„Sladek“ – Der Weg eines jungen Mannes in den Extremismus

Theaterkritik von Marina Agathangelidou

Dieser Beitrag ist auch verfügbar auf: Ελληνικά (Griechisch)

Athen ist für seine lebendige Theaterszene bekannt. Besonders in den letzten Jahren hat – trotz Krise – ein Run auf die Theater eingesetzt, die dem Publikum gesellschaftliche Umbrüche in besonderer Weise vor Augen führen können. Nun ist das eindrucksvolle frühe Theaterstück „Sladek“ von Ödön von Horvath in der viel diskutierten Inszenierung des jungen griechischen Regisseurs Dimitris Karantzas im Athener Porta Theater zu sehen. Das Porta Theater, früher eine der bekanntesten und beliebtesten Athener Bühnen für Kindertheater, war zunächst vorübergehend geschlossen und ist in dieser Spielzeit, unter der künstlerischen Leitung von Thomas Moschopoulos mit neuen und ambitionierten Zielen wieder eröffnet worden. Aus Athen berichtet unsere Mitarbeiterin Marina Agathangelidou. Näheres zum Regisseur Dimitris Karantzas erfahren Sie in unserem “Who is who“. Den Trailer des Theaterstücks sehen Sie hier.

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©Gely Kalampaka

„Ich bitte, mich als Menschen zu betrachten und nicht als Zeit“, sagt Sladek am Ende des Stückes vor Gericht. Dabei ist die Hauptfigur in Horvaths gleichnamigem Stück ein von seiner Zeit durchaus geprägter Mensch: Die erste Textfassung („Sladek oder Die schwarze Armee“), auf der die Aufführung basiert, wurde 1928 geschrieben.

Die Handlung spielt um das Jahr 1923, wobei die politischen Entwicklungen in der Weimarer Republik den historischen Hintergrund des Stücks darstellen. Damals bildete sich unter der extremen, durch steigende Arbeitslosigkeit und Inflation hervorgerufenen Armut, die auch die Mittelschicht betraf, ein geistiges und politisches Klima heraus, in dem Nationalismus, Militarismus, Hass und Fanatismus blühten, und der Boden für den Aufstieg des Nationalsozialismus bereitet wurde.

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©Gely Kalampaka

Sladek ist ein junger Mann, ohne Ausbildung, ohne Arbeit und ohne Familie. Ein einsamer Mensch, der viel nachdenkt, und der auch überzeugt ist, dass man selbstständig denken sollte. Früher war er Spartakist, nun aber tritt er – ein Opfer von ideologischer Konfusion, Propaganda und Terror – in die Schwarze Armee ein. Dabei handelt es sich um eine parastaatliche, geheime Nazi-Organisation, die jeden Funken freies Denken für schädlich hält, die Demokratie zersetzen will, eine „nationale Diktatur“ verspricht, auf den Krieg schwört und die jeden, der anderer Meinung ist, als Verräter brandmarkt. Der brillante Schauspieler Aris Balis stellt einen Charakter dar, der sich danach sehnt, irgendwo dazuzugehören, an etwas zu glauben, sich an irgendeinen Sinn zu klammern, ein „höheres Ziel“ zu verfolgen. Und als seine existenzielle Ratlosigkeit immer größer wird, bemüht er sich, zu erklären, zu rechtfertigen, aufrecht zu bleiben, nicht klein beizugeben.

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©Gely Kalampaka

Karantzas geht es weder darum, ein historisches Panorama der Zeit zu bieten, noch die Parallelen zur politischen Lage der letzten Jahre in Griechenland und Europa plakativ zu unterstreichen. Er arbeitet ohne Bühnenbild – ein paar Stühle ausgenommen, jeweils einer für jeden Darsteller. Durch diesen szenischen Minimalismus schafft Dimitris Karantzas, ähnlich wie auch in seinen früheren Inszenierungen, eine Aufführung von bemerkenswerter Genauigkeit, im Zentrum derer das Sprechen selbst steht. Die gezielte Artikulation, begleitet durch die bedeutungstragende Körperhaltung und Geste, ersetzt so die szenische Darstellung und Handlung, die vollkommen fehlt oder nur andeutungsweise eingesetzt wird. Der Text wird auf diese Weise wie eine Sprechpartitur behandelt und von einem gut eingespielten Ensemble dargeboten.

