Das Vermächtnis der Besatzung

Interview mit der Historikerin Kateřina Králová

Dieser Beitrag ist auch verfügbar auf: Ελληνικά (Griechisch)

Neuerscheinung “Das Vermächtnis der Besatzung” im Böhlau-Verlag: Ein gemeinsames deutsch-griechisches Erinnern an die mehr als dreijährige Besatzungszeit von 1941-1944 gibt es (noch) nicht. In Griechenland ist das Geschehen zwar nach wie vor unvergessen, doch in Deutschland werden die Gräueltaten der Besatzer an der griechischen Zivilbevölkerung und deren langfristige Folgen in der Regel verdrängt oder beschwiegen.

Die aus Tschechien stammende Historikerin Kateřina Králová hat sich die bilaterale Beziehungsgeschichte in ihrer nun auf Deutsch erschienenen Publikation „Das Vermächtnis der Besatzung“ vorgenommen. Wie dringlich auch eine deutsche Aufarbeitung dieser Geschichte ist, machen die dort erläuterten Fakten und Zusammenhänge deutlich. Mit der Autorin sprach Andrea Schellinger.

Katerina Kralova
Kateřina Králová, ©USHMM

Erklären Sie uns, wieso der Schauplatz Griechenland im Zweiten Weltkrieg einschließlich der Verbrechen der Besatzungsmacht bisher nicht genügend aufgearbeitet wurde.

Auch in Griechenland, an diesem erinnerungspolitisch vernachlässigten Schauplatz, folgte auf die Kriegsereignisse ziemlich nahtlos der Ost-West-Konflikt. So trafen sich in der Nachkriegszeit Deutschland und Griechenland im selben Lager und Verteidigungsbündnis, nämlich dem Westen. Schnell entwickelten sich bilaterale Handelsbeziehungen und damit auch für Griechenland die Möglichkeit, Güter zu exportieren.

Die pragmatische Haltung Athener Regierungskreise signalisierte damals das Interesse daran, die Vergangenheit zugunsten der Gegenwart und Zukunft erst mal hintanzustellen. Nichts kam den westlichen Partnern gelegener, insbesondere der Bundesrepublik Deutschland, denn es ging nun darum, das besiegte Land in der Mitte Europas als respektierten Partner auch dem Ostblock gegenüber zu etablieren. Dass Vergangenheit sich durch politische Entscheidungen jedoch keineswegs ein für alle Mal aus der Welt schaffen lässt, zeigt sich vor allem im Fall Griechenland. Sie kann vielmehr relativ unvorhersehbar und spontan wieder aufleben.

Zur verspäteten Aufarbeitung der Besatzung Griechenlands trägt jenseits der Politik bestimmt auch die Tatsache bei, dass griechische Primärquellen aufgrund kaum vorhandener Sprachkenntnisse außerhalb der Landesgrenzen in der Forschung nur vereinzelt erschlossen sind.

Gruppenfoto am Meer, Soldaten
Thessaloniki unter deutscher Besatzung, ©Vyron Mitou

Stichwort Holocaust: In der öffentlichen Diskussion waren bis vor kurzem die griechischen Juden und ihr Schicksal so gut wie ausgeblendet. Woran liegt das?

Neben den bereits erwähnten Gründen spielt dabei bestimmt eine Rolle, dass sich die Sozial- und Geisteswissenschaften schwerpunktmäßig auf die Lebensformen, die Leiden und die Vernichtung der aschkenasischen Juden (aus Mittel-, Nord- und Osteuropa) konzentrierten; dies betraf nicht nur den Holocaust und die Nachkriegsgeschichte, sondern ganz allgemein die Jewish Studies.

Zwei jüdische Minderheiten Europas, sepharditische Juden und besonders Romanioten, die bis in die 1940er Jahre eigentlich nur noch in Griechenland lebten, blieben lange so gut wie unbeachtet. Sogar in den Lagern selbst waren internierte griechische Juden damit konfrontiert, von ihren Mithäftlingen nicht als Glaubensgenossen wahrgenommen zu werden, zumal sie kein Jiddisch sprachen.

Foto sw: Wehrmacht, angetretene Soldaten werden von Offizier begrüßt
Thessaloniki unter deutscher Besatzung, ©Vyron Mitou

Allerdings legten auch griechische Holocaust-Überlebende Zeugnis ihres grauenvollen Erlebens ab. So erschienen schon Ende der 1940er Jahre erste Erinnerungen, Tagebücher und Zeugenberichte, ohne jedoch besondere öffentliche Aufmerksamkeit zu erregen, nicht einmal in Griechenland. In den 1960er Jahren hatten sich die griechischen Überlebenden dann ins Schweigen zurückgezogen, ganz im Gegensatz zu ihren Leidensgenossen sowie der nachwachsenden Generation aus anderen Ländern, die sich intensiv mit den Lasten der Vergangenheit auseinanderzusetzen begann.

Ein vergleichbarer Prozess fand in Griechenland letztlich nicht statt, geht man einmal über die engen Grenzen der extrem dezimierten jüdischen Gemeinden Griechenlands hinaus. Vermutlich bot das kollektive Narrativ nationalen Leids dafür wenig Spielraum, so dass das Schicksal von Minderheiten in den Hintergrund geriet, zumal die Erinnerung an die Besatzung durch die blutigen Konflikte im gleich anschließenden Bürgerkrieg überlagert und spätere verzweifelte Demokratisierungsversuche 1967 von einem Militärputsch abgewürgt wurden.

Deutscher Soldat lässt sich von Mann die Stiefel putzen
Thessaloniki unter deutscher Besatzung, ©Vyron Mitou

Welches sind die Altlasten für eine realistische, dialogfähige deutsch-griechische Erinnerungskultur, und zwar in beiden Ländern?

