Die schwierige Kunst

Novelle von Dimitris Eleftherakis

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10. September 2016, 20 Uhr – Szenische Lesung mit Dimitris Eleftherakis und Frank Schaffrath in Köln: Unser Redaktionsmitglied Elena Pallantza organisiert im Zusammenarbeit mit der ΠΟΠ – Initiativgruppe Griechische Kultur im Kölner Hinterhofsalon eine Präsentation der Aufsehen erregenden Novelle „Die schwierige Kunst“. diablog.eu bringt einen kurzen Ausschnitt in der Übersetzung der Gruppe LEXIS unter der Leitung von Elena Pallantza.

Das grauschwarze, ja das grauweiße Graffiti ist der Spiegel der Grimasse auf unserem Gesicht, die Kunst, die uns erschreckt. Ja, es ist eine schwierige Kunst. Graffiti ist eine schwierige Kunst, sagte der Meister. Griechenland ist eine schwierige Kunst.

Schwierige Kunst - Collage

Dimitris Eleftherakis’ Novelle „Die schwierige Kunst“ handelt von einem aktuellen Ereignis in der Krisenstadt Athen: Im März 2015 wurde über Nacht die Fassade des historischen Gebäudes der Athener Technischen Hochschule von anonymen Straßenkünstlern mit einem monumentalen Graffiti bedeckt. Das neue Erscheinungsbild des Polytechnikums, das im historischen Bewusstsein der Griechen ein Symbol für den Widerstand gegen die Militärdiktatur (1967- 1974) darstellt, verstörte die Athener und wurde zu einem mehrtägigen Medienthema. Kunst oder Wandschmiererei? Protest oder Vandalismus? Die öffentliche Debatte unter Politikern, Intellektuellen, Künstlern, Journalisten und Bürgern deckte viele Wunden der griechischen Gesellschaft auf und inspirierte Dimitris Eleftherakis zu einem poetischen Essay über Erinnerung, Symbole und Stereotypen und über die kulturelle Identität des modernen Griechenlands. Die Novelle „Die schwierige Kunst“ ist kürzlich in Athen für den renommierten Anagnostis-Literaturpreis nominiert worden.

Veranstalter: ΠΟΠ – Initiativgruppe Griechische Kultur und Hinterhofsalon
Ort: Hinterhofsalon, Aachener Straße 68, 50674 Köln
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Eintritt (nur Abendkasse): 7,00 €, 5,00 € für Mitglieder
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Information: Elena Katsiavara. Mail: elena.katsiavara@pop-griechische-kultur.de

