Primavera in Salonico

Interview mit Savina Yannatou, Sängerin

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Tournee von Savina Yannatou April 2018, Auftritte in Bielefeld (22.4.), Berlin (23.4.) und Wien (25. 4.): Die Künstlerin spricht mit diablog.eu über ihren großen Erfolg mit sephardischen Liedern aus Thessaloniki und ihre Zusammenarbeit mit dem deutschen Label EMC und dem Jazzmusiker Günter Baby Sommer.

Die Platte „Spring in Salonica – Sephardic Folk Songs“ der Sängerin Savina Yannatou mit der Gruppe „Primavera en Salonico“ bei Lyra Records machte 1995 die judenspanischen Lieder und Melodien aus Thessaloniki in Griechenland und darüber hinaus bekannt. Die Sephardim sind Juden von der Iberischen Halbinsel, die eine ganz eigene „spaniolische“ Sprache sprechen. Seither haben Savvina Yannatou und „Primavera en Salonico“ sechs weitere CDs herausgebracht. Die vier letzten Aufnahmen sind beim deutschen unabhängigen Platten-Label EMC Records erschienen. Bei den Konzerten sind die sephardischen Lieder ein fester Bestandteil, der nicht fehlen darf.

Portrait Savina Yannatou
Savina Yannatou, ©Johanna Diehl

Ihre Zusammenarbeit mit der Gruppe „Primavera en Salonico“ war sehr erfolgreich, die sephardischen Lieder sind sehr gut vom Publikum aufgenommen worden. Thessaloniki war viele Jahre lang, bis zum zweiten Weltkrieg, eine jüdisch geprägte Stadt. Dieses kulturelle Erbe ist durch die deutsche Besatzung fast vollkommen vernichtet worden. Wie kam es, dass Sie sich mit diesem Thema beschäftigten?

Rein zufällig. Ich wurde durch die Plattenfirma, mit der wir die Aufnahme machten, sozusagen darauf gestoßen. Die Mitarbeiter hatten sich mit der Materie auseinandergesetzt und schon alles vorbereitet. Kostas Vomvolos, mit dem ich bis heute zusammenarbeite, hatte die Orchestrierung bereits fertiggestellt und Musiker gefunden. Es fehlte nur noch die Sängerin. Glücklicherweise bekam ich dieses Angebot. Ich kannte vorher schon ein paar Lieder, und ich bat darum, sie mit auf die Platte zu nehmen, weil sie mir so gut gefielen. Andererseits nahmen wir auch Stücke auf, die eher typisch für Thessaloniki waren, die mir musikalisch aber etwas fremd waren. Auf diese Weise enthielt die Aufnahme sowohl orientalische als auch spanische Elemente. Darüber freue ich mich sehr.

Für uns war erstaunlich, dass die Platte ein voller Erfolg wurde. Die Plattenfirma und auch wir Interpreten waren uns nicht sicher, welches Publikum diese Aufnahme genau finden würde, da den meisten Menschen die Sprache vollkommen fremd war. Niemand hatte damit gerechnet, wie beliebt diese Lieder sein würden. Meiner Meinung nach hat es nur mit der Musik zu tun. Die Platte kam zu einer Zeit heraus, zu der Griechenland offener für Neues als jemals zuvor war. Es war eine Phase, in der sich die sprachlichen und musikalischen Grenzen erweiterten.

Seit einigen Jahren arbeiten Sie mit der Produktionsgesellschaft ECM zusammen, die ihren Sitz in München hat. Das heißt, Sie haben sich für den internationalen Musikmarkt geöffnet. Außerdem wird Ihre Beziehung zum Jazz, zum Free Jazz, zur mittelmeerisch-orientalischen Tradition und der Rhythmik in Ihren Liedern immer stärker. Warum passt Jazz so gut zur griechischen traditionellen Musik?

Diese Meinung teilen nicht alle Leute. Manchen gefällt das überhaupt nicht. Ich selbst mag Free Jazz sehr. Ich erwartete auch von den Musikern eine Entwicklung in diese Richtung. Und weil einige von Ihnen, z. B. Vomvolos, Siganidis und Lambrakis, sowieso Free Jazz spielen, ist die Verbindung mit dem Orientalischen sehr gut gelungen. Einige improvisieren sehr gut im orientalischen Stil und einige besser im klassischen und freien Stil. Ich glaube, es ist uns gelungen, zwei musikalische Traditionen miteinander zu vereinen. Dabei haben wir auf eine Balance beachtet, damit nicht der eine Stil den anderen dominiert.

Sie haben noch ein weiteres, sehr anregendes Projekt gemacht: „Songs for Kommeno“. Das bedeutete auf einer künstlerischen Ebene eine Aufarbeitung der deutsch-griechischen Vergangenheit. Es handelt sich um ein Verbrechen der deutschen Wehrmacht gegen die Zivilbevölkerung während des zweiten Weltkriegs, das den Jazzmusiker Günter Baby Sommer inspiriert hat, diesen Liederzyklus zu schaffen. Wie ist es zu dieser Zusammenarbeit gekommen? Und glauben Sie, dass man die Vergangenheit auf künstlerische Art aufarbeiten kann?

