Karpathos erwandern

Reiseartikel von Doris Wieler

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Inselwanderungen in Griechenland: Karpathos bietet sich dafür an! Doris Wieler widmet sich in ihrem neuesten Artikel dieser Insel und schrieb ein ausführliches Tagebuch, das allen Wanderfreunden eine große Hilfe und Inspiration sein wird. Ähnliche Reisen hat sie 2013 auf Korfu und 2015 über die Peleponnes unternommen, lesen Sie zum letzteren Europawanderweg E4 unseren diablog-Artikel.

Zwar gibt es auf Karpathos keinen ausgewiesenen Fernwanderweg, doch viele Wanderwege. So stellen wir mit Hilfe von diversen Beschreibungen, der entsprechenden Karte aus dem Anavasi-Verlag und gps-Daten unsere eigene Tour zusammen. Die gps-Daten bringen uns vor allem immer wieder dann auf den richtigen Weg, wenn es an Wanderzeichen mangelt.

Oft sind die Zeichen aber auch ausreichend vorhanden, als Farbkleckse auf Steinen, als Steinmännchen, aber auch als gut sichtbar aufgestellte Schilder, die mühsam an die irrsten Stellen transportiert werden. Ein herzliches Dankeschön an die „Friends of Nature Karpathos“, die die Wege auf der Insel pflegen. Nur durch diese Ehrenamts-Tätigkeit kann Karpathos den Ruf als Wanderinsel erhalten und ausbauen. Nicht möglichst viele Kilometer stehen bei uns im Vordergrund, sondern das Kennenlernen der Insel, der Orte, der Menschen, der Atmosphäre. Wie auch bei den vorangegangenen Touren ist die tägliche Unterkunftssuche Teil des Urlaubs und die Begegnungen dabei ein besonderes Erlebnis.

Karpathos, Wanderwegweiser

Tag 1
3. Mai 2017: Vom Flughafen zur Bucht Damátria

Es gibt sicherlich nicht viele Ziele, wo man – aus dem Flughafengebäude herausgetreten – umgehend auf das erste Wanderzeichen trifft und losstapfen kann. Dies tun wir am späten Nachmittag, durch wärmende Abendsonne, auf 4 Kilometern, bis zu unserer ersten Unterkunft, der einzig vorgebuchten, während der ganzen Tour.

Andere Tourist*innen treffen wir Anfang Mai kaum. Stattdessen stellt sich uns zum Empfang einer der vielen Winde vor, die auf Karpathos zuhause sind. Und die uns während der ganzen Zeit fast unablässig aus unterschiedlichsten Richtungen begleiten. Mal sanft, mal aufbrausend. Teils so stark, dass sie unsere Worte verschlucken und die Hüte vom Kopf fegen. Nachts klappern Türen und Fenster. Dafür trocknet die Wäsche in Windeseile. Dankenswerterweise. Sind wir doch nur mit kleinem Gepäck unterwegs, immer auf unseren Rücken. Um von Ort zu Ort zu wandern.

Karpathos, Bougainville, Blüten vor blauer Wand

Das einsam gelegene „Hotel Poseidon“ in der Bucht Damátria ist unser erstes Ziel. Wunderschön verschachtelt, schon vor einigen Jahrzehnten gebaut, in Anlehnung an ein kleines Dorf. Wir sind die einzigen Übernachtungsgäste. Dies wird nahezu den ganzen Urlaub über so sein.

Eine jüngere Generation hat die Leitung im angeschlossenen Restaurant übernommen. Wir genießen hier eine leckere, modernisiert-griechische Küche. Schade. Der Fisch, den ich so gerne gegessen hätte, wird erst am Ende des Abends frisch geliefert und verspricht Köstlichkeiten für die nächsten Tage.

Tag 2
4. Mai 2017: Von der Bucht Damátria nach Menetés

Wir können uns kaum vom leckeren Buffet und dem so wunderbar idyllischen Frühstücksplatz losreißen, betört von der lila Leuchtkraft üppig wachsender Bougainvillea und dem Blick auf die schöne Bucht. Das Wasser liegt still da. Der Wind hat Pause. Für ein Bad im Meer ist es uns noch zu kühl.

Der heutige Weg bis Menetés lässt uns knapp 400 Höhenmeter steigen. Besonders anstrengend ist es dennoch nicht. Es hat angenehme 22 Grad, ein Lüftchen weht und der Weg führt breit und gemächlich nach oben. Ein Spaziergang, im Vergleich zu noch folgenden Touren.

Wir bewundern in der auf den ersten Blick sehr kargen, baumlosen Landschaft die immer wieder überraschend mannigfaltig blühenden Phrygana (siehe Foto). Dank des Regens, der im vergangenen Winter reichlich fiel, wie uns die Einheimischen dankbar berichten. Zistrosen. Ginster. Thymian. Salbei. Wolfsmilch… Würzige Düfte strömen uns entgegen.

Karpathos, Zwischen Afiartis und Menetes

Menetés schmiegt sich – zwischen 300 und 400 Meter Höhe – an einen Berg. Empfängt uns mit verwinkelten Gassen und nachmittäglicher Stille. Wir haben Glück. Die „Tavérna Manólis“ ist geöffnet und wir freuen uns bei einem stärkenden Kaffee über ein Schwätzchen mit dem Wirt, in griechischer Sprache. Dies sei ausdrücklich betont, da auf Karpathos auffällig viele, auch ältere Menschen Englisch sprechen.

Vermutlich deswegen, weil die Mehrheit der Leute, die von der Insel stammen, im fernen Ausland lebt, in den USA, in Australien… Sie statten ihrer Heimat und ihren oft schicken Häusern im Sommer einen Besuch ab und bringen dabei auch die englische Sprache mit auf die Insel. Zudem arbeiten manche Karpathioten im Winter, wenn auf der eigenen Insel die Bordsteine hochgeklappt sind, in der Fremde. Einige der Älteren sprechen auch noch etwas Italienisch. 1912 bis 1944 war der gesamte Dodekanés (zu dieser Inselgruppe gehört Karpathos) italienische Provinz. Wohl einer der Gründe für eine der Auswanderungswellen.

Karpathos, Blick auf Menetes vom Kirchplatz

Der Wirt Manólis stellt für uns den Kontakt zur benachbarten Familie Rigas her. Doch stehen die im Reiseführer erwähnten Zimmer nicht zur Verfügung. Trotz der 400 Gramm Gewicht trage ich den immer wieder mit hilfreichen Informationen aufwartenden Reiseführer „Karpathos“ von Antje & Gunther Schwab aus dem MichaelMüller-Verlag mit im Gepäck. Im weiteren Text nenne ich ihn der Einfachheit halber MM.

