Widerstand in Griechenland und Stein

Die Geschichte des Nikos Mavrakis

Dieser Beitrag ist auch verfügbar auf: Ελληνικά (Griechisch)

Vom 20. Mai bis zum 1. Juni 1941 tobte die Luftlandeschlacht um Kreta. Das war auch der Beginn des kretischen Widerstandes gegen die deutschen Invasoren. Nikos Mavrakis aus Heraklion/Kreta hatte sich in Athen nach seiner Rückkehr von der albanischen Front gegen das faschistische Italien ebenfalls dem politischen Kampf verschrieben.
Er wurde verhaftet und ins Zuchthaus Stein in Krems an der Donau, Österreich, deportiert. Am 6. April 1945 wurden dort Hunderte von Gefangenen hingerichtet – unter Dutzenden Griechen auch Nikos Mavrakis, der jedoch wie durch ein Wunder überlebte. Der Augenzeugenbericht „Widerstand in Griechenland und Stein“ ist am 6. April 2020 veröffentlicht worden, auf den Tag genau 75 Jahre nach dem großen Massaker in Krems.

Von August bis Oktober 1984 hat der griechische Schriftsteller und Journalist Antonis Sanoudakis den kretischen Widerstandskämpfer Nikos Mavrakis interviewt und dessen Erlebnisse in Ich-Form niedergeschrieben. Dabei hat er den Sprachduktus des Erzählers beibehalten, der sein Leben frei von der Leber weg erzählt. Das kommt auch in der deutschen Übertragung deutlich zum Tragen. Der Verlag nennt in Frontispiz und Innentitel die Übersetzerin Nina Bungarten noch vor dem Herausgeber Robert Streibel, eine absolute Seltenheit.

buchcover mit zwei fotografien und titel

Nikos Mavrakis war 28 Jahre alt, als er Ende 1943 in Athen als politischer Aufwiegler zu 10 Jahren Zwangsarbeit verurteilt und mit vielen anderen in einem Viehwaggon zusammengepferchten „Politischen“ nach Mitteleuropa deportiert wurde. Nach langer Fahrt gelangte er schließlich ins Zuchthaus Stein im österreichischen Krems an der Donau, etwa 70 Kilometer westlich von Wien. Er hat das Verbrechen in der Endphase des Krieges am 6. April 1945 mit einem Durchschuss überlebt und wurde schließlich am 8. Mai 1945 von der vorrückenden sowjetischen Armee befreit.

Bevor Nikos Mavrakis auf Stein zu sprechen kommt, erzählt er spannend von seiner Kindheit und Jugend, von seinem Werdegang zum Reserveoffizier (mit guten Einblicken in das soziale Gefüge Kretas und des Festlands) und vom Kampf gegen die in Griechenland eingefallenen italienischen Faschisten, von der Niederlage gegen die Wehrmacht, seiner Anstellung als Bankangestellter, der Hungersnot in den griechischen Städten, vom Aufkeimen des Widerstands gegen die Besatzer, von seinen Verhören durch die Gestapo und seiner Internierung, von den griechischen Kollaborateuren und von der Verzweiflung der Menschen. Dieser Rahmen rundet die Erzählung ab und macht die Zusammenhänge verständlich. Dabei bleibt Mavrakis erstaunlich pragmatisch, südländisches Pathos entwickelt er nur im Streben nach Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit.

Der Autor Antonis Sanoudakis strafft das Erzählte nicht, beschönigt oder verschweigt nichts. Beispielsweise lässt er Mavrakis’ Bemerkung stehen, die griechischen Insassen des Zuchthauses Stein hätten nach der Erhebung der Gefangenen von den federführenden österreichischen und tschechischen politischen Gefangenen keine Waffen bekommen, weil sie – durch eine vorschnelle Verallgemeinerung – als unzuverlässig und diebisch galten.

Die Zeit im Zuchthaus Stein nimmt fast ein Drittel von Mavarkis’ Erzählung ein. Man erfährt, wie es in einem österreichischen Gefängnis zuging (inklusive Isolationshaft, aber ohne Folter), wo ausnahmsweise nicht die SS das Sagen hatte. Der Autor schwärmt fast von der Freundlichkeit und dem Mitgefühl des Aufsichtspersonals, je mehr sich das Ende des „Tausendjährlichen Reichs“ abzeichnet und die Angst vor der Knute Nazideutschlands schwindet. Seine Erzählung ist ein weiteres Indiz, dass die These des „guten Österreichers“ im Gegensatz zum „bösen Deutschen“ – der sich bis zum bitteren Ende unbeugsam und hitlertreu verhält – nicht unbedingt ein Klischee ist.

