Unterwegs mit Mikis Theodorakis

Filme zum 90. Geburtstag von Mikis Theodorakis

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Am 31. 7. können Sie im Berliner Babylon einen ersten Vorgeschmack auf den Film DANCE FIGHT LOVE DIE bekommen: Der 90. Geburtstag von Mikis Theodorakis am 29. Juli 2015 veranlasste den Regisseur Asteris Kutulas – Freund, Übersetzer und Biograf des griechischen Komponisten –, sein privates, bisher unangetastetes Archiv mit über 600 Stunden Film-Material aus fast 30 Jahren zu öffnen. In seinem Film verwebt er sehr persönliche Momente mit historischem Material, dokumentarische Aufnahmen mit verstörender Fiktion und Theodorakis’ Musik mit ihrem Widerhall in jungen Künstlern als Jazz, Klassik, Electro, oder Rap.

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Werk und Leben des Mikis Theodorakis in einen Film zu bringen, erschien zunächst unmöglich. Das liegt am Ausmaß des Oeuvres, an Theodorakis’ Bedeutung für Kultur und Politik seit dem zweiten Weltkrieg, vor allem aber an der Wirkung, die er bis heute erzielt und der Frage nach deren Quelle. Mikis Theodorakis ist heute nicht nur Anker für eine zerrissene griechische Gesellschaft, sondern auch Fixpunkt für eine ziellos beschleunigende Welt.

Kutulas hat in seinem weltweit beachteten Film „Recycling Medea“ eine neue Filmästhetik ins Leben gerufen, die er für „DANCE FIGHT LOVE DIE“ konsequent weiterentwickelt hat – frei von Konventionen, assoziativ und dennoch fokussiert auf das Unsagbare, das nicht Sichtbare. Das Ergebnis: ein überbordendes visuelles Epos über Liebe, Musik, Leidenschaft und Tod im 20. und beginnenden 21. Jahrhundert mit einem Ziel – die Klarheit und Kraft spürbar zu machen, mit der Theodorakis  von den Wurzeln der Tradition über die Philosophie zur politischen Vision immer neue Ausdrucksformen erzeugt und andere dazu inspiriert.

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Am Set: Asteris Kutulas und Sandra von Ruffin, ©Asti Music/Stella Kalafati

Der in Deutschland lebende Publizist, Produzent und Filmemacher Asteris Kutulas hat den griechischen Komponisten Mikis Theodorakis von 1987 bis 2014 sehr häufig begleitet und dabei seine Videokamera laufen lassen. Er filmte Theodorakis während diverser Proben mit Orchestern, Solisten, Chören, Bands, bei Konzerten, CD-Aufnahmen in Studios, Opern- und Ballett-Produktionen, on Stage und Backstage, in Hotellobbys und auf Hotelzimmern, in Bussen und Lokalen, meist auf Tournee, aber auch bei einzelnen Veranstaltungen, auf Ausflügen und während privater Treffen. Das in all diesen Situationen aufgezeichnete Material bildet einen umfangreichen Fundus von etwa 600 Stunden, aufgenommen in Athen, St. Petersburg, Budapest, Moskau, Frankfurt, München, Berlin, Leipzig, Santiago de Chile, Wien, Kopenhagen, Sauda, Malmö, Sydney, Melbourne, Linz, Pretoria, Tschesme, auf den griechischen Inseln Chios, Kreta und Syros und an etlichen anderen Orten.

Theodorakis’ Leben prägten die großen gesellschaftlichen Ereignisse des 20. Jahrhunderts in Europa und Griechenland: Faschismus, Weltkrieg, Bürgerkrieg, Kalter Krieg, Demokratiebewegungen, Junta, Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus, Finanz-Krise.

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Filmstill: Sandra von Ruffin, ©Asti Music

Deshalb dokumentieren diese – in einem Zeitraum von 28 Jahren gedrehten – Aufnahmen nicht nur Momente einer außergewöhnlichen Musikerexistenz, sondern auch Eindrücke extremer Lebens-Erfahrungen. All diese Augenblicke bilden das „Universum Theodorakis“ als einen Kosmos aus gleißenden Leuchtpunkten und dunklen Abgründen, einen Kosmos, der in den „Episoden“, die das Kamera-Auge beobachtet und festgehalten hat, stets wahrzunehmen ist. Diese sensiblen Punkte markieren und konterkarieren Theodorakis’ Leben als das des Komponisten, des Poeten, des belesenen Querdenkern, des Visionärs, der in gewisser Weise wie ein griechischer Rock ’n’ Roller durch die Welt zog und hunderte von bejubelten Konzerten gab.

Aus dem abwechslungsreichen und nicht chronologisch aneinander gereihten, sondern in besonderer Eigenart gemischten Bildmaterial (historisches und aktuelles) entsteht ein Film-Essay, der den Zuschauer spannende, überraschende, skurrile, mysteriöse, aber auch sehr typische Augenblicke aus dem On-the-road-Leben eines unverwechselbaren und charismatischen Künstlers miterleben lässt – Augenblicke, die einen umfassenden und originären Einblick in die „Agenda“ dieses „geistigen Anarchisten“, des Andersdenkers Theodorakis erlauben.

