Spurensuche

Webprojekt von Photini Papahatzi und Apostolis Artinos

Dieser Beitrag ist auch verfügbar auf: Ελληνικά (Griechisch)

1922, der Feldzug nach Kleinasien: ein traumatisches Jahr in der griechischen Geschichte. Photini Papahatzi widmet sich in ihrem Projekt „Spurensuche“ ihrer eigenen Familiegeschichte. Dabei reiste sie nach Burdur, um das Haus ihrer Großmutter zu finden. Diese Reise dokumentiert sie in Bildern und in Texten, die einen Email-Briefwechsel zwischen ihr und Apostolis Artinos darstellen. Die Website dieses Projekts wurde auf Griechisch und Englisch erstellt. Photini Papahatzi ist derzeit Fellow beim START-Programm für junge Kulturmanager der R. Bosch Stiftung 2016.

Das Projekt „Home“ hat einen persönlichen Ursprung und betrifft die tatsächliche und symbolische Suche nach dem Haus von Photinis Großmutter in Burdur, Türkei, dem antiken Polydorio. Es begibt sich auf die Spuren einer erzwungenen Migration, die sie 1922 von Burdur nach Smyrna/Izmir führte. Es ist ein Projekt, das zu Selbstreflexion führt, ein visuelles Tagebuch, das Fotografien, Videos, Interviews, Archivrecherchen und persönliche und andere Gegenstände umfasst, die in den Gegenden gefunden wurden, in denen sich die erzwungenen Umsiedlungen und Flüchtlingsbewegungen abspielten.

Den Link zum Projekt finden sie hier auf Englisch und hier auf Griechisch.

Altes Familienfoto

Montag, 11. April 2016

Guten Morgen, Apostolis, ich schreibe dir aus dem Hotel, kurz bevor ich um 14.30 Uhr den Bus nach Burdur nehme. Ja, ich war in dem museal angehauchten Ηaus von Ismet, der Großmutter von Gulay. Gestern wollte ich dir noch so viel schreiben, aber jetzt beschränke ich mich auf diese Fotografie – vielleicht, weil ich dir alle „vorstellen“ will, bevor ich sie „treffe“. Die Aufnahme stammt aus dem Jahr 1929 und entstand in Athen – 7 Jahre, nachdem die Familie Kleinasien verlassen hatte. In der unteren Reihe von links nach rechts siehst du meine Urgroßmutter Varvara und meinen Urgroßvater Giorgos Tsoloz, die an den Ort kamen, den sie als „Herkunftsland“ angeben mussten, ohne die Sprache zu sprechen.

Was für ein Blick des Urgroßvaters! Oberhalb ist meine Großmutter Photini abgebildet, neben ihr Anastasia Manea, Bildhauerin und Gattin des Uniformträgers an ihrer Seite – Pantelis, Photinis Bruder. Auf der anderen Seite von Photini befindet sich ihre Schwester Rachil und daneben ihr Neffe Kosmas und ihre Nichte Vasileia Saroglou, deren Mutter Kyriaki ist, Photinis dritte Schwester, die vorne mit dem einzig überlebenden Kind im Arm dasitzt.

Deine Fotini

Montag, 11. April 2016

sehr altte Fotoportraits, schwarz-weißLiebe Photini, du bist also auf dem Weg nach Burdur… Im letzten Brief schrieb ich schon von dieser Totenstarre, die früher die Menschen auf den Fotografien ausstrahlten. So, als wären sie ganz woanders. Was ja auch stimmte. Sie waren ganz auf ihr Bild zurückgeworfen, auf die Spur, die ihr physisches Verschwinden hinterlassen hat. Die fotografische Aufnahme, die in der damaligen Zeit ja oft eine Ausnahme bildete, hat die Welt zu einem Stillleben eingefroren. Die Abgebildeten nahmen die Posen von Toten ein, es sah aus wie eine Generalprobe. Kann gut sein, dass einige wirklich dachten, ihr Leben sei durch dieses Teufelszeug in Gefahr. Auf Fotografien wurden und werden wir alle zu posthumen Erinnerungsobjekten. Die Aufnahmen sind außerdem immer Abbildungen der anderen. Mein Bild ist das andere. Der Tod ist die Kehrseite des Lebens. Die Personen auf dem Foto, das du mir schickst, könnten auch Tote sein, die so tun, als seien sie lebendig. In der viktorianischen Zeit – siehe auch die Bilder, die ich dir schicke – wurden die Toten gleich neben ihren lebenden Verwandten fotografiert. Damals hatte man verschiedene Methoden entwickelt, wie der tote Körper aufrecht bleiben kann und seinen Tod nicht preisgibt. Tote und Lebende zeigen denselben Blick und die selbe Starre, alle gehören sie zum Spektrum des Todes…

Lieben Gruß, Apostolis

Text: Photini Papahatzi, Apostolis Artinos. Übersetzung: Michaela Prinzinger. Fotos: Projekt „Home“, Photini Papahatzi, Apostolis Artinos.

Photini Papahatzi ist Kulturmanagerin, Fotografin und Dozentin für kreative Fotografie. Sie hat Arts Management studiert und sich im Bereich Computergrafik, Videoschnitt und Dokumentarfilm weitergebildet. Das Projekt „Home“ war eine bilaterale Initiative zwischen Ka Atelier, Türkei, und Entefixis-Photometria Festival, Griechenland, die im Rahmen des TANDEM Austauschprogramms stattfand, mit Unterstützung der European Cultural Foundation, Amsterdam, MitOst, Berlin, Anadolu Kultur, Istanbul, und Mercator Stiftung, Essen. www.photinipapahatzi.com.

Apostolos Artinos ist Autor und Kurator im Bereich zeitgenössische Kunst. Er ist als Journalist und Prosaschriftsteller tätig und veröffentlich, über Tagespresse und Buchpublikationen hinaus, auch auf seinem eigenen Blog www.leximata.blogspot.gr.

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