeit kippen würde, dass die Leute nach all dem Warten und Tanzen keine Lust mehr hätten, Chalkias´ Solo zuzuhören. Aber meine Befürchtungen waren umsonst. Irgendwann kam er raus, nahm sich einen Stuhl und fing einfach an, auf seiner Klarinette zu spielen. 2.500 Menschen setzten sich hin, wurden mucksmäuschenstill und lauschten andächtig.

Interview: Michaela Prinzinger/Giannis Spathas. Übersetzung: Nina Bungarten. Redaktion: A. Tsingas/M. Prinzinger. Fotos: Archiv Giannis Spathas.

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1 Gedanke zu „„Ich wollte Gitarre spielen wie Jimi Hendrix…““

  1. Schöner Artikel !
    Ein bißchen von der Zeit habe ich damals (ab 1968) in der Πλάκα in Athen mitbekommen …
    Aber dann waren ja so verrückte Menschen an der Regierung – da war Θεοδωράκης verboten (in Kreta haben sie ihn trotzdem gespielt :–) .

    Danke für den Artikel !
    Christoph

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