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Filmstill: Sandra von Ruffin & Stathis Papadopoulos, ©AstiMusic

Zwei haben sich gefunden: Ein rastloser Komponist, der auf ein bewegtes Leben zurückblicken kann, und sein ebenso rastloser Begleiter mit der Kamera, Asteris Kutulas. Ständig sind sie in Bewegung – Straße, Durchgangszimmer, Fluss der Musik, ausholende Gesten beim Sprechen und Dirigieren, kaum Unterhaltung –aus all diesen Momentaufnahmen wird „On the road with Mikis“, ein Film, der vor allem das vermittelt: kein Stillstand, kein Innehalten. Sondern die starke Dynamik und Eigendynamik der Persönlichkeit Theodorakis, die eben gerade wegen ihrer Eigenwilligkeit so interessant ist, wie dafür geboren, ein Mehr-Generationen-Publikum mit seiner Musik zu begeistern und zu beseelen.

Dieser Film wird – durch eine Flut von Bildern und eine Mischung von a) zum Teil „trashigen“ mit b) professionellen Aufnahmen – eine visuelle Annäherung, eine Reise, eine Blickachse hinüber zum Leben des Musikers Theodorakis ermöglichen, einem Leben, das exemplarisch zwischen zwei Polen verläuft: dem Pol der griechischen und dem der europäischen Musik, dem Pol der populären und dem der sinfonischen Tradition, zwischen der Peripherie und dem Zentrum, zwischen Athen und Paris, zwischen Griechenland, Europa und allen Kontinenten, zwischen Intimität und öffentlichem Auftritt, zwischen Schwarz-Weiß- und Farb-Film, zwischen Garderobe und großer Bühne, dem Baum auf Kreta und der Fahrbahn in Frankfurt am Main oder Sydney oder dem Appellplatz im Konzentrationslager Mauthausen, zwischen einem Hut, einem Kopfhörer in einem Studio, Messer und Gabel in einem Lokal und der Tür zu einer Botschaft. Musik und Bilder, die durch Maschinen laufen, um von leibhaftigen Menschen wahrgenommen zu werden. Gesehen und gehört, gesprochen und gesungen, gezeigt und verworfen und neugierig wieder hervorgeholt.

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Am Set: Rosa Merino Claros, Aiste Povilaikaite, Sandra von Ruffin, Marilyn Rose & Kat Voltage, © Asti Music/Stella Kalafati

Theodorakis’ Persönlichkeit ist in jeder Hinsicht eine, die zu Polarisierungen führte und noch immer führt. Der Film erzählt somit auch von einer beständigen Verunmöglichung der Gleichgültigkeit.

Struktur des Films

Der hybride Film besteht aus einer Vielzahl von aufeinander folgenden „Videoclips“ von je ca. 1 bis 5 Minuten Länge. Jeder „Videoclip“ bildet ein Kapitel des Films, versehen mit Datums- und Ortsangabe der jeweiligen historischen Filmaufnahme sowie einer „Filmkapitel-Überschrift“, also der Benennung eines übergeordneten (poetischen) Themas, dem der jeweilige Clip sich widmet. Die „Kapitelüberschrift“ ermöglicht es, den „Erfahrungsraum Theodorakis“ in der gedanklichen Vorstellung zu erweitern, um „die Story anders“ zu erzählen und um die Phantasie des Zuschauers anzuregen, zumal es kaum Dialoge und gar keine Kommentare geben wird.

Der Film-Essay umfasst drei Ebenen, die miteinander in Verbindung stehen und korrespondieren.

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Am Set: Mike Geranios (DOP), Asteris Kutulas & Vassilis Dimitriadis (Gaffer), © Asti Music/Stella Kalafati

Die Theodorakis-Ebene entsteht aus dem von Asteris Kutulas zwischen 1988 und 2013 gefilmten Material; sie wird ergänzt durch historische Aufnahmen aus Theodorakis’ Leben sowie andere „geschichtliche“ Filmaufnahmen aus diversen Archiven, die jeden zu dieser Ebene gehörenden Video-Clip zu einer in sich abgeschlossenen Episode werden lassen – entsprechend der jeweils grundlegenden inhaltlichen oder formalen Idee. Diese Ebene soll vor allem Theodorakis’ Spontanität erleben lassen, das On-the-road-Sein, die Unmittelbarkeit von Proben-, Konzert- und Gesprächssituationen, die Unmittelbarkeit urplötzlicher Aussagen, der Situationskomik, der Augenblicke angespannter Arbeit. Die Filmbilder werden zudem optisch-assoziativ transzendierend in andere Filmbilder übergehen, entsprechend der Musik, die beim jeweiligen „Clip“ zu hören sein wird.