Vermutlich sprach man von Anfang an nicht die „gleiche Sprache“. Ich meine das nicht nur politisch, sondern auch semantisch: Begriffe wie Reparationen, Entschädigung, Vergangenheitsbewältigung und Wiedergutmachung oder auch Versöhnung werden außerhalb Deutschland oftmals synonym verwendet. Was zur Folge hat, dass Erwartungen von außen und die Bereitschaft deutscherseits häufig auseinanderklaffen. In Deutschland befürchtet man – nicht immer zu Unrecht –, Präzedenzfälle mit unerwünschten Folgewirkungen zu schaffen.

Mahnmal Kerdyllia
Mahnmal Kerdyllia, ©Chryssoula Kambas

So blieben die Anstrengungen der Opfer, außerhalb des rechtlichen Rahmens internationaler Abkommen eine Entschädigung zu erhalten, mehr oder weniger erfolglos. Doch auch auf der rechtlichen Ebene hat sich nach dem Kalten Krieg etwas bewegt, etwa in Form der Entschädigungen für Zwangsarbeiter, der Ghetto-Renten oder der Kompensationen für versteckte Überlebende. Zu vermerken wäre an dieser Stelle jedoch, dass dabei die jeweiligen Staaten für ihre Bürger selbst verantwortlich sind.

Mahnmal Kerdyllia
Mahnmal Kerdyllia, ©Chryssoula Kambas

Auch die Athener Regierung hatte sich 1961, sogar per Gesetz, bereit erklärt, die Bonner Entschädigungen selbst an die NS-Opfer zu verteilen. Selbstverständlich lässt sich darüber streiten, ob der damals vereinbarte Betrag dem Leid (sofern überhaupt mit Geldmitteln messbar) angemessen war oder wie er ausgehandelt wurde. Für die Verteilung jedenfalls stand die Athener Regierung ein.

Gedenkstein mit Namen der Opfer
Namen der Bewohner von Ano Kerdyllia, die am 17. Oktober 1941 von deutschen Soldaten erschossen wurden, ©Chryssoula Kambas

Was kann Versöhnung im deutsch-griechischen Kontext bedeuten, was sie herbeiführen?

Leider kommt man nicht an der Feststellung vorbei, dass in dieser Debatte Berlin zu spät reagiert hat. Hätte man etwa auf die Forderungen der griechischen NS-Opferverbände vor 20 Jahren mit der Einrichtung eines Zukunftsfonds reagiert, hätte man im Rahmen eines bilateralen Ausschusses vertrauensvoll kooperiert, hätte man rechtzeitig eine Historiker- und Schulbuchkommission ans Werk gelassen, so sähe die deutsch-griechische Vergangenheitsbewältigung heute sicher anders aus.

Mahnmal mit Stele und Skulpturen
Mahnmal Ano Viannos, Massenerschießungsstätte in der Nähe des Ortes Pefkos am 14.09.1943, ©Chryssoula Kambas

Da aber solche Schritte erst im Kontext der jüngsten Wirtschafts- und Finanzkrise Griechenlands eingeleitet wurden, betrachtete man sie dort nicht als Versöhnungspolitik, sondern als Notbremse. In diesem Kontext mussten die griechischen Eliten nur auf das damit einhergehende gesellschaftspolitische Potential zurückgreifen, um die Vergangenheit für ihre Interessen nutzen zu können.

Wie kann es nun weitergehen, fragen Sie? Viel Arbeit in Bildung und Aufklärung steht an, und zwar auf beiden Seiten. Auch für Griechenland ist es an der Zeit, sich kritisch mit seiner jüngsten Vergangenheit zu befassen. Kein Zufall, dass für die jüngere griechische Historikergeneration die 1940er Jahre seit einiger Zeit einen Forschungsschwerpunkt darstellen.

Skulpturen mit Inschriften
Mahnmal Ano Viannos, Massenerschießungsstätte in der Nähe des Ortes Pefkos am 14.09.1943, ©Chryssoula Kambas

Das bildet sich etwa in Fachzeitschriften und Publikationen ab, egal, ob es eine ganze Generation später als in anderen Ländern geschieht, aber nun geschieht es! Ich meine, auch in Griechenland sollte das nationale Narrativ kritisch überdacht und zugleich die identitätsstiftende Selbstwahrnehmung als Opfer überwunden werden.

Wer sollte aus Ihrer Sicht die deutsche Fassung Ihres Buchs wohl am aufmerksamsten lesen?

Mein Wunschleser ist jemand, der einen kleinen, aber genauen Einblick hinter die Kulissen politischer Entwicklungen nehmen will, denn diese werden leider zumeist in einer verkürzten und instrumentalisierten Form medialisiert. Darüber hinaus hoffe ich, dass die deutsch-griechischen Beziehungen der letzten Jahrzehnte eine Vorstellung davon liefern können, wie auch die Opfer heutiger Konflikte einmal Nachkriegsregelungen einfordern werden. Vielleicht lässt sich dann, das deutsch-griechische Exempel vor Augen, eine vergleichbare bilaterale Auseinandersetzung rechtzeitiger und effektiver moderieren und befrieden.

Kateřina Králová lehrt an der Karls-Universität Prag.

Interview: Andrea Schellinger. Fotos: Vyron Mitou, mit freundlicher Genehmigung entnommen aus: Thessaloniki unter deutscher Besatzung: Sammlung des Fotografen Vyron Mitou. Potamos-Verlag 2014; Chryssoula Kambas.

Buch-Cover: Kralova, Das Vermächtnis der Besatzung

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