Das andere Griechenland

Interview mit Filippos Pliatsikas

Dieser Beitrag ist auch verfügbar auf: Ελληνικά (Griechisch)

Filippos Pliatsikas hatte mit „Pyx Lax“ ganze Stadien gefüllt. Nach der Auflösung der erfolgreichsten Rockband der griechischen Musikgeschichte ist er als Solokünstler unterwegs und hat vor wenigen Monaten sein erstes englischsprachiges Album veröffentlicht. Redaktionsmitglied Joana Papageorgiou hat ihn in Berlin getroffen und sich mit ihm über seinen Kunstbegriff und seine Sicht auf die Krise unterhalten.

Damals als Frontsänger von „Pyx Lax“ sowie heute als Solokünstler begeistert deine Musik ein internationales Publikum. Im Sommer bist du mit deiner aktuellen Band „Philip & The Border Breakers“ durch Europa getourt. Dieser Erfolg ist eine beachtliche Leistung, denn griechischen Kulturexporten gelingt verhältnismäßig selten der große Durchbruch. Glaubst du, die Schwierigkeit besteht dabei nur in der Sprachbarriere oder gibt es vielleicht auch eine Art kulturelle Barriere?

Ich denke, wir haben es da mit Stereotypen zu tun, wie auch in so vielen anderen Bereichen. Sehr viele Menschen glauben, dass wir in Griechenland im „Kreta-Tzatziki-Mousaka-ZorbaTheGreek“-Stil leben. Das ist aber nicht so. Genau deshalb habe ich nun einen ersten Versuch gestartet, mit „The Key“ ein englischsprachiges Album herauszubringen.

Ich will mit all meinen Kräften so viele Leute wie möglich erreichen und ihnen zeigen, dass Griechenland auch eine andere Seite hat. Eine moderne Seite mit neuen Ideen, die die Vergangenheit zwar achtet, bestimmte Aspekte aber angepasst und ins Heute übertragen hat. Dieses Griechenland gibt es tatsächlich und ich glaube, dass es viel zu erzählen hat. Das zeigt sich schon jetzt in der Filmkunst und ich denke, in der Musik wird es auch bald sichtbar.

Dafür habt ihr euch ja auch schon 2013 mit dem Projekt „The Other Side Of Greece“ aktiv eingesetzt.

Ja, das stimmt. Wir sind mit dieser Show über einen Zeittraum von zwei Jahren durch viele Länder in Europa getourt und unser Ziel war genau das, worüber wir uns gerade unterhalten. Zu zeigen, dass Griechenland ein Land ist, was fortlaufend zeitgenössische Kunst und Kultur produziert. Auf der Bühne haben wir Gedichte von Kavafis, Seferis und Elytis präsentiert, den großen zeitgenössischen griechischen Dichtern. Immer in der jeweiligen Sprache des Landes, in dem wir auftraten.

Ich glaube, das Problem der griechischen Musikindustrie ist, dass wir keine Wege geschaffen haben, um Kulturneuheiten nach außen zu kommunizieren. Darin sind uns andere Länder voraus, die zum Beispiel in ihrer Musikszene viel mehr dafür getan haben.

Du sagst also, Griechenland hat es nicht geschafft, anderen Ländern seine moderne Kultur zu vermitteln. Da muss ich sofort an die vieldiskutierte Ausgabe des deutschen Magazins „Focus“ denken, die 2010 den medialen Schlagabtausch zwischen den beiden Ländern eingeläutet hat. In einem der Artikel behauptet der Verfasser, dass das moderne Griechenland keinen einzigen bedeutenden Dichter, Komponisten oder Philosophen hervorgebracht hat. Im Grunde schreibt er, die Griechen hätten seit der Antike rein gar nichts geleistet. Wenn Kavafis, Elytis und Seferis in Deutschland bekannter wären, hätte der Journalist seine Behauptungen vielleicht nicht ohne Weiteres verbreiten können.

Wenn jemand einen anderen herabwürdigen möchte, dann wird er so tun, als kenne er die Wahrheit nicht, selbst wenn er es besser weiß. Klar ist, wenn jemand so etwas schreibt, ist er selbst schon an einem Tiefpunkt angelangt. Die Frage, die sich also automatisch stellt, ist, ob es überhaupt einen Grund gibt, sich mit so einem Menschen zu beschäftigen. Andererseits üben manche große Zeitschriften mit ihren Berichten einen erheblichen Einfluss auf die Leute aus, die aber vielleicht gar nichts dafür können, weil sie sich mit diesen Themen einfach nicht auskennen.

Bei dieser Gelegenheit möchte ich noch erwähnen, dass Griechenland im Verhältnis zu seiner Einwohnerzahl die meisten mit dem Nobelpreis ausgezeichneten Dichter hervorgebracht hat. Wir reden hier über moderne Werke, nicht über die Kultur Platons.

