Monolog eines Antihelden

Ein Gespräch mit dem EU-Literaturpreisträger Makis Tsitas

Dieser Beitrag ist auch verfügbar auf: Ελληνικά (Griechisch)

Der erste Roman von Makis Tsitas „Gott ist mein Zeuge“ erschien 2013 und wurde gleich zum vieldiskutierten Überraschungserfolg. Prompt war er ein Jahr später auch unter den Preisträgern des Literaturpreises der Europäischen Union. Die Theaterfassung ist nach dreijähriger Laufzeit noch bis 5. April in Athen im Theater Vault zu sehen.

Humorvoll bis sarkastisch erzählt er die Geschichte eines Underdog unserer Tage, der eigentlich nichts anderes will, als nur in Würde zu leben. Aber irgendwas macht Chryssovalantis falsch, im Job, beim anderen Geschlecht, mit sich selbst. Von seinem Arbeitgeber, wechselnden Frauen und der eigenen Familie wird er hintergangen, ausgenutzt, wie Dreck behandelt. Der Leser begleitet den monologisierenden Anti-Helden durch dieses komische Drama, hin- und hergerissen zwischen Gelächter und Entsetzen.

Makis Tsitas
Makis Tsitas, ©Vasso Maragoudaki

Wieso hast du dich in diesem Roman für den inneren Monolog entschieden?

Nach jahrelanger Materialsammlung zur ganzen Lebensgeschichte dieses einsamen Menschen hat mich letztlich das Thema selbst dazu gebracht. Auch die Tatsache, dass der Texte in kleine Sequenzen eingeteilt ist, hängt mit dem Sujet zusammen. Abgesehen davon habe ich persönlich eine Schwäche für die erste Person Singular; mit ihr umzugehen, ist schwierig und faszinierend zugleich.

Der Stoff ist auch auf die Bühne gekommen, nicht wahr?

Ja, wobei er dramaturgisch von mir selbst bearbeitet wurde. Ich habe inhaltlich nichts verändert, im Vergleich zum Roman allerdings ziemlich gekürzt. Deshalb fehlt auch auf der Bühne das Moment der Wiederholung, auf das ich im Roman großen Wert gelegt habe, um diesen Charakter plastisch herauszuarbeiten. Im Theaterstück tritt dieses Moment des hartnäckigen Insistierens, das Hochproblematische an diesem Charakter anders hervor: durch Blicke, Gesten, Bewegungen.

Dieser rund 50jährige Mann wirkt wie ein Frauenhasser, wieso eigentlich? Ist das ein Generationenproblem?

Nein, er ist keineswegs misogyn, im Gegenteil, er hat eine ausgesprochene Schwäche für Weiblichkeit, seine Mutter, die Schwestern und all diese Frauen, denen er hinterherläuft, wobei er allerdings ziemlich ungeschickt vorgeht. Er selbst ist ja recht übergewichtig und sein Blick fällt ständig auf Frauen, die dem gängigen Schönheitsideal entsprechen. Da muss er ja Pech haben, doch jede Ablehnung verletzt ihn aufs Neue und macht ihm schwer zu schaffen. Er ist das, was man einen „armen Kerl“ nennt, der sich alles, auch Liebe und Zärtlichkeit mit Geschenken erkauft. Chryssovalantis ist ein verzweifelter Mensch, der gesundheitliche Probleme hat, als Kind misshandelt wurde, arbeitslos ist, und das nicht im krisengeschüttelten Griechenland von heute, sondern damals in den Zeiten vor der Olympiade 2004, als fast alle beschäftigt waren und gutes Geld verdienten. Also ist er auch sozial ein Außenseiter. Seine Wutausbrüche, wenn er sich als immer nur als Boxsack fühlt, nie als die boxende Hand, verbleiben Verbalaggression. Selbst seine Ressentiments gegen Ausländer sind Ausdruck seines Zorns.

Auf dem Cover deines Romans ist ein Werk von Michael Sowa zu sehen: „Mann Fisch Tisch“. Wie bist du darauf gekommen?

