Sehnsucht nach Zypern – Liebesgeschichte und Reiseführer in einem

Ein Roman von Julia Lehnen

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Als Julia Lehnen 2011 Zypern das erste Mal bereiste, gab es über die Insel noch keinen deutschsprachigen Roman. „Reiseführer lese ich nicht gern, sie ermüden mich“, räumt sie ein. Diese Lücke wollte sie selbst schließen und schrieb dieses Buch – schließlich gibt es nichts Gutes, außer man tut es.

Sehnsucht nach Zypern ist der Roman“, sagt Lehnen, „den ich 2011 auf dem Hinflug nach Zypern gerne schon in der Hand gehalten hätte, als meine beiden Kinder, damals 1 und 3 Jahre alt, ausnahmsweise zeitgleich schliefen und ich endlich einmal Zeit zum Lesen gehabt hätte.“

zyp-1, Blick auf den Troodos

Das ist grob skizziert der Rahmen: Die Forstwirtschaftsstudentin Marie Sommer, die selbstbewusste und attraktive Protagonistin, reist im Herbst 2013 nach Zypern zu einem Praktikum bei der lokalen Forstbehörde. Es ist die Zeit der Wirtschafts- und Bankenkrise. Nachdem sie in Deutschland gerade eine Beziehung beendet hatte, stürzt sie sich in die Arbeit. In ihrer Freizeit erkundet sie die zahlreichen Aphrodite-Stätten der Insel für einen Wanderführer. Marie macht den Schutz des Nationalparks im Troodos-Gebirge zu ihrer Sache und engagiert sich intensiv für den Erhalt des Waldes. Und warum das Ganze? „Weil das Gebirge geologisch und botanisch einzigartig ist, weil man hier so viel unternehmen kann, weil die Insel mehr zu bieten hat als Strände“, lässt Lehnen ihre Protagonistin sagen.

diablog.eu hatte sich bislang nicht mit „leichter Urlaubslektüre“ beschäftigt. Sehnsucht nach Zypern beinhaltet jedoch ein gelungenes Portrait der Insel, denn Lehnen ist ihr und ihren Bewohnern sehr zugeneigt. Einen englischen investigativen Journalisten lässt sie in ihrem Debutroman sagen: „Wirtschaftskrise, Bankenkrise – aber immer, wenn ich mit den Leuten spreche, fällt ihnen nur das Schöne im Leben ein.“ Außerdem hat die Autorin hervorragend über Wald, Flora und Fauna, die Geschichte der Insel, die politische Situation und die Sehnsüchte der jungen Erwachsenen recherchiert, was sich in der langen Danksagung am Ende des Buches widerspiegelt.

Lehnen lässt kaum ein Thema aus, das für junge Frauen von Belang ist: Marie ist nicht auf der Suche nach einem Partner, nicht einmal nach einem Abenteuer, ist aber in diesem männerdominierten Metier von vielen (interessanten) Männern umgeben. Sie sucht ihre Stellung im Beruf und in der deutschen und zyprischen Gesellschaft, ihre Gedanken drehen sich um die Ausbeutung der Bodenschätze und die Zerstörung der Natur (auf Zypern seit der Antike ein Dauerbrenner), den Naturschutz, die Investitionspläne und die politischen Kräfte, die diese fast gewaltsam durchsetzen wollen. Zwischen den Frauen des Romans herrscht Solidarität, es gibt keinen Zickenkrieg (aber auch kein „Friede, Freude, Eierkuchen“), die Frauen helfen sich untereinander mit Rat und Tat.

zyp-2, Artemis-Pfad 1

Zypernspezifische Themen lässt Lehnen nicht außen vor. Der politische Anteil der Geschichte ist klein, aber vorhanden. Auf die einfache Frage „Wo wurdest du geboren“, antwortet man auf Zypern mit dem Hinweis auf den griechischen Süden oder den seit 1974 türkisch besetzten Norden. Marie fragt eine ältere Zypriotin, die ihr Griechisch beibringt: „Sind Sie für die Wiedervereinigung Zyperns?“ Eugenia antwortet: „Frag lieber jemand anderen, einen jüngeren Zyprioten“, und sagt dann doch ihre Meinung. „Das ist meine Sicht, die nächsten Generationen können damit anders umgehen.“ (Marie besucht später mit griechischen Zyprioten eine Tanzveranstaltung im besetzten Teil Nikosias und ein ehemaliges orthodoxes Kloster im besetzten Norden.) Lehnen schreibt: „Für Marie klangen Eugenias Worte hart und plötzlich dachte sie an ihre Oma, die gegen Kriegsende aus Pommern vertrieben worden war.“  Geflohene gibt es überall. Überhaupt ist eine der Stärken des Buches der Vergleich zwischen Zypern und Deutschland. Nicht nur Zypern ist exotisch, Deutschland kann es auch sein. Maries Familie hat einige Förster hervorgebracht und so ist sie erfahren und kann in ihrem Beruf Parallelen ziehen und Differenzen benennen. Nach viermonatigem Praktikum kehrt sie zur Weihnachtszeit nach Deutschland zurück, die Zeit, um auf langen Waldspaziergängen über den Praxisaufenthalt auf der Insel zu reflektieren. Um gründlich auf andere Gedanken zu kommen, schließt sie direkt daran ein zweimonatiges Fachpraktikum im Hochsauerlandkreis an und verbringt den Karneval in Köln – das ist Exotik und Skurrilität pur, nicht nur für Ausländer, sondern auch für manchen Inländer. Lehnen genießt den Luxus, ihre Geschichte auf 350 Seiten ausbreiten zu können. Ein Lob an den Verlag, der ihr das in Zeiten der Papierknappheit zugestanden hat.

zyp-3, Artemis-Pfad 2

Das Genre des Liebesromans ist natürlich Geschmackssache. Lehnen beschreibt Maries  Zerrissenheit zwischen Forstwirtschaft und Archäologie, ihre altersspezifische Einstellung zu Männern und Beruf, die unterschiedliche Denkweise etwa gleichaltriger deutscher und zyprischer junger Frauen. Die Männer, denen Marie begegnet, werden ziemlich genau beschrieben, Statur, Gesicht, Haare, Augenfarbe, es sind viele Männer und unterschiedliche Typen.

