Dinner mit Zyankali

Song & Text von Thanasis Papakonstantinou

Dieser Beitrag ist auch verfügbar auf: Ελληνικά (Griechisch)

Thanasis Papakonstantinou ist einer der bekanntesten griechischen Sänger und Songwriter der letzten 20 Jahre. Im Rahmen seiner aktuellen Europa-Tour tritt er am 9. 3. in der Essigfabrik in Köln, am 13. 3. im Berliner SO 36 und am 17. 3. in München (Das Schloss) auf: Plakate und Links siehe unten. Er gilt als der Protagonist der neuen Avantgarde in der griechischen Musik-Szene. Seine Bandbreite reicht von freien Jazz-Improvisationen, über Post-Rock hin zu griechischer Volksmusik und volkstümlichen Balladen. Zusammen mit einer beeindruckenden achtköpfigen Band präsentiert Thanasis Papakonstantinou ein Programm mit Songs aus seinem gesamten Repertoire, aber auch aus seinem aktuellen Album “Dinner mit Zyankali“. Nikos Panajotopoulos ergreift die Gelegenheit, seiner Bewunderung für „Thanasis“ Ausdruck zu verleihen, und Michaela Prinzinger übersetzt ein paar Songs. Den Videoclip zur Europa-Tour 2015 sehen Sie hier.

Seine Stimme wirkt zuweilen unbehauen und roh, des öfteren balanciert sie an der Grenze zur Dissonanz. Sein Akzent verrät die ganze Wahrheit über seine Herkunft. Er ist in einem kleinen Ort in der thessalischen Ebene zur Welt gekommen und aufgewachsen, und in der Gegend lebt er immer noch.

Seine Lieder sind am authentischsten, wenn er sie selbst singt. Und das ist seltsam, wenn man bedenkt, dass große Sänger wie Nikos Papazoglou und Sokratis Malamas seine Lieder interpretiert haben.

Und trotzdem werden seine Konzerte, besonders für diejenigen, die seine Lieder kennen (und das sind mittlerweile viele), zu einer rauschenden Party.

begeistertes Publikum

A Select
Als ich die Tür öffne,
schießt die Angst in mir hoch.
Das Bett ist gemacht von unbekannten Händen,
erinnert mich daran, dass auch ich ein Fremder bin.
Leer und trunken leg ich mich
auf die weißen, zerschlissenen Laken.
Der Schlaf beißt mich in den Nacken wie ein Vampir,
noch eh ich den Spiegel in Brand setzen kann.
Weit fort, an den Traumufern,
geht der Klang, der von der
Müllabfuhr auf der Straße kommt,
über in den Klang der Gewehrkugel, die dich streift.
Schlagartig öffne ich die Augen,
hole Stift und Papier.
Heil kehr ich zurück in die Welt aus Kristall,
und Speichel trieft mir aus dem Mund.

In nur wenigen Jahren ist er für seine Anhänger zu „Thanassis“ geworden, und das hat nicht nur mit seinem langen Nachnamen zu tun. Vermutlich hat ihn das Publikum unter die Auserwählten aufgenommen, die Markos, Mikis, Manos, Nionios… heißen. Ich spreche von Künstlern wie dem Rebetiko-Star Markos Vamvakaris, den Klassikern Mikis Theodorakis und Manos Hatzidakis und dem Liedermacher Dionysis Savvopoulos, deren Werk einen hohen Wiedererkennungswert hat und die griechische Musik der letzten Jahrzehnte unauslöschlich geprägt hat.