Die Zimmer sind aber noch nicht startklar für die Saison. Ein uns in diesem Urlaub immer wieder begleitendes Thema. Mancher Vermieter ist überrascht und fragt etwas ungläubig, ob schon die ersten Charterflüge auf der Insel gelandet seien. Dass es auch möglich ist, per Propellerflugzeug von Athen aus nach Karpathos zu gelangen (oder per Fähre), ziehen sie gar nicht in Betracht. Trotzdem bekommen wir in jedem Ort Zimmer. Manchmal müssen wir einfach nur ein wenig warten, bis diese geputzt oder freigeräumt sind.

In Menetés verhilft uns letztendlich Irene Riga zu einem wunderbaren Alternativ-Quartier, etwas außerhalb des Ortes. Im „Yellow House“, wie sie sagt. Oder auch „Karpathos Menetés Guesthouse“. Bei Yvonne und Phil aus England. Irene überrumpelt die beiden mit ihrem Charme. Kündigt ihnen am Telefon an, dass sie Touristen hätte, für 2 Zimmer. Auf die Frage, wann diese kämen, antwortet sie: „JETZT“. Am anderen Ende der Leitung hören wir ein schallendes Lachen von Phil. Wir werden kurz darauf dort sehr herzlich empfangen. Die Zeit, bis die Zimmer fertig sind, überbrücken wir auf der Terrasse vor dem Haus, mit prachtvollem Weitblick auf die Bucht von Pigádia und einige Berge. Nach einem köstlichen Abendessen bei Manólis läuten uns aus der Ferne die Glocken einer Big Ben-Pendeluhr in den Schlaf.

Tag 3
5. Mai 2017: Von Menetés nach Pigádia

Der Morgen beginnt mit einem köstlichen Frühstück auf der Terrasse unserer Gastgeber. Samt anregender Gespräche über Gott und die Welt. Und das trotz unseres spontanen Auftauchens gestern. Wir empfinden frei nach dem Motto: wir kommen als Fremde und gehen als Freunde! Von Herzen wünschen wir, dass Yvonne und Phil ihre Träume leben können. Nach der endgültigen Übersiedelung im letzten Jahr, von England hierher, nur wenige Tage nach dem Brexit–Volksentscheid.

Bevor wir Menetés den Rücken zukehren, statten wir der Bäckerei – nach einer ersten Stippvisite am Vortag – nochmals einen Besuch ab. Um schmackhaft-saftige Chorta-Teigtaschen als Wanderproviant zu erwerben. Eine Spezialität der Insel. Gestern waren wir zu den Backblechen komplimentiert worden, um zu probieren. Als Wegzehrung bekamen wir einen Sack voller Koulourákia geschenkt. Kleine, knusprig gebackene Kringel mit schwarzem Sesam.

Karpathos, Menetes kunstvoll geformtes Koulouraki

Heute geht es überwiegend bergab, von Menetés über Koúri nach Pigádia, dem Hauptort der Insel. MM Wanderung 4. Das im Reiseführer erwähnte antike Grab übersehen wir leider. Ich lese zu spät davon.

Aber auch ohne das Grab gesehen zu haben, erleben wir eine schöne Tour. Auf bequem zu gehenden Pisten. Vorbei an blühenden und süß duftenden Ginsterhecken und Blumenwiesen, übersät von einer besonders dottergelben Margueritenart und tiefrotem Klatschmohn. Im Schatten der Kirche Ag. Sávvas machen wir Pause.

Karpathos, typische Margeriten

Bereits am frühen Nachmittag erreichen wir nach ca. 9 Kilometern Pigádia, das kleine Städtchen am Meer, mit einigen unübersehbar häßlichen Hotelklötzen, die so gar nicht ins Bild passen. Es herrscht absolute Vorsaison und damit tiefer Friede.

Wir kehren zunächst im „Café Karpathos“ ein. Geführt von Mutter Toúla und Sohn Michális, den unsere mitwandernden Freunde aus Koblenz kennen. Seit ein paar Jahren lebt er wieder auf Karpathos und unterstützt seine Mutter, die das nette Café vor vielen Jahren zusammen mit ihrem inzwischen verstorbenen Mann gegründet hatte. Ihre Herzlichkeit ist umwerfend. Der Kaffee sehr lecker.

Quartier beziehen wir im „Hotel Dólphin“, direkt oberhalb des alten Fährhafens. Mit tollem Blick. Abends essen wir – auf Empfehlung – im „Mezedopolíon to Ellinikón“. Die Auswahl ist zwar – vorsaisonsbedingt – nicht groß. Doch was es gibt, ist schmackhaft. Zufällig kommen später noch Yvonne und Phil vorbei. Bei einem Glas Ouzo diskutieren wir die aktuellen politischen Themen. Brexit. Trump. Türkei. Griechische Krise.

Tag 4
6. Mai 2017: Von Pigádia nach Arkássa, von der Ost- zur Westküste

Wir nehmen unser selbst bereitetes Frühstück auf dem Balkon ein und blicken dabei über den Ort, die Berge und das Meer.

Auf einem anderen Weg als gestern geht es heute zunächst zurück nach Menetés, vorbei an einer gigantischen Baustelle, einem geplanten Stausee zur Wasserversorgung. Einige Jahre ruhte das Projekt. Jetzt macht es den Anschein, als ginge es weiter. Zumindest sind Bagger zugange.

An der Kirche Ag. Triáda, kurz hinter Menetés, an der Straße in Richtung Arkássa, rasten wir, windumtost. Der weitere Weg hinunter bis zum Meer, nach Arkássa, geht sich sehr bequem und wartet unterwegs noch mit einem Kleinod auf, der Kapelle Ag. Mámmas. Ein winziges Kirchlein in Form eines Trullos, das heißt eines Rundhauses mit einer runden, spitz zulaufenden Dachhaube. Wie in Apulien. Wir kriechen durch den schmalen Zugang hinein. Innen finden sich Reste mittelalterlicher Fresken.

Karpathos, Trulli Kirchlein

Arkássa erreichen wir am Nachmittag. Wir können nur erahnen, wie trubelig es zur Hauptsaison zugehen mag. Der Ort ist einer der wenigen touristischeren Ziele, mit zahlreichen Unterkünften. Meist in Apartements. Auch dieser Ort hat Charme. Etwas versteckter. Der Vorzug ist vor allem ein langer, schöner Strand und die Nähe zur Hauptstadt bzw. dem Flughafen.

