Wenn steinerne Ruinen erzählen könnten

Ein Besuch in Korinth von Arn Strohmeyer

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Korinth: ein Knotenpunkt der Geschichte, der durch die Jahrtausende seine Bedeutung behielt. Arn Strohmeyer besuchte für diablog.eu die antike Stätte und bietet eine Rückschau auf die historischen Ereignisse.

In der Antike gab es ein Sprichwort, das besagte: „Nicht jede Sache ist eine Reise nach Korinth wert.“ Mit anderen Worten: Die Stadt auf der Landenge (Isthmos) zwischen dem Korinthischen und dem Saronischen Golf war damals aufgrund ihres immensen Reichtums bekannt für ihren luxuriösen Lebensstandard, aber eben auch für ihre hohen Preise. Deshalb solle ein Normalbürger eine Reise in diese reiche Handelsmetropole lieber meiden. Diese Regel gilt natürlich heute nicht mehr. Ganz im Gegenteil: Besucher sind willkommen. Die antike Ruinenstadt zieht Touristen aus aller Welt auch magisch an – nicht unbedingt zum Nachteil der modernen Stadt Korinth, die einige Kilometer nördlich der alten Metropole liegt.

Korinth
Blick vom Gipfel des Akrokorinth-Berges, ©Arn Strohmeyer

Aber die große Faszination bildet natürlich die antike Ruinenstadt mit ihrem alles überragenden im dorischen Stil zwischen 550 und 520 v.u.Z. gebauten Apollon-Tempel, von dem noch sieben Säulen stehen – was angesichts der bewegten Geschichte dieser Stadt fast an ein Wunder grenzt. Denn dieses Bauwerk ist neben dem Theater einer der wenigen Überreste aus griechischer Zeit. Blickt man heute von der Höhe des Tempels auf die Ruinen der antiken Stadt, dann hat man ungefähr denselben Eindruck wie ein Besucher von Korinth zur Zeit, als es die Hauptstadt der römischen Provinz Achaia war. Der Blick von diesem Hügel auf die alte Stadt mit der Agora, den Läden, heiligen Brunnen, Bädern, Märkten, dem Gerichtsplatz, dem Theater und dem Odeion, ist wie ein Blick auf ein sehr buntes, aber auch sehr grausames und untergegangenes Welttheater. Denn es ist fast unvorstellbar, was sich hier im Lauf von Jahrtausenden abgespielt hat. Davon verrät das von den Archäologen freigelegte Gelände aber kaum noch etwas.

In der Zeit, aus der die hier sichtbaren Überreste der römischen Stadt stammen, hatte Korinth wieder einmal eine Blütezeit erlebt, nachdem die Römer der Metropole die schlimmste ihrer Niederlagen zugefügt hatten. Als der Achaische Bund, dem Korinth angehörte, Sparta den Krieg erklärte, eroberte die römische Armee unter ihrem Feldherrn Lucius Mummius 146 v.u.Z. die Stadt und zerstörte sie vollständig. Alle männlichen Einwohner wurden umgebracht, Frauen und Kinder in die Sklaverei verschleppt. Julius Caesar gründete dann 44 v.u.Z. die Stadt neu und besiedelte sie mit Freigelassenen aus Rom. Korinth war nun eine römische Kolonisten-Stadt, in der Lateinisch gesprochen wurde. Zugleich war es der Verwaltungssitz der römischen Provinz Achaia.

Korinth
Sphinx auf einer Grabstele in Korinth, ©Arn Strohmeyer

Die Beschreibung des wechselvollen Schicksals dieser Stadt würde viele Bände füllen. Doch die Geschichte Korinths blieb immer auch mit der großen Weltgeschichte verbunden. Ihr Reichtum, der aus dem Handel mit Bronze- und Tonwaren sowie mit Parfümerieprodukten, Purpur und Stoffen herrührte, muss fremde Herrscher magisch angezogen haben. Gewaltsame Auseinandersetzungen und Kriege waren an der Tagesordnung, da die Stadt wegen ihrer strategisch wichtigen Lage begehrt und umkämpft war.

In der ältesten Zeit wechselten sich Könige, Tyrannen und Adelige – später auch Demokraten – in der Herrschaft ab. Immer wieder lag Korinth im Streit mit der konkurrierenden Handelsmetropole Athen, was 431 v.u.Z. auch zum Ausbruch des Peloponesischen Krieges führte. Später besiegelte der makedonische König Philipp II. vor Ort das Bündnis mit den Griechen. Nach dessen Ermordung wählten die Griechen hier seinen Sohn Alexander – der später der „Große“ genannt wurde – zum gemeinsamen Anführer für den geplanten Feldzug gegen die Perser.

