Die Früchte unserer Erde

Eine kleine Zeitreise mit Angelina Pikoula

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Trauben und Oliven: Früchte der griechischen Erde. Die junge Autorin Angelina Pikoula, die in Berlin studiert, nimmt uns mit auf eine Zeitreise in das Dorf ihrer Vorfahren auf der Insel Korfu.

Erinnerungen sind fast immer mit Jahreszeiten verbunden. Deshalb ist der Monat September ein besonders wichtiger, denn mit ihm ändert sich die Jahreszeit und es kommt ein besonderer Moment für all jene, die von der Landwirtschaft leben, genauer gesagt vom Weinanbau. Die Oliven können erst später geerntet werden, im November oder Dezember. Deshalb ist mein Geburtsmonat für mich mit dem Duft frisch gestampfter Trauben verbunden. Mit dunkelroten Füßen und Händen. Den Wein, den wir herstellten, nannten wir „den Schwarzen“, denn so war seine Farbe: tiefrot, beinahe schwarz.

Olivenpresse

Selbst wenn sich manchmal versehentlich ein paar helle Trauben unter die dunklen mischten, schafften sie es nicht, diese tiefe rotschwarze Farbe aufzuhellen. Ich erinnere mich, dass die Ölmühle häufig der Ort war, an dem die Familie zusammenkam. Auch alle Früchte kamen hier zusammen, weil man hier die passenden Geräte hatte. Natürlich wurden die saftigen Trauben in einem hölzernen Bottich auf Großvaters Hof gestampft. Bei dieser Art des Kelterns fiel alle Müdigkeit von den Arbeitern ab und sie wirkte zugleich wie eine seelische Reinigung. Später wurde Zucker hinzugefügt, falls dies nötig war. Und was von den Trauben übrigblieb, kam in die Presse. Die Gewinnung des Mostes war in dieser Jahreszeit jedes Mal aufs Neue wie ein kleines Wunder.

Und während der Wein mit dem September liebäugelte, kamen die Oliven erst später und ermunterten auch während der kälteren Monate zur Arbeit. Unsere Olivenbäume waren hoch, was die Ernte der Früchte erschwerte, weil wir mit den Stangen die Oliven nicht erreichten. Unter dem gesamten Geäst des Olivenbaums mussten Netze ausgebreitet werden, sonst gingen wertvolle Früchte verloren. Unsere Finger verfingen sich in den Netzen und wurden von der stundenlangen Arbeit wund. Wenn die Ölbäume gesund sind, tragen sie bis in den April hinein Früchte.

Es war ein Zusammenspiel paralleler Arbeitsabläufe: Die geernteten Oliven wurden in Säcke gefüllt und zur Ölmühle gebracht, um dort verarbeitet zu werden. Ich selbst habe nie gesehen, wie sich der riesige Mühlstein durch die Zugkraft der Pferde in Bewegung setzte. Ich kam erst in einer späteren Zeit zur Welt, als diese Arbeit schon von Maschinen übernommen worden war. Wenige Jahre zuvor aber glänzten die Oliven dort noch im Dämmerlicht, während sie unter dem runden Mühlstein zusammengepresst wurden, damit sie ihre Flüssigkeit abgaben. Damals übernahmen noch Esel oder Pferde die schwere Aufgabe, die Mühle anzutreiben. Deshalb war die Pflege der Tiere wichtig. Der kleine Stall neben der Ölmühle diente den Pferden als Unterstand und als Holzlager für den Winter.

Olivenpresse

Die Ölmühle, von der hier die Rede ist, gehört zu unserem Familienerbe. Obwohl sie mittlerweile nicht mehr genutzt wird – im Gegensatz zu früher, als meine Großeltern und Urgroßeltern ausschließlich von dieser Arbeit lebten –, ist sie noch immer in gutem Zustand. Es ist komisch, dass die Vergangenheit schließlich eine größere Kraft entwickelt als die Zukunft, indem sie uns Erinnerungen hinterlässt, die in unseren Köpfen lebendig bleiben. Wie ich von meiner Großmutter und meinem Vater erfuhr, ließ mein Urgroßvater Digenis die Ölmühle um 1900 errichten. Die Maschinen zeugen vom Geburtsjahr der Mühle: „Maschinenfabrik Prometheus 1908“ steht auf der riesigen Presse.

Mein Vater spricht voller Begeisterung von seinem Großvater Digenis. Er war es, der um das Jahr 1900 Bauarbeiter aus der Umgebung holte, die zusammen mit der Familie aus einfachen Materialien wie Stein, Lehm und Kalk die Mühle bauten. Das Dach wird von Balken aus Zypressenholz getragen und ist mit Ziegeln gedeckt. Neben dem großen Raum gibt es in der Mühle noch weitere kleinere Räume, die vor allem als Lagerräume dienten (für Wein- und Ölbehälter, aber auch für Essig). „Denk immer daran“, sagte mein Vater zu mir. „Wein braucht Dunkelheit und Feuchtigkeit, sonst wird er sauer. Oliven sind weniger empfindlich.“

In der Ölmühle gibt es natürlich noch andere alte Werkzeuge (vor allem zur Feldarbeit), viele von ihnen sind nutzlos geworden und werden nicht mehr verwendet. Trotzdem geht von ihnen auch nach all dieser Zeit noch immer derselbe Zauber aus. Die Presse spielte eine zentrale Rolle in den traditionellen Ölmühlen. Damals bedeutete sie eine wichtige Innovation. Ihr Einsatz ist dagegen keineswegs einfach, sondern sehr mühsam und zeitaufwendig, da die Flüssigkeit nur sehr zäh und langsam aus der Olivenmeische herausquillt. Als es noch keine Maschinen dafür gab, musste der Arbeiter selbst Körperkraft aufwenden, indem er sich mit der Schulter gegen den beweglichen Hebel stemmte und ihn mit seiner ganzen Kraft nach oben drückte. So sammelte man das rohe Olivenöl, das in ein Becken lief und dort mit kochend heißem Wasser gemischt wurde.

Olivenpresse

Es gibt so vieles, das man ausdrücken möchte, wenn man die Erinnerung tief – und dennoch frisch und einzigartig – in sich verwurzelt fühlt. Die Geschichte gibt nicht nur Auskunft über die Herkunft eines Menschen, sondern auch über ihn selbst. Deshalb begreift man die eigene Existenz besser, sobald man sich auf eine Zeitreise einlässt, denn die Zeit ist unsterblich. Zuweilen reichen aber Worte nicht aus, um in der menschlichen Vorstellung Bilder entstehen zu lassen, die stark genug wären. Deshalb beschloss ich, meine Geschichte – meine eigene und die meiner Vorfahren – durch Fotografien zu ergänzen, die das festhalten, was die Zeiten überdauert.

Die Ölmühle ist seit Generationen im Besitz der Familie von Xenofon Pikoulas. Die Fotoreihe und dieser Artikel sind meiner Familie gewidmet in Pikoulatika, diesem wunderbaren kleinen Dorf „der Kleinen“ auf der Insel Korfu, in dem ich aufwuchs, sowie auch den Bewohnern dieses Dorfes, die den Namen „Pikoulas“ (vom italienischen piccolo = klein) weiter pflegen und bewahren.

Text und Fotos: Angelina Pikoula. Übersetzung: Ina Berger.

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