Das Veto des Lebens akzeptieren

Monika Berg zum Motto „Von Athen lernen“

Dieser Beitrag ist auch verfügbar auf: Ελληνικά (Griechisch)

Monika Bergs Kommentar zum Motto der Documenta 14 „Von Athen lernen“ ist der dritte aus einer Reihe auf diablog.eu in diesen Sommerwochen 2017. In jeweils ganz persönlichen Anmerkungen wird auf Fakten und Faktoren verwiesen, die von dieser Stadt in der Tat zu lernen wären. Für diablog.eu verfasst von Menschen, die schon immer oder seit langem in Athen leben, zeugen sie von Selbstbewusstsein und Stolz angesichts der gegenwärtigen Situation in einer von vielfachen Krisen gezeichneten Stadt, deren Gedächtnis jedoch weiter zurückreicht als das aller anderen europäischen Metropolen und deren Lebendigkeit sich nicht zum ersten Mal gegen Widerstände behauptet.

Als ich nach dem Abitur an der Deutschen Schule Athen zum Studium nach Deutschland ging, war ich von der Planungsfreudigkeit der Menschen dort fasziniert. Alles schien planbar, grundsätzlich durchdacht, kalkulierbar und im Sinne der anfänglichen Zielsetzung zum Schluss auch evaluierbar. Jahre später, ich arbeitete bereits seit längerer Zeit in Deutschland und steckte gerade in einer beruflichen Sinnkrise, ließ ich mich von einem Coach professionell beraten. Ich erinnere mich noch genau an den Moment, als er mich  fragte: „Frau Berg, wo wollen Sie denn in fünf Jahren stehen?“ Ich erstarrte, und in meinem Kopf herrschte plötzlich Leere: „Ich weiß doch noch nicht einmal, was im nächsten Monat sein wird“, sagte ich. Der Coach wies mich freundlich darauf hin, dass dies nicht die Antwort sei, die potenzielle Vorgesetzte in einem Bewerbungsgespräch erwarteten.

Klebeblätter an einer Wand: Du hast eine große Zukunft hinter dir

Der Umstand, dass ich nun seit neun Jahren wieder in Griechenland lebe, in  einem Land also mit nur geringer Planungssicherheit, kommt meiner zwiespältigen Einstellung zu diesem Planen entgegen. Zwar bin ich durchaus in der Lage, ein Projekt von A bis Z minutiös durchzuorganisieren, halte mir aber immer gerne eine Hintertür offen, falls ich meine Meinung in letzter Minute doch noch ändern sollte. Es gibt aber noch einen anderen Aspekt: Allein das Wissen ums Risiko, dass das eben noch perfekt durchdachte Konzept im nächsten Moment aufgrund unkalkulierbarer Faktoren Makulatur sein kann, verleiht dem Leben eine besondere Intensität. In dem Moment, in dem ein Vorhaben scheitert, beginnen die Gedanken im Kopf ihre Richtung zu ändern. Energien und Kreativität werden freigesetzt, Hindernisse bilden auf einmal Brücken, neue Perspektiven entstehen und der Horizont wird weiter und facettenreicher.

Planungssicherheit ist ein wunderbares Wort der deutschen Sprache. Es ist rund, es hat Rhythmus, es klingt in meinen Ohren perfekt. Dieses Wort verkörpert wesentliche Glaubenssätze des deutschen Selbstverständnisses: dass nämlich Leben plan- und kontrollierbar und damit auch abgesichert ist. Ist es aber nicht. Von Athen lernen heißt, das Veto, das das Leben gegen unsere Vorstellungen und Pläne einlegt, zu akzeptieren und danach zu handeln.

Wo ich in fünf Jahren stehen will, weiß ich heute, im Juni 2017, immer noch nicht.

Monika Berg, geboren 1971 in Athen, war auf der Deutschen Schule in Athen und studierte anschließend Politische Wissenschaften in Frankfurt a.M. und Bonn. Von 1998 bis 2008 leitete sie das Büro eines Bundestagsabgeordneten. Seit 2008 lebt sie wieder in Athen, zuerst als Studienberaterin beim DAAD bis 2012, seitdem als wissenschaftliche Mitarbeiterin des Athener Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Redaktion: Andrea Schellinger. Fotos: Michaela Prinzinger, Andrea Mavroidis

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1 Gedanke zu „Das Veto des Lebens akzeptieren“

  1. Von Athen lernen – der Kommentar von Monika Berg dazu gefällt mir sehr. Ich finde davon kann man sehr viel in Athen erkennen und ich hoffe, dass diese Fähigkeit vieler Griechen (.. das Veto, das das Leben gegen unsere Vorstellungen und Pläne einlegt, zu akzeptieren und danach zu handeln.) weiter erhalten bleibt und nicht kaputt gespart wird.

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