Weitere Infos: www.pop-griechische-kultur.de

Ausschnitt aus Dimitris Eleftherakis` Novelle „Die schwierige Kunst“

Alles hier ist grauenhaft und unsinnig und da Sie von so weit hergekommen sind um mir zuzuhören, müssten Sie wissen, ja es müsste Ihnen bewusst sein, welchen Ort Sie betreten und wohin Sie gekommen sind, aber helfen Sie mir, ich bitte Sie, woher kommen Sie noch mal, warum wollen Sie denn ständig an diesen Ort kommen, Sie, die Tobias und Thomas und Tonis und wie auch immer Sie heißen, ach ja das sind fremde Namen, aber Sie sitzen schon so lange neben mir und haben mir Ihren Namen noch nicht verraten, sagte der Meister, obwohl Sie von so weit hergekommen sind, um mir zuzuhören, ja um mich kennenzulernen, und dennoch stehen wir hier einander gegenüber wie Unbekannte, und wenn wir davon absehen, dass ich zu Ihnen rede und Sie mir zuhören, sagte der Meister, ja sind wir zwei Unbekannte, wir sind zwei absolut, vollständig und bedauerlicherweise einander unbekannte Menschen. Sie werden es, denke ich, gesehen haben, auf dem Weg hierher, zu dieser Bank, wohin ich Sie freilich gebeten habe und Sie der Einladung gefolgt sind, das grauschwarze Graffiti werden Sie mit Sicherheit gesehen haben, ja das grauweiße Graffiti, an der Wand dieses Bauwerks der Geschichte, der Kunst und der Legalität, ja der Kultur, letztendlich der Geschichte, ja wohlgemerkt unserer Demokratie, sagte der Meister. Mancher war so töricht, so ganz und gar töricht, diesem Werk der Bildenden Kunst Bewunderung zu schenken, sagte der Meister, obwohl hier, wie Sie wissen, die Kunst, ja das, was wir Kunst nennen, und diesbezüglich denke ich, werden Sie zustimmen, die Kunst hier nicht so bewundert wird, wie sie sollte, ein Euphemismus, sagte der Meister, denn hier wird die Kunst gehasst, wie Sie gemerkt haben, von Menschen, die wir als Mittelmaß bezeichnen könnten, sagte der Meister, denn hier in Griechenland, wo Sie uns besuchen, Sie, die Tobias und Thomas und Tonis und wie auch immer Sie heißen, sagte der Meister, hier sind wir alle Mittelmaß, selbst Sie, die Sie auf dieser Bank sitzen, ja sagte der Meister, in dem verdreckten Sträßchen zwischen dem Museum und dem Polytechnikum, sagte der Meister, und man muss Mittelmaß sein, um der Erwähnung wert zu sein, ja Mittelmaß, sagte der Meister. Mancher bewunderte nun dieses Graffiti, dieses grauschwarze, ja das grauweiße Graffiti an der Wand dieses Bauwerks der Geschichte, der Kunst und der Legalität, ob Sie vielleicht dieses Graffiti bewundert haben, Sie, die Sie nach Griechenland gekommen sind, um mir zuzuhören, ja um mich kennenzulernen, auch wenn wir hier einander gegenüber stehen wie Unbekannte, und um gerechte, um maßvolle Menschen zu sein, ja zwei einfache Mittelmäßigkeiten, sagte der Meister, wie alle Dinge in Griechenland, sagte der Meister, Griechenland ist der Zerrspiegel, in dem wir unser Gesicht sehen, ja unsere Grimasse, weil wir immerwährend eine Grimasse haben, wie der lachende Mensch, sagte der Meister, aber das ist nicht unser Thema, sagte der Meister. Ηaben Sie wohl gesagt, Sie, die Sie neben mir auf der Bank sitzen, zwischen dem Museum und dem Polytechnikum, sagte der Meister, wohin ich Sie freilich eingeladen habe und Sie dem freiwillig gefolgt sind, sagte der Meister, Sie haben gesagt, das Graffiti sei Vandalismus, und nicht nur Vandalismus, sondern Ausfluss von Vandalismus, verzeihen Sie mir, wenn ich Ihre Worte paraphrasiere, sagte der Meister, und dass es keine Kunst sei, ja dass das Graffiti keine Kunst sei, womöglich hat Sie jemand gefragt, ob das Graffiti Kunst sei, erklären Sie mir hier bitte, hat jemand Sie gefragt, ob das Graffiti Kunst sei, sagte der Meister, wie Ihre Kunst, ja Ihre Kunst, die im Wohnzimmer sitzt, ja im Wohnzimmer und in der Schule und im öffentlichen Gebäude, ja auch in der Kunstgalerie, sagte der Meister, ist das Graffiti Kunst, und Sie sagten, dass, wenn diese Menschen sich ausdrücken wollen, sagten Sie, verzeihen Sie mir, sich durch die Kunst ausdrücken wollen, sagten Sie, die keine Kunst sei, sagte der Meister, dann sei dies so, als