Die Finanzkrise und das Image Deutschlands in der griechischen Presse

Eine Studie von Alexianna Tsotsou

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Imagewandel: Ein wichtiges Thema im deutsch-griechischen Verhältnis, dem sich auch diablog.eu verschrieben hat. Alexianna Tsotsou untersucht in ihrer Dissertation das mediale Bild Deutschlands, lesen Sie bei uns eine kleine Zusammenfassung ihrer Recherchen zur Umwertung von Stereotypen vor und nach Eintritt der Krise.

Seit 2010 und dem Beginn der Finanzkrise in Griechenland stellen viele griechische Zeitungen Deutschland und seine Rolle in der Bekämpfung der Krise negativ dar und ziehen Verbindungen zum Zweiten Weltkrieg.

Aus Anlass der Finanzkrise, der Rolle Deutschlands und der Haltung der griechischen Presse tauchen viele Fragen auf: Welches war das Image Deutschlands in der griechischen Presse vor der Finanzkrise? Ist es einheitlich in den verschiedenen Zeitungen? Wie und warum hat es sich im Laufe der Zeit verändert? Gibt es einen stabilen Teil des Images? Welche Rolle spielen die sprachlichen Mittel zur Konstruktion dieses Images?

Da, wo Hitler gescheitert ist, Europa mit militärischen Mitteln zu erobern, wird es dem heutigen Deutschland durch Finanzdisziplin gelingen. Herzlich willkommen im Vierten Reich!

(Tageszeitung Ta Nea vom 03.12.2011)

Dieser Ausschnitt aus dem Kommentar einer der größten und wichtigsten griechischen Zeitungen repräsentiert eine Meinung, die von vielen Journalisten und Bürgern in Griechenland in den letzten Jahren geäußert wird und verschiedene Stereotype über Deutschland – wie deutsche Disziplin und deutsche Herrschaftsbestrebungen – beinhaltet.

Vor der Finanzkrise in Griechenland

Die Darstellung Deutschlands in der griechischen Presse hat sich seit dem Beginn der Krise erheblich verändert. Im Zeitraum 2001-2009 war Deutschland für die griechische Presse ein internationales Thema im Bereich der Politik und der Wirtschaft, für das sich die griechischen Politik- und Wirtschaftszeitungen interessierten, wobei auch Kultur, Literatur, Wissenschaft und Fußball häufig auftauchten und das Deutschlandbild positiv prägten.

Die Macht und die führende Rolle Deutschlands in der Europäischen Union wurde positiv interpretiert, weil das Land folgendermaßen dargestellt wurde: Es setze sich aktiv für die europäische Integration ein und sorge für den Weltfrieden, während der Zweite Weltkrieg zumeist als eine von Deutschland überwundene Vergangenheit präsentiert wurde. Da der politische mit den historischen Diskurs in Bezug gesetzt wird, entsteht ein Kontrast zwischen dem historischen Deutschland des Krieges und dem modernen Deutschland des Friedens. Nebenher werden den deutschen Akteuren – den Politikern, den Zeitungen und den Universitäten – direkt positive Eigenschaften zugeschrieben, indem sie als verlässlich, wichtig, berühmt, diszipliniert und wagemutig charakterisiert werden.

Ilias Makris, Karikatur
Hallo Alexis, vielen Dank für die Torte! Ist die zum Essen? Die sieht mir ein bisschen antik aus! Kathimerini, 18.9.2017, ©Ilias Makris

Deutsches Europa

Seit 2010 hat sich das Image Deutschlands gewandelt und es kann im Allgemeinen als negativ charakterisiert werden. Aufgrund der Finanzkrise und der Rolle Deutschlands als mächtigstem Akteur in der Eurozone macht sich eine Interessensverlagerung seitens der griechischen Presse bemerkbar. Deutschland ist nunmehr kein internationales, sondern ein innenpolitisches Thema für Griechenland, in dessen Umfeld die Pläne zur Rettung Griechenlands, die Schulden, das hohe Defizit, die Gefahr des Staatsbankrotts, die harten Sparmaßnahmen und die Verhandlungen zwischen Griechenland und der Eurozone bzw. Deutschland am häufigsten auftauchen.

Obwohl die Machtposition und führende Rolle Deutschlands in der Europäischen Union vor der Krise durchaus positiv gesehen wird, gelten ein und dieselben Verhaltensweisen jetzt als ethnozentristische Herrschaftsbestrebungen zur Durchsetzung der von Deutschland diktierten Bedingungen. Selbst deutsche innenpolitische Themen wie Bundestagswahlen werden als Faktoren angesehen, die Griechenland entscheidend beeinflussen können, weil Deutschland nunmehr als entscheidender Akteur für Politik und Wirtschaft Griechenlands betrachtet wird.

