Karneval in Naoussa

Artikel von Xanthi Hondrou-Hill

Dieser Beitrag ist auch verfügbar auf: Ελληνικά (Griechisch)

Heute ist Tsiknopempti, was man mit „Angebrannter Donnerstag“ übersetzen könnte. Der Brauch will, dass man an dem Tag das Essen bewusst etwas anbrennen lässt. Bis zum Beginn der Osterfastenzeit am sogenannten „Sauberen Montag“ herrscht noch zweieinhalb Wochen griechischer Karneval. An den beiden Wochenenden ist in der nordgriechischen Stadt Naoussa der Teufel los… Xanthi Hondrou-Hill beschreibt für diablog.eu das traditionelle Karnevalstreiben in ihrer Heimatstadt.

Am Sonntagmorgen ertönen erst laute Trommelschläge, die langsam beginnen und immer schneller werden… Dann gesellt sich die Klarinette in langsamem Rhythmus hinzu und lockt den „Jenitsaros“ auf den Balkon. Er erscheint mit einer weißen Maske vor dem Gesicht, streckt die Hände in den Himmel und schüttelt sich. Die Münzen an seinem Kostüm klimpern dazu im Takt.

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Karneval in Naoussa, Der Jenitsaros, ©Natasa Sevastidou

Mit diesem Begrüßungsritual beginnt der traditionelle Karneval in Naoussa in der Region Zentralmakedonien. Die Häuser der Tänzer sind offen für alle Besucher. Ob Freunde, Bekannte oder Fremde, alle sind willkommen.

An den zwei Sonntagen nach dem sogenannten „Tsiknopempti“, dem Faschingsdonnerstag, der dieses Jahr auf den 16. Februar fällt, feiert ganz Naoussa Karneval. Ein Hauptanziehungspunkt sind die Boules (der Jenitsaros mit der weißen Maske vor dem Gesicht heißt Boula), die in ihren traditionellen Trachten durch die Straßen der kleinen Stadt im Norden Griechenlands tanzen und ein uraltes Ritual zelebrieren. Jedes Jahr strömen viele tausend Menschen an diesen beiden Wochenenden in das Städtchen, um an dem Ritual teilzunehmen. Es ist ein einzigartiges Erlebnis, das auch viele Menschen aus dem Ausland in seinen Bann zieht. Belgier und Deutsche, sogar Chinesen kamen letztes Jahr, um den Umzug mit seinen traditionellen Tänzen zu erleben. Für einen störungsfreien Ablauf werden die Innenstadt abgesperrt und Parkmöglichkeiten am Standrand eingerichtet. Alles wird für die herbeiströmenden Touristen möglichst angenehm gestaltet, denn den Menschen aus Naoussa ist es wichtig, dass „unsere Gäste Naoussa in ihr Herz schließen!“

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Karneval in Naoussa, ©Natasa Sevastidou

Das Ritual vollzieht sich in drei verschiedenen Etappen: Morgens wird der Jenitsaros öffentlich von der Familie mit seiner traditionellen Tracht ausgestattet. Dafür werden mehrere Personen benötigt, denn der Tänzer darf sich nicht selbst ankleiden. Manche Teile der Tracht werden auch heute noch von Hand zusammengenäht, damit sie beim Tanzen nicht verrutschen. Diese Prozedur kann unter Umständen bis zu zwei Stunden dauern. Der Rest der Familie schaut zu und erklärt Freunden und Fremden, was die Kleidungsstücke bedeuten. Danach werden die Tänzer regelrecht zusammengetrommelt. Die Musikanten gehen mit zwei Mitgliedern der Tanzgruppe durch die Straßen und locken die Tänzer mit ihrer Musik erst auf die Balkone und dann auf die Straße. Dabei wird noch nicht getanzt. Die Tänzer verabschieden sich von ihren Familien, als würden sie auf große Reise gehen und begrüßen ihre neue Gruppe, indem sie auf einem Bein hüpfen. So geht es von Haus zu Haus, bis um die Mittagszeit die gesamte Gruppe versammelt ist.

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Karneval in Naoussa, ©Natasa Sevastidou

Die zweite Etappe findet vor dem Rathaus statt. Hier treffen alle Tanzgruppen ein und bitten den Bürgermeister um Erlaubnis, mit dem Umzug beginnen zu dürfen. Alle warten gespannt, und sobald das Zeichen gegeben worden ist, beginnt der Tanz! Vom Rathaus aus tanzen alle Gruppen ihre festen Routen durch die Straßen, bis es Abend wird. An bestimmten Punkten werden mehrere tänzerische Pausen eingelegt, bei denen jeder Tänzer seine Fertigkeiten zeigen kann. Familien, Freunde und Fremde beobachten während dieser zwei Phasen das Geschehen nur als Zuschauer. Unabhängig vom Wetter und der Zuschauermenge beginnen die Tänzer das Ritual morgens und beenden es erst abends. „Für uns Tänzer ist es fast ein magisches Ereignis. Manchmal haben wir das Gefühl, als würden wir von jemand anderem geführt“, sagen viele. Sie können durch die kleinen Öffnungen in der Maske fast nichts sehen, tragen ein bis zu 25 Kilo schweres Kostüm, und das zum Kostüm gehörende Schuhwerk ist hart und unbequem. Dennoch gibt es inzwischen viele Tanzgruppen, die jedes Jahr an diesem Umzug teilnehmen.