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©Gely Kalampaka

Die Stimmen erklingen abwechselnd und fließen ineinander. Redend, murmelnd, pfeifend, singend erklingen die verschiedenen Ideologien (parallel zu Sladeks Erzählung verläuft die Geschichte des Pazifisten Franz) mit den dazugehörigen Elementen wie Rhetorik, Propaganda, Anpassung, Widerstand und Verurteilung. Der Autor konzentriert sich auf die Ausbreitung der faschistischen Ideologie und die Untergrundtätigkeit faschistischer Gruppen. Dabei beleuchtet er auch die Rolle der Staatsmacht, die zunächst die Tätigkeit der Schwarzen Armee unterstützt und sie später durch Gewalt zur Auflösung zwingt und ihre Mitglieder vor Gericht bringt. Zugleich hebt er den psychologischen Hintergrund der Figuren, die Gründe, die sie zum Handeln bewegen, ihre Widersprüche, ihre inneren und äußeren Konflikte hervor.

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©Gely Kalampaka

Das Herzstück der Inszenierung bildet die Beziehung zwischen dem Einzelnen und der Gruppe, das Problem der Identität, des Bewusstseins, der individuellen Verantwortung. Hier findet Karantzas durch Spaltung und Verteilung einer Rolle auf mehrere Darsteller sowie auch am chorischen Sprechen wichtige Bezugspunkte. Umgekehrt spielen einige Darsteller mehrere Rollen, wie etwa die großartige Maria Kechagioglou, die sämtliche Frauenrollen übernimmt. Es geht hier also nicht um das Entwerfen eigenständiger Figuren, sondern um die Art und Weise, wie sich eine Rolle in den anderen Rollen des Stückes widerspiegelt, um die Art und Weise, wie der Einzelne von der Gruppe assimiliert wird, wie sich eine Ideologie durchsetzt, wie sich Macht etabliert – ohne dass die Möglichkeit einer anderen Wahl, einer anderen Haltung völlig vom Horizont verschwindet.

Text und Aufführung lassen so hinter der äußeren Abstraktion der Form und jenseits der äußerlichen „Homogenität“ des Totalitarismus ein vielfältiges Bild erscheinen, das natürlich keine vollständige Beschreibung ist und auch keine fertigen Antworten liefert, dafür aber eine hohe Aussagekraft besitzt und zu einer intensiven Auseinandersetzung einlädt.

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©Gely Kalampaka

Fotos: Gely Kalampaka

Sladek, von Ödön von Horvath

 

Zusatzvorstellungen: 14., 16. und 17.1. Ort: Porta Theater, Messogeion 59, 11526 Athen, Tel. 2107711333, 21077805118, www.porta-theatre.gr, https://www.youtube.com/watch?v=9V3MS4CfotI, https://www.facebook.com/PortaTheatreAthens

Regie – Adaption: Dimitris Karantzas
Übersetzung – Regieassistenz: Theodora Kapralou
Tondramaturgie – Musiktext: Dimitris Kamarotos
Bewegungsstudien: Stavroula Siamou
Bühne – Kostüme: Ioanna Tsami
Licht: Alekos Anastasiou

Besetzung:
Bundesschwester, Anna, Fräulein, Lotte: Maria Kechagioglou
Franz: Argyris Pantazaras
Knorke: Yiannis Klinis
Sladek: Aris Balis
Salm: Antonis Antonopoulos
Horst, Matrose: Aineias Tsamatis
Hauptmann: Alle
Bundessekretär, Polizist, Richter: Michalis Oikonomou

 

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2 Gedanken zu „„Sladek“ – Der Weg eines jungen Mannes in den Extremismus“

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