Immer wieder taucht der stereotype Ausdruck vom „Deutschen Europa“ in den Leitartikeln der größten griechischen Zeitungen auf. So hat die Tageszeitung Kathimerini ein gemäßigtes politisches Profil mit einer Vielfalt von Ansichten und Perspektiven, die ein weites Meinungsspektrum eröffnen: Auf der einen Seite wird das Bild eines von Deutschland dominierten Europas entworfen, und auf der anderen Seite die Hilfe Deutschlands oder der Versuch der Eurozone, eine komplexe Krise zu überwinden, hervorgehoben. Die maßvolle und neutrale Haltung der Kathimerini gegenüber Deutschland und seiner Rolle in der Krise hat mit der Absicht der Zeitung zu tun, die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Ländern in den Mittelpunkt zu stellen.

Die Wochenzeitung To Vima konzentriert sich mehr auf die deutschen Herrschaftsbestrebungen, so dass der Ausdruck „Deutsches Europa“ im Zeitraum 2010-2013 ganze 56-mal in ihren Leitartikeln erscheint (im Vergleich dazu: 23-mal in Ta Nea und 15-mal in Kathimerini), während Ta Nea weitere negative Eigenschaften der deutschen Finanzpolitik thematisiert, nämlich dass sie falsch, ineffektiv und neoliberal sei und zur fortdauernden Krise in Griechenland beitrage.

Der Zweite Weltkrieg und die Verschwörungstheorien

Der Zweite Weltkrieg wird ab 2010 häufiger als vor der Krise thematisiert und zeichnet ein negatives Deutschlandbild. In diesem Themengebiet spielt wieder die Interessensverlagerung seitens der griechischen Presse eine Rolle: Der Zweite Weltkrieg steht hauptsächlich aufgrund der griechischen Forderungen nach Kriegsentschädigungen im Vordergrund, wodurch man betont, dass nicht nur Griechenland Deutschland Geld schuldet, sondern auch umgekehrt.

Dennoch taucht der Zweite Weltkrieg nicht nur in Bezug auf Kriegsentschädigungen auf, sondern auch durch die Vermengung des politischen und wirtschaftlichen Diskurses mit dem historischen. Darin spielt er eine wichtige, aber ganz andere Rolle als vor der Finanzkrise: Deutschland wird nicht mehr als ein Land wahrgenommen, das seine Vergangenheit abgeschüttelt hat, sondern als ein Land, das – genau wie in seiner Vergangenheit – andere Länder unterwerfen will.

Ein weiterer stereotyper Ausdruck, nämlich der vom „Vierten Reich“ zielt auf die Wechselbeziehung des heutigen Deutschlands mit dem Dritten Reich der NS-Zeit ab und fungiert als eine simplifizierte Verknüpfung, um die Herrschaftsbestrebungen Deutschlands lebhaft und nachdrücklich zu betonen. So werden extrem negative Meinungen geäußert, die Deutschland als Nutznießer und als Usurpator Griechenlands und Europas darstellen, indem es die Verarmung anderer Länder in Kauf nimmt, um sie zu unterwerfen. Diese Verschwörungstheorien erscheinen häufiger in To Vima, während Kathimerini und Ta Nea zurückhaltender reagieren.

Ilias Makris, Karikatur
Wir tun, was wir können, für die Flüchtlinge aus der Türkei. – Und wir für die Wissenschaftler, die aus Griechenland flüchten. Kathimerini, 12.11.2015, ©Ilias Makris

Helmut Schmidt und die europäische Integration

Das negative Deutschland-Image ist aber bei weitem nicht einheitlich. Die linksliberalen Tageszeitungen To Vima und Ta Nea unterteilen die deutschen politischen Akteure in zwei Gruppen: jene, die als europafreundlich und folglich positiv charakterisiert werden, und jene, die sich allein für die deutschen Interessen einsetzen. Die ersten werden als der SPD, die zweiten als der CDU nahestehend bezeichnet – und somit anders verortet als die politische Position von To Vima und Ta Nea.

Beide griechischen Zeitungen gehen auch auf Helmut Schmidt ein, der die Vision eines geeinten Europas forcierte und damit einen entgegengesetzten Standpunkt vertrat zur heutigen deutschen Regierung. Man kann von der Bildung sogenannter Eigen- und Fremdgruppen* sprechen. Diese Bezugnahme auf Schmidt als Verbündeten Griechenlands, der zur Eigengruppe gehört, der positiv als Verfechter der europäischen Idee dargestellt und dessen Meinung benutzt wird, um die Ansichten des jeweiligen Redakteurs über die negative Rolle Deutschlands zu untermauern, ist eindrucksvoll: Vor der Krise erschien im Zeitraum 2001-2009 der Name des ehemaligen deutschen Kanzlers in den griechischen Zeitungen nur 32-mal, während er im Zeitraum 2010-2013 gleich 116-mal genannt wird.

