Die nackte Wirklichkeit

Ein Gespräch mit dem politischen Karikaturisten Ilias Makris

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Karikaturen als augenzwinkernde Kommentare zu politischen Fakten und Verhältnissen, bis sie entblößt dastehen, wie der sprichwörtliche Kaiser – kaum einer beherrscht dieses Handwerk besser als Ilias Makris von der Athener Zeitung „Kathimerini“. Wie er das macht, erzählte er diablog.eu an einem sonnigen Herbsttag an der Athener Riviera.

Wie kommt der Absolvent einer Kunstakademie zur Karikatur?

Bei mir stellte sich diese Frage umgekehrt: Wie kam ich überhaupt an eine Kunstakademie? Denn mit Karikaturen hatte ich schon während meiner Schulzeit etwas am Hut. Als Kind malte ich gerne und mir gefielen die Comics: Lucky Luke, Asterix, Tim und Struppi, solche Sachen. Und dann fiel meine schulische Mittel- und Oberstufenzeit mehr oder weniger zusammen mit den Jahren der Militärdiktatur in Griechenland. Diese Erfahrungen waren ein erster Anstoß, mich gegen etwas zu positionieren, ohne jedoch ein ausgeprägtes politisches Bewusstsein zu haben.

Bei uns zuhause, einer typischen Mittelstandsfamilie, wurden keine politischen Diskussionen geführt. Auch haben mich meine Eltern nie gezielt gefördert, was meine satirischen oder künstlerischen Neigungen angeht. Ich war einfach ein unbefangener Jugendlicher, der die lächerlichen Aspekte der Diktatur wahrnahm, etwa die Art, wie diese Obristen auftraten, die groteske Physiognomie, das geschwollene Griechisch und das aufgeblasene Gebaren von nun hochrangigen Offizieren bescheidener Herkunft, die auf einmal Macht über Menschen und Verhältnisse hatten und wie eine Parodie wirkten. Mit einem genuin satirischen Blick ausgestattet, nahm ich diese Wirklichkeit per se als komisch und kurios wahr.

Ilias Makris, Karikaturist
Ilias Markis, ©Maria Delloglou

Und wie kam es, dass dieser Blick sich ausgerechnet in der Karikatur manifestiert hat?

Irgendwann fiel mir ein Band der Memoiren von Charles de Gaulle in die Hände, der enthielt sehr viele Karikaturen. Ich war davon überwältigt und habe blitzartig begriffen, dass die Karikatur wichtige historische Ereignisse, seien´s auch traurige, haarsträubende, entsetzliche, so wiedergeben kann, dass man darüber lächelt, lacht, ja sich amüsiert und zugleich mit dem vom Karikaturisten freigelegten Kernstück dieser Ereignisse konfrontiert wird. Entweder durch bildhafte Übertreibungen oder durch Text im Bild. Das war der Moment meiner „Initiation“. Daraufhin begann ich mich mit den Figuren der einzelnen Obristen zu befassen. Meinen Mitschülern und Lehrern fiel das ziemlich schnell auf und so ich geriet in die Rolle des Spaßmachers. Mein Umfeld zum Lachen zu bringen machte mir Freude, das gilt bis heute! Ganz nebenbei entstand so ein Weg der Kommunikation mit anderen Menschen.

Und irgendwann sagte jemand zu mir: Zeig deine Arbeiten doch einer Zeitungsredaktion, vielleicht interessiert man sich dafür. Wohin gehen als 16jähriger? Ich ging schließlich zur Zeitung TO VIMA und dort hat mich tatsächlich der legendäre Chefredakteur Leon Karapanagiotis empfangen. Seiner Reaktion entnahm ich, dass ihm meine Arbeit gefiel. Zwei Tage später rief mich mein Patenonkel an und fragte, ob die Karikatur in TO VIMA an jenem Tag von mir stamme, sie sei unterschrieben mit Ilias. Tatsächlich hatte man sie publiziert, und das sogar gegen Honorar!

Was denken Sie über Kollegen, die wegen ihrer Karikaturen, etwa zu Themen des Islam, angegriffen und bedroht worden sind? Gibt es Grenzen des Karikierbaren?

Schwierige Frage! Auch als Akteur unseres Kulturkreises hört man in diesem Beruf harsche Kritik. Mir ist das einmal passiert, nachdem ich die Figur der Muttergottes, die ja in der Orthodoxie eine zentrale Rolle spielt, bei Arbeiten verwendet habe, nicht etwa als Hauptthema, sondern eher als Kontextfigur, etwa mit Ministerpräsident Tsipras in der Krippe und daneben Maria mit einem politischen Textkommentar. Es kamen Leserbriefe, in denen man sich über so etwas beschwerte. Oder wenn ich das Motiv der Kreuzigung verwende. Ich meine aber, dass ich in solchen Arbeiten keine religiösen Gefühle verletzte. Ich mache weder die Muttergottes lächerlich noch mich über sie lustig oder stelle sie gar in einer empörenden Rolle dar. Das ist aber keine innere Zensur, sondern hat eher etwa mit meinem Charakter, meinem Denken und der Art meiner Wahrnehmung, kurz: mit meiner Mentalität zu tun.

