Die ewigen, immer noch unbeantworteten Fragen

Interview mit Sokratis Malamas, Musiker

Dieser Beitrag ist auch verfügbar auf: Ελληνικά (Griechisch)

Interview mit Sokratis Malamas anlässlich seiner Auftritte in Deutschland, insbesondere seines Berlin-Konzerts am 7. April im Berliner Kesselhaus. Evdoxia Balatsiou hat den Künstler für diablog.eu zu seiner Musik befragt. Die Tourdaten: 1. April in Stuttgart, 3. April in Frankfurt und 5. April in München.

Sokratis Malamas zählt zu den bekanntesten und beliebtesten Musikern seiner Generation. Er ist ein Liedermacher, der beim Publikum als authentisch und aufrichtig ankommt. Mit seinem besonderen Timbre und seinen Liedtexten, die unmittelbar mit den Zuhörern kommunizieren, hat er einen eigenen, bis dahin unbekannten Klangkosmos geschaffen. Seine Bühnenpräsenz hat eine ganze Generation von Zuhörern und Musikern inspiriert.

Sokratis Malamas wurde in Sykia, auf der Halbinsel Sithonia (Halkidiki) geboren und ist in Stuttgart aufgewachsen, wohin seine Eltern ausgewandert waren. Als Jugendlicher kehrte er nach Thessaloniki zurück, studierte am dortigen Makedonischen Konservatorium sowie in Stuttgart und am Nationalen Konversatorium Athen. 1989 übernimmt Nikos Papazoglou, eine Kultfigur des griechischen Pop, die Orchestrierung und das Mastering von Malamas’ erster Platte „Schwarzweiße Tage“. Das war der Startschuss für eine mittlerweile dreißigjährige, äußert produktive Karriere mit zahlreichen Auslandstourneen.

Flyer: Sokratis Malamas

Herr Malamas, wie würden Sie sich den Zuhörern im deutschsprachigen Raum vorstellen, die Ihre Liedtexte nicht verstehen können?

Menschen, die meine Texte nicht verstehen, werden kaum zu unseren Konzerten kommen. Daher werden wir uns auf bekanntem Terrain bewegen. Es wird nicht notwendig sein, dass wir uns vorstellen, noch werden die anderen auf uns zukommen. Die essenzielle Kommunikationsform des Liedes ist ja weniger, die Worte zu verstehen, sondern eher, etwas von der emotionalen Atmosphäre zu begreifen. Sonst könnten wir ja simple Kalendersprüche vertonen und würden das Selbstverständliche bestätigen.

Wie schafft man es, so viele Jahre ununterbrochen kreativ zu bleiben?

Man muss wohl beharrlich und geduldig die ewigen, immer noch unbeantworteten Fragen immer aufs Neue ins Visier nehmen.

Ist der Ort, an dem Sie leben, eine Inspiration für Sie?

Ich lebe überall und bin immer unterwegs. Es ist schon so, dass ich irgendwo ein Heim habe, wo ich mit mir nahestehenden Menschen meine freie Zeit verbringe. Aber die Lieder schreibe ich, wenn ich unterwegs bin.

Welche Musiker machen Ihnen Hoffnung in Griechenland? Welchen Rat würden Sie jungen Musikern, die am Anfang ihrer Karriere stehen, geben?

Wir leben in schlechten Zeiten für das Liederschaffen und die Musik. Andererseits gibt es Hunderte neuer Gruppen und Menschen, die die kreativen Energien, die in ihnen brodeln, zum Ausdruck bringen wollen. Ich möchte ihnen alles Gute wünschen, weil sie ihren ganzen Mut brauchen werden, um auf diesem Weg weiterzumachen. Denn er ist lang und die meisten halten nicht ganz bis zum Schluss durch.

Sie haben Ihre erste Platte in den 80er-Jahren aufgenommen. Muss man an der Welt leiden, um außergewöhnliche Musik zu machen? Verstehen wir die Musik besser, wenn wir wissen, was den Künstler beschäftigt hat, als er sie schrieb?