Ebenso bemerkenswert ist, dass in den Artikeln seine Äußerungen in direkter Rede zitiert werden, während die Äußerungen von Merkel, Schäuble und anderer CDU-Politiker nur in indirekter Rede. Diese Auswahl hat mit der Absicht des Redakteurs zu tun, vorteilhafte Äußerungen konkret zu zitieren, damit sie vertrauenerweckend wirken und die Meinung des Redakteurs untermauern, während die zur eigenen Meinung gegenätzlichen Äußerungen, als indirekte Rede zitiert werden. In diesem Sinne erscheinen die Äußerungen der deutschen Politiker, die zur Eigengruppe gehören, direkt und detailliert, während die der Politiker der Fremdgruppe durch den Redakteur interpretiert werden.

Das kommunistische Blatt Risospastis

Die Tageszeitung Risospastis zeichnet ein Deutschlandbild, das von ihrer kommunistischen Ideologie geprägt ist und sich daher von den anderen griechischen Zeitungen wesentlich unterscheidet. Die positive oder negative Darstellung des Deutschlandbildes in Risospastis hat weniger mit der Finanzkrise, als mit der Frage zu tun, ob es um Ost- oder Westdeutschland geht bzw. DDR oder BRD. Der deutsche Osten stellt für Risospastis die Eigengruppe dar, zu der auch Ikonen des deutschen Kommunismus wie Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg gehören, die deutschen Gewerkschaften, die deutschen sozialistischen und kommunistischen Parteien sowie der Teil des deutschen Volkes, der arm, arbeitslos oder unterbezahlt ist und in widrigen Umständen lebt.

In Risospastis setzt sich die Eigengruppe aus Vertretern des Kommunismus oder aus Personen zusammen, die den Kommunismus vor dem Kapitalismus bewahren sollten und könnten, und die Fremdgruppe aus Gegnern des Kommunismus, nämlich dem heutigen deutschen Staat und den deutschen kapitalistischen politischen Mächten. Vor diesem Hintergrund wird das Image Deutschlands nicht von der Wirtschaftskrise und der Eimischung in die griechischen Politik und Wirtschaft bestimmt, da der Fokus der Zeitung ausschließlich auf die Unterscheidung zwischen Kommunisten und Kapitalisten ruht. Entscheidendes Kriterium für die Einordnung eines Akteurs in die Fremdgruppe und dessen negative Charakterisierung ist für Risospastis dessen Gegensatz zum Kommunismus und nicht seine deutsche Nationalität, die in den anderen Zeitungen seit Beginn der Krise stets als Manko betrachtet wird.

Die Themengebiete, auf die Risospastis sowohl vor als auch seit dem Beginn der Krise Bezug nimmt, sind für diese Art von Haltung und den Vergleich zwischen beiden politischen Systemen typisch. Die drastischen Reformen der Agenda 2010 und die schlechte wirtschaftliche Lage Deutschlands nach der Wiedervereinigung verdeutlichen die Nachteile des Kapitalismus. Risospastis bezieht sich wesentlich häufiger als andere griechische Zeitungen auf die Kriegsentschädigungen und stellt das heutige, vereinigte Deutschland als Klassenfeind dar. Sowohl die Kriegsentschädigungen als auch die Verweise auf den Zweiten Weltkrieg nutzt die Zeitung zum Entwurf eines negativen Deutschlandbildes.

Fazit

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Finanzkrise das Image Deutschlands in den meisten griechischen Zeitungen entscheidend geprägt und verändert hat. Grundlage dieser Veränderung ist eine Neuinterpretation von vorhandenen stereotypen Zuschreibungen (wie z. B. „Macht“ und „Disziplin“), denen plötzlich völlig andere Werte zugeordnet werden – positive vor der Krise und negative im Verlauf der Krise.

*Die gegensätzlichen Begriffe Eigengruppe (engl. Ingroup) und Fremdgruppe (engl. Outgroup) werden in den Sozialwissenschaften verwendet, um Gruppen zu unterscheiden, denen man sich zugehörig fühlt und mit denen man sich identifiziert, und Gruppen, auf welche dies nicht zutrifft.

Der Artikel fasst die Ergebnisse der Dissertation von Alexianna Tsotsou zusammen, die an der Universität Hamburg eingereicht wurde. Das Buch ist hier https://verlagdrkovac.de/978-3-339-10338-3.htm verfügbar.

Text: Alexianna Tsotsou. Redaktion: A. Tsingas und M. Prinzinger. Illustrationen: Ilias Makris. Lesen Sie unser diablog-Interview mit dem Karikaturisten Ilias Makris hier.

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