Urban Secret Garden – Künstlerbuch einer Fotografin

Lia Nalbantidou auf der Messe „Miss Read“ in Berlin vertreten

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Von 14.-16. Juli 2017 nehmen die Fotografin Lia Nalbantidou und der griechische Verlag Cube Art Editions an „Miss Read: The Berlin Art Book Fair“ teil, die von Michalis Pichler im Haus der Kulturen der Welt (John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin) veranstaltet wird. Lia Nalbantidou beschreibt, wie sie auf die Idee zu ihrem exklusiven Fotobuch kam, das an sich schon ein kleines Kunstwerk bildet.

Das Fotobuch „Urban Secret Garden“ umfasst neben Archivaufnahmen eine Reihe von kürzlich aufgenommenen Fotografien, die zwischen 2009 und 2014 in Thessaloniki entstanden sind. Bei einem Stadtspaziergang war mir aufgefallen, dass ich alle möglichen Dinge „sah“, die gar nicht mehr existierten: der Laden „Dodoni“ an der Ecke, wo man Bougatsa, die süße oder auch pikante nordgriechische Blätterteigspezialität, zu kaufen bekommt; ein Stück weiter Nikos` Tischlerwerkstatt, Ecke Iktinou- und Pavlou-Mela-Straße das Geschäft „Mode für Mollige“, der legendäre Nachtclub „Studio 54“, oder „Orea“, der coole Eissalon, das Stammlokal meiner Jugendzeit… Als ich in der zweiten Jahreshälfte 2014 diese Arbeit fertigstellte, war ich auf der Suche nach einer Rahmenerzählung. Dabei stieß ich auf die großen schwarzen Schachteln, in denen unsere Familienfotografien aufbewahrt sind.

Nalbantidou und Pissa
©Lia Nalbantidou und Chloe Pissa

Ich habe eine Schwäche für familiäre Fotoalben, seien es lose Bilder in einer Schachtel oder aufgereiht in einem Ordner, wo die Bilder enthalten sind, die unser vergängliches Leben darstellen… Familiäre Momentaufnahmen, in Schubladen vergraben, zusammen mit vergilbten Quittungen, einem stumpfen Bleistift und einem unbrauchbaren Radiergummi. Dass ich schließlich diese Rahmenerzählung wählte, hat viel mit Barbara Duden zu tun, die beim Abschiedsessen unseres Seminars „Body Academy“ im Rahmen der Internationalen Frauenuniversität-Expo 2000 in Hannover meinte, sie interessiere sich für Geschichte nur, wenn ihre Großmutter darin vorkäme. Das ist die Idee, die meine Arbeiten durchzieht. Denn die moderne Technik, zeitgenössische Fotografien mit historischen Aufnahmen zu verknüpfen, sieht man in vielen Fotobüchern.

Die Bindefäden des Buches sind rot, grün und gelb, je eine Farbe für jede der drei Einheiten des Buches: Why the night, Mediterranean Air und Ano Poli Suite. Die Fäden bilden die  Verbindung zu den Archivaufnahmen, die sich in den Seiten des Fotobuchs verstecken. Der Betrachter soll auf diese Weise die verborgenen Bilder entdecken… Wie bei Proust, dessen Erinnerung beim Genuss einer „Madeleine“-Süssigkeit wiederkehrte, braucht man die Fäden und die Fotos aus dem Familienarchiv, um die alten Bilder wieder ins Bewusstsein dringen zu lassen und ihren „Geschmack“ zu spüren. Die bunten Fäden von DMC, das weiße französische Leinen, der bestickte Einband, die Blumenmotive der neueren Aufnahmen – all dies bezieht sich auf das Unternehmen meiner Familie, das Damenkonfektion herstellte und Ende der 90er-Jahre endgültig geschlossen wurde. In meinem Buch tritt das handgearbeitete Stück in Dialog mit der Massenware.

Die Form des Buches, das zugleich Kunstobjekt ist, ergab sich aus der darin erzählten Geschichte, die wiederum durch das fotografische Material und die Erinnerungen, die mir zur Verfügung standen, bestimmt wurde. Beim Design arbeitete ich mit Eleni Nasta zusammen, die übergreifende Idee entwickelte ich mit Sila Zamani. Unsere Zusammenarbeit war überaus kreativ und unschätzbar wichtig für mich. 2013 hatte ich das Glück, dass die erste Fassung des Buches auf die Shortlist des Fotobookfestival Kassel Dummy Awards in der documenta-Halle kam. Das Kunstfest war damals Daido Moriyama, der lebenden Fotografenlegende gewidmet. Als ich nach Kassel reiste, glich meine Teilnahme an der documenta 13, zugegeben, einer großartigen Fotobuch-Masterclass. Dort lernte ich viele neue Ansätze kennen, und dank des Internets setzte ich in meinem Atelier die Recherche dann fort.

Das Buch erscheint im Selbstverlag und wird in Thessaloniki auf Bestellung gefertigt. So kann es jeder Interessierte jederzeit erwerben. Ein Fotobuch bildet einen in sich geschlossenen Kosmos. Es repräsentiert die aufeinander abgestimmten Einzelelemente einer Ausstellung. Denn eine Fotoausstellung – egal, ob sie nun, gut, mittelmäßig oder gar schlecht ist – hört auf zu existieren, sobald die Bilder abgehängt sind. Ein Fotobuch hingegen kann viele Leben haben.

Bereits in Lia Nalbantidous allererster fotografischer Arbeit stand das enge familiäre Umfeld im Mittelpunkt ihres Schaffens. Nun präsentiert sie uns einen mystischen Garten voller „verborgener“ Familienaufnahmen, welche die bürgerliche Existenz in all ihren Schattierungen nachempfinden. Ihr Fotobuch „Urban Secret Garden – a trilogy book of photographs“ wurde 2016 auf dem alljährlichen Internationalen Festival Encontros da Imagem in Braga, Portugal ausgezeichnet.

Text: Nina Kassianou und Lia Nalbantidou. Übersetzung: Michaela Prinzinger. Foto: Chloe Pissa und Lia Nalbantidou. Quelle: www.lifo.gr. Website der Fotografin: http://lianalbantidou.com/en/.

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2 Gedanken zu „Urban Secret Garden – Künstlerbuch einer Fotografin“

  1. Schöne Idee, das mit den Bildern und den Fäden, die sie verbinden – sozusagen als Erinnerung an vor-digitale Zeiten und deren Qualitäten, als Orte noch eine Identität hatten, die durch real gelebte Alltagskultur geprägt war. Fäden statt “threads”, Wege statt “paths”, konkrete Orte mit Begegnung statt virtueller Orte, die abstrakt bleiben und somit unbefriedigend sind. Aber vielleicht kommt das ja wieder, wenn sich nur genügend Leute “of grid” gehen und konkrete Orte durch Nachfrage erzeugen…

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