Unser Nachtquartier beziehen wir heute in den „Blue Sea Studios“ bei Irini. Dank ihrer Enkelin, die ihrer Oma gut zuredet, uns auch nur für eine Nacht zu beherbergen. In großzügig geschnittenen, im Küchenbereich etwas schmuddeligen Studios. Ausgestattet mit Soufá, früher Standard in den karpathiotischen Häusern: etwa die Hälfte der Einraumwohnung ist einem Holzpodest vorbehalten, über 2-3 Stufen erreichbar. Dieser höher gelegte Bereich dient als Schlafstätte für die ganze Familie. Darunter ist Platz für die Vorräte. In unserer neu erbauten Unterkunft ist die Soufá-Ebene ein folkloristisches Element.

Einige Familien auf der Insel haben die traditionellen Räume als Museum erhalten und zeigen gerne ihre gute Stube, samt all dem Kunsthandwerk und den Fotos der lieben Verwandten und Vorfahren. Die wenigsten leben noch wirklich damit.

Am Abend genießen wir auf der oberen Terrasse unserer Unterkunft einen klassischen, kitschig-schönen Sonnenuntergang über dem Meer, bevor wir sehr lecker in der einzig geöffneten Taverne bei „TakaTakaMam“ an der Platia speisen.

Tag 5
7. Mai 2017: Von Menetés bis Voláda

Nach einem Frühstück auf der Dachterasse, nicht nur mit direktem Meerblick sondern auch mit Meeresrauschen, lassen wir uns vom vorbestellten Taxi zurück bis Menetés bringen. Zu der Kapelle, an der wir gestern Rast machten. Damit sind wir gut beraten.

Die heutige Tour ist anstrengend. Vorbei an der Außensiedlung Stavrí und der raumgreifenden, muffelnden Insel-Müllkippe geht es hoch, auf den rotsteinigen Berg Troúlos (606 Meter hoch), dann wieder steil hinab durch leicht rutschiges, wegloses Gelände und wieder nach oben, bis Othós. Und Voláda.

Wir registrieren schon weit vor der eigentlichen Müllkippe überall in der Landschaft Farbtupfer. Plastiktüten in allen Farben. Der Inselwind verteilt sie über ein großes Gebiet. Möwen und Kolkraben machen sich in großen Scharen über die essbaren Reste her und tragen damit noch zusätzlich zu dieser traurigen Umweltbelastung bei. Wir wünschten, es gäbe spür- bzw. sichtbare Anstrengungen zur Müllvermeidung.

Karpathos, Wanderung Muelldeponie Plastik statt Blumen

Berückend schön ist unser Rastplatz, kurz vor dem Gipfel des Troúllos. Gefaltete Weltlandschaft. Und mit dem Wind spielende Kolkraben. Sie schweben direkt vor uns, geben ihre typischen, kurzen, eintönigen Laute von sich. Im nächsten Moment legen sie ihre Flügel an und stürzen sich in Pirouetten in die Tiefe, begleitet von einem Glucksen. Das muss vollkommenes Glück sein. Schwerelos im Hier und Jetzt! Schon alleine das Zuschauen ist eine Lust. Gestärkt davon wandern wir weiter hinauf und hinunter und wieder hinauf, bis Othós. Nach einer dortigen Pause in einem der beiden sich links und rechts der Straße gegenüberliegenden Tavernen gehen wir den Rest auf der Straße bis Voláda, ohne nennenswerten Autoverkehr.

Karpathos, Wanderung Menetes Volada Troullos Gipfel Othos

Unser Ziel ist zunächst die „Villa Voláda“, die wir tags zuvor über booking.com gebucht hatten. Aus einem Anflug von Sicherheitsdenken heraus. Doch warten wir dort vergeblich auf die Vermieter. Das wunderschöne Haus, mitten im Ort, liegt im Dornröschenschlaf. Im Innenhof duften Zitronenbäume. Die Fensterläden sind geschlossen. Wir können die Booking.com Buchung rückgängig machen.

Und finden unser Nachtquartier stattdessen bei der netten Konstantina. Einer nachdenklichen jungen Frau, die manches auf der Insel kritisch sieht. Gerne Veränderungen herbeiführen möchte. Müll. Sanfter Tourismus… Sie bittet uns um einen Eintrag in ihr Gästebuch, um unsere positiven und negativen Eindrücke zu schildern. Die gesammelten Kommentare geben ihr gegenüber der Inselverwaltung Argumente an die Hand. Um Verbesserungen auf der Insel anstoßen zu können. Wir hoffen mit ihr.

Die Unterkunft heißt sprechend „Volada View“. Es bietet sich uns von der Terrasse aus ein toller Blick auf den Ort und die dahinterliegenden Berge.

Zum Abendessen landen wir bei „Antónis“. Sowohl im Gastraum als auch im Wintergarten sitzen viele Männer. Zwischen 50 und 80 Jahren. Spielen Karten. Trinken und rauchen. Neu für mich ist das Bild der Männer, die – völlig versunken – auf den Bildschirm ihres Mobiltelefons oder Tablets starren.

Keiner stört sich an oder interessiert sich für uns. Wir sind einfach da und schlemmen Garídes (Garnelen) in Knoblauch-Öl-Tomatensoße. Eine köstliche Inselspezialität. Durch ein Missverständnis erhalten wir 4 Portionen davon.

Überhaupt speisen wir auf der Insel sehr gut. Die Chorta (verschiedene grüne Blätter, die gerade auf den Wiesen oder im Garten zu finden sind) schmecken ganz anders als auf der Peloponnes. Dort verwendet man viel Spinat und Mangold. Auf Karpathos ist wilde Zichorie untergemischt und andere mir unbekannte Blätter. Das Gemüse zeichnet sich durch eine herbe, aparte Note aus.

Wie oft schon sah ich reife Artischocken auf Feldern stehen, bei meinen Griechenland–Urlauben im Mai. Ohne, daß sie jemals ein Gasthaus serviert hätte. Doch dieses Mal komme ich gleich mehrfach in den Genuss dieser Inselspezialität. Als Omelette. Gekocht mit Kartoffeln. In Ei-Zitronen-Soße oder schlicht als Salat. Verwendet werden hier nur die Böden.

Karpathos, Artischocken

Die mit Reis und gelegentlich auch Hackfleisch gefüllten Weinblätter werden auf Karpathos zu kleinen, festen Dreiecken gewickelt. Lecker. Als eine weitere Vorspeisen-Spezialität gilt Fáwa, zu Brei verkochte, gelbe Platterbsen.