Um den Aspekt des Weltschmerzes wird unnötigerweise ein großes Aufhebens gemacht. Es stimmt, dass Kulturschaffende unter widrigen Umständen großartige Werke hervorgebracht haben. Trotzdem kann man nicht behaupten, dass die Leidensfähigkeit an sich die Grundlage für das Hervorbringen des Schönen ist. Aber  – anders gesagt – auch die Lebensfreude, also das gegenteilige Gefühl, bringt nicht immer Tiefgründiges hervor, wie man an den pseudofröhlichen Machwerken sehen kann, die mit manischer Beharrlichkeit von der Unterhaltungsindustrie promotet werden.

Was wäre der ideale Lohn für einen zeitgenössischen Musiker?

Ideal wäre, eine bestimmte Anzahl von Hörern zu erreichen, damit eine kreative Wechselwirkung entsteht.

Ist die Musik das Paradies, nach dem wir alle suchen?

An so etwas glaubten die Menschen in der 60er-Jahren, als die Rockmusik entstand. Aber es war nicht das Paradies, das sie sich ausmalten.

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Sind Sie ein empörter Künstler?

Vor zwanzig Jahren, würde ich sagen, war ich empört. Mit der Zeit habe ich begriffen, dass die Dinge, die uns den Verstand vernebeln, bei allen Menschen ähnlich sind und dass wir alle zusammen verantwortlich sind, wenn etwas schief läuft. Heute sage ich: Je lauter jemand schreit, desto weniger ist er bereit zu erkennen, welche Rolle er eigentlich dabei spielt, wenn etwas in die falsche Richtung geht.

Gibt es eine Hoffnung, die Sie aufgegeben haben?

Ich nähre mich nicht von der Hoffnung und halte mich auch nicht an ihr fest.

Was war ihr erstes, prägendes musikalisches Erlebnis?

Meine Teilnahme als Gitarrist und Interpret meiner eigenen Lieder im Orchester von Nikos Papazoglou.

Was wäre für Sie Neuland?

Ein rein musikalisches Stück ohne Lieder.

Auf Ihrem letzten Album „Spiegel“ sind verschiedene musikalische Genres vertreten. Dort arbeiten Sie mit dem bekannten Jazz-Trompeter Pantelis Stoikos zusammen. Experimentieren Sie gerne? Ist es schwierig, in einem Musikstück die richtige Intro für den Trompeteneinsatz zu finden?

Normalerweise findet man die richtige Rolle der Instrumente durch Versuch und Irrtum, und man verwirft die Lösungen, die für die vorhandene Melodie wenig unterstützend oder passend sind. Ganz instinktiv diktiert uns unsere ästhetische Haltung, aber natürlich auch die Fantasie jedes Mal, wie wir vorgehen sollen. Experimente sind das Labor, aus dem die interessantesten Dinge hervorgehen.

Wie entwickelt sich das Kunstlied Ihrer Meinung nach weiter?

Ich bin kein Spezialist für das Kunstlied. Die meisten meiner Arbeiten haben mehr mit der populären Tradition und der Ballade zu tun als mit diesem nebulösen Genre namens Kunstlied, das jeder anders definiert. Also bin ich nicht der geeignetste, um hier zu antworten.

Gibt es einen Song, der sie in der letzten Zeit berührt hat?

Ja, ein Lied mit dem Titel „Sauerstoff“, das mein Sohn Petros Malamas geschrieben hat.

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Hätten Sie den berühmten Erneuerer des Rembetiko Vassilis Tsitsanis gerne persönlich getroffen?

Ich habe immer wieder das Lokal „Charama“ besucht, in dem er die letzten Jahre gespielt hat, bevor er sich aus den musikalischen „Nachtschichten“ zurückgezogen hat. Unser eigenen Programme war relativ früh zu Ende, und so habe ich jeden Abend danach seins besucht. Es wäre mir nie eingefallen, ihn zu behelligen. Es reicht mir, dass ich ihn so oft hören konnte.

Was nehmen Sie von einer Auslandstournee mit nach Hause?

Das ist jeden Mal etwas Anderes, üblicherweise aber das allgemeine Gefühl, mit den Menschen, die in unsere Vorstellungen kommen, auf besondere Weise zu kommunizieren.

Interview: Evdoxia Balatsiou/Sokratis Malamas. Übersetzung: Michaela Prinzinger. Foto: Giannis Margetousakis.

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