Ab Anfang des letztes Drittels mischt Marie die zyprische Gesellschaft auf, wie eine wehrhafte Aphrodite. Lehnen bringt auch andere, eher unbekannte Aspekte der Göttin ins Spiel. „Aphrodite war nicht nur die Göttin der Fruchtbarkeit und der Liebe, sondern auch die Herrin des Krieges. Einer ihrer vielen Beinamen ist Encheios, die Göttin mit dem Speer“, lässt sie einen Archäologen erzählen. In Kouklia stößt Marie im Freien auf einen ein Meter hohen, kegelförmigen und dunklen Stein, eine anikonische Darstellung der Aphrodite. Als ihr Kult mit Reisenden aus Sidon von der gegenüberliegenden kleinasiatischen Küste nach Zypern gebracht wurde, hieß sie noch Aschera. In vorbiblischer Zeit wurde sie von den Israeliten zusammen mit Jahwe, dem Wüstengott, verehrt, mit dem Aufkommen des Patriarchats aber ausgelöscht. Auf Zypern lebte sie weiter, bis griechischsprachige Siedler sie mit der Aphrodite gleichsetzten und religiös vereinnahmten. So vermittelt Lehnen nebenbei Wissen und Zusammenhänge über die Insel und schafft eine dichte Atmosphäre. Passend dazu gibt es am Ende des Buchs ein achtseitiges Ortsverzeichnis mit den Lieblingsorten der Autorin.

zyp-4, Artemis-Pfad 3

Zum Inhalt des Romans hätte gut ein Coverfoto aus dem Troodosgebirge gepasst, auch, weil erklärtes Ziel der zyprischen Forstbehörde im Roman ist, die Urlauber und Einheimische von der Küste wegzulocken.

zyp-5, Autorin und Cover

Sehnsucht nach Zypern: Erschienen 2021 als Taschenbuch und E-Book im Größenwahn Verlag, als Hörbuch beim Saga/Egmont-Verlag.

Die Autorin

Julia Lehnen-Vollmer studierte Französisch und Spanisch, promovierte in der Theologie und arbeitet als Lehrerin in Köln. In den letzten Jahren war sie viel im griechischsprachigen Raum unterwegs und bereiste Athen, Kalymnos, Kos, Kreta, Mykonos, Naxos, Rhodos, Samos und natürlich auch Zypern.

Text: A. Tsingas. Die Fotos hat der zyprische Schriftsteller ©Εmilios Solomou auf dem Artemis-Pfad des Troodos-Nationalparks gemacht.

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3 Gedanken zu „Sehnsucht nach Zypern – Liebesgeschichte und Reiseführer in einem“

  1. Lieber Herr Tsingas,
    vielen Dank für Ihre gelungene Rezension zu meinem Roman. Ich hoffe vielem Leserinnen und Leser mit diesem Buch Freude zu bereiten und die Sehnsucht auf die Insel der Aphrodite zu wecken.

    Herzliche Grüße

    Julia Lehnen

    Antworten
  2. Überhaupt schon der Anfang gibt echt Lust weiterzulesen… diese schönen Naturbeschreibungen. Nachdem ich nun auch bereits einige Orte meiner neuen Heimatinsel „bewandert“ habe, konnte ich mich in dem Text sehr wiederfinden. Wenn die Landschaft in den Bergen beschrieben wird, muss ich an meine letzte Wanderung am Xyliatos Damm denken, aber lustiger weise auch an schöne Wanderungen im Harz. Besonders konnte ich mich aber mit der jungen Frau identifizieren, die sich dort in der Männerdomäne ihres Jobs versucht zu beweisen und gerne das rustikale Landleben genießt. Die beschriebenen Szenen erinnern mich an meine Urlaube im Harz oder im Elsass, nähe Colmar. Ein einsames Haus, wo pro Tag höchstens fünf Fußgänger vorbei kamen, wo wir den Bach durch ein Rohr umgeleitet hatten, um dann ein paar Meter weiter unten eine Dusche nehmen zu können.

    Aber am lustigsten fand ich die Passagen wo der Charakter der jungen Frau beschrieben wird:
    „Was hatte ihr damals geholfen? Das, wovon sie mehr hatte, als alle Männer ringsum: Verstand!“
    „Generell fand sie, dass Männer nicht so viel Parfum aufsprühen sollten, dass andere keine Luft mehr bekamen. Am besten gefiel ihr, wenn ein Mann nach Wald roch, aber das behielt sie für sich.“

    Und besonders den Satz der Förster-Verlobten finde ich sehr wichtig:
    Marie: „Attraktivität gut und schön, aber Frauen sollten nicht nur nach ihrem Äußeren beurteilt werden.“
    Förster-Verlobte: “Das sehe ich genau so, aber Attraktivität und Intelligenz müssen sich doch nicht widersprechen! Du könntest deine wunderschönen grünen Augen noch etwas hervorheben.”
    👍 Ja, absolut! Auch intelligente Frauen dürfen gut aussehen!

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