Die LeserInnen lernen die damaligen Haftbedingungen kennen und haben an den Gedanken und Emotionen der Insassen teil. Der Ich-Erzähler Nikos Mavrakis ist ein politisch motivierter Idealist und glaubt an das Gute im Menschen – nach seiner Rückkehr nach Griechenland im Sommer 1945 ist er von der Polarisierung zwischen Rechten und Linken schwer enttäuscht, deren Konflikt schließlich in einen Bürgerkrieg mündet.

familienszene mit vater, mutter und kleinem kind

In seiner Zelle in Stein sind zwei weitere Griechen untergebracht. Der einfach gestrickte Koch Kotsonis lebt im Hier und Jetzt. Vom Hunger getrieben fantasiert er immer wieder von der Zubereitung seiner Lieblingsspeisen. Dagegen ist Giorgos Krikelis, ein Bankbeamter wie Mavrakis, depressiv und in sich gekehrt, muss immer wieder seelisch aufgebaut werden, damit er sich nicht völlig aufgibt.
Sofia Mavraki, die deutschkundige Ehefrau von Nikos Mavrakis, ist – ein unglaublicher Zufall! – als politische Gefangene im Frauengefängnis des Landesgerichts Krems inhaftiert. Als sie und Nikos voneinander erfahren, können die Eheleute, getragen von der Solidarität der Mitgefangenen, über Kassiber miteinander kommunizieren. Sofia sichert durch kleine Essenspäckchen das Überleben ihres Mannes und seiner Zellengenossen.

Zu den stärksten Momenten der Memoiren gehört das Chaos, das am 6. April 1945 im Männergefängnis von Stein ausbricht. Die Ereignisse laufen vor den Augen des Lesers wie ein Film ab: Die Gefangenen werden zunächst von der österreichischen Aufsicht freigelassen, um dann – nach teilweise bewaffneten Auseinandersetzungen – von der SS wieder eingefangen zu werden. Es folgen Massenexekutionen – durchgeführt zum Teil von 16- und 17-jährigen Uniformierten, dem „letzten Aufgebot“ – mit mindestens 386 Opfern, unter ihnen nicht wenige der mehr als 300 griechischen Insassen. Die Situation in Stein gerät außer Kontrolle, während die Bevölkerung auf überfüllten Straßen in Panik vor den Russen flieht, die das Wiener Stadtgebiet erreicht hatten. SS, SA, Wehrmacht und Zivilisten nehmen an der „Kremser Hasenjagd“ auf die Inhaftierten teil, die Mavrakis allerdings nicht mitbekommt: Er liegt angeschossen auf dem riesigen Leichenhaufen der Exekutierten, aber er kommt mit dem Leben davon.

Die griechische Originalausgabe stammt aus dem Jahr 1987. Die Beiträge des in Krems geborenen Historikers Robert Streibel nehmen das letzte Viertel des Bandes ein und schlagen die Brücke zu unserer Zeit. Unterstützt wurde er von Marianna Chalari, die – wie schon bereits für Streibels Roman April in Stein – die Übertragung der griechischen Quellen übernommen hat.
Wer waren die Griechen in Stein? Was passierte mit ihnen nach der Befreiung? Wie ging die Öffentlichkeit (der österreichische Staat, die Einheimischen, die lokale und überregionale Presse, der griechische Staat) mit den Ereignissen um, wie mit den ehemaligen Insassen? Wie steht es mit der Erinnerungskultur und der Aufarbeitung? Bis auf einen kleinen Wermutstropfen – das streckenweise unaufmerksame Lektorat – ist das Buch, ausgestattet mit Zeittafel, Glossar und Biographien, empfehlenswert und von ausgesprochener Aktualität.

buchcover mit man neben vergittertem fenster

Text: A. Tsingas. Redaktion: Michaela Prinzinger. Fotos: Archiv Robert Streibel.

Deutsche Ausgabe:
Antonis Sanoudakis, Widerstand in Griechenland und Stein, die Geschichte von Nikos Mavrakis; übersetzt von Nina Bungarten, kommentiert und herausgegeben von Robert Streibel; Verlag: Bibliothek der Provinz, 2020. Die Publikation wurde durch den Österreichischen Zukunftsfonds gefördert.