Es sei nur angedeutet, wer die Stadt in der Folgezeit in Besitz nahm und beherrschte, was immer mit Zerstörung, Mord und Vertreibung verbunden war. Nach den Makedonen kam die Ägypter, Spartaner, Römer, Westgoten, Slawen, Byzantiner, Franken, der Johanniterorden, Venezianer, Türken und im Zweiten Weltkrieg die Deutschen. Im griechischen Freiheitskampf gegen die Türken zu Beginn des 19. Jahrhunderts spielte Korinth dann eine wichtige Rolle, es sollte sogar die Hauptstadt eines freien griechischen Staates werden. Neben fremden Eroberern hatte Korinth noch einen anderen mächtigen Gegner: Ständige Erdbeben suchten die Stadt heim und zwangen die Bewohner, in der Mitte des 19. Jahrhunderts umzuziehen und ihre Gemeinde am Meer neu zu errichten.

Korinth
Blick auf den Apollon-Tempel, ©Arn Strohmeyer

Die kurzzeitige Anwesenheit eines ganz bestimmten Mannes hat Korinth einen Platz in der Religionsgeschichte gesichert: Es handelt sich um den Apostel Paulus. Auf seiner Missionsreise kam er im Jahr 50 n.u.Z. hierher, blieb 18 Monate und versuchte eine Gemeinde aufzubauen. Er stieß aber bei den Juden der Stadt auf massiven Widerstand. Wegen Unruhestiftung musste er sich vor Gericht verantworten, die historische Richtertribüne (Bema) ist heute noch zu sehen. Seine Mission in der Stadt war jedoch durchaus erfolgreich. Aus Ephesus schrieb er die ins Neue Testament aufgenommenen Briefe an die Korinther und kehrte später wiederholt in die Stadt zurück.

Zur antiken Stadt  Korinth gehörte auch ihre Akropolis auf dem 575 Meter hohen Akrokorinth-Felsen. Ein Aufstieg mag in der Sommerhitze mühsam sein, aber er belohnt den Besucher mit einem fantastischen Rundblick auf das Parnass-Gebirge im Norden, den Golf von Korinth, den Isthmus im Nordosten und den Saronischen Golf. In der Antike war die Stadt mit Akrokorinth durch eine Mauer verbunden. Heute ragt auf dem Gipfel ein Turm aus osmanischer Zeit in den Himmel. In der Antike stand hier seit dem 5. oder 4. Jahrhundert v. u.Z. ein Tempel der Liebesgöttin Aphrodite. Dort sollen bis in hellenistische Zeit Tausende von Tempelprostituierten Dienst getan haben. Die Wissenschaftler/innen streiten sich aber noch, ob es sich hier um ein historisches Faktum oder eine Ausgeburt der Fantasie gehandelt hat.

Im ersten Jahrhundert n.u.Z. durchwanderte der griechische Schriftsteller Pausanias Hellas und beschrieb akribisch all die baulichen und künstlerischen Herrlichkeiten, welche die griechische Antike hervorgebracht hatte. Aus seinen Texten ist die Befürchtung herauszulesen, dass die Säulen bald nicht mehr stehen würden – was sich auch bald bestätigte. Auf dem Rundgang durch das antike Korinth äußert der britische Direktor der Ausgrabung, der Archäologe Guy Sanders, einen ähnlichen Gedanken. Mit Sorge, sagt er, denke er daran, dass kommenden Generationen die Beschäftigung mit der Geschichte vielleicht nichts mehr bedeuten werde.

Gehen wir also einer Zeit entgegen, die die eigenen Ursprünge, ihre Zeichen, Symbole, Stile und Aussagen nicht mehr versteht? Besteht die Gefahr, dass Ausgrabungsstätten wie Korinth bald dem Vergessen anheimfallen?

Text und Fotos: Arn Strohmeyer.

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2 Gedanken zu „Wenn steinerne Ruinen erzählen könnten“

  1. Warum schreiben Sie die Jahresangaben mit n.u.Z. oder v.u.Z anstatt es bei der eigentlichen christlichen Tradition zu belassen? Immerhin geht unsere Zeitrechnung doch auf Christus zurück.

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