Mit Dionysis Savvopoulos verbindet ihn viel. Beide sind Sänger und Songwriter in einer Person. Ihre Zusammenarbeit in der Platte „Sámano“ vor ein paar Jahren hat bestätigt, dass der Samen, den Savvopoulos in den Siebzigern gesät hat, zu einem kräftigen Baum mit dichtem Blätterdach und wohlschmeckenden Früchten herangewachsen ist.

begeistertes Publikum
Konzert im SO 36, 2012, ©montecruzfoto.org

Homayoun und Vakar
Homayoun und Vakar, von denen will ich dir erzählen:
Als Menschen wurden sie zwar geboren, doch unmerklich
zu Flussufern, doch das erklär ich dir später.
Ihre Träume fraß der Wurm der Armut,
abends sind ihre Augen schlaflos, das Land, wohin die Not sie treibt,
streckt seine dreckige Hand aus und verlangt die Miete im Voraus.
Dann kommt der Zeitpunkt, da sie um jeden Preis fort wollen.
Doch gerade dann, wenn du zitterst vor dem Tod, hat die Welle Mitleid mit dir,
bist du auf Lampedusa oder auf Mytilini.
Homayoun und Vakar gehen ihren qualvollen Weg,
und überall nur Stacheldraht. Und wer glaubt eigentlich noch daran,
dass sich durch Dämme Osmose verhindern lässt?
Griechenland, Land der Schande, für die anderen ein kaltes Heim,
hast vergessen, dass der Blick des Bittenden heilig ist.
Jetzt, da die Menschenhasser dich unter ihrer Knute wissen.
Die Fremde ist eine Qual, und wenn du nicht mehr weiter weißt,
dann schau dir die eigenen Lieder an, aus Karpathos zum Beispiel,
und die aus Epirus, die einen zum Weinen bringen.
Homayoun und Vakar haben ein großes Herz,
sie sehen den Zug kommen und, ohne es zu spüren,
werden sie zu Ufern, an denen der Fluss der Menschlichkeit fließt.

In Thanassis’ Musik spiegeln sich auf der einen Seite alte Männer, die auf Kirchweihfesten spielen, Geiger und kretische Lautenspieler und auf der anderen Rebetiko-Musiker, die Bousouki spielen. Pate standen dabei sowohl das griechische volkstümliche Liedgut als auch das Kunstlied. Aber wie jeder zornige junge Mann, der seinen wilden Jahren Tribut zollt, schielt er auch hinüber zur Rockmusik.

In seiner Musik koexistieren in harmonischer Weise Rock und Volkslied, Pop und Kunstlied. In seinen Songtexten steht das Erzählerische unter dem Einfluss des Surrealen und das Regionale wird global, wenn sich berühmte Räuber und Wegelagerer aus dem Tempi-Tal neben zu Gefängnis verurteilten Revolutionären aus Mexiko fotografieren lassen. Der Abstand, der Thanassis’ Larissa von César Vallejos Peru und von Octavio Paz’ Mexiko trennt, ist verschwindend gering.

Mann mit Mikrofon, Konzert

Der Brieföffner
Wir tragen unsere Sünden mit uns herum
wie Böcke die Zistrosenblüten in ihren Bärten.
Dann suchen wir ein Lied,
um den anderen zu sagen, es tue uns leid.
Selbst wenn es von der Liebe spricht,
selbst wenn seine Verse
Fleischerhaken sind
oder Eisenbahnschienen, auf denen sich der Mond spiegelt.
Ein Lied, rot und blind,
ein Lied wie eine Dornenkrone,
wie eine unbequeme Kirchenbank
unter der Kuppel der Gewissensbisse,
ein Lied wie ein Brieföffner
für die noch ungelesenen Seiten.

Konzertplakat

Bandmitglieder:
Thanasis Papakonstantinou (Lute, Bouzouki and Vocals)
Dimitris Mistakidis (Guitar, Lute)
Matoula Zamani (Vocals)
Kostas Pandelis  (Electric Guitar)
Sotiris Ntouvas (Drums)
Kostas Christodoulou (Keyboard)
Andreas Polyzogopoulos (Trumpet and Flügelhorn)
Antonios-Georgios Maratos (Bass)

Übersetzung: Michaela Prinzinger (gekürzte Fassung), Fotos: Christos Diamantis, montecruzfoto.org

 

Dieser Beitrag ist auch verfügbar auf: Ελληνικά (Griechisch)

1 Gedanke zu „Dinner mit Zyankali“

  1. Κι όμως ο στυλίτης είναι το απόλυτο ερωτικό τραγούδι.
    Ωραίο άρθρο, ευχαριστώ!

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