Filippos Pliatsikas mit Gitarre am Mikrophon
Filippos Pliatsikas, ©robin4arts

Kannst du speziell in diesen Jahren der Krise eine positive kulturelle Entwicklung in Griechenland feststellen?

Ich will ganz ehrlich sein. Man hätte denken können, dass während der Krise eine Art von tieferer, ernsthafterer Kultur stärker zum Vorschein kommen würde. Das geschieht aber nicht in dem Maße, wie ich es erwartet habe. Vielleicht haben wir Griechen uns inmitten all der Schwierigkeiten aus irgendeinem Grund für eine Form von Flucht oder Ausweg für leichtere Dinge entschieden. Zumindest manche von uns. Andere hingegen haben in der Tat intensiver in sich selbst nach Lösungen gesucht.

Ich frage dich, weil ich einige interessante Veränderungen bemerkt habe, vor allem unter den jüngeren Leuten. Die Startup-Szene in Griechenland wächst und was ich dort sehe, erinnert mich sehr an Berlin.

Die jungen Menschen in Griechenland haben ihre Wege, die Krise zu überwinden und neue Lösungen zu finden. Aus genau diesem Grund bin ich letztendlich sehr optimistisch, wenn es um die Zukunft in Griechenland geht. Es ist fantastisch, was gerade passiert. Trotz so zahlreicher Probleme entstehen neue Ideen, neue Unternehmen, neue technische Produkte. Aber auch in der Kunst gibt es Innovationen, über die sie mit dem Rest der Welt in Kontakt treten. So etwas kannten wir Älteren gar nicht, wir sind nie auf die Idee gekommen. Ich selbst zum Beispiel habe mein erstes englischsprachiges Album erst nach 25 Jahren produziert.

Ich hatte mir überlegt, dass ich doch auch in einer internationalen Sprache kommunizieren könnte. Vor allem mit den Menschen, die sich das bereits seit vielen Jahren wünschen, weil sie unsere Art der Musik lieben, aber nicht verstehen, was genau wir eigentlich damit erzählen. Wir hatten uns vorher nie die Mühe gemacht, Lieder zu schreiben, die der Großteil der Menschen auch verstehen kann. Die jüngeren Generationen besitzen dagegen schon von Geburt an ein Bewusstsein dafür, sie sind viel fortschrittlicher und viel kreativer. Die älteren Generationen in Griechenland warten immer noch auf… ich weiß nicht was. Das, worauf sie warten, wird jedenfalls nicht passieren.

Ich denke, die Jüngeren unter uns haben den Vorteil, dass sie mit digitalen Technologien und dem Internet aufgewachsen sind. Sie haben von Anfang an gelernt, mit dem Ausland zu kommunizieren.

Nicht nur das, sie haben insgesamt Fortschritte gemacht und sich gedanklich weiterentwickelt. Ich glaube, das ist das Gute, was die Krise am Ende hervorbringen wird. Ich glaube, das sind die junge Generation wird die durch die Krise und ihre Schwierigkeiten vorankommen, auch wenn es momentan so scheint, als würde ihr Unrecht getan.

Viele haben Griechenland allerdings verlassen, weil sie dort keine Zukunft für sich sehen, und sind zum Beispiel nach Deutschland gekommen.

Sie werden zurückkehren. Es wird allerdings ein paar Jahre dauern, bevor sie sich dazu entschließen. Erst muss es ein anderes Umfeld in Griechenland geben, was ja bereits begonnen hat. Das haben wir wirklich nötig und das können wir schaffen. Mit aufrichtigem Bestreben können wir eine Gesellschaft formen, die bestimmte, notwendige Rahmenbedingungen besitzt. Aber ohne, dass sie uns dadurch zum Gefängnis wird.

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Text: Joana Papageorgiou. Fotos: robin4arts

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1 Gedanke zu „Das andere Griechenland“

  1. Σαν μια Γερμανίδα, που τώρα μετακόμισε μόνιμα στην Ελλάδα χαίρομαι πολυ πως ένας φοβερός μουσικός σαν ο Πλιατσικας βρήκε λύση να καταλαβαίνουν και εξω απο την Ελλάδα τα τραγούδια του. Ελλαδα έχει τόσο ενδιαφερων μουσικούς!!!!
    Και συμφωνώ με αυτο που είπε για το καινούριο κύμα στην Ελλάδα πως πολυ απο τους μεγάλους διστιχως περιμένουν ακόμη κάτι και κάποιον να τους ξηπναιει. Αλλά εχω κι εγώ φίλους που πάνε καινούργιους δρόμους και δεν περιμένουν ακίνητα.

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