Günter Baby Sommer, ein sehr bekannter deutscher Jazzer, hatte Kommeno besucht. Als wir uns dann auf einem Festival trafen, erzählt er vollkommen erschüttert: „Die alten Frauen aus Kommeno haben überhaupt nicht mit mir gesprochen.“ Anscheinend hatte er noch nie in seinem Leben von den Verbrechen der deutschen Wehrmacht in griechischen Dörfern gehört.

Bei uns ist die Tatsache, dass die Deutschen zahlreiche Dörfer dem Erdboden gleichgemacht haben, hinreichend bekannt, aber ihm war das offensichtlich nicht bewusst. Als die Leute nicht mit ihm sprachen, nahm er das sehr persönlich. Auf jeden Fall wollten wir das Projekt aus griechischer Perspektive etwas genereller halten, aber er wollte unbedingt, dass es sich konkret auf Kommeno bezog. Wir verwendeten einige traditionelle Melodien, die dort sehr bekannt sind. Das zentrale Stück der Platte ist das Klagelied einer Frau aus Kommeno: Sie singt über ihre Erlebnisse als kleines Mädchen. Und das sind auch die einzigen Worte, die auf der Platte zu hören sind. Ich wäre von mir aus tatsächlich nie auf ein solches Projekt gekommen, vielleicht, weil ich Griechin bin.

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Tres Hermenicas/Drei Schwestern

Drei Schwestern waren sie, weiß wie eine Rose, ay Blütenkelch,
drei Schwestern waren sie, drei Schwestern.

Zwei waren verheiratet, weiß wie eine Rose,
zwei waren verheiratet, die jüngste lebte in Schande.

Ihr Vater, sehr reich, weiß wie eine Rose,
ihr Vater, sehr reich, baute ihr einen Palast.

Mit Fenstern aufs Meer hinaus, weiß wie eine Rose,
mit Fenstern aufs Meer hinaus und Türen rundherum.

Der junge Mann, der dies vernahm, weiß wie eine Rose,
der junge Mann, der dies vernahm, stürzte sich in den Fluss.

Sein Körper wurde zu einem Boot, weiß wie eine Rose,
sein Körper wurde zu einem Boot, seine Arme zu Rudern.

Er schwamm und segelte, weiß wie eine Rose,
er schwamm und segelte, bis er die Küste erreichte.

Sie ließ ihr Haar herunter, weiß wie eine Rose,
wie ließ ihr Haar herunter, und er kletterte hinauf.

Sie setzte ihn auf einen goldenen Stuhl, weiß wie eine Rose,
sie setzte ihn auf einen goldenen Stuhl, aber er setzte sich nie.

Bald darauf bringt sie ihm, weiß wie eine Rose,
bald darauf bringt sie ihm, Fisch mit Zitrone.

Der Fisch war sehr süß, weiß wie eine Rose,
der Fisch war sehr süß, die Zitrone schmeckte ihm.

Nach Mitternacht, weiß wie eine Rose,
nach Mitternacht bat er sie um Wasser.

Im Haus gab es kein Wasser, weiß wie eine Rose,
im Haus gab er kein Wasser, er schickte sie zum Brunnen.

Der Brunnen war weit weg, weiß wie eine Rose,
der Brunnen war weit weg, sie schlief ein.

Ein junger Mann kam vorbei, weiß wie eine Rose,
ein junger Mann kam vorbei, er gab ihr drei Küsse.

Zwei Küsse gingen ins Leere, weiß wie eine Rose,
zwei Küsse gingen ins Leere, der dritte traf sein Ziel.

Entnommen aus: Sephardisches Liederbuch. 51 Judenspanische Lieder. Gesammelt und herausgegeben von Aron Saltiel. Mit Transkriptionen und einer Einführung von Joshua Horowitz. C. F. Peters, Frankfurt/Main, Leipzig, London, New York 2001.

Mit Notentranskriptionen, dreisprachigen Liedtexten (sephardisch-englisch-deutsch) und Erläuterungen bietet das Sephardische Liederbuch interessierten Sängern und Musikethnologen ein repräsentatives Melodienrepertoire der judenspanischen Gesangstradition aus dem Gebiet des ehemaligen Osmanischen Reiches.

Gruppe von Sängern und Tänzern auf Buchcover Sephardisches Liederbuch

Interview: Michaela Prinzinger/Savvina Yannatou. Transkription: Marianna Tsatsou. Übersetzung: Nina Bungarten. Fotos: Johanna Diehl. Abdruck aus dem Sephardischen Liederbuch mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Die Website der Künstlerin: http://www.savinayannatou.com/gr/index.php. Mehr auf diablog.eu über Günter Baby Sommer: https://diablog.eu/el/portreto/songs-for-kommeno-interview-guenter-baby-sommer/.

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