gingen Sie hin und malten auf die Mona Lisa drauf, sagten Sie, also haben Sie wohl gesagt, dass sie sich durch die Kunst ausdrücken könnten, verzeihen Sie mir, wenn ich Ihre Worte paraphrasiere, aber ich bin Mittelmaß, sagte der Meister, ja in Griechenland ist alles Mittelmaß, sagte der Meister, und ich habe nichts gegen Sie persönlich, alles in Griechenland ist Mittelmaß, sagte der Meister, wie diese Bank hier, zwischen dem Museum und dem Polytechnikum, die dreckige, ja die beschissene Bank zwischen dem Museum und dem Polytechnikum, sagte der Meister, wo Sie sitzen, nach meiner Einladung freilich, welcher Sie, sagte der Meister, freiwillig gefolgt sind, denn wie könnten Sie sonst all das öffentlich sagen, was Sie gesagt haben, sagte der Meister, und Sie sagten außerdem, wenn sich diese Menschen ausdrücken wollten, sagten Sie, solle ihnen der Staat Tafeln kaufen, sagten Sie, ja Tafeln, damit sie darauf malen und nicht auf die Häuser, sagte der Meister. Das Wesen der Bauwerke müsse unverändert bleiben, sagten Sie, sagte der Meister. Kunst sei Michelangelos Jüngstes Gericht in der Sixtinischen Kapelle, sagten Sie, sagte der Meister. Schauen Sie sich diese Bank hier an und den ganzen Platz um sie herum. Er ist voller Müll, sehen Sie. Plastiktüten, Plastikflaschen, Plastikmüll, sehen Sie. Es ist der potentielle Raum der Kunst, sehen Sie. Unter dem Parthenon, sehen Sie. Bei den Karyatiden, sehen Sie. Alles hier ist grauenhaft und unsinnig, sagte der Meister. Würde, sagte der Meister. Sehen Sie, sagte der Meister. Es gibt keinen Platz für Poesie, sagte der Meister. Potentiell ist alles Poesie, sagte der Meister. Warum sollte es nicht Poesie sein, sagte der Meister. Warum sollte es nicht Kunst sein, sagte der Meister. Die Kunst ist die Berührung des Genius, Sie wissen es, ja Sie sagten es, sagte der Meister. Sie haben über all diese da Vincis und Michelangelos gesprochen, sagte der Meister, aber wo aus aller Welt kommen Sie her, sagte der Meister. Sehen Sie den Parthenon, sagte der Meister. Dann hören Sie auf mit dem Gerede, sagte der Meister. Sie haben es von sich aus gesagt, sagte der Meister, die Kunst ist dazu da, die Menschen zu erfreuen und nicht zu entzweien, sagten Sie, sie erfreuen sich nicht an so etwas, sagten Sie, eher empfinden sie Ekel. Ja nun, sagte der Meister, eher empfinden sie Ekel, sagten Sie, sagte der Meister. Hier, wo wir sitzen, auf dieser Bank, in der dreckigen Straße zwischen dem Museum und dem Polytechnikum, erhaschen wir vielleicht einen Blick auf den Parthenon, und wenn nicht, können wir uns mit einer Drehung nach rechts an der Fassade des Museums und des Polytechnikums erfreuen, ja des Polytechnikums, am großen Gittertor des Polytechnikums, sagte der Meister, mit den Toten, sagte der Meister. Und wenn nicht, sagte der Meister, können wir weiter südlich gehen, auf die andere Seite, mit Blick auf den Lykabettos, mit seiner kleinen Kirche, sagte der Meister. Drehen Sie sich ein wenig nach rechts, damit Sie die sanften Karyatiden sehen, ja die keuschen, sittsamen Karyatiden. Worauf blicken die sittsamen Karyatiden? Sie erblicken die endlose Misere, ja den ungeheuren Jammer, die tiefste Melancholie, die bittere Depression, sagte der Meister. Pferde, die sich als Rosse im Galopp geben, sagte der Meister. Verzweiflung ergreift mich, sagte der Meister, wenn ich nur nachdenke, und ich denke nicht oft nach, da ich ja im Übrigen Mittelmaß bin, wir alle in Griechenland sind Mittelmaß, sagte der Meister, und Sie täten gut daran zu gehen, nach Europa, oder noch besser, nach Amerika, zum Mond, zum Licht des Paradieses, dort werden Sie Anerkennung finden, sagte der Meister, mich erfasst tiefster Jammer, sagte der Meister, hier unter dem Parthenon, aber wo sind sie hin, die wirklichen Karyatiden, sagte der Meister. Lassen Sie uns von hier weggehen, von dieser Bank hier, sagte der Meister, zwischen dem Museum und dem Polytechnikum, ja von diesem verdreckten Sträßchen zwischen dem Museum und dem Polytechnikum, von der dreckigen, ja der beschissenen Bank zwischen dem Museum und dem Polytechnikum. Hätten