Die Geschichte von Nikos Mavrakis gibt es auch zum Nachhören, auf Spotify und auf der Website von Robert Streibel. Lesen Sie weiter auf diablog.eu zu Robert Streibels Roman „April in Stein“.

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4 Gedanken zu „Widerstand in Griechenland und Stein“

  1. Moin und Kalimera, was viele nicht wissen, jedes Jahr am und um den Jahrestag zum 20. Mai 1941 (Operation Merkur) treffen sich Ewiggestrige auf Kreta.

    Auf dem deutschen Soldatenfriedhof in Maleme treffen sich jedes Jahr am 20. Mai Wehrmachtsveteranen, Bundeswehrsoldaten und Neonazis zum „Gedenken“.

    Bei diesem geschichtsrevisionistischen Treiben werden die griechischen Opfer und die Verbrechen der deutschen Wehrmacht mit keinem Wort erwähnt. Aus den Tätern werden Opfer, die Kriegsverbrechen geleugnet, die Wehrmacht glorifiziert.

    Der Friedhof bei Maleme ist jedoch nicht der einzige Wallfahrtsort alter und junger NS-Traditionalisten. So steht in der Stadt Chania, dass bereits 1941 von den deutschen Besatzern errichtete NS-Denkmal für die Fallschirmspringer und in Floria das Denkmal für die Gebirgsjäger.

    Zum Jahrestag der Invasion gedenken auch hier etliche alte und junge Fallschirmjäger aus Wehrmacht und Bundeswehr der deutschen Besatzung.

    Für den Erhalt dieses NS-Denkmal streitet der sogenannte rechte Traditionsverein „Freundeskreis zur Erhaltung eines Fallschirmjäger – Ehrenmals auf Kreta e.V.“ aus Lohr am Main und der „Bund Deutscher Fallschirmjäger e.V.“ Der „Freundeskreis“ preist „die außergewöhnliche Einsatzbereitschaft, den Mut und die Leistungen der Deutschen Fallschirmjäger im  Kampf um Kreta“.

    2014 hat der „Freundeskreis“ eine Online-Petition für den Erhalt des NS-Denkmal für die Fallschirmspringer in Chania gestartet. 11.419 unterzeichneten diese Petition.

    Über die ermordeten kretischen Zivilisten, die zerstörten Dörfer und die Deportation der Juden Kretas nach Auschwitz, findet man auf der Homepage des „Freundeskreises“ allerdings nichts.

    Literatur Tipps:

    Kapitän Manolis Panduwas – Der Anführer des nationalen Widerstandes in Kreta. Seine Erinnerungen an den Kampf von Antoni K. Sanudaki, Verlag Knossos Athen, 1994

    Schatten ohne Mann – Die deutsche Besetzung Kretas 1941-1945 von Ulrich Kadelbach, Verlag Dr. Thomas Balistier, 2002

    Andartis – Monument für den Frieden Krieg – Widerstand – Versöhnung von Karina Raeck, Verlag Dr. Thomas Balistier, 2016

    Bericht der Zentralen Kommission zur Feststellung der Gräueltaten auf Kreta, Gesellschaft für Kretische Historische Studien, 2017

    Pavlo – der kleine Andarte – Kindheit im besetzten Kreta 1941- 1945 von Stephan D. Yada-Mc Neal, Books on Demand

    Dichter im Waffenrock – Erhart Kästner in Griechenland und auf Kreta 1941 bis 1945 von Arn Strohmeyer, Verlag Dr. Thomas Balistier, 2006

    General Kreipe wird entführt – Ein Husarenstück auf Kreta 1944 von Hans Prescher, Verlag Dr. Thomas Balistier,2007

    Die Entführung des General von Patrick Leigh Fermer, Dörlemann Verlag, 2014

    Die Entführung von General Kreipe von G. Harokopos, von V. Kouvidis und V. Manouras, Heraklion, 2002

    ελευθερία ή θάνατος – Freiheit oder Tod, kv

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  2. Die These des „guten Österreichers“ im Gegensatz zum „bösen Deutschen“ ist aber nun mal ein in Österreich sorgsam gepflegtes Klischee. Historisch korrekt ist, dass die Österreicher an Prutalität und Krausamkeit den Reichsdeutschen weit überlegen waren – Sowohl in der Ostmark, im gesamten Deutsche Reich …in den Konzentrationslagern als auch auf dem gesamten Balkan, Griechenland, Italien und auf den Schlachtfeldern Osteuropas usw. Das ist historisch belegt und mit nichts aus dem kollektiven Gedächtnis der Völker und des ‘Judentums’ zu tilgen.

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