Herausragend sind auf der Insel die bunten, vielseitigen Choriátiki-Salate. Nicht einfach nur Gurke, Tomate, Zwiebel, Olive und Schafskäse. Dazu kommen hier Rot- und Weißkraut, wilde Zichorie, Möhre, Kapern und oft ein selbst hergestellter, noch frischer Ziegenkäse. Ein Manoúri. Weitaus schmackhafter als das, was man in Deutschland als Manoúri bekommt.

In den Orten des Nordens, wie Diafáni und Ólympos, sind noch viele öffentliche, gemauerte Öfen zu finden. Jede Familie backt ihre eigenen Sorten. Dunkles Roggenbrot. Aus vollem Korn gebackenes Weizenbrot. Mit Gewürzen. Überaus köstlich. Da bleibt mein Vorhaben, möglichst glutenfrei zu leben, gelegentlich auf der Strecke…

Tag 6
8. Mai 2017: Von Voláda zur Lástos-Hochebene

Die heute von uns anvisierte Wanderstrecke sieht auf der Karte nicht sonderlich schwierig aus. Voláda liegt auf 500 Metern, die Lástos-Hochebene auf etwa 700 Metern. Ich wähne uns auf der in der Anavasi-Karte gelb eingezeichneten Piste, die östlich um den Gipfel des Kólla herumführt. Erst später begreife ich, dass wir nicht auf dieser Piste wandern, sondern auf dem als KA12 bezeichneten Weg. Geleitet von GPS-Daten. Was wir da noch nicht wissen: Vor einigen Jahren ist ein großes Stück des Hanges abgerutscht. Und, dass uns als i-Tüpfelchen noch ein geländerloser Steg – mit einem zusätzlichen Felsüberhang – herausfordern und unsere Nerven noch mehr strapazieren wird, als zuvor der immer wieder geröllige, steil abfallende Pfad. Orientierungshilfe bietet meist die offen verlegte Wasserleitung.

Karpathos, Wanderung Volada Lastos Wasserleitung

Für etwa 3 Kilometer – bis zur Kirche Ag. Nikoláos – brauchen wir um die zweieinhalb Stunden. Dort heil angekommen, entzünden wir erst einmal eine Kerze, dankbar, nicht abgestürzt, sondern am Leben zu sein.

Stutzig hätte uns machen können, dass der Wanderweg KA12 weder in der Wanderkarte verzeichnet ist, noch im Reiseführer Erwähnung findet, in dem etliche Wanderung detailliert beschrieben sind.

Hinterher wissen wir es besser: Zu zweit wären wir vorsichtiger gewesen. Doch zu viert fühlten wir uns wohl unausgesprochen einander verpflichtet, nicht so schnell aufzugeben. Als wir dann schließlich doch am liebsten umgekehrt wären, liegen die heikelsten Stellen hinter uns. Die Hoffnung, dass das gefährliche Stück Weg endlich ein Ende hat, lässt uns vorwärts streben…

Diese Wegstrecke ist also nur etwas für schwindel- und angstfreie Menschen, die ein Abenteuer suchen. Ich würde das nächste Mal die Asphaltstraße zur Lastos-Hochebene wählen, die westlich um den Berg Kólla herumführt.

Den entspannten Rest des Weges, von der Kirche Ag. Nikoláos bis zur Tavérna „Kalí Límni“, wandeln wir auf einer Piste, teils durch ein wenig Wald, bis zur felsig-karstigen Hochebene. Wir freuen uns, am späten Nachmittag dort nicht nur Thanássis anzutreffen, sondern auch seine Frau. Obwohl wir unangekündigt kommen, erwarten sie uns bereits und servieren Kaffee und Tsípouro, leckeren, weich dem Gaumen schmeichelnden Trester-Schnaps. Vermutlich hatte unsere Zimmerwirtin Konstantína aus Voláda schon die Buschtrommel bemüht. Wie schön, dass wir unsere wandermüden Knochen nicht mehr weiter strapazieren müssen und hier übernachten können. In zwei sehr einfachen Zimmern eines umgebauten Stalls. Thanassis ist früh müde. Seine Frau fährt zurück in die Stadt. So fallen auch wir nach einem köstlichen Mahl recht bald in unsere Betten. Genießen absolute Stille und Dunkelheit. Nur die helle Mondnacht mit fulminantem Sternenhimmel wird uns vorenthalten. Es ist ausnahmsweise bewölkt.

Karpathos, Lastos Taverne Kali Kardia

Tag 7
9. Mai 2017: Von der Lástos-Ebene durch die Flaskia-Schlucht bis Ádia

Von hier aus könnten wir noch weitere Wanderungen unternehmen, zumindest jedoch den Gipfel des Kali Límni (1215 Meter) besteigen. Oder aber nach Norden auf einem alten Pfad bis nach Spóa weiter wandern. Wir entscheiden uns für die Schlucht-Wanderung hinunter an die Westküste, nach Ádia. Wie bei MM beschrieben. Die Tour ist ein echtes Highlight.

Auch für diesen Weg ist Schwindelfreiheit zumindest von Vorteil. Der Weg führt teils steil abwärts. Kein Wunder. Bis zum Meer steigen wir etwa 700 Höhenmeter hinunter. Die Ausblicke sind atemberaubend schön. Unser Ziel sehen wir schon von weitem. Es gibt Wachholdersträucher. Viele duftende Kiefern. Wir schweben auf weich-federndem Nadel-Boden abwärts. Kommen an einem rauschenden Bach vorbei. Oleanderbüsche blühen. Kurz vor dem Ende unserer Tour treffen wir auf zwei polnische Kletterer, die Klettersteige einrichten. An einer vorkragenden Felswand, die mich schwindeln lässt… Die Insel hat für Kletterbegeisterte einige Hotspots zu bieten.

Karpathos, Wanderung Lastos Adia Blick runter nach Adia

Auch heute sind wir bereits am Spätnachmittag am Ziel. Wir entscheiden uns für die Unterkunft „Kathy’s Studios“. Sieht schon von außen sehr ansprechend aus. Mit Liegen und Sitzgelegenheiten, über den ganzen Garten verteilt. Bunten Kissen. Wir schauen uns auf dem Gelände um. Werfen einen Blick in die offenen Zimmer. Treffen niemanden an. Ein Telefonat mit Kathy, der Besitzerin, bringt dann Klarheit. Der Koch kommt später. Bis dahin gehen wir erst mal zur benachbarten Taverne von Evdoxía und stärken uns ein wenig. Herrlich. Das Meer rauscht und schlägt Wellen. Nichts für mich zum Baden. Nur meine Füße dürfen ein Bad im Meer genießen. Nach der Wanderung ein besonderes Labsal.