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Karneval in Naoussa, ©Natasa Sevastidou

Zum Sonnenuntergang treffen sich alle für die dritte und damit letzte Etappe auf dem Alonion-Platz, wo die Enthüllung stattfindet. Die Tänzer nehmen dann ihre Masken ab, die sie während des gesamten Tages getragen haben. Am späten Nachmittag schließt das Ritual mit einem Straßenfest. Man begrüßt und umarmt sich, als ob man sich ewig nicht gesehen hätte, oft mit Tränen der Rührung in den Augen. In den Häusern am Platz stehen die Menschen auf ihren Balkonen, um an diesem Augenblick der Freude teilzuhaben. Die Türen sind offen, so wie auch schon zu alten Zeiten. Auf der Straße stehen Tische mit Speisen und Getränken für die Tänzer, etwas zum Aufwärmen, ein Stuhl zum Ausruhen – bis die nächste Gruppe eintrifft, und es von neuem beginnt. Die Musik wird fröhlicher. Dies ist der Augenblick, auf den alle gewartet haben. Die Einheimischen machen Platz für die Fremden: „Das sind Kostas und Eleni aus Athen. Sie sind zum ersten Mal hier. Lasst sie nach vorne, damit sie besser sehen können!“ Das ist Integration auf lokaler Ebene.

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Karneval in Naoussa, ©Natasa Sevastidou

Dieses Ritual hat viele Anhänger, die eigens dafür jedes Jahr in die ehemalige Textilindustriestadt kommen. „Wir fühlen uns hier heimisch“, sagen Reiner und Vicky repräsentativ für eine Gruppe Deutscher. Durch den Karnevalsumzug, den Wein und die Gastfreundschaft, die sie durch Freunde in Deutschland kennengelernt haben, ist Naoussa nun ein zweites Zuhause für sie geworden. Inzwischen sprechen beide auch Griechisch und diskutieren heftig mit über die Herkunft des Karnevalsrituals. Die Meinungen darüber gehen ziemlich weit auseinander. Manche denken, dass es seine Wurzeln in der Zeit der Revolution hat, in der sich Naoussa im Freiheitskampf den Titel „Heroische Stadt“ verdient hat. Andere meinen, dass es sich um heidnische Frühlingsrituale handelt. Wieder andere sind der Ansicht, dass das Ritual mit der sagenunwobenen Unsterblichkeit Alexanders des Großen zu tun hat. Die Gefolgsleute Alexanders sollen ihn hier in der Gegend begraben und das Ritual nach Naoussa gebracht haben, damit nicht herauskommt, wo das Grab genau liegt. Was Reiner und seine Freunde an Naoussa so anzieht, sind die spannenden historischen Hintergründe, um die sich viele Geheimnisse ranken…

Text: Xanthi Hondrou-Hill. Fotos: Natasa Sevastidou.

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5 Gedanken zu „Karneval in Naoussa“

  1. Liebe Redaktion des diablogs, ich möchte mich ganz herzlich für die Veröffentlichung meines Artikels bedanken. Ihr macht Deutsch-Griechische Begegnungen möglich und es ist eine Freude für mich Teil dieser Begegnung zu sein. Ich wünsche Euch viel Erfolg für die Zukunft.

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    • Liebe Xanthi, wir danken für den schönen und lehrreichen Beitrag auf unserer Website! Wir möchten euch allen eine Stimme geben, wenn ihr etwas über eure Stadt, über euer Dorf, über eurer Leben zu erzählen habt, das für die deutsch-griechische Agenda unserer Initiative von Belang ist.

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  2. Sehr schöne Homepage. Der Bericht über Fasching in Naoussa gefällt mir gut, leider sind wir erst wieder an Ostern (so bald schon) wieder in Griechenland.

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  3. Tsiknopempti, Tsiknadonnerstag, griechisch Tsikna, aus altgriech. knissa, laut Liddell-Scott “steam and odour of fat which exhales from roasting meat, smell or savour of a burnt sacrifice”.
    Mit einer frei erfundenen Tradition, dass man angeblich an dem Tag das Essen bewusst etwas anbrennen lässt, hat das nichts zu tun, sondern mit ritualisiertem Karneval-Fleischkonsum.

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