Schwierigkeiten beim Übersetzen von Wahrheit

Gedichtband von Markos Meskos auf Deutsch

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Neuentdeckung: Markos Meskos in deutscher Übersetzung! Giorgis Fotopoulos macht sich Gedanken über das Übersetzen von Gedichten und von Wahrheit. Wer noch kein Geschenk für Weihnachten hat, findet hier etwas für Lyrikfans.

In Griechenland zählt Márkos Méskos zu den bedeutendsten und einflussreichsten zeitgenössischen Dichtern. Im Ausland ist er gleichwohl kaum bekannt. Zum ersten Mal wird jetzt eine Werkauswahl der Gedichte von Márkos Méskos auf Deutsch übersetzt vorgestellt.

Der kürzlich publizierte Band Leib der Mutter – Schöne Landschaft ist in Zusammenarbeit mit dem Dichter zusammengestellt und übertragen worden. Er kann für sich beanspruchen, die Lyrik von Márkos Méskos für den deutschen Leser erschließbar zu machen. Eine Lyrik, die – nach den Worten des Dichters – ein Weltenschiff sein will, das durch die Krise und die Kunst zur Katharsis führt.

Schwierigkeiten beim Übersetzen von Wahrheit

Wahrheit – immer im Fluss und frei vom Denken – kann durch Worte weder erfasst und noch begriffen werden. Dichtung jedoch – das Zusammenfügen von Worten, Gefühlen und Gedanken – kann Stimmungen erzeugen, die ein Ausdruck von Wahrheit sein können. Μὲ τὰ κλαδιὰ τοῦ δέντρου κάνω σχέδια στὸν οὐρανὸ – die ersten Worte eines der ersten Gedichte von Márkos Méskos bewirken beispielsweise in ihrem Zusammenklang eine Stimmung, die kurz mit Schwere und Härte einsetzend (das κλα von κλαδιὰ), unmerklich in Sanftheit und Leichtigkeit überleitend (das διὰ von κλαδιὰ) und darin verweilend (τοῦ δέντρου), die Schwere des Anfangs (im κά von κάνω) durch Leichtigkeit (σχέδια) überwindet, um in Offenheit zu enden (das ὸ, οὐ, α und ὸ in στὸν οὐρανὸ) und eine Frage (Gedanke, Gefühl) zu erzeugen: Was ist das?: Mit den Zweigen des Baumes zeichne ich im Himmel… Die Antwort darauf und Wahrheit, die sich durch diesen Dreiklang (von Härte, Sanftheit, Offenheit) ausdrückt, ist, dass die Handlung des Dichters (κάνω σχέδια στὸν οὐρανὸ) mit einer sie bestimmenden Haltung des Dichters (μὲ τὰ κλαδιὰ τοῦ δέντρου στὸν οὐρανὸ) untrennbar verbunden ist.

Während die Frage der Interpretation der Handlung (κάνω σχέδια στὸν οὐρανὸ als Wolkenmalerei, Luftschlösserbauen oder Gottessuche?) sich aus dem Kontext beantwortet, (und in ihrer Mehrdeutigkeit durch die Übersetzung ins Deutsche verschwindet), ist die Haltung (κάνω σχέδια στὸν οὐρανὸ als Freiheit zum noch nie Dagewesenen) unübersetzbar. Denn die Haltung (Geisteshaltung oder Denk- und Lebensweise des Dichters) ist einzig und allein in der Sprache und ihrer Dichtung durch den Dichter ausdrückbar. Zudem erlaubt es die erforderliche Texttreue der Übersetzung ins Deutsche nicht, eine eigene Haltung von Freiheit an dieser Stelle in der Übersetzungssprache auszudrücken, so dass neben der Mehrdeutigkeit der Handlung auch die Haltung in der Übersetzung zu verschwinden droht. Die Übersetzung muss hier damit ihren Frieden finden.

Insofern jedoch der Übersetzer die Haltung des Dichters erfasst, begriffen und verinnerlicht hat, kann er sich getrost die Freiheit erlauben, an anderen Stellen der Dichtung, an denen dies möglich wäre, die Freiheit zum noch nie Dagewesenen in der Übersetzungssprache zu versuchen, obwohl der Ursprungstext dies da gar nicht beinhaltet. Im Gedicht Οὐρανὸς wäre dies beispiels- und ansatzweise in dem Zeilenteil μιὰ πηγὴ γαλάζιο mit der Übertragung in ein Quell Himmelblau vorstellbar. Denn während πηγὴ γαλάζιο eindeutig die Farbe bezeichnet, so ist doch mit Quell Himmelblau mehr als im Griechischen möglich. Die Quelle, eigentlich im Erdinnern, wird in der Übersetzungssprache ins Höchste, in den Himmel übertragen – in einer Freiheit zu noch nie Dagewesenem. Dies wäre dann allerdings mehr Nachdichtung denn Übersetzung und dem Ursprung dennoch näher, da der Übersetzer beziehungsweise Nachdichter sich wohlbedacht von ihm entfernt. Gleich Dichtung kann Nachdichtung so mehr als Übersetzung der Wahrheit gerechter werden (es sei denn, es handelt sich um zu übersetzende wissenschaftliche Abhandlungen, Anleitungen und dergleichen) beziehungsweise als vermeintliche Übertragung einzigartig sein.