Als wir zur Anlage zurückkommen, sind Alex, der rumänische Koch, und Alicia, seine peruanische Frau da. Sie unterstützen die Norwegerin Kathy, die die Anlage vor drei Jahren übernommen hat. Wir beziehen große, geschmackvoll eingerichtete Zimmer im oberen Stock, mit Moskitonetzen über den Betten. Zwar gibt es derzeit noch nicht viele Mücken, aber eine reicht, um einem den Schlaf zu rauben. Zudem inbegriffen: Meerblick und Meeresrauschen.

Karpathos, Adia, Aquarell, Martin Schmidt

Eine friedlich-freundlich-liebevolle Atmosphäre liegt hier in der Luft. Es finden immer wieder Yoga-Kurse statt. Vor allem Gruppen aus Norwegen sind zu Gast, die teils in den beiden benachbarten Anlagen wohnen. Im „Pine-Tree“ oder bei Evdoxía.

Abends werden wir hervorragend vegetarisch bekocht. Von Alicia und Alex erfahren wir, dass sie zum Ende der Saison weiter ziehen wollen. Sie planen für ihre gemeinsame Zukunft die Eröffnung eines eigenen geistigen Zentrums, irgendwo auf der Welt, zwischen Rumänien und Peru. Vielleicht aber kehren sie zur Saison im nächsten Jahr wieder zurück? Kathy und ihren Gästen wäre es zu wünschen, denn auch das Frühstück ist phänomenal lecker. Herausragend das nussige Obst-Porridge und ein Kichererbsen-Gemüse-Omelette.

Tag 8
10. Mai 2017: Von Levkós nach Messochóri

Kathy lernen wir erst heute kennen. Nach dem Frühstück kommt sie aus Pigádia herbeigeeilt, wo sie mit ihrer Familie lebt. Netterweise fährt sie uns zum Hafen von Levkós. Dort lassen wir unsere heutige Strecke beginnen. Laut MM eine der beliebtesten Touren auf der Insel. Das finden wir dadurch bestätigt, dass wir heute erstmals auf weitere Wanderer treffen.

Karpathos, Levkos Bucht

Gleich nachdem wir den verträumten Hafen von Levkós verlassen haben, steigen wir auf dem Gelände, das zwischen mehreren Baggern und dem aufgegrabenen Weg liegt, nach oben. Hier wird die Wasserleitung derzeit unter der Straße versenkt. Während der ganzen Inseltour begleitet uns oberirdisch immer wieder ein dicker Wasserschlauch. Gestern, kurz vor dem Ende unserer Wanderung, war an einer Stelle eine Verschlusskappe abgesprungen, und eine Fontäne sprudelte heraus. Wir schafften es, sie wieder festzuschrauben. Wer weiß, wo sonst Wasserknappheit geherrscht hätte…

Die heutige Strecke leitet uns durch eine bizarre, karstige Felslandschaft. Zunächst geht es an einer riesigen Höhle vorbei, deren Größe wir nur erahnen können. Die Gegend ringsum lässt eine ehemalige Siedlung vermuten. Ein Stückchen weiter liegt eine römische Zisternenanlage. Ein paar Stufen führen hinab. Im Halbdunkel sind, versteckt hinter Säulen, einige gewölbte Nischen zu erkennen.

Karpathos, Baumgerippe

Bevor wir nachmittags in Messochóri ankommen, durchwandern wir einen abgebrannten Wald. Verkohlte Stämme und Äste entwickeln als gespenstisch-bizarre Wesen ihr Eigenleben. Im Ort kommen wir ganz automatisch an den „Akrópolis-Studios“ vorbei. Wir treffen einen älteren Herrn an. Antónis. Er zeigt uns die Zimmer. Eins davon ist unbewohnbar: Die ätherischen Öle des dort lagernden Oregano lassen uns fast taumeln. Doch Gott sei Dank gibt es noch zwei weitere Appartements. Für die defekte Leuchtröhre in einem der Bäder wird rasch Ersatz gefunden. Die Zimmer sind wohltuend sauber und ordentlich: das Werk von Kalliópi, der Frau des Hauses. Wir werden erst einmal zu einem Begrüßungs-Kaffee eingeladen. Schlürfen diesen aus Bechern, verziert mit italienischsprachigen Comiczeichnungen. Antónis erfreut uns mit ein paar Brocken Italienisch. Wir sitzen in einem dunkel-kühlen Küchenraum, mit einigen Fotos an der Wand. Antónis als junger Mann. Die Kinder und Kindeskinder des Paares. Die Herzlichkeit der beiden und das Kalliópis Lachen sind umwerfend. Später geht sie mit uns hinunter ins Dorf und zeigt uns die Museums-Stube ihrer Familie. Dort ist sie aufgewachsen. An den Wänden die Fotos der Vorfahren, der Verwandten. Überall Gesticktes, Gehäkeltes. Tücher. Verzierte Tonwaren. Wohnen können sie dort allerdings nicht mehr. Das Haus ist nur zu Fuß erreichbar. Antónis schafft das nicht mehr.

Karpathos, Messochori

Dank unserer netten Vermieter fühlen wir uns schon nach wenigen Stunden in diesem Ort wie Zuhause. Bei einem Spaziergang durch Messochóri werden wir vor dem Lokal „Dramountána“ von der aus Polen stammenden Wirtin angesprochen. Sie fragt uns, ob wir die Panagía Kirche sehen möchten. Und ob. So geht sie mit und schließt die Pforten für uns auf. Es lohnt sich. Vor allem wegen einiger sehenswerter Fresken. Unter der Kirche sprudeln drei Quellen. Am Friedhof vorbei gelangen wir schließlich zur Kapelle Agia Sophia. Sie liegt atemberaubend schön in warmes Abendlicht getaucht, mitten in der Landschaft. Auf dem Rückweg nehmen wir noch einen Drink im „Dramountána“.

Zu Abend essen wir bei „Stéki“, nur ein paar Häuser von unserer Unterkunft entfernt. Genießen vom Balkon mal wieder einen schönen Sonnenuntergang. Dank der dort logierenden, französischen Senioren-Wandergruppe, geht es hier ausnahmsweise recht lebendig zu.