Wenn ich bemerke, dass ein anderer in verletzender Weise vorgeht, kann ich es nicht lustig finden. Auch meine ich, dass viele dieser Mohammed-Karikaturen schlecht gemacht sind. Sie entspringen einem Fanatismus der Antifanatiker, wo Provokation im Vordergrund steht. Bei einer wirklich guten Karikatur zu einschlägigen Themen muss der „Prophet“ nicht notwendig Protagonist oder Hauptmotiv sein. Ich sage nicht, dass man so etwas vermeiden sollte, auch ich kann eine Karikatur zu Christus machen; aber man sollte ein Bewusstsein für Sachverhalte haben, dafür, wen oder was man wie beleidigt, und dann eine Entscheidung treffen, diese Sachverhalte in die Luft zu sprengen. Dann ist man auch dafür verantwortlich und muss mit den Konsequenzen, nämlich den Reaktionen des Betroffenen leben.

Schon während meiner Schulzeit habe ich durch ein blödes Missverständnis begriffen, dass auch bei dieser Arbeit Maß und Verhältnismäßigkeit einen hohen Stellenwert haben sollten, um Menschen nicht auf der persönlichen Ebene zu verletzen! Es hat wirklich wenig Sinn, jemanden oder etwas auf Teufel komm raus zu karikieren und dabei zu denken: nach mir die Sintflut.

Begreifen Sie Ihre Arbeit als politischen Kommentar?

Ja, unbedingt. Es geht um ein – mitunter bitteres – Lachen durchs Schlüsselloch der Karikatur sozusagen, in der ein Sachverhalt entschlackt, unverblümt und ungeschminkt offengelegt wird. Der entblößende, alles Überflüssige ignorierende Blick ist zugleich analytisch. Die Karikatur zieht die Wirklichkeit aus, bis sie nackt dasteht, wie der sprichwörtliche Kaiser. Dann kommst du als Karikaturist zu einem „Kern“, zu deiner ganz persönlichen Wahrnehmungswahrheit, indem du anderen zuzwinkerst! Wenn die Arbeit geglückt ist, zwinkert der jeweils andere, der Betrachter, der Leser, mir nach einem Moment des belustigten Erkennens und Verstehens zustimmend zurück.

Politische Karikatur ist für mich in der Tat ein Kommentar zu dem, was öffentlich verhandelt wird – und das, ohne einer der üblichen Parteien oder sonstigen Gruppierungen anzugehören und deren Ansichten zu vertreten. Wobei der jeweilige Ausgangspunkt, ohne etwas zu verabsolutieren, selbst eine politische Äußerung ist: Je klarer und einfacher – nicht zu verwechseln mit schlichter – der Blick auf einen Sachverhalt ist, desto größer ist der Kreis der Menschen, die diesen Blick teilen wollen oder können. Das lässt sich vorab nicht entscheiden, es gelingt oder es gelingt nicht!

Diesen Blick ausfindig zu machen, den man mit Menschen ganz unterschiedlichen Bildungshorizonts teilen könnte, ist definitiv keine leichte Sache. Es gehört ja nicht nur dazu, dass man ununterbrochen über sämtliche nationalen, supranationalen und internationalen Entwicklungen Bescheid wissen muss; für mich persönlich ist auch sehr wichtig, was man einmal Herzensbildung genannt hat, so dass daraus eine Art von „humanistischem oder liebevollen Sarkasmus“ entsteht, an dem viele Menschen teilhaben können. Wenn das funktioniert, bin ich mit mir und der Welt im Reinen!

Deutsche Politiker sind in den letzten Jahren nicht immer gut weggekommen in der griechischen Presse und auch nicht in griechischen Karikaturen. Während etwa die Bundeskanzlerin in Deutschland „Mutti“ genannt wird, stellt man sie hier gelegentlich mit unguten Symbolen der Vergangenheit dar. Wie würden Sie mit diesem Thema umgehen?

Tatsächlich: Mutti? Das ist eine verbale Karikatur! Perfekt für Deutschland. Dass sie in Griechenland mit Nazi-Symbolen dargestellt worden ist, halte ich für geschmacklos. Das wird seit Jahrzehnten wiedergekäut, mit diesen Clichés macht man es sich wirklich zu einfach. In Griechenland wird Angela Merkel mit anderen als mütterlichen Merkmalen wahrgenommen: Sie ist, auch nach den jüngsten Bundestagswahlen, der Kopf der europäischen Führungsmacht. Das ist sozusagen das Schnittmuster für ihre Rolle. In Griechenland wird sie eher als „Lehrerin“, nicht als „Mutti“ wahrgenommen. Und zwar mit erhobenem Zeigefinger, unterstützt von Schulleiter Schäuble, wenigstens bis vor kurzem.

Es sind also Bilder aus dem schulischen Zusammenhang, die man als Karikaturist verwenden könnte. Ich persönlich würde mir nicht Angela Merkel als Objekt einer sarkastischen „Entblößung“ vornehmen, denn an ihre Rolle lässt sich wenig rütteln. Mich als griechischen Karikaturisten interessiert, wie sich die griechische Seite gegenüber diesen Gegebenheiten positioniert und verhält. Mich beschäftigen die griechische Optik und die Möglichkeit, nationale Selbstironie zu betreiben.

Ilias Makris ist einer der beliebtesten Karikaturisten Griechenlands. Absolvent der Deutschen Schule Athen, studierte er an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig und verließ sie als Meisterschüler. In Berlin studierte er anschließend Theaterwissenschaften an der FU und an der HdK (heute UdK) Bühnenbild, bis er dem Militärdienst in Griechenland nicht mehr ausweichen konnte. Seit 1981 lebt er in Athen und arbeitet für die Zeitung „Kathimerini“.

Die Fragen stellte Andrea Schellinger. Fotos: Maria Delloglou (Porträt Ilias Makris). Karikaturen: Ilias Makris.

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