Daraus abgeleitet entsteht die zweite Ebene mit Film-Aufnahmen von Bands oder Solisten, die Theodorakis-Songs covern, entweder in jüngerer Vergangenheit oder jetzt für diesen Film gedreht. Andere Stile, andere Lebenshintergründe, andere Länder, ganz andere – vor allem jüngere – Musikerpersönlichkeiten, die (einige von ihnen wussten längere Zeit nicht mal, wer Theodorakis überhaupt ist) seine Musik für sich entdeckten und auf ihre Art und Weise interpretierten. Eves in Brisbaine, Air Cushion Finish in Berlin, Francesco Diaz in Barcelona, Anna RF in Israel, Mousse T. in Hannover, Melentini im Nirvana, Jerry Ropero in Dubai, Alexia in Paris, Rafika Chawish in Los Angeles, Cigdem Aslan in London usw. usf.

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Filmstill: Sandra von Ruffin, ©Asti Music

Die dritte Ebene, eine Spielfilm-Ebene, beschreibt den Hochzeitstag einer jungen Frau (Marina) und eines jungen Mannes (Akar), poetische Gestalten, „entstiegen“ der Autobiografie des Komponisten, die sich in einer für sie und von ihnen erschaffenen Welt bewegen und am so genannten „schönsten Tag“ ihres Lebens sich ihrer Liebe bis in den Tod vergewissern wollen. Die Geschichte der beiden vermittelt das Non-Verbale der Musik, sie vermittelt den Wahn- und Leichtsinn des Lebens, das in sich selbst schön Seiende, das Moment der Bildstörung.

Alle drei Ebenen (Theodorakis – Bands – fiktionaler Hochzeitstag) wechseln immer wieder einander ab. Sie kommen miteinander in Beziehung durch die „Musik“, durch den „Klang“. Entstehen wird ein schneller, „junger“, moderner und zugleich sehr emotionaler, phasenweise überaus epischer und poetischer Film.

Fotos: AstiMusic, Asteris Kutulas, Stella Kalafati

31.7.2015: 19.30 Uhr DANCE FIGHT LOVE DIE (Preview)

1.8.2105: 22.30 Uhr RECYCLING MEDEA (2014)

Babylon Berlin, Rosa-Luxemburg-Platz 30, 10178 Berlin

Zum 90. Geburtstag eine ganze Theodorakis-Filmwoche:

Im Anschluss an die Vorstellung am 31.7. werden in der 1. Augustwoche im Babylon folgende weitere Theodorakis-Filme zu sehen sein:

„Recycling Medea“ (2014, Regie Asteris Kutulas)

„Mikis Theodorakis. Komponist“ (2010, Regie Asteris Kutulas und Klaus Salge)

„Sonne & Zeit“ (1999, Regie Klaus Salge und Asteris Kutulas)

Dieser Beitrag ist auch verfügbar auf: Ελληνικά (Griechisch)

7 Gedanken zu „Unterwegs mit Mikis Theodorakis“

  1. Herzlichen Glückwunsch an Mikis und den Biographen Danke..einer der größten noch lebenden Griechen wird hier ein Denkmal gesetzt.
    Das Leben von M.Theodorakis ist praktisch ein Spiegelbild für das Leiden aber auch für die Lebenslust und Freuden der Griechen.

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  2. Schon 1968 schrieb ich für deutsche Sender ein Feature über ihn mit vielen Musikbeispielen – während er in Zatouna im Hausarrest der Obristen saß. Eine große Rolle spielt Th. in meinem Griechenland-Roman “Sonnenflucht”, der schon 1986 als “Tod in Athen” erschien. Meine Bewunderung für seine Musik und seine Verbindung zum griechischen Volk, seine Furchtlosigkeit war und ist immer außerordentlich.

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  3. Moin, in der Tageszeitung junge welt sind gestern und heute ein Artikel über M. T. zu seinem 90 jährigem erschienen.

    »Hungern nach echter Harmonie«
    Mikis Theodorakis zum 90. Geburtstag (Teil I): Der berühmte Künstler über Einklang und Chaos in Politik und Musik

    https://www.jungewelt.de/2015/07-29/001.php

    »Freiheit ist Pflicht!«
    Mikis Theodorakis zum 90. Geburtstag. Teil II (und Schluss): Über Volksmusik und die Kreativität eines Komponisten

    https://www.jungewelt.de/2015/07-30/003.php

    vg aus Hamburg, kv

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  4. Asteri, wir kennen uns noch aus Vor-Email-Zeit. Ich hatte vor, einen Abend mit Mikis in Stade zu gestalten, den er mir auch zugesagt hatte, aber leider war er nach dem Berlin-Treffen ja nicht mehr dazu in der Lage.
    Nun bin leider auch ich gerade angeschlagen und kann mir diese phantastische Woche in Berlin mit all Deinen Filmen über ihn nicht ansehen.
    Werden die Filme noch anderswo gezeigt? Kann ich sie irgendwie erstehen?
    Ich wäre Dir sehr dankbar, wenn Du mir antworten könntest. (Deine Tel.-Nr. ist inzwischen bei mir untergegangen, seit ich keine Menschenrechts-Arbeit mehr mache und die Medien andere Wege gehen…) Herzlichst, Bärbel Stechel aus Wischhafen

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