Karpathos, Messochori Abendstimmung

Ursprünglich hatten wir für den heutigen Tag vorgehabt, von Levkós bis Spóa zu wandern. Doch dort gibt es nach wie vor keine Übernachtungsmöglichkeit. Ein Telefonat am Vorabend hatte bestätigt, was auch im MM geschrieben steht: dass das/die Zimmer von Anthoúlla nicht zur Vermietung bereit sind. Und es auch keine Alternativen gibt.

Das Schicksal ist gut zu uns. Wir freuen uns, bei Kalliópi und Antónis zu Gast zu sein.

Tag 9
11. Mai 2017: Von Achmántia bis Ólympos (ca. 10 km)

Kalliópi organisiert für uns auch die Mitfahrgelegenheit für diesen Morgen. Díno, ihr Cousin und Wirt des Lokals „Stéki“, fährt uns – nach einem Frühstück dort – auf der erst seit 2012 geteerten Straße bis zu einem Abzweig ca. 7 km nördlich von Spóa. Eine atemberaubende Fahrt mit viel Weitblick und noch mehr Kurven.

Die Wanderstrecke kürzen wir damit auf ein angenehmes Maß ab und uns bleibt glücklicherweise ausreichend Zeit, bei Evgenía und ihrer Mutter Sofía samt ihrer riesigen Ziegenherde zu verweilen. Im Weiler Argóni. Sie laden uns ein, beim Melken zuzusehen. Der sehr aufmerksame Wachhund beruhigt sich schnell. Legt sich wieder in den Schatten. Eine mutterlos aufgewachsene, noch kleine Ziege erkennt die Gunst der Stunde und stupst ihr Köpfchen nacheinander an uns alle. Fordert Schmuseeinheiten ein und lässt sich mit sichtlichem Genuss von uns kraulen. Wir sind mindestens so hingerissen wie das Zicklein.

Karpathos, Ziegen melken

Schon nach kurzer Zeit erahnen wir, was für eine auch körperlich anstrengende Arbeit das ist. Etwa 50 Ziegen jeden Tag zu melken. Von Hand. Aber die beiden Frauen sind zu recht auch stolz auf ihre Leistung. Auf die hochwertigen Produkte, die sie herstellen und in ihrem Lokal „Drossiá“ in Ólympos den Gästen servieren. Auch Georgía, die Schwester von Evgenía, verarbeitet diese Produkte in ihrem Lokal „Zefíros“. Bei ihr werden wir an beiden Abenden unseres Aufenthaltes in Ólympos auf der Dachterasse die Sonne im Meer versinken sehen.

Was wir erst jetzt realisieren (wie ich später nachlese, steht es auch im MM): wir hätten auch in Argóni – nach Voranmeldung – bei Evgenía übernachten und somit unsere Wanderstrecke anders aufteilen können. Aber die Aussicht, zwei Nächte in Ólympos zu verbringen, gefällt mir ebenso gut.

Wir begegnen tatsächlich am selben Tag noch zwei weiteren Wanderern mit dem gleichen Ziel. Ein altgedienter, teils gepflasterter Pfad windet sich auf und ab. Bleibt dann irgendwann auf nahezu gleicher Höhe und führt westlich entlang des nördlichen Berges Profitis Ilías (davon gibt es auf dieser Insel gleich drei!). Am Ende der Tour wird es dann noch mal kurz spannend. Für Nicht-Schwindelfreie. Direkt vor dem Ortseingang. Ein schmaler Pfad führt über eine steile Geröllhalde. Ich bin froh, als ich wieder festeren Boden unter meinen Füßen spüre und einen Kaffee in nicht allzu weiter Ferne weiß. Wenn ich allerdings sehe, an was für Hängen die Menschen hier teils ihre Behausungen bauen, bin ich erneut beunruhigt… Das nenne ich Urvertrauen.

Karpathos kurz vor dem Ziel

Tag 10
12. Mai 2017: Ein Tag in Ólympos

Wir betreten die Ortsgasse. Diese wirkt wie ein privates Wohnzimmer. Auf der Gasse sitzt eine größere Paréa – eine Gemeinschaft von Menschen. Eine ältere Dame bedeutet uns, zum Kaffee zu bleiben. Doch verschwitzt und müde wie wir sind, lehnen wir dankend ab. Gehen weiter. Landen automatisch auf einer kleinen, schnuckeligen, trapezförmigen Platía. Dem Plätzchen nahe der Hauptkirche. Zwei Tavernen und ein Kafeníon sind geöffnet. Wir werden nun Teil einer filmreifen Szene: Eine Frau kommt auf uns zu. Auf ihrem Haupt balanciert sie einen geflochtenen Korb mit frisch gebackenen Sesamkringeln. Sogleich schenkt sie uns welche. Die Kringel sind noch warm. Sie kommen gerade frisch aus einem der Gemeinschaftsbacköfen.

Karpathos, Olympos, unsere Unterkunft Hotel Aphroditi

Bald schon finden wir eine Unterkunft, das „Aphrodíti“, direkt am Abhang in Richtung Westküste gelegen. Bei der Familie von Níkos Filipákis. Zwei etwas abgewohnte Studios mit bestem Panoramablick. Stille. Ein kleines Highlight hängt in unseren beiden Zimmern: je eine recht gut gelungene Kohlezeichung. Ein Frauen- bzw. ein Männerakt. Wir erfahren später, dass Níkos selbst sie gezeichnet hat. Als junger Mann studierte er in den USA Kunst, bis er seine Ausbildung abbrach und nach Ólympos zurückkehrte, um die Frau zu heiraten, die seine Mutter für ihn ausgesucht hatte. So schreibt es der MM-Reiseführer. Stattdessen widmet er sich der Fotografie. Wie sein Vater, der einst eine Fotografenlehre absolvierte und als Inselfotograf die Menschen und ihre Tätigkeiten dokumentierte. An einem Abend, nach dem Essen, legt uns Níkos den wirklich sehenswerten, von ihm zusammengestellten Fotoband vor. Der Band enthält viele brillante, historische Dokumente. Von seinem Vater auf Fotopapier gebannt. Filippos Filippakis, der August Sander von Karpathos. Bisher hat sich dafür kein Verleger gefunden.

Zum Frühstück – im Übernachtungspreis inkludiert – spazieren wir 100 Meter weiter zum Lokal unserer Vermieter, dem „Párthenon“. Am ersten Morgen ist es draußen zu kalt. Am zweiten können wir den Blick oben von der Terrasse auf den Ort und in die Weite genießen und uns von Nikos Frau und seiner Schwiegermutter umsorgen lassen.