wir diese klassischen, edlen Fassaden nicht, ja die klassisch veredelten Fassaden, würden wir in unserem ärmlichen, engen, hoffnungslosen Alltag versinken, diese klassischen, veredelten Fassaden der Theophil Hansens, der Ludwig Langes, und der Ernst Zillers, ja der Leo von Klenzes. Wer sind diese Grafen und Barone, sagte der Meister, mit den hellenisierten Namen, die auf den dreckigen, den verstaubten, ja den beschissenen Straßenschildern stehen, sagte der Meister. Was ist Kunst, geben Sie mir bitte nur eine einzige Antwort, ist sie der Flug des Vogels, die Welle des Meeres, seine blaue Mähne, der Ring am Finger des Toten, das Blut in den Kerkern der Geheimpolizei, das Geld in der Hosentasche des Schwarzhändlers, das Verb in der Rede des Politikers, der voller Visionen ist und doch wenigstens Versöhnung, Vergessen und Hoffnung verspricht, ist sie das grüne und das rote Lämpchen am dunklen Fischerboot, die seidene Kordel im Schnabel der Taube, die Locken der Statuen. Sagten Sie es etwa nicht, als Sie hierher zu dieser Bank kamen, zwischen dem Museum und dem Polytechnikum, sagten Sie nicht, dass die Kunst all das ist, was Vandalismus nicht ist, und demzufolge ist sie nicht, was Vandalismus ist, verzeihen Sie mir, wenn ich Ihre Worte paraphrasiere, sagten Sie es etwa nicht, ja Sie sagten, Kunst sei das Jüngste Gericht von Michelangelo in der Sixtinischen Kapelle, ja das sei Kunst. Das ist Kunst, und ich würde hinzufügen, ohne Ihnen vorgreifen zu wollen, verzeihen Sie mir, Sie haben sehr wohl ver­standen, was für einen Menschen Sie vor sich haben, das ist Kunst, und Kunst sogar, die für alle verständlich und zugänglich ist, das ist Kunst. Wohltäter der Nation, sagte der Meister, sie kennen und bewachen die Kunst, zum Wohle all der anderen, sagte der Meister. Und wir, die Ahnungslosen, ja die Undankbaren, hängen deren Namen an die dreckigen, an die verstaubten, ja an die beschissenen Straßenschilder, sagte der Meister. Die Kunst ist ein Rätsel, sagte der Meister, ist schwierig, sagte der Meister, Griechenland ist ein Friedhof der Statuen und der veredelten, ja hellenisierten Fassaden, sagte der Meister. Kunst ist Michelangelos Jüngstes Gericht in der Sixtinischen Kapelle, sagte der Meister. Verstehen Sie mich, sagte der Meister, Sie, Sie sind von weit her gekommen, Sie haben Namen wie Tobias, Thomas und Toni, ja wie Theophil und Ludwig und Ernst, aber warum bestehen Sie darauf, gerade an diesen Ort zu kommen, bestimmt im Urlaub, bestimmt sind Sie Reisende, ja Sie sind Touristen, die Sie Ihre Namen auf der Straße einritzen, und, wer weiß, möglichlicherweise gehen Sie noch ein wenig höher bis zu den staubigen, ja bis zu den schmutzigen Straßenschildern. Mit großer Hartnäckigkeit zeichnen wir die Mittelmäßig­keit aus, sagte der Meister. Das ist Griechenland, sagte der Meister. Herzlich willkommen, sagte der Meister. Es regieren die Ahnungslosen, sagte der Meister. Sie be­leidigen mit grauschwarzem Graffiti, ja mit grauweißem Graffiti, unsere Augen, sagte der Meister. Sie zerstören unsere Orchideengärten, sagte der Meister. Wir, wir sind die Ahnungslosen, sagte der Meister. Wir, wir zerstören unsere Orchideengärten, sagte der Meister. Ein Rosenstock, der im Hinterhof blüht, sagte der Meister. Ein Grund für Hoffnung und zugleich für Hoffnungslosigkeit, sagte der Meister. Der schwarze, ja der graue Hinterhof, die Wohnstatt des Blicks, der Trichter der Alltäglichkeit, das Abflussrohr des Gewissens, das Symbol der Hoffnung. Das grauschwarze, ja das grauweiße Graffiti ist der Entwurf des Hinterhofs, der Spiegel der Grimasse unseres Gesichts, die Kunst, die uns erschreckt. Ja, es ist eine schwierige Kunst. Das Graffiti ist eine schwierige Kunst, sagte der Meister. Griechenland ist eine schwierige Kunst, sagte der Meister.

 

Text: Dimitris Eleftherakis. Ausschnitt aus der Novelle „Die schwierige Kunst“, erschienen im Athener Verlag Antipodes. Übersetzung: Gruppe LEXIS unter der Leitung von Elena Pallantza. Fotos: Kay Weidner, Collage: Jürgen Rompf.

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