Zusammen mit meiner Verlegerin. Zufällig stießen wir auf Sowa, und mir hat gleich gefallen, dass er auch Bücher für Kinder illustriert, was mir sehr entgegenkommt, da ich ja auch Kinderbücher verfasse. Wir haben uns dann viele Werke von ihm angeschaut und dann dieses Bild gefunden. Es ist surrealistisch und passt zur Atmosphäre der Thematik. Ich bin Sowa persönlich sehr dankbar, dass er uns dieses Bild fürs Cover zur Verfügung gestellt hat.

Du warst 2014 einer der Preisträger des EU-Literaturpreises für „Gott ist mein Zeuge“. Was hat das für dich bedeutet?

Mit diesem Preis zeichnet die Europäische Union seit 2009 jährlich Nachwuchsautorinnen und -autoren aus unterschiedlichen EU- Ländern bzw. einigen assoziierenden Ländern aus. Ihre Verleger haben die Möglichkeit, EU-Mittel für die Übersetzung der Titel zu beantragen. Die Übersetzung wird vollständig finanziert. Abgesehen davon bekommt man gesteigerte Aufmerksamkeit bei den großen europäischen Buchmessen. Mit Verlagen aus zehn Ländern wurden Verträge unterschrieben, in vier Sprachen ist das Buch bereits erschienen (auf Serbisch, Kroatisch, Albanisch und Serbomakedonisch).

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Wieso hast du dein Online-Büchermagazin diastixo, d.h. „Durchschuss“ genannt?

Es ist ein Terminus aus der alten Typografie, der auch heute bei digitalen Verfahren angewendet wird. Ich liebe alles, was mit diesem Handwerk und der Herstellung von Texten und Büchern zu tun hat. Da bin ich in meinem Element. Als ich vor fünf Jahren mit diastixo.gr begann, also mitten in der Krise, haben mich viele für allzu optimistisch erklärt. Ich hatte keine andere Wahl, man muss ja irgendwie weitermachen. Geholfen hat mir dabei, dass ich keinen Fernseher habe; so nehme ich den täglichen Horror, der die meisten Griechen in Panik versetzt, nicht unmittelbar wahr und lasse mich so nicht so leicht erschrecken, außerdem habe ich dadurch sehr viel mehr Zeit zum Arbeiten. Wir haben die meisten Visits im Vergleich zu anderen Online-Büchermagazinen. Unser Kriterium ist Qualität, nicht eine bestimmte Textsorte, deshalb reicht das Spektrum von Lyrik über Kochbücher bis hin zu Kriminalromanen. Wir wenden uns nicht nur an Profis wie Übersetzer, Lektoren, Verleger oder systematische Leser, sondern auch an die vielen Leute, die pro Jahr nur ein oder zwei Bücher lesen, und ich meine, wir haben dieses Publikum inzwischen erreicht.

Die Fragen stellte Michaela Prinzinger. Bearbeitung: Andrea Schellinger. Foto: Vasso Maragoudaki.

Makis Tsitas, geboren 1971 in Giannitsa, studierte Publizistik in Thessaloniki und machte dort erste berufliche Erfahrungen im Hörfunk. Seit 1994 lebt und arbeitet er in Athen. Nach 20 Jahren Tätigkeit im Verlagswesen hat er 2014 die online-Zeitschrift für Literatur und Kultur www.diastixo.gr. gegründet, deren Chefredakteur er seitdem ist. Tsitas hat einen Roman, einen Erzählband und siebzehn Kinderbücher verfasst. Weiters sind seine literarischen Texte, in etliche Sprachen übersetzt, in Anthologien, Zeitschriften und Tageszeitungen erschienen. Theaterstücke wurden vom „Theatro ton Kairon“ und „Vault“ inszeniert, außerdem wurde seine Lyrik vertont.

Dieser Beitrag ist auch verfügbar auf: Ελληνικά (Griechisch)

1 Gedanke zu „Monolog eines Antihelden“

  1. Herzlichen Dank für diesen Beitrag! Gibt es schon einen deutschsprachigen Verlag für dieses Buch?
    Viele Grüße!
    Wolfgang Baum, München

    Antworten

Schreibe einen Kommentar