Karpathos, Olympos, Kaffeepause im Parthenon

Unsere Tour über die Insel neigt sich nun ihrem Ende zu. Schade. Ólympos als Ausgangspunkt böte noch einige Wandertouren. Auf jeden Fall ein Grund, wiederzukommen.

Meine Knie sehnen sich aber angesichts der vielen Höhenmeter bergauf und bergab nach einer Erholung. Außerdem ist es auch ganz schön, den verwinkelten Ort – der sich beiderseits eines Bergrückens nach Ost und West erstreckt – mit etwas Muße zu durchstreifen. Die vielen versteckten Kirchlein zu entdecken. Die kleinen Hauskirchen verschiedener Familien des Ortes.

Wir landen bei dem einzig noch verbliebenen Schuhmacher, Jánnis Preáris, und erfahren, dass er bis zum heutigen Tag keinen Nachfolger hat. Er ist hier der Letzte seiner Zunft. Was wird aus der Tracht, die hier noch immer viel getragen wird und zu der, zumindest zu Festen und hohen Feiertagen, ein paar maßgefertigte Ziegenlederstiefel gehören? Jánnis fertigt zudem wunderschöne Taschen, Geldbeutel, Gürtel. Eine sichere Einnahmequelle. Das kaufen Touristen schnell mal, ein paar Maßschuhe aber nicht.

Wir werfen von außen einen Blick in den geöffneten Raum einer ehemaligen Schmiede, eher ein Museum als ein aktiver Handwerksbetrieb. Das lebendigste Handwerk auf der Insel ist sicherlich das Backenn, wie schon unter Tag 5 beschrieben. Auch die ein oder andere Handarbeit, genäht, gestickt, gestrickt, dürfte noch selbst ausgeführt sein. Es gibt in der Hauptgasse einige Souvenir-Shops, wo diese Waren, zum Beispiel Trachten-Kopftücher feilgeboten werden. Bevor wir uns wehren können, tragen wir zwei Frauen schon einen solchen Kopfputz. Die eine ein weißes, denn damit ist klar, dass sie noch „zu haben“ ist. Die andere bekommt ein schwarzes Dreieckstuch um den Kopf gewickelt, das Zeichen für eine bereits verheiratete Frau. Die Tücher sind bunt bestickt. An den Rändern hängen schillernde Perlen.

Karpathos, Olympos, Souvenir-Shop Wie bindet man das Kopftuch

Wir erleben Ólympos auch tagsüber ziemlich ausgestorben. Können uns in Ruhe im Museums-Wohnraum des Künstlers Vasilis N. Hatzivasílis (1918 – 2005) umsehen und uns die ausgestellten Werke von seiner Tochter erläutern lassen. Auf Griechisch, und das heißt wir erahnen mehr, als wir richtig verstehen. Vieles erklärt sich aber auch von selbst. Mythologisches. Christliches. Volkstümliches Brauchtum. Aus allen Bereichen schöpft Hatzivasílis auf seinen Gemälden, seinen bunt gefassten Reliefs und figural – ornamental gestalteten Balkon-Balustraden aus Beton. Sie lassen sich in Ólympos und Diafáni, dem letzten Ziel unserer Wandertour, auf Schritt und Tritt entdecken.

Karpathos, Olympos, Typische Balkon-Balustrade

Betritt man Ólympos vom anderen Ende – von Westen, dort, wo die Straße endet – wird schnell klar, was hier los sein kann. Ein Restaurant reiht sich an das nächste, ab und an unterbrochen von einem kunsthandwerklichen Geschäft. Wir gehen fast mit einem schlechtem Gewissen an den zahlreichen geöffneten, aber leeren Lokalen vorbei. Wir können schließlich nicht in allen Essen gehen.

Der einzige kleine Supermarkt des Ortes offeriert ein spärliches Portfolio an Waren. Dargeboten von einer glücklos wirkenden, tonlosen Dame. Im nahezu leeren Kühlregal schrumpeln Wurstscheiben in einer offenen Packung vor sich hin. Vielleicht kommen wir in einem ungünstigen Moment. Nahezu alles muss vom Festland importiert werden. Am Anfang, in Pigádia, gab es beispielsweise einen Joghurt-Engpass. Es mangelt gelegentlich am Nachschub.
Ursprünglich mag es in Ólympos mehr Windmühlen als Wohnhäuser gegeben haben. So zumindest hat es den Anschein. Unzählige Mühlen-Ruinen sind noch zu erkennen. Zwei von ihnen sind restauriert und funktionieren.

Tag 11
13. Mai 2017: Von Ólympos über Awlóna nach Diafáni

An unserem letzten Wandertag ist es fast schon zu heiß. Die Temperaturen haben innerhalb der vergangenen 10 Tage fast hochsommerliche Werte erreicht. Wie gut, dass wir heute noch mal ein bisschen durch Kiefernwald gehen dürfen, auf dem alten, gepflasterten Weg hinunter nach Diafáni.

Karpathos, Gepflasterter Weg nach Diafani

Zuvor jedoch kommen wir nach Awlóna. Wir sind zwar noch nicht hungrig, aber allemal durstig. Und die idyllische Taverne am Wegesrand ist überaus verlockend.

In den Ebenen um die Außensiedlung Awlóna hatten in früheren Zeiten die Ólymbiten ihre Felder. Dort wuchs ihr Getreide, das in den örtlichen Mühlen verarbeitet wurde. Heute werden viele der Getreidefelder nicht mehr bestellt. Trotzdem wird immer noch einiges Gemüse und Wein angebaut.

Auch in Diafáni haben wir schnell eine schöne Unterkunft. Im „Maistráli“. Direkt vorne am Meer, hinter dem Hatzivasilis – Brunnen. Als wir ankommen, wird dieser gerade geputzt. Anschließend schäumt das Wasser darin wie die Gischt des Meeres.

Karpathos, Diafani Brunnen Vasilis Hatzivasilis

Es ist still hier. Am Abend sitzen wir mit einem Dutzend weiterer Touristen im Lokal Coráli, essen sehr gut und haben das Glück, dass der Wirt Michális irgendwann seine Lyra hervorholt. Ein Gitarrist begleitet ihn. Sie singen, gelegentlich vom inbrünstigen Gesang einer griechischen Touristin begleitet, archaisch – melancholische Weisen in Moll. Unter den Gästen sitzt auch Níkos, „der Tausendsassa von Diafáni“, wie er bei MM heißt. Es dauert nicht lange und er fordert die Runde zum Tanz auf. Sein Reisebüro besuchen wir auch. Dort erwerben wir die Tickets für die Fähre, die uns morgen früh nach Pigádia zurückbringen wird.

