Das Dorf Volax auf Tinos

Reiseartikel von Thanassis Tsingas

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Die Wallfahrtsinsel Tinos hat den Ruf, ideal für einen ruhigen Familienurlaub zu sein. diablog.eu-Redaktionsmitglied Thanassis Tsingas besucht sie seit den Achtziger-Jahren regelmäßig. Das Inselinnere hält einige Überraschungen parat.

Die Insel Tinos wird in Griechenland meist mit der orthodoxen Verkündigungskirche als Wallfahrtskirche der Muttergottes und den Feierlichkeiten zum Himmelfahrtsfest am 15. August in Verbindung gebracht. Außerdem ist die Insel berühmt für ihre 800 eindrucksvollen Taubentürme, die zum Teil noch aus venezianischer Zeit stammen. Viele Architekturliebhaber schätzen auch die Dörfer im Inselinneren, die als Schutz vor Piraten wie geduckte Festungsanlagen an den Berghängen gebaut wurden.

Eins dieser Gebirgsdörfer ist Volax, „die Volax“, mit weiblichem Artikel – eine sprachliche Rarität. Zum ersten Mal wurde Volax als Vulacus 1618 in einem Dokument der venezianischen Verwaltung erwähnt. Das Dorf liegt 17 Kilometer nördlich der Inselhauptstadt in 340 Metern Höhe auf einem Feld mit monumentalen, abgerundeten Felsbrocken. Sie flößen Respekt ein und regen die Fantasie an. Keineswegs sind sie Überreste einer Steinschlacht zwischen antiken Göttern und Giganten, sondern vulkanisches Magma, das nach und nach vom Erdinneren an die Erdoberfläche gedrückt wurde und dabei durch Erosion und Verwitterung seine charakteristische runde Form annahm. Die Steine sind beeindruckend gleichmäßig über eine große Fläche verteilt.

Wegen der wenig ertragreichen Erde lebte das Dorf in der Vergangenheit weitgehend von Viehzucht und Korbflechterei. Volax war im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert das Korbflechtzentrum auf Tinos und hat sogar die wohlhabende Nachbarinsel Syros mit Ware beliefert. Die Korbflechter erhielten z.B. umfangreiche Bestellungen für die Erdbeerernte in Attika, dem Umland von Athen. Auch heute noch werden in Volax Körbe geflochten. Die Herstellung ist langwierig und richtet sich nach dem Mondkalender. Weidenzweige werden zwei Wochen nach dem Julivollmond und Schilf zwei Wochen nach dem Februarvollmond geschnitten. Mit einer einfachen Gabel aus egal welchem Holz werden zunächst die Zweige von Blättern und Rinde befreit. Die „nackten“ Zweige werden danach einen Monat lang in der Sonne getrocknet und vor der Weiterverarbeitung eine Woche lang in Wasser eingeweicht. Danach erst kann mit der eigentlichen Arbeit begonnen werden.

Zu dieser beinahe vergessenen Kunst werden zahlreiche Kurse angeboten. Darüber hat der Lyriker und Ethnologe Alekos Florakis ein Buch geschrieben: „Volaxian Basketweavers“ (Die Korbflechter von Volax) 2010, 112 S. (griechisch/englisch). Zum Buch gibt es auch einen Artikel.

Gerade mal 1975 wurde eine Straße in der Nähe von Volax gebaut, die aber am Dorf vorbeiführte. Die Anwohner selbst legten eine Zugangsstraße an, die erst 20 Jahre später asphaltiert wurde. Nachdem die Einheimischen 1983 den Kulturverein „Die Volax von Tinos“ gegründet hatten, blühte das Dorf wieder auf. Mittlerweile ist die Leistung der Bürger von Volax auf Tinos  zum Maßstab geworden. Wasser schöpfte Volax früher aus Quellen und Brunnen. Bald stieß man jedoch an einer höhergelegenen Stelle auf ausgezeichnetes Trinkwasser. So wurde eine Zisterne geschaffen, aus der die Siedlung mit Wasser versorgt wird. 1986 wurden die Kanalisation sowie die Pflasterung der Gassen und der drei Dorfplätze fertiggestellt. Darüber hinaus wurden Hausruinen mit Blumenbeeten geschmückt sowie alte Türen, Fensterläden und auch Wände mit Gedichten griechischer Lyriker wie Nikos Kavvadias und Andreas Kalvos beschriftet.

Mit 10 Millionen Drachmen (rund 30.000 Euro) hat man Ende der 1990er Jahre ein Freilufttheater mit 300 Sitzplätzen eingerichtet, das sich in die natürliche Mulde des Geländes schmiegt und mit der Landschaft harmoniert. Gleich von Anfang an fanden dort zahlreiche kulturelle Veranstaltungen statt. Sowieso hat sich die Insel Tinos musikalisch in den letzten Jahren einen Namen gemacht. Insbesondere in der langen Sommersaison treten namhafte Künstler unterschiedlicher Musikrichtungen auf. Im Sommer 2016 etwa wurde zum siebten Mal das  „Tinos Jazz Festival“ veranstaltet, wegen der Olympischen Spiele dem austragenden Land Brasilien gewidmet. Kein geringerer als der brasilianische Cellist und Komponist Jaques Morelenbaum trat auf, und seine Frau Paula Morelenbaum vertrat als Sängerin die brasilianische Bossa Nova. Im Freilufttheater von Volax zogen bei dieser Gelegenheit die Athenerin Miranda Verouli und ihre Band das anspruchsvolle Publikum mit brasilianischen Jazz-Grooves in ihren Bann. Hier eine Aufnahme ihres Auftritts im Berliner „b flat-Jazz Club“ vom November 2015.

Das 1992 eröffnete Heimatkundemuseum von Volax, unterhalb der katholischen Dorfkirche gelegen, präsentiert Gegenstände des ländlichen Alltags und hat sich zu einem Touristenmagnet gemausert. Jedes Jahr gibt es zwei Dorffeste: Am Donnerstag nach Ostern zu Ehren der (katholischen) Madonna von Kalaman, einer Feldkapelle außerhalb des Dorfes, mit Lamm am Spieß, viel Wein und Musik. Und am 8. September zur Geburt der Muttergottes, das weithin bekannte Fest der Dorfgemeinde. Zur Osterzeit kommt auch die internationale Klettergemeinde zusammen, um die Felsen der Gegend um Volax zu besteigen. Der Dorfverein unterhält eine sehr informative und mit viel Engagement aktualisierte Website, auf der man in die Welt von Volax eintauchen kann.

Plakat Festivalplan
Tinos Climbing Festival 2016

Text: A. Tsingas. Fotos: A. Tsingas; Theater: Volax-Verein.

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3 Gedanken zu „Das Dorf Volax auf Tinos“

  1. Ich würde diesen Artikel gern in meiner Gruppe auf FB teilen, kann es aber nicht, weil ich angeblich eine App nicht eingerichtet habe. Ist mir das nicht erlaubt. Könnt ihr mir bitte helfen ? Danke im voraus für eure Antwort !!

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