Himmel

Mit den Zweigen des Baumes zeichne ich im Himmel
einen traurigen Gott,
den unsichtbaren Pferdehuf –
schuld sind die Wolken, die der verrückte Nordwind hertrug;
hätte ich sonst ein Schiff gezeichnet
mit den vier Lächeln der Welt?

Mit den Händen des Windes zeichne ich
Seltsames, geliebte Augen und Gesichter, Seltsames,
Tote, an die ich glaubte,
Blut und Knochen und Freude und Wege,
vielleicht auch Verrücktes: ein Quell Himmelblau,
ein Quell himmelblauen Wassers für den Durst meines Gebets
und einen Engel, der die Hand mir reicht,
daß auf ich steige…

(Mutter, hättest die Augen mir nicht himmelblau färben müssen,
hättest, Mutter, mit solch trübem Himmel
mich nicht tränken müssen…)

Márkos Méskos: Leib der Mutter – Schöne Landschaft, Werkauswahl 1958 – 2016.
Nachdichtung von Giorgis Fotopoulos, 2017, im Verlag Razamba.

Ουρανός

Μὲ τὰ κλαδιὰ τοῦ δέντρου κάνω σχέδια στὸν οὐρανὸ
ζωγραφίζω ἕνα λυπημένο Θεό, τὴν
ὁπλὴ τοῦ άλόγου ποὺ δὲ φαίνεται –
φταῖνε τὰ σύννεφα ποὺ τὰ κουβάλησε ὁ τρελὸς βοριὰς
μὰ πῶς ἀλλιῶς θὰ ζωγράφιζα
ἕνα καράβι μὲ τὰ τέσσερα χαμόγελα τοῦ κόσμου;

Κάνω σχέδια μὲ τὰ χέρια τοῦ ἀνέμου
σχέδια παράξενα, μάτια καὶ πρόσωπα ἀγαπημένα,
σχέδια παράξενα, νεκροὶ ποὺ πίστεψα
αἶμα καὶ κόκαλα καὶ χαρὰ καὶ δρόμοι,
σχέδια ἴσως τρελά: μιὰ πηγὴ γαλάζιο,
μιὰ πηγὴ γαλάζιο νερὸ γιὰ τὴ δίψα τῆς προσευχῆς μου
κι ἕναν ἄγγελο νὰ μοῦ δίνει τὸ χέρι
ν’ ἀνέβω ψηλά…

(Μάνα, δὲν ἔπρεπε νὰ βάψεις γαλάζια τὰ μάτια μου
δὲν ἔπρεπε, μάνα, νὰ μὲ ποτίσεις
τόσο βουρκωμένον οὐρανό…)

Μάρκος Μέσκος: Πρίν ἀπό τόν θάνατο, 1958.

Biografische Notiz: Markos Meskos

Geboren 1935 in Édessa, Zentral-Makedonien. Dichtungen seit 1952 und Veröffentlichungen seit 1958 von über dreiundzwanzig Lyrikzyklen. Seit 1957 enge und ständige Zusammenarbeit als Lyriker und Essayist mit den wichtigsten griechischen Literaturmagazinen. Bis 1981 erwerbstätig als Grafiker und Lektor. Von 1987 bis 1993 verantwortlicher Leiter eines Kinderbuchverlages. 2005 Kaváfis-Preis für sein Gesamtwerk. 2006 Preis der Athener Akademie für sein Gesamtwerk. 2013 Staatspreis für Literatur für Τα Λύτρα (Ta Lýtra/Lösegeld). Im Ausland war seine Lyrik und Prosa bisher kaum übersetzt. 2017 erscheint die erste deutsch übersetze, zweisprachige Werkauswahl im Razamba-Verlag. Márkos Méskos lebt in Thessaloníki.

Biografische Notiz: Giorgis Fotopoulos

Geboren 1964 in Ost-Berlin, aufgewachsen in Athen. Magister Artium in Philosophie und Film an der Freien Universität in West-Berlin. Ausbildung zum Autor für Film und Fernsehen an der Master School Drehbuch, TV-Akademie und Skript-Akademie. Seit 1986 Produktion, Regie und Drehbuch von über einem Dutzend Kurzfilmen, dreier Dokumentarfilme und eines abendfüllenden Spielfilms. Seit 1991 zahlreiche Übersetzungen griechischer Lyrik und Prosa ins Deutsche. Von 1996 bis 2001 Dozent unter anderem an der Humboldt Universität, der Freien Universität und der Hochschule der Künste in Berlin. Giorgis Fotopoulos lebt in Berlin.

Text und Übersetzung: Giorgis Fotopoulos. Fotos: Giorgos Amadaros (Porträt G. Fotopoulos), Archiv Markos Meskos (Porträt Meskos).

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