Es wird spät. Wir können uns nur schwer von der schönen Stimmung losreißen. Die Musiker sind ausdauernd. Haben sich in Trance gespielt. Singen uns in den Schlaf. Die Töne wehen bis hinüber zu unseren Betten.

Tag 12
14. Mai 2017: Schifffahrt von Diafáni nach Pigádia

Die Fähre soll um 07:30 Uhr starten. Sie kommt aus Rhodos und fährt weiter über Kreta bis nach Piräus. Auch die Information, dass sich das Schiff, die Prevéli, verspäten wird, bekommen wir bei Níkos in seinem Büro. So ist noch Zeit für einen Kaffee, im Kafeníon „To Aktaío“, den uns die Wirtin Ánna serviert. Wie schon vor zwei Jahren auf der Peloponnes, ist es wieder eine alte Dame um die achtzig, die das Kafeníon alleine betreibt. Ihr Mann ist verstorben. Das Innere gleicht einem Museum. Das Gleiche in Ólympos beim Kafeníon „Tsamboúna“. Was wird aus all diesen historisch bedeutsamen, wundervollen Institutionen, wenn einst auch die Frauen nicht mehr auf dieser Welt sind? Wünschenswert wäre, wenn sich junge Menschen finden, die den Geist dieser Diskussions-Treffpunkte erhalten und diese weiterbetreiben. Wenn sich davon leben ließe…

Karpathos, Per Schiff zurueck nach Pigadia, die Faehre naht

Eineinhalb Stunden später erreichen wir Pigádia. Der Kreis schließt sich. Wir gehen im Café „Karpathos“ frühstücken. Ein Gast drückt uns die Visitenkarte seiner Unterkunft, den „Rósa Studios“, in die Hand. Zufällig ist das genau die Herberge, die wir zuvor schon als unser Wunsch-Domizil im Visier hatten. So stapfen wir nach dem Frühstück nur kurz den Berg hinauf und beziehen ein letztes Mal große Zimmer, mit Blick über den ganzen Ort und das Meer. Die Hitze und Müdigkeit schlagen zu und bescheren uns einen herrlich verschlafenen Nachmittag.

Am Abend bummeln wir dann an der Promenade entlang, kaufen hier und da ein paar Insel – Mitbringsel ein. Koulourákia. Pastéli. Und genießen noch ein letztes Mal die griechische Küche, heute im „Oréa Karpathos“, unweit des Hafenamtes. Wir stellen fest, dass sich seit unserer Ankunft am 3. Mai das Touristenaufkommen um einiges erhöht hat. Mehr Gewusel. Mehr Menschen in den Tavernen. Nun kann die Saison beginnen.

Karpathos, Pigadia, Abendstimmung Hafen

Unsere Zeit hier ist leider zu Ende. Das Propellerflugzeug startet am nächsten Morgen in aller Herrgottsfrühe. Eine einmalige Gelegenheit, unsere Wanderstrecke noch einmal aus der Luft zu betrachten. Die Orte. Die Berge. Die Täler. Zerzauste, windschiefe, gebeugte Kiefern. Steile Abhänge. Liebliche Matten. Wir lassen die Begegnungen Revue passieren. Teils noch sehr traditionell denkende, doch zugleich weltoffene, zugewandte Menschen.

Wir fühlen uns reich beschenkt. Ein zufriedenes Lächeln macht sich auf unseren Gesichtern breit. Und wirkt nach.

Text und Fotos: Doris Wieler. Lektorat: Michaela Prinzinger. Mehr Infos auf der Website der Autorin „Weitblickreisen“. Noch mehr Fotos zu Karpathos finden Sie hier.

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9 Gedanken zu „Karpathos erwandern“

  1. Liebe Katharina,

    das freut mich sehr. So ist es von mir gedacht. Um Erinnerungen zu wecken. Um gedanklich mitzuwandern oder es auch nachzutun. Um Lust auf die Insel zu machen, die Menschen, die Natur, die Kultur, etc.

    Es grüßt Dich Doris

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  2. Hallo Doris,
    ein wunderschöner Bericht und wie Katharina es schon schrieb, man trifft in ihm auf viele, liebgewonnene Bekannte. Michalis (Cafe Karpathos) kenne ich schon viele, viele Jahre; noch aus seiner Zeit als Lehrer in Troisdorf. Phil und Yvonne, das sympatische englische Paar durfte ich 2012 bei Irini Rigas kennenlernen. Du hast auch die negativen Punkte recht diplomatisch geschildert. Herzlichen Dank für diesen schönen Bericht, der mich an schöne Aufenthalte und Wanderungen erinnert hat.
    Gruß Marlis

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  3. Dieses wunderbar getextete Insel-Mitbringsel hat mir eine lästige Wartezeit auf dem Münchener Hauptbahnhof in eine blütenduftumwehte Kopfkino-Eskapade verwandelt – Danke, Danke.

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  4. Hallo Doris!
    Danke für diesen sonnigen Bericht! Ich war auch schon auf Karpathos und habe viele gute Erinnerungen an diese Reise. Auch ich habe in Díafani im Restaurant Coráli die Musik des “Chef’s” genossen. Es gibt Dinge, die bleiben einfach als wunderbare Erinnerung an Griechenland haften. Schön das diese Erinnerungen durch diesen Blog wieder lebendig werden.

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  5. Liebe Doris, wenn man über 80 ist, dazu ein bisschen geh- und ziemlich sehbehindert, dann ist ein Bericht wie Deiner über Karpathos ein großes Labsal! Du hast das alles so lebendig und inspiriert beschrieben, dass Deine Reise- und Entdeckungsfreude auf mich übersprang und ich mich fast so fühlte, als sei ich dabei gewesen und mitgewandert. Die schönen Fotos mit den teils ungewöhnlichen Motiven tun ein Übriges. Und ganz sicher ist dieser Bericht für alle “Nachwanderer” ein verlässlicher roter Faden. Herzlichen Dank von einer, die auf diese Weise ein wunderschönes Stück Welt genießen konnte!

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  6. Liebe Doris,
    gerade habe ich dein Wandertagebuch zum zweiten mal gelesen und ich fuehle mich fast schon, als ob ich dabeigewesen waere! Herrliche Kuesten, Orte und Landschaften und so viele Begegnungen mit den Menschen, die auf dieser Insel leben!
    Vielen Dank